»Und du glaubst, er ist der Richtige für diesen Job?«, will ich von Carter wissen, während ich eine Haarsträhne um meinen Finger wickle. Das tue ich oft, wenn ich unsicher bin, und heute bin ich es. Carter ist unser Familienanwalt und ein gerissener Fuchs. Obwohl er die Siebzig bereits überschritten hat, arbeitet er immer noch für uns. Er steht an einen der Aktencontainer gelehnt und schaut auf mich herunter, während wir in dem winzigen Büro des FBI-Beamten ausharren, umgeben von modrigen Vorgängen, und auf meinen Personenschutz warten.
»Er ist der Beste«, sagt er.
Ich zucke nur mit den Schultern und stelle meine Louis- Vuitton-Tasche neben mir auf den Boden.
»Das kann ich für ihn nur hoffen.«
Abrupt stößt sich Carter vom Aktenschrank ab und kommt einen Schritt auf mich zu.
»Angel, er ist ein ehemaliger Navy Seal. Einer der härtesten Typen auf diesem Erdball. Die Jungs durchlaufen eine Ausbildung, da würde jeder Normalsterbliche bereits nach dem ersten Tag das Handtuch werfen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie hart das Training ist. Er ist für jede denkbare Gefahrensituation ausgebildet und reagiert schnell, emotionslos und kontrolliert.«
»Was macht dich so sicher? Du kennst ihn doch gar nicht«, stelle ich seine Aussage infrage.
»Das brauche ich auch nicht. Wenn Simon mir verspricht, dass er dir den besten Mann zur Verfügung stellt, dann reicht mir das. Wenn er dich nicht beschützen kann, dann kann es keiner.«
»Na, hoffentlich hast du recht. Obwohl ich immer noch glaube, dass ihr euch alle völlig unnötige Sorgen macht. Ich habe mit der Sache doch überhaupt nichts zu tun. Vermutlich übertreibt ihr alle nur.« Ich schlage die Beine übereinander und wippe mit dem Fuß.
»Ich wäre erleichtert, wenn dein Bauchgefühl zutreffen würde. Aber das glaube ich nicht. Meine Intuition hat mich noch nie getäuscht. Darum habe ich auch darauf bestanden, dass man dir den bestmöglichen Schutz zur Verfügung stellt. Das FBI ist dem Syndikat ganz nah auf den Fersen. Du wirst sehen, es wird nicht lange dauern und der Spuk ist vorbei«, redet er eindringlich auf mich ein. »Aber bis dahin solltest du vorsichtig sein und tun, was dieser Ross von dir verlangt.«
»Ross? Ist das sein Name? Hört sich an wie ein Pferd.« Ich muss ungewollt lachen und vergesse fast meine gute Erziehung.
»Ja, Ash Ross«, ergänzt er.
»Ash Ross«, lasse ich mir den Namen auf der Zunge zergehen, nicht, ohne mich schon wieder über ihn lustig zu machen. »Er wird sich meinem Tagesplan anpassen müssen. Auf keinen Fall umgekehrt.«
Mein Anwalt atmet tief ein. »Angel, übertreib es bitte nicht. Du hast gesehen, was passiert ist. Ich will nicht, dass noch ein Mensch getötet wird, bevor diese Sache über die Bühne gegangen ist. Es hat mich schon genug Nerven gekostet, deinen Vater davon zu überzeugen, sich nicht mehr ohne seine Bodyguards aus dem Haus zu bewegen. Vielleicht hättest du die nächsten Wochen doch auf seiner Ranch verbringen sollen, bis die ganze Sache erledigt ist, anstatt hier in Boston zu bleiben.«
Ich rolle die Augen. Mein Dad ist ein großes Tier unten in Texas, ihm gehört eine der bedeutendsten Ölfirmen. Er lebt auf der Überholspur, Angst ist ein Wort, das in seinem Sprachgebrauch nicht existiert. Und ich ticke im Grunde genauso wie er.
Zumindest tat ich das bis zu dem Zeitpunkt, als mein Leben nur noch an einem dünnen Faden hing. Ich habe im wahrsten Sinne des Wortes den Hauch des Todes gespürt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich richtig Angst. Auf diese Erfahrung kann ich gerne verzichten, aber ich will mich nicht einschränken und mich schon gar nicht von irgendeinem Cop einengen lassen. Mal davon abgesehen, dass das Attentat in Dallas passiert ist. Jetzt bin ich wieder zu Hause, weit weg von Texas in Boston.
»Na, wenn er so gut ist, wie du sagst, dann kann doch nichts passieren, oder?«, behaupte ich selbstsicher, fast schon arrogant.
»Nein«, sagt er kurz angebunden. »Du bist genauso uneinsichtig wie Carlos.«
»Muss wohl so sein. Ich bin seine Tochter.« Damit greife ich nach meiner Handtasche und nehme einen Chanel-Lippenstift und einen Spiegel heraus, um meine Lippen nachzuziehen.
»Das bist du allerdings. Ich wünschte manchmal, du hättest mehr von deiner Mutter geerbt.«
Stimmen aus dem Nachbarbüro dringen zu uns, bevor ich ihn zum ersten Mal sehe und den Lippenstift wieder in der Hülle verschwinden lasse. Die Wände der Büros sind aus Glas und scheinbar nicht schallisoliert, sodass ich jedes Wort verstehen kann, das da nicht gerade leise gesprochen wird. Er geht aufgebracht auf den wenigen Quadratmetern auf und ab, schüttelt abwechselnd verneinend den Kopf und hebt warnend den Zeigefinger in Richtung seines Gesprächspartners, bevor er sich demonstrativ auf dem Schreibtisch des Beamten aufstützt und ihn wütend anfunkelt. Ich drehe mich auf dem Stuhl der Glaswand zu, um ihn besser sehen zu können. Das ist der Mann, der mich beschützen soll? Ich kann nur hoffen, dass es sich um einen schlechten Scherz handelt. Viel kann ich von ihm nicht erkennen, da er mir jetzt den Rücken zuwendet. Aber er ist groß und wirkt wie ein Bulle.
Und dann trifft mich die Aussage des ehemaligen Navy Seals wie ein Schlag ins Gesicht: »Das ist nicht dein Ernst, Simon. Du glaubst doch nicht, dass ich den Personenschutz für diese verwöhnte, reiche Göre übernehme!«
Ach, eine reiche verwöhnte Göre bin ich in den Augen dieses Schlammcatchers! Du wirst mich noch kennenlernen, du arroganter Klotz. Auch ich kann unnachgiebig und widerspenstig sein.
Dann dringen die Worte des FBI-Beamten zu uns herüber. »Ash, würdest du bitte etwas leiser sprechen. Miss Martinez sitzt mit ihrem Anwalt nebenan.«
Jetzt dreht sich der Mann, der mindestens eins neunzig groß ist, um und schaut durch die Glastrennwand direkt in mein Gesicht. Ich hatte mir gerade vorgenommen, ihm meinen herablassendsten Blick zu schenken, aber als er mich mit seinen dunklen Augen fixiert, die sich wie Pfeile in mich bohren, bin ich in einer Art Schockstarre. Mein Gott, wie kann ein Mann, der sich ausschließlich mit Schmutz, Gefahren und Gewalt beschäftigt, so verdammt sexy und atemberaubend aussehen?
Seine Lippen sind hart aufeinandergepresst und doch wirkt sein Mund sinnlich. Wenn man auf den Typ Holzfäller steht, könnte er einem direkt gefährlich werden. Was zum Glück auf mich nicht zutrifft. Seine Haut ist tief gebräunt, als würde er sich das ganze Jahr über im Freien aufhalten, und seine dunkelbraunen Haare haben eine verwaschene Tönung, als wäre er zu lange in der Sonne gewesen. Habe ich schon den Dreitagebart erwähnt, der ihm etwas Verwegenes verleiht? Aber den braucht er nicht, er ist verwegen in seiner ganzen Überheblichkeit und Ausstrahlung. Breite Schultern und eine muskulöse Brust zeichnen sich unter seinem T-Shirt ab, über dem er eine Lederjacke trägt, die ihn unglaublich kantig wirken lässt. Er hat sich die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben, was ihm einen Hauch Arroganz verleiht. Typisches Machogehabe, bei wolkenverhangenem Himmel mit einer Sonnenbrille auf dem Kopf herumzulaufen.
Jetzt dreht er sich wieder dem Mitarbeiter zu, ohne eine Regung zu zeigen oder Reue über seine unverschämten Worte zu äußern. Da die beiden nun leise weitersprechen, kann ich nichts mehr verstehen. Ich wende mich wieder Carter zu und verdrehe die Augen. Mein Anwalt zuckt nur die Schultern und winkt ab.
»Also, wenn das der beste Mann sein soll, dann kann ich dir jetzt schon sagen, dass ich mich nicht so herablassend behandeln lasse. Das kannst du ihm gerne ausrichten.« Dann stehe ich von meinem Stuhl auf, greife nach meiner Tasche und will den Raum verlassen.
»Ich glaube, das kannst du ihm gleich selbst mitteilen, da kommt er nämlich.« Carter deutet mit einer Kopfbewegung zur Tür, die sich in diesem Moment mit einem leichten Knarren öffnet.
Der FBI-Beamte betritt zusammen mit meinem neuen Bodyguard das winzige Büro, das jetzt noch beengter wirkt. Es passt mir zwar nicht, aber dieser Navy Seal wühlt meine Gefühle gehörig auf. Dabei sollte ich ihn doch hassen, diesen unverschämten Kerl. Und auf gewisse Weise tue ich das auch. Warum verschwende ich überhaupt einen Gedanken an ihn? Er ist mir im Grunde doch vollkommen egal. Das FBI kann mir schließlich keinen Bodyguard zur Verfügung stellen, der auch noch meinen Vorstellungen von einem heißen Typen entspricht. Bei dem Gedanken muss ich innerlich grinsen. Dieser Machomann, der hier vor mir steht, ist auf alle Fälle viel zu roh und kaltschnäuzig, als dass er mir gefährlich werden könnte.
Die Stimme des Beamten reißt mich aus diesen peinlichen Gedanken. »Miss Martinez, ich möchte Ihnen gerne Ash Ross vorstellen.« Dabei tritt er ein Stück zur Seite, sodass mein Beschützer mich in aller Seelenruhe abschätzen kann.
Mein Anwalt nickt ihm verhalten zu. Aber ich beachte ihn nicht weiter und wende meine Aufmerksamkeit dem Beamten zu, der sofort weiterspricht. Auch er scheint jetzt meine Abneigung zu...