SCHRITT 1
WAS IST EINE DEPRESSION?
Die (auch als klinische Depression bezeichnete) Major Depression ist eine diagnostizierbare psychiatrische Erkrankung, die sich bei jedem Menschen anders äußert. Trotzdem ist es wichtig, die häufigsten Zeichen und Symptome einer Depression zu kennen. Das ist sogar der erste Schritt im Kampf gegen die Depression: Man muss zunächst einmal definieren, was der Begriff »klinische Depression« überhaupt bedeutet. Wenn Ihnen die Zeichen und Symptome einer klinischen Depression bewusst sind, werden Sie Ihre Gefühle besser verstehen. Außerdem können Sie dem Arzt oder Therapeuten diese Symptome dann auch leichter beschreiben, sodass er Ihnen besser helfen kann. Wenn Ihr Arzt oder Therapeut versteht, was Sie fühlen oder erleben, wenn bei Ihnen Symptome einer Depression auftreten, hat er das Rüstzeug, das er braucht, um Ihnen den Start in Ihren Heilungsprozess zu erleichtern. Deshalb wollen wir das Phänomen »Depression« nun einmal etwas genauer beleuchten.
Wie sieht es in der Psyche eines depressiven Menschen aus?
Wenn Sie den Begriff klinische Depression hören, denken Sie vielleicht an jemanden, der unter einigen der unten beschriebenen Symptome leidet – und vielleicht sind dieser Mensch sogar Sie selbst. Kommt Ihnen eines oder kommen Ihnen gar mehrere dieser neun Symptome bekannt vor?
Man ist den größten Teil des Tages in niedergeschlagener Stimmung,
das Interesse oder die Freude an allen oder fast allen Tätigkeiten lässt deutlich nach,
erhebliche Gewichtsabnahme (ohne Diät), Gewichtszunahme oder Ab- oder Zunahme des Appetits,
Schlafstörungen (oder übermäßig vieles Schlafen),
Aufmerksamkeits- und/oder Konzentrationsprobleme, die häufig als »Brain Fog« erlebt werden (das heißt, man hat Schwierigkeiten, sich etwas zu merken),
wiederkehrende Todes- und/oder Suizidgedanken,
übermäßiges Gefühl der Schuld und/oder Wertlosigkeit,
Ruhelosigkeit (zum Beispiel mit den Beinen wackeln, herumzappeln, die Hände ringen, im Zimmer hin- und herlaufen),
Energielosigkeit und/oder Gefühl der Erschöpfung, und zwar täglich (zum Beispiel fällt es einem schwer, sich selbst zu den kleinsten Aktivitäten wie Duschen oder Essen aufzuraffen).
Das sind die Symptome einer klinischen Depression, die im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) aufgeführt sind. Das DSM-5 ist ein umfassendes Nachschlagewerk, das Psychologen und Psychiater zur Diagnostik psychischer Erkrankungen heranziehen. Bitte kreuzen Sie alle Symptome an, unter denen Sie leiden. Wenn Sie fast täglich den größten Teil des Tages unter mindestens fünf dieser Symptome leiden, und das seit mindestens zwei Wochen, liegt bei Ihnen wahrscheinlich eine klinische Depression vor. Wenn das so ist, wissen Sie, wie sehr einen diese Erkrankung körperlich und emotional auslaugen kann. Übrigens geht es auch mir (Sarah) so, denn ich habe diese Krankheit durchgemacht. Hier eine kleine Momentaufnahme meines Befindens, bevor ich Hilfe fand:
»Ich wollte das Haus nicht mehr verlassen, weil es mich einfach zu viel Kraft kostete aufzustehen, zu duschen und hinauszugehen. Ich kapselte mich von meinen Freunden ab, weil ich überzeugt davon war, dass sie meine Gesellschaft lästig, störend und ermüdend fanden. Immer wieder kreisten meine Gedanken um negative Dinge und ich hatte das Gefühl, nichts wert zu sein. Außerdem fiel es mir schwer, mir etwas zu merken, und ich fand nur wenig Trost in Aktivitäten, die mich früher begeistert hatten, wie beispielsweise zu schreiben, zu singen oder mit meinem Hund und meinen Katzen zu spielen. Außerdem hatte ich fast gar keinen Appetit mehr; ich musste mich zum Essen zwingen.«
Kommt Ihnen das bekannt vor? Können Sie nachempfinden, in was für einer psychischen Verfassung ich mich damals befand? Das war eine klinische Depression: Ich hatte alles, was mir früher einmal Freude gemacht hatte, vergessen. Und da mir nichts mehr Freude bereitete, verspürte ich auch keine Motivation, mich zu meinen normalen Alltagsaktivitäten aufzuraffen. Und ich hatte auch nicht die Kraft, Freunde oder andere Unterstützungspersonen um Hilfe zu bitten. Dadurch wurde meine Situation noch schlimmer, denn Isolation kann die Symptome einer Depression verstärken.
Wenn Sie an einer Depression leiden, versuchen Sie bitte, daran zu denken, dass Sie damit nicht allein dastehen. Es gibt viele Menschen, denen es aufgrund ihrer Depression schwerfällt, sich selbst zu noch so kleinen Aktivitäten aufzuraffen. Das kann sehr frustrierend sein, denn eigentlich möchten Sie ja mit Ihren Freunden zusammen sein, ausgehen und Spaß haben oder sich mit einem Hobby beschäftigen, das Ihnen früher einmal Freude bereitet hat; aber denken Sie daran: Sie leiden an einer echten medizinischen Erkrankung, die dazu führt, dass es Ihnen schwerfällt, in Ihrem Alltagsleben richtig zu funktionieren – jedenfalls momentan. Und genau darauf kommt es an: Auch wenn Sie momentan an einer Depression leiden, können Sie diese Erkrankung überwinden. Sie brauchen nur bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, damit es Ihnen wieder besser geht.
Nun, da ich Ihnen von meiner eigenen Erfahrung mit einer Depression erzählt habe, nehmen Sie sich bitte einmal einen Moment Zeit, um über Ihre Symptome nachzudenken und sich zu überlegen, wie die Depression Ihr Leben beeinträchtigt:
ACHTUNG! Wenn Sie unter ständigen Gedanken an Tod, Suizid oder selbstschädigendes Verhalten oder anderen Symptomen einer schweren psychischen Erkrankung leiden, legen Sie dieses Buch bitte beiseite und wählen Sie die Notrufnummer oder begeben Sie sich in die Notaufnahme des nächstgelegenen Krankenhauses. Denn solche Symptome deuten darauf hin, dass sofort etwas für Ihre psychische Gesundheit getan werden muss. Denken Sie daran: Ihr Leben ist wichtig, und es lohnt sich. Sie können auch die Telefonseelsorge anrufen (kostenlose Rufnummer 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222, rund um die Uhr erreichbar).
Wie wirkt eine Depression sich auf Ihren Körper aus?
Das Leben mit einer klinischen Depression belastet nicht nur die Seele, sondern auch den Körper. Wir wollen uns nun anschauen, wie eine Depression sich auf Ihren Körper auswirken kann. Kommen folgende physische Symptome einer Depression, die im DSM-5 aufgelistet sind, Ihnen bekannt vor?
Sie schlafen zu wenig (Insomnie) oder zu viel (Hypersomnie).
Sie leiden unter Energielosigkeit und/oder Erschöpfung.
Sie leiden unter vermehrter Unruhe (das heißt, Sie sind zitterig, zappeln herum, ringen die Hände oder laufen im Zimmer auf und ab) oder Lethargie (verlangsamtem Sprechen und/oder Gehen).
Haben Sie schon mal eines dieser körperlichen depressiven Symptome erlebt? Bitte schreiben Sie die bei Ihnen auftretenden Symptome in die unten stehenden Leerzeilen und notieren Sie sich dazu auch, wie Sie normalerweise damit umgehen. Vielleicht waren diese Manifestationen Ihrer Depression für Sie so überwältigend, dass Sie gar nicht richtig damit umgehen konnten; falls das so sein sollte, schreiben Sie es ruhig auf. Gestehen Sie sich die Erfahrungen, die Sie mit Ihrer Depression gemacht haben, offen ein und versuchen Sie, sich deshalb nicht zu verurteilen. Seien Sie einfach ehrlich.
WER HAT EIN BESONDERS HOHES RISIKO FÜR DEPRESSIONEN?
Vielleicht haben Sie schon gehört, dass eine Depression durch ein Ungleichgewicht chemischer Botenstoffe im Gehirn entstehen kann. Das ist eine weitverbreitete, aber umstrittene Überzeugung. Dagegen betont die Harvard Medical School auf ihrer Website, dass diese Erkrankung zu komplex ist, um sie nur einer einzigen Ursache zuzuschreiben. Depressionen können aus einer Vielfalt verschiedener Faktoren entstehen. Zu den möglichen Ursachen gehören: genetische Veranlagung, schwerwiegende Erkrankungen, bestimmte Medikamente, Probleme mit der Stimmungsregulation und belastende Lebensereignisse. Menschen, in deren Familie ein Todesfall aufgetreten ist, die eine Scheidung oder ein traumatisches Ereignis (zum Beispiel physische oder emotionale Misshandlung oder sexuellen Missbrauch) erlebt haben, tragen ein deutlich höheres Risiko, eine Depression zu entwickeln.
Traumatisierte Menschen leiden häufig nicht nur unter einer Depression, sondern gleichzeitig auch an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Beide Krankheitsbilder äußern sich teilweise in ähnlichen Symptomen: zum Beispiel Konzentrationsstörungen, einem Gefühl der Distanz zu anderen Menschen, Schlafstörungen und der Schwierigkeit, positive Emotionen zu empfinden. Eine Depression oder PTBS führt auch zu einer Zunahme negativer Überzeugungen oder Erwartungen im Hinblick auf die eigene Person und dazu, dass die Betroffenen weniger Interesse oder Freude an Tätigkeiten zeigen, die ihnen vorher Spaß gemacht...