II. Frühzeit und Altes Reich
1. Die Vorgeschichte und ihre Fundorte
Im Jahre 1928 entdeckte der österreichische Ägyptologe Hermann Junker (1877–1962) auf seiner Westdelta-Expedition bei dem Ort Merimde-Beni Salame eine groß angelegte vorgeschichtliche Siedlung. Die Überreste der dörflichen Gemeinschaft aus dem Neolithikum (Jungsteinzeit), die zu Tage kamen und die zeitlich bis in die zweite Hälfte des 5. Jahrtausends v. Chr. zurückreichen, pflegt man heute nach dem Fundort als Merimdekultur zu bezeichnen. Die Menschen, teils Jäger, Fischer und Sammler, teils bereits sesshafte Bauern, hatten sich Häuser aus Rohrgeflecht gebaut. Es fanden sich noch Abdrücke von Mattenflechtwerk und Löcher, in denen Pfosten befestigt waren, außerdem Keramik und Feuersteinwerkzeuge. Auch Vorratskammern für Lebensmittel konnten festgestellt werden, dazu Reste von Kornspeichern, in denen sich Getreide nachweisen ließ. Bei einer späteren Grabung (im Jahre 1982) kam in Merimde ein gelb bemalter, männlicher Idolkopf aus Terrakotta zu Tage (heute im Museum Kairo). Diese Plastik aus dem 5. Jahrtausend v. Chr. ist die früheste Darstellung eines Menschen auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt.
Ende des 19. Jahrhunderts hat der englische Archäologe Sir Flinders Petrie (1853–1942) bei dem Ort Negade, 27 km nördlich der Stadt Luxor, einen großen vorgeschichtlichen Friedhof entdeckt. Der Fundort hat seither der ganzen oberägyptischen Kulturentwicklung seinen Namen gegeben. Das Material ließ zwei aufeinanderfolgende Schichten erkennen, die Petrie als Negade I (4000–3500 v. Chr.) und NegadeII (3500–3200 v. Chr.) bezeichnete. Später kam noch als eine weitere Stufe NegadeIII (3200–3150 v. Chr.) hinzu. Bei dem kleinen Ort Badari in Mittelägypten fand man Reste der Negadekultur, aber darüber hinaus Gräber, deren Keramik, rotpolierte Ware mit schwarz geschmauchtem Rand, sich zeitlich deutlich vor die Negade-I-Epoche einreiht. Auch Kupferperlen und Gegenstände aus Elfenbein gehörten zu den archäologischen Entdeckungen dieser Nekropole. Man spricht von der Badarikultur, die anscheinend bruchlos und homogen um 4000 v. Chr. in die Negade-I-Zeit überging. Die oberägyptische Bevölkerung dieser Epoche bestand vorwiegend aus nomadisierenden Hirten und Viehzüchtern, die keinen festen Wohnsitz hatten und nur für ihre Toten einen siedlungsähnlichen Bestattungsplatz anlegten. Typisch für Negade I ist die rotbraun polierte Keramik mit gelbweißer Bemalung. Die Darstellungen zeigen die Auseinandersetzung der Menschen mit ihrer Umwelt: Zwischen stilisierten Bergen erscheint die Sonne, durch Wasserlinien ist der Nil gekennzeichnet, und eine reiche Tierwelt wird in knappen Strichen skizziert. Daneben treten auch tierförmige Gefäße auf sowie geometrisch geformte Schminkpaletten aus Schiefer zum Anreiben von Augenschminke. Besonders bemerkenswert sind rundplastische Figuren etwa von tanzenden Frauen, deren Körper in einfachen klaren Linien wiedergegeben sind, oder von bärtigen Männern, deren Leiber teilweise ohne Extremitäten nur in Umrissen erscheinen. Woher die Wende zur Negade-II-Zeit kam, ist nicht auszumachen. Wahrscheinlich sind Einflüsse aus Vorderasien dafür verantwortlich. Die neue Kultur überlagerte nicht nur das Gebiet der Negade I, sondern dehnte sich räumlich bedeutend weiter aus, wie Friedhöfe im nördlichen Oberägypten bei Gerzeh und Abusir el-Meleq, im Fajum bei Harageh und Sedment oder im östlichen Delta bei Minshat Abu Omar und Tell Ibrahim Awad demonstrieren. Es scheint damit eine gewisse kulturelle und zivilisatorische Einheit des Landes erreicht worden zu sein. Die Keramik, in der Wellenhenkelgefäße prominent hervortreten, weist einen beigefarbenen Grundton mit rotbrauner Bemalung auf. Da Motive von kriegerischen Handlungen oder Kämpfen fehlten, darf man davon ausgehen, dass die Entwicklung der neuen Epoche wohl friedlich verlaufen ist. Es treten jetzt erstmals Schiffsdarstellungen auf. Figürliche Arbeiten in Ton und Stein beweisen ebenso wie der Umgang mit Metallen handwerkliche Meisterschaft und eine vollendete Beherrschung des Materials. Die Schminkpaletten bekamen oft Tierformen in Gestalt von stilisierten Schildkröten, Fischen, Elefanten, Vögeln oder Nilpferden. Als Schlussphase der vorgeschichtlichen Entwicklung steht die kurze Zeit, die man NegadeIII nennt. Die bemalte Gefäßherstellung gab man nun vollständig auf. Dagegen blühte eine phantasievolle und formenreiche Steingefäß-Produktion, wobei die Gefäßkörper ein strengeres und schlankeres Aussehen erhielten. Jetzt lassen sich erste Versuche nachweisen, die Namen von Häuptlingen (die Bezeichnung König ist vielleicht noch nicht angebracht) schriftlich festzuhalten. Diese Namen waren vor allem mit Tiernamen wie Fisch, Elefant, Stier, Storch oder Canide gebildet. In dieser Indentifikation drückt sich die von den Menschen der Frühzeit empfundene göttliche Überlegenheit des Tieres durch Kraft, Schnelligkeit und die Fähigkeit, in anderen Elementen leben zu können, aus. Bei den rundplastischen Arbeiten von menschlichen Figuren treten in Aufbau und Ausführung jetzt alle Merkmale der kommenden «pharaonischen Kunst» hervor. Um 3150 v. Chr. wird eine der frühen Königsgestalten Ägyptens, Skorpion I., fassbar. Sein Grab in Abydos, das aus 12 Kammern bestand, enthielt an Grabbeigaben unter anderem kleine Anhängertäfelchen aus Knochen oder Elfenbein mit Inschriften, die zu den ältesten Schriftzeugnissen Ägyptens gehören.
2. Die Frühzeit. Grundlagen der Herrschaft
Man bezeichnet die Jahre von 3150 v. Chr. bis etwa 3000 v. Chr. als protodynastische Zeit oder – auf die Herrscher bezogen – als Dynastie Null. Von den etwa zehn Königen dieser Epoche ist vor allem der letzte prominent: König Narmer. Er hat die Vereinigung der beiden Landeshälften Ober- und Unterägypten nach einem langsamen Prozess der Annäherung und Eroberung abgeschlossen. Wichtigste Residenz des Königs war Hierakonpolis (ägyptisch Nechen), nördlich von Edfu in Oberägypten gelegen. Dort befand sich auch der bedeutende Tempel des Himmelsgottes Horus, als dessen Inkarnation auf Erden der König galt. Der Gottesname «Horus» war Titel des Herrschers. So erscheint bei der Nennung des Königsnamens in der Schrift eine Palastfassade, auf der der Horusfalke hockt. In die Fassade eingeschrieben ist der Name des Königs. Die berühmte Prunkschminkpalette des Königs Horus Narmer (Museum Kairo), die 1897 in Hierakonpolis gefunden wurde, gilt als Denkmal des königlichen Sieges über Unterägypten. Dargestellt ist der König mit oberägyptischer Krone, der mit einer Keule ausholt, um einen vor ihm zusammengesunkenen Feind niederzustrecken. Dieses Bild des «Niederschlagens der Feinde» wurde später zu einem Symbol des siegreichen Königtums überhaupt und fand bis in die Spätzeit hinein Verwendung. Mit Narmer schloss die Reihe der vorgeschichtlichen Könige, die den ersten Territorialstaat in der Geschichte der Menschheit aufgebaut hatten.
Die Königsliste König Sethos’ I. (1290–1279 v. Chr.), die heute noch in seinem Tempel von Abydos steht, nennt als ersten geschichtlichen König Ägyptens Meni (griech. Menes), den auch Manetho an den Beginn seiner ägyptischen Geschichte gestellt hat. Durch ein Prinzensiegel wissen wir, dass er der Sohn von König Narmer war. Er nahm den Thronnamen Horus Aha (=Horus der Kämpfer) an und begründete die erste Dynastie. Die offiziellen Listen aber tradieren ihn mit seinem Geburtsnamen Meni.
Seine neue Festung und Residenz gründete Horus Aha (2982–2950 v. Chr.) an der Nahtstelle zwischen Ober- und Unterägypten, wo sich später die Stadt Memphis ausdehnte. Unweit davon, auf einem Wüstenplateau bei Sakkara, errichtete er für sich einen großen Grabbau in einer rechteckigen Form, was wir heute als Mastaba (arabisch=Bank) bezeichnen. Es wurden aus dem Felsen fünf Kammern herausgehauen, die von einem 5 m hohen Kubus aus Nilschlammziegeln überbaut und mit einer Holzdecke überdacht wurden. Die vier Außenmauern waren wie eine Palastfassade in Vor- und Rücksprünge gegliedert, vor denen eine Reihe von aus Ton modellierten Stierköpfen mit echten Hörnern stand. Nach Norden hin schlossen sich eine Totenkultanlage und eine Grube für ein Schiff an, welches dem König im Jenseits zur Verfügung stehen sollte. Diese Grabanlage eröffnete die große und gewaltige Nekropole von Sakkara. Aber auch in Abydos baute Horus Aha ein bedeutendes Grab...