Zum Glück wird in den Tonbandaufzeichnungen, die von Fraktionssitzungen im Deutschen Bundestag erstellt werden, alles genau festgehalten. Der Redetext wird denen, die während der Sitzung gesprochen haben, anschließend zur Korrektur vorgelegt. So wird man unbeschadet der Wertungen, die Autoren aus diesen Texten ableiten, immer nachprüfen können, was in diesen Sitzungen tatsächlich gesagt worden ist. So natürlich auch bei dem ehemaligen Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl. Eine Abfolge von in der Sache übereinstimmenden Aussagen versetzte zwischen 1992 und 1995 die Fraktion immer wieder in Erstaunen, wenn er von Besuchsreisen aus Washington nach Bonn zurückgekommen war.
Eigentlich war es aus der Bonner Weltsicht und der Fokussierung auf die unglaublichen innerstaatlichen Probleme als Ergebnisse der Wiedervereinigung für viele Zuhörer fast merkwürdig, wenn er die Einheit Europas als die Frage der Abwesenheit von Krieg und der Hinwendung zum Frieden als die wichtigste Aufgabe für die Zukunft beschrieb. Diese Aussage wurde stets verbunden mit dem Ausdruck des Unverständnisses, wenn der Bundeskanzler von Gesprächen in Washington, vor allem mit Mitgliedern des US-Kongresses berichtete. Nach seiner Ansicht herrschte in Washington eine verhängnisvolle Grundstimmung, die allen gefährlich werden konnte. So sei man nicht nur im Kongress der Ansicht, der „Kalte Krieg“ mit der untergegangenen Sowjetunion sei beendet und die USA hätten ihn „gewonnen“.
Für Dr. Helmut Kohl als Bundeskanzler war es unverständlich, sich einem großen Volk, den Russen nämlich, gegenüber so zu verhalten, dessen Führung unter Präsident Jelzin bis zu seinem letzten Amtstag der Kooperation mit dem Westen verpflichtet fühlte. An dieser Grundeinstellung änderte sich in Moskau sogar dann nichts, als durch die „Schocktherapie“ des Havard-Ökonomen Geoffrey Sachs die russische Wirtschaft mit der Wirkung einer Nuklearexplosion auseinander flog.
Russland war nach Ansicht des Bundeskanzlers ein zu wichtiges Land und das in Washington vorherrschende Gedankengut werde weder der Entwicklung gerecht noch könne es künftige Verwerfungen vermeiden helfen. Für Dr. Kohl kam es darauf an, das Maß in den Beziehungen zu Russland zu wahren und die Demütigungen nicht anzuhäufen .Dabei saßen in den Reihen der Zuhörer nicht wenige, die durchaus auf der Wellenlänge der vom Bundeskanzler kritisch gesehenen Überlegungen in Washington dachten. Andere hielten seine Warnungen für ferne historische Gedanken in einer Welt, die jedenfalls vom Ende der aus dem „Kalten Krieg“ herrührenden Sorgen bestimmt war.
Wie nahe Bundeskanzler Dr. Kohl der Wirklichkeit gewesen ist, konnte jeder schon einige Jahre später feststellen, als die NATO mit ihrem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien losschlug. War nicht Miloševi? auch einer jener Kommunisten und müsse nicht dieser Spezies ein für allemal das Handwerk gelegt werden, nachdem einige Jahre zuvor das kommunistische System so klanglos untergegangen war? Die Monate des Bundestagswahlkampfes waren auch in der Partei des Bundeskanzlers als dem Parteivorsitzenden der CDU davon bestimmt, dass er zwar die Koalition mit der FDP fortsetzten wollte, führende Vertreter der Union wie Schäuble und Rühe offen für eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten eintraten und aufmerksame Beobachter in Bonn den Eindruck gewannen, dass dabei ein möglicher Krieg gegen Jugoslawien im Vordergrund stehen würde.
Das spektakulärste Opfer der Ranküne wurde später der auserkorene Bundeskanzler Gerhard Schröder, der nach seinem ersten Treffen in Washington mit dem damaligen Präsidenten Clinton den Rückflug in der Gewissheit antrat, einem Krieg gegen Belgrad in seinem Gespräch mit Clinton entkommen zu sein, um bei der Landung in Köln-Bonn feststellen zu müssen, dass seine amerikanischen Gesprächspartner mit dem noch von Minister Rühe bestimmten Verteidigungsministerium in Bonn aufs Kreuz gelegt worden zu sein. Mit einem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hätte es einen Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien nicht gegeben und dafür sprachen nicht nur die vertraulichen Gespräche mit der jugoslawischen Seite und der engen Abstimmung mit Washington. Im Sommer 1999, unmittelbar nach Beendigung des Krieges gegen Belgrad, standen die Planungen für einen Besuch des kriegszerstörten Belgrad vor dem Abschluss. Aber es bestand kein Zweifel: mit dem Krieg gegen Belgrad war die Welt des stets europäisch denkenden Bundeskanzlers Dr. Kohl untergegangen. Auf der einen Seite stand ein Mann, ein Deutscher, der stets in der Konsequenz der Geschichte Europas gehandelt hatte für den die Abwesenheit von Krieg gerade in Europa die Maxime seines Handelns gewesen war.
Auf der anderen Seite waren es die USA und Großbritannien, die zunächst- vor Afghanistan und dem Irak- zur Durchsetzung ihrer Ziele die völkerrechtliche Ordnung in Europa zum Einsturz brachten .Dies geschah nach dem Modell der so genannten „humanitären Intervention“. Mit dieser Form des Krieges hatte gerade Großbritannien auf dem Balkan ausreichende Erfahrung. War es doch das britische Strickmuster, mit dem nach dem Sieg über Napoleon die Zusammenarbeit der europäischen Großmächte so hinlänglich torpediert werden konnte, dass nicht nur auf dem Balkan die Türkei auf der Strecke geblieben ist. Was seinerzeit durch die Briten auf dem Balkan vorexerziert worden war, sollte sich mit dem Krieg gegen Belgrad als Anfang einer Entwicklung mit globaler Dimension herausstellen. Zeitgleich zu den Vorbereitungen eines Krieges gegen Belgrad lief eine andere Operation, diesmal von amerikanischen und pakistanischen Kräften gesponsert. Die Schlacht bei Kargill im nördlichen Indien, bei der Taliban-Kämpfer vernichtend geschlagen wurden, hat verhindert, dass diese Taliban sich letztlich im Auftrag ihrer Sponsoren gegen die Volksrepublik China wenden konnten, wie es in der Planung für muslimische Gebiete Chinas vorgesehen gewesen war
In Europa blieb mit dem Krieg gegen Belgrad nicht nur die berühmte Schlussakte von Helsinki aus dem Jahre 1975 auf der Strecke. Nicht zuletzt dieser Prozess hatte das Ende des "Kalten Krieges" eingeläutet und die Wiedervereinigung Deutschlands und Europas ermöglicht. Grenzen sollten nach Helsinki eben nicht mehr mit Gewalt verändert werden dürfen. So wollte man dauerhaft die Spirale des Todes in Europa unterbrechen.. Mit dem Krieg gegen Belgrad kam die Geißel des Krieges nach Europa zurück. Es war nicht nur der Wähler in Deutschland, der bei der Bundestagswahl im September 1998 der Kanzlerschaft von Dr. Helmut Kohl ein Ende setzte. Seine Zeit, mäßigend auf die Konflikte von den Kurilen über Indonesien nach Afghanistan und Teheran sowie den Balkan einzuwirken, war definitiv abgelaufen.. Es war seit Mitte der neunziger Jahre offensichtlich, dass sich die USA alleine das Recht vorbehalten hatten, global über Krieg oder Frieden in der Konsequenz ihrer Interessen zu entscheiden. Das international große Ansehen eines deutschen Bundeskanzlers, der versuchte, Streitfragen aus dem Weg zu räumen, war dabei nicht erwünscht. Gefolgschaftsverhalten war angesagt, wie es die folgenden Jahre deutlich gemacht haben.
Der Umbau der globalen Ordnung geht weiter. Wenige Personalentscheidungen machen das so deutlich, wie der Auftrag an die ehemalige US-Außenministerin Albright, eine neue NATO-Strategie 2010 auf den Weg zu bringen. War es doch gerade Frau Albright, die die NATO in ihren ersten völkerrechtswidrigen Krieg, den gegen Jugoslawien, geführt hatte. Kaum ein politischer Name ist so sehr mit der Rückkehr des globalen Faustrechts statt der Ordnung des Völkerrechts verbunden, wie der Name von Frau Albright. Diese Dame lässt man jetzt prominent an dem arbeiten, was weniger einer gemeinsamen Verteidigung als der Durchsetzung der Interessen ihres eigenen Landes dienlich sein soll.
Dabei kommt es für die Staaten, die über einen ausgeklügelten Bündnis-Mechanismus mit den USA verbunden sind und die „Hand- und Spanndienste“ für die Durchsetzung von den USA als gemeinsame Interessen klassifizierte Vorhaben leisten sollen, auf Gesichtspunkte an, die im Falle konsequenter Nichtbeachtung direkt in das Verhängnis führen können. Bei den so genannten „Auslandseinsätzen“ der Bundeswehr ist das genau zu beobachten. Alle Umfragen, die dazu erhoben werden, machen seit vielen Jahren klar, dass die überwiegende Anzahl der Deutschen von den Auslandseinsätzen nicht überzeugt sind und sie auch ablehnen. Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen diesem Willen mit breiter Mehrheitsbasis im Volk und der parlamentarischen Beteiligung des Deutschen Bundestages an den Einsätzen der Bundeswehr im Ausland. Diese parlamentarische Beteiligung ist wichtigen Kräften ein Dorn im Auge.
Während die Mitglieder des Deutschen Bundestages letztlich nicht darauf verzichten können, Rücksicht bei ihren Entscheidungen auf die Ansichten der Wähler zu nehmen, hindert genau dieser Umstand andere daran, nach Belieben deutsche Soldaten im Ausland einzusetzen. Was hat man bei der NATO und auch...