Was ist Burnout?
Unter Burnout (englisch »to burn out« = ausbrennen) verstehen wir einen Zustand anhaltender körperlicher, emotionaler und mentaler Erschöpfung. Der Begriff wurde vom amerikanischen Psychoanalytiker Herbert Freudenberger geprägt, der den Zustand chronischer Erschöpfung erstmals in den 1970er Jahren untersucht hatte. In seinen Studien bezog er sich auf Personen, die in sozialen Berufen arbeiteten und sich im Laufe der Zeit von engagierten, mitfühlenden Kollegen in resignierte Zyniker verwandelten. Er sah dabei das Auseinanderklaffen von Erwartungshaltung und Realität als auslösenden Faktor an. Zudem stellte er fest, dass Burnout vor allem bei den Menschen auftrat, die von einem besonders hohen persönlichen Engagement sowie einem großen Leistungsanspruch an sich selbst geleitet waren. Auch zeigten die Probanden eine starke emotionale Bindung an ihre Arbeit, ihr Selbstwertgefühl gründete sich also wesentlich auf persönlichen Erfolg im Beruf oder auf ihre berufliche Position.
Wie kommt es zu einer chronischen Erschöpfung?
»Wer ausbrennt, muss einmal entflammt gewesen sein«, ist seit etwa Mitte der 1990er Jahre eine häufig gebrauchte Metapher. Dies legt nahe, dass es vor allem die hohe persönliche Einsatzbereitschaft und Begeisterung ist, die uns in die Erschöpfung treibt. Doch dies ist aus meiner Sicht oft gar nicht der entscheidende Faktor. Engagiert und »entflammt« zu sein ähnelt dem Zustand der Verliebtheit, wo ebenfalls die Euphorie dominiert und eine gewisse Verklärung der Realität stattfindet. Verliebtheit führt aber nicht zwingend zu enttäuschter Desillusionierung und dazu, dass in der Folge alles in die Brüche geht. Verliebtheit kann sich in Liebe und Bindung wandeln. In der Liebe sehen wir dann nicht nur die Schokoladenseiten, sondern auch die Schwächen und die Probleme unseres Partners, entscheiden uns aber trotzdem für ihn, weil wir ihn mitsamt seinen Fehlern schätzen und lieben – auch wenn nun der Himmel nicht mehr immerzu voller Geigen hängt.
So entsteht auch Burnout nicht automatisch infolge einer starken Identifikation mit dem Beruf und den täglichen Aufgaben. Vielmehr kann es auch hier so sein, dass ein anfänglicher Enthusiasmus zwar im Alltag »zurechtgestutzt« wird, sich daraus aber doch eine dauerhafte Freude, eine positives Grundgefühl entwickelt. Es sind weniger Begeisterung und hohes zeitliches und persönliches Engagement an sich, die uns an unsere Grenzen treiben. Es sind eher die Erwartungen, die andere an uns richten – unser Chef, die Kollegen, unser Partner, unsere Familie –, und unser eigener Anspruch, diesen vielfältigen Erwartungen möglichst optimal genügen zu wollen. Und natürlich spielen auch die konkreten Arbeits- und Umgebungsbedingungen eine große Rolle, was deutlich die Zunahme von Burnout-Erkrankungen zeigt.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich die Gestaltung des Erwerbs- und Privatlebens stark verändert. Die fortschreitende Globalisierung der Wirtschaft, der Siegeszug von Internet und Handy und auch demografische Umbrüche beeinflussen unser heutiges Arbeitsleben und unsere Erholungsspielräume erheblich. Mehr Arbeit für weniger Beschäftigte, gestiegene Anforderungen in vielen Bereichen, Zeitverträge statt fester Anstellungen, unsichere, zunehmend nicht einmal die Existenz absichernde Arbeitsplätze, Mehrfachbelastungen, vor allem eben bei Frauen, und stetiger Zeitdruck – dies alles prägt den Alltag im 21. Jahrhundert. Faktoren, die natürlich Dauerstress und Erschöpfung fördern.
Zuträgliche Arbeitsbedingungen können viel Stress abfedern. Wenn wir relativ selbstbestimmt arbeiten können, Wertschätzung vom Chef erfahren und uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen gut verstehen, wenn wir eine angemessene Bezahlung erhalten und auch Zeit und Möglichkeit haben, uns zu erholen, sind wir trotz eines möglicherweise recht hohen Arbeitspensums kaum burnoutgefährdet.
Wenn wir jedoch bei gleichem Arbeitspensum für unsere Ideen und Vorstellungen kein Gehör finden und kaum Kontrolle über unsere Arbeitsabläufe und die Einteilung unserer Zeit haben, sieht das schon anders aus. Tragen wir dann gleichzeitig noch hohe Verantwortung für die Ergebnisse und erfahren dabei weder finanziell noch persönlich Wertschätzung dafür, haben wir bald das Gefühl, ausgenutzt zu werden und in einem Hamsterrad zu rotieren. Und wenn uns dann noch die Zeit für uns selbst und unsere Erholung fehlt, dann muss sich das früher oder später rächen.
Ungünstige Arbeitsbedingungen führen oft dazu, dass wir uns noch mehr anstrengen, um unser Pensum trotzdem zu schaffen, und wenn dies nichts fruchtet, vielleicht noch mehr Zeit und Kraft aufwenden – bis irgendwann massive Selbstüberforderung droht. Einzelne der oben genannten Stressfaktoren lassen sich noch bewältigen, doch wenn mehrere zusammenwirken, kann das auch robuste Naturen in die Knie zwingen.
Das allgemeine Bestreben, immer mehr Arbeit auf immer weniger Schultern zu verteilen, um Kosten zu sparen, ist irgendwann ausgereizt. Ein Warnsignal sind bereits jetzt die Ausfalltage in vielen Betrieben, die Stress und Überlastung zuzuschreiben sind. Diese Zahlen steigen – auch in den Jahresberichten der Krankenversicherungen gut zu sehen – schon seit einigen Jahren kontinuierlich an.
Oft wollen Frauen, die an einem Burnout leiden, nicht wahrhaben, dass sie längst am Ende ihrer Kräfte sind, und schleppen sich auch dann noch durch den Arbeits- und Pflichtenalltag, wenn sie schon fast nicht mehr können. Dementsprechend lange dauert es auch, bis sie sich davon erholt haben und wieder gesund sind. So können Burnout-Betroffene dann für längere Zeit außer Gefecht sein, manchmal für Wochen oder auch Monate. Das wirkt sich natürlich auf die verbleibenden Kolleginnen und Kollegen aus, die in der Regel in der Zeit zusätzliche Arbeit übernehmen müssen und dabei riskieren, sich ihrerseits zu übernehmen.
Doch nicht allein die verschärften Arbeitsbedingungen sind es, die krank machen können. Vielfach kommen beim Burnout oft auch überhöhte individuelle Ansprüche an sich selbst dazu sowie der schon erwähnte Erwartungsdruck von anderen – Arbeitgebern, Kollegen, Partnern, Familie – und die Überzeugung, man müsste all diesen Erwartungen stets und ständig hundertprozentig gerecht werden.
So steigern sich oft äußere Anforderungen erst durch eigene Leistungsansprüche und Befürchtungen zum Super-Stress: »Ich muss das alles perfekt hinkriegen«, »Ich muss das einfach noch schneller schaffen«, »Wenn ich meinem Chef etwas ausschlage, komm ich auf die Abschussliste!«, »Nur wenn ich mein Tagespensum voll geschafft habe, fühle ich mich gut« und so weiter. Solche Glaubenssätze sorgen dafür, dass der Adrenalinspiegel hochschnellt – und oben bleibt. In grauer Vorzeit waren es gefährliche Raubtiere, die in unseren Vorfahren den Kampf-oder-Flucht-Reflex auslösten und den Körper mittels Hormonausschüttung zur Höchstform hochpeitschten. Heute bringt uns der allgegenwärtige Stress unablässig auf Hochtouren – der, der von außen kommt, und der, den wir uns, mittels unserer Ansprüche an uns selbst, unserer Erwartungen und Befürchtungen, selbst machen.
Die Phasen des Burnout-Prozesses
Bevor aus der ständigen Überlastung ein Burnout wird, vergehen oft Jahre, und diese Zeit ist geprägt vom zunehmend verzweifelten Bemühen, irgendwie mit der Situation und mit den immer deutlicher sich abzeichnenden Symptomen zurechtzukommen – und schließlich einfach nur noch zu funktionieren, bis es eben nicht mehr geht. Wir können dies mit einer Abwärtsspirale vergleichen, in der die Erschöpfung sich auf immer weitere Bereiche ausdehnt.
Häufig werden gerade die mentalen und psychischen Symptome ignoriert oder kleingeredet. Noch immer ist es gesellschaftlich wesentlich akzeptabler, einen Reizmagen oder Rückenprobleme zu haben, als zugeben zu müssen, die eigene Gedanken- und Gefühlswelt nicht mehr »managen« zu können. Daher scheuen Betroffene in der Regel den Gang zum Therapeuten, und so wird Burnout meist erst relativ spät festgestellt. Dies zieht dann entsprechend lange Therapiezeiten nach sich. Die in der Abwärtsspirale dargestellten 12 Phasen veranschaulichen, wie sich ein Burnout-Prozess langsam aufbaut und dann immer rascher an Fahrt gewinnt (siehe Seite 16).
Phase 1: Wir folgen dem Drang, uns unbedingt beweisen zu wollen
Gerade in der Anfangsphase sind die Übergänge zwischen starkem Engagement und überhöhten Ansprüchen an die eigene Leistungsfähigkeit fließend. Als Betroffene stehen wir öfters unter Zeit- und Erfolgsdruck und sind motiviert, alles möglichst gut zu schaffen. Dass dabei der Anspruch an uns selbst manchmal zu hoch gesteckt ist, erkennen wir zunächst nicht. Das Gefühl, alles auf die Reihe zu kriegen und unentbehrlich zu sein, lässt uns häufig persönliche Leistungsgrenzen überschreiten.
Zu Anfang eines Burnout-Prozesses steht manchmal schon ein diffuses Unwohlsein, das sich beispielsweise auch in Muskelverspannungen, Kopfschmerzen oder Schlafstörungen zeigen kann.
Phasenmodell in Anlehnung an Freudenberger und North (2002)
Phase 2: Wir verstärken unseren Einsatz weiter
Der Druck wächst, alles selbst und alles perfekt machen zu müssen, um unter Beweis zu stellen, dass wir allen Anforderungen gewachsen sind. Delegieren sehen wir oft als zu zeitaufwändig und zu umständlich an – aber unterschwellig auch als eine Infragestellung...