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E-Book

Das kleine Handbuch für die Liebe

Erste Hilfe bei Herzensfragen

AutorClaudia Sies
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783451345821
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,99 EUR
Wie wird aus Verliebtheit Liebe und aus Liebenden ein Paar? Wie können Liebende ihre Liebe pflegen, in jedem Alter und auch nach Jahren? Claudia Sies erläutert zahlreiche Fallbeispiele zu den unterschiedlichsten Facetten der Liebesbeziehung. Sie geben Impulse und bewegen dazu, Entwicklungen anzustoßen, die für die Liebenden und ihre Liebe wichtig sind. Damit sich die Liebe bewähren und entfalten kann.

Claudia Sies ist Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytikerin, Lehranalytikerin. Sie hat viele wissenschaftliche Artikel und mehrere Bücher veröffentlicht und schreibt regelmäßig zu den Seelenproblemen des Alltags eine Kolumne in der Rheinischen Post ('Doktors Kolumne').

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Leseprobe

Wie zwei sich finden


Die Sehnsucht nach der großen Liebe


Ulrike (25) hatte gerade ihr Studium abgeschlossen. Nun machte sie sich auf den Weg zu einem Kongress, auf dem sie sich über Neuigkeiten in ihrem Fach orientieren wollte. Auf dem Weg dahin war sie beschwingt und ihre Gedanken und Gefühle eilten ihr voraus. Insgeheim hoffte sie, einem Mann zu begegnen, mit dem zusammen sie in ein interessantes und aufregendes Leben aufbrechen könnte. Mit dieser Ausstrahlung der Sehnsucht nach Begegnung und Liebe sowie der Offenheit für neue Lebensräume und Liebesträume traf sie auf der Tagung ein – und begegnete bald Paul (32), der auf dem Kongress gerade den gleichen Vortrag hören wollte wie sie. Eine starke Anziehung zwischen ihnen beflügelte sie immer mehr und ließ sie schließlich im Laufe der Tagung zu einem verliebten Paar werden.

Nach einem Jahr intensiver Liebesbeziehung und mit zunehmender Vertrautheit ließen die ganz großen leidenschaftlichen Begegnungen und die Hochstimmung des Anfangs nach. Trotzdem heirateten sie. Nicht zuletzt, weil sie sich erhofften, dass so ihre alten Gefühle wieder zurückkehren würden.

Als Ulrike zwei Jahre später schwanger wurde, erfüllte sich eine große Sehnsucht. Schwangerschaft und Geburt waren eine glückliche Zeit für das Paar. Dann aber kam der Alltag mit den Sonnen- und Schattenseiten, die Kind, Haushalt und berufliche Belastungen mit sich bringen. Die Abwärtsspirale von vor drei Jahren kam wieder in Gang: Erneut drohte ihre Liebe an den Realitäten des Lebens abzukühlen und sogar zu scheitern. Gegenseitig warfen sie sich ihr Unvermögen vor, die verliebte, schwärmerische und glückliche Hochstimmung aufrechterhalten zu können.

Da die Beziehung sie immer mehr enttäuschte, sie aber dennoch darum kämpfen und zusammenbleiben wollten, gingen sie in eine Paartherapie.

Hier konnten Ulrike und Paul zurückverfolgen, wie die Unzufriedenheit schon in die Anfänge ihrer Beziehung eingewoben war:

  • Die starke Sehnsucht nach der großen Liebe besteht aus unendlich großen Wünschen und Idealen und ist daher nicht alltagstauglich. Sie bezieht sich nicht auf das Gegenüber als echte Person mit ihren Vorzügen und Schwächen. Sondern sie repräsentiert den tieferen Wunsch nach Heilung alter Liebeswunden aus der Kindheit, in der die Eltern selbstverständlich nicht alle Bedürfnisse und Sehnsüchte erfüllen konnten.
  • Ulrike und Paul erkannten, dass sie an der Unverträglichkeit zwischen ihrer Sehnsucht nach der großen Liebe und der Wirklichkeit ihrer persönlichen Liebesbeziehung mit ihren Höhen und Tiefen litten.

Nun ist die Sehnsucht – nicht nur nach Liebe – eine der dynamischsten Triebkräfte in uns. Es ist eine Kunst, sie in der Balance zu halten und für das eigene Lieben als vitalen Impuls zu nutzen.

Wie können Paare ihre Sehnsucht erhalten und nicht an ihr leiden?

Sich nach der großen Liebe sehnen ist das eine – sich aber nach dem geliebten Menschen zu sehnen und seine reale Gestalt zu lieben ist das andere. Die Kunst besteht darin, auf den geliebten Menschen im Spiel von Licht und Schatten neugierig zu sein: wie er sich bewegt, wie er spricht, wie er die Welt sieht. Und bei allem nicht zu vergessen, dass man auch seine Tollpatschigkeiten und Unzulänglichkeiten lieben lernen kann, wenn man mit ihm glücklich sein will.

Das gegenseitige Wohlwollen von Paul und Ulrike war bald wiederhergestellt, als sie verstanden hatten, dass sie sich das Abflauen ihrer Liebesgefühle nicht mehr als Fehler gegenseitig anzulasten brauchten, sondern als normales Auf und Ab ihrer Liebe erleben konnten. Die Liebe blühte wieder auf, weil sie nun wieder für ihre Liebe und Leidenschaft selbst sorgen konnten. Sie schufen sich Trennungssituationen, nach denen sie sich wieder aufeinander freuen konnten, und sie erkannten in ihren gegenwärtigen Zielen – in ihrem Fall Kinder aufzuziehen und jeder auch im Beruf zu stehen – ihre Sehnsucht nach eigener Entwicklung und Bindung und Beständigkeit erfüllt.

Das Schwierigste war für sie, die Logik ihrer Sehnsuchtsschwankungen zu verstehen und zu akzeptieren: Wenn eine Sehnsucht in Erfüllung geht, kann sich das Glück nicht lange halten. Wir brauchen das Kontrastprogramm. So kommt die Enttäuschung eben nicht von allein, sondern wir schauen dann wie hypnotisiert auf die Begrenzungen und Beschränkungen des geliebten Partners. Und dieses selbst erzeugte Gefühl der Enttäuschung ist der Humus für eine neue Sehnsucht.

Ich kann mich nicht verlieben


Carla (31) zog sich von Bert (32) zurück. Er hatte ihr gestanden, dass er sie nicht wirklich lieben könne, obwohl er sie doch so sehr schätzte. Insgeheim hielt er sie für seine Traumfrau: Er fand sie schön, klug, einfach liebenswert und wollte eigentlich unbedingt bei ihr bleiben. Er konnte sich sogar vorstellen, sie zu heiraten und Kinder mit ihr zu bekommen. Aber anvertrauen konnte er ihr das alles nicht. Etwas hinderte ihn daran, was er nicht genauer definieren konnte.

In den vergangenen vier Jahren waren drei Beziehungen von Bert auf diese Weise auseinandergegangen.

Nun meldete er sich in einer analytischen Gruppentherapie an, um endlich die Gründe zu erforschen, warum er sich nicht ernsthaft tief auf die Liebe einlassen konnte.

Als Bert in der Gruppe sein Problem schilderte, erntete er sofort Verständnis. »Sich verlieben ist nichts für Schwächlinge«, sagte Jürgen (32), der selbst ein gebranntes Kind war: »Ich sah meinen negativen Film bei deiner Schilderung mitlaufen: ›Die kann dich doch gar nicht mögen; es wäre viel zu schön, um wahr zu sein‹ oder ›Gib dein Herz da nicht rein, falls sie Schluss macht, dann musst du wenigstens nicht leiden. Das war meine Art, mich vor Enttäuschungen zu schützen.‹ Friederike (28) sprach einen weiteren Aspekt an: »Ich hab mal – todesmutig – zu einem Mann gesagt: ›Ich bin verliebt in dich‹, und dachte: Jetzt ist alles vorbei – aber stattdessen wurde er zärtlich, und ab da waren wir beide ein verliebtes Paar. So lebensgefährlich kann das doch nicht sein.«

Angeregt durch die Erfahrungen der anderen kam Bert sich selber auf die Schliche: »Ich glaube, bei mir ist es noch etwas anderes. Ich habe vielleicht eher Angst, wenn ich mich wirklich verliebe, dass ich zu anhänglich werde und mich ganz aufgebe. Ich will dann nur noch in ihrer Nähe sein und bin als eigene Person selbst nicht mehr vorhanden.«

Noch mehrere Ängste kamen in der Gruppe zur Sprache: die Angst vor Kränkung, vor Enttäuschung und vor Zurückweisung. Wenn man die alle nicht aushalten möchte, verpasst man jedoch die großen Gefühle, die einen so herrlich beflügeln und die man für den Aufbruch zu neuen Ufern nutzen könnte. Bei drei Freundinnen hatte Bert diese Chance schon verpasst, nur um sich nicht abhängig zu machen und um selbst keine Schmerzen zu erleiden. In dieser Gruppensitzung waren – wie oft bei dem Thema Verliebtheit – Leichtigkeit und Aufbruchstimmung zu spüren.

Ernster wurde es in einer Sitzung zum gleichen Thema vier Wochen später: »Sich auf geliebte Menschen einlassen.« Bert wurde durch die Ähnlichkeit seiner »Gruppenschwester« Anita mit seiner Freundin Carla noch einmal angeregt, nach den tieferen Ursachen seiner Angst, sich wirklich intensiv zu verlieben, zu forschen. Er fand diese schließlich im frühen Verlust einer sehr geliebten Schwester, als er selbst erst sieben Jahre alt war. Er konnte tief in seiner Seele diese geliebte Schwester von den Frauen heute, die er lieben wollte, nicht genügend unterscheiden. Er suchte diese Schwester immer noch. Und er befürchtete, ohne sich darüber klar zu sein, auch heute noch eine Wiederholung der Erfahrung dieses frühen Verlustes.

Dieser Zusammenhang war Bert bislang verborgen geblieben. Nun konnte er diese Verbindung in seiner Seele langsam auflösen – wie einen bösen Zauber –, um mit Carla die von ihm so ersehnte Liebesbeziehung endlich zu leben.

Partnerwahl: Er macht alle Frauen schwach


Martin (27) beklagt sich bei seiner Mutter: »Kannst du mir das erklären? Ich möchte so gern eine selbstständige, fröhliche junge Frau kennenlernen, die ich heiraten und mit der ich Kinder bekommen kann. Aber immer wieder passiert mir dasselbe. Ich lerne eine lebenstüchtige, temperamentvolle Frau kennen, und dann verwandelt sie sich in ein hilfsbedürftiges, freudloses Wesen. Erst Elke und nun Anita.«

Bei Elke war ihm ihre fröhliche und unabhängige Art aufgefallen. Sie war kontaktfreudig und plante ihr Leben ohne große Hilfe. Wenn sie zusammen verreisten, übernahm sie anfangs das Buchen der Hotels und informierte sich vorher über Land und Leute. In ihrem Studium war sie sehr zielstrebig und nahm gerade ihre Magisterarbeit in Angriff. Sie kamen sich immer näher, verliebten sich ineinander und stellten sich eine gemeinsame Zukunft mit Kindern vor. Martin konnte sein Glück gar nicht fassen und war sehr bemüht um sie. Je mehr er sie »liebte«, desto mehr umsorgte er sie und nahm ihr immer mehr Aufgaben ab. Er fuhr ihren Wagen waschen und fragte sie, ob er ihr bei der Magisterarbeit helfen solle.

Schleichend wurde nun alles anders. Bald konnte Elke kaum noch etwas bewältigen, was ihr früher so leichtfiel. Auch ihre Fröhlichkeit war verschwunden, sie wurde immer eingeschränkter und trauriger. Schließlich trennte Martin sich von Elke, weil er nicht mehr an sie herankam und er keine Möglichkeit mehr sah, sie wieder aufzumuntern und zu aktivieren.

Nun...

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