Vom Vorrechte-System zu einer menschenwürdigen Wirtschaft
Es gibt einen Zwang zur Arbeit, der in der Natur der arbeitsteiligen Wirtschaft begründet ist. Wie kann dieser von der Gemeinschaft so getragen werden, dass er keinen Widerspruch zur Freiheit darstellt? Was sind die sozialen Konsequenzen, wenn der »freie Geistesarbeiter« nicht mehr nach den Bedingungen seines Einkommens fragen muss? Im ersten Kapitel dieser Schrift wurde gezeigt, dass Wirtschaft und Freiheit nur miteinander zu vereinbaren sind, wenn die vorhandene Gesamtarbeitszeit so geteilt wird, dass jeder neben der Arbeit noch seinen geistigen Impulsen folgen kann. Im Folgenden wird nun erläutert, warum dies nicht im Interesse vieler Kapitaleigentümer liegt. Sie benötigen die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitslose und Arbeitende für den eigenen Machterhalt – und treiben gerade deshalb die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens voran.
Die Entsorgung der Arbeitslosen
Es ist nachvollziehbar, warum Kapitalbesitzer aus dem Silicon Valley den technologischen Fortschritt so betrachten wollen, als würde die Technologie nicht die Arbeitszeit insgesamt reduzieren, sondern einzelne Menschen überflüssig machen – beruht doch ihre Macht auf genau diesem Paradigma. Weil aufgrund der Digitalisierung in Zukunft nicht mehr genug Arbeit für alle vorhanden sei, müssten diejenigen, die keine Arbeit fänden, auf humane Weise ernährt werden. Die Grundeinkommensbewegung folgt dieser Logik und spricht von einem »Ende der Vollbeschäftigung«. Dass damit nun »Arbeitnehmer« die Rechtfertigung ihrer »Arbeitgeber« übernehmen und als Heilslehre feiern, ist das Ergebnis der Erziehung durch das System der Erwerbsarbeit. Scheinbar erlebt man ja selbst, wie Menschen durch Maschinen ersetzt werden, wenn man nämlich vom »Arbeitgeber« entlassen oder nicht angestellt wird in seinem erlernten Beruf, weil Maschinen die in dem betreffenden Bereich benötigte Anzahl arbeitender Menschen reduzieren.
Dennoch beruht dieser vermeintliche Beweis für das »Ende der Vollbeschäftigung« auf einer Täuschung. Man übersieht einerseits, dass die Automatisierung und Digitalisierung an sich noch keine Menschen arbeitslos macht, sondern erst die eigentumsrechtliche Zuordnung dieser Errungenschaften zu eben jenen Konzernen. Wenn innerhalb eines geschlossenen Wirtschaftsgebiets für die Bereitstellung der benötigten Konsumgüter insgesamt x Arbeitsstunden pro Tag aufgewendet werden müssen, gibt es weder eine technische noch eine ökonomische Erklärung dafür, warum diese Zahl x nicht durch die Anzahl der arbeitsfähigen Menschen in jenem Gebiet geteilt wird. Dass die einen 12 Stunden arbeiten müssen, und die anderen gar nicht arbeiten dürfen, hat keine technischen Ursachen, sondern resultiert aus unseren Rechtsverhältnissen, insbesondere aus dem Eigentumsrecht und der gegenwärtigen Arbeitszeit-Regelung. Andererseits werden durch die Rationalisierung der betreffenden Branchen andere arbeitsintensive Produktions- und Dienstleistungszweige erst möglich, die wiederum Teil derselben arbeitsteiligen Wirtschaft sind, sodass hier wieder Arbeitsplätze entstehen.
Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens verweisen gerne auf das Grundeinkommensexperiment in Finnland. Weniger bekannt ist hierzulande das Gegenexperiment des Nachbarlandes: Schweden testete parallel zum finnischen Versuch die Einführung des 6-Stunden-Arbeitstages.1 Das Experiment wurde von manchen deutschen Zeitungen als Misserfolg dargestellt – auf Grund eines Effekts, den man sich leicht vorher hätte ausrechnen können: Für weniger Arbeitsstunden dasselbe Gehalt zu bezahlen und somit mehr Mitarbeiter anstellen zu müssen, war für die beteiligten Arbeitgeber teurer. Andererseits aber sank in Schweden dadurch, ebenso vorhersehbar, die Arbeitslosenquote. Beide Gesichtspunkte muss man natürlich zusammenbringen, und dieser Art noch weitere, um ein Bild des gesamtwirtschaftlichen Effekts einer Arbeitszeitverkürzung zu gewinnen. Aus rein betriebswirtschaftlicher Perspektive macht eine Arbeitszeitverkürzung vielleicht keinen Sinn; gesamtwirtschaftlich, d.h. im Hinblick auf den Wohlstand aller Beteiligten, aber sehr wohl.
Statt die individuellen Arbeitszeiten an die vorhandene Gesamtarbeitszeit anzupassen, wollen Grundeinkommensaktivisten und Tec-Investoren nun das »Ende der Vollbeschäftigung« besiegeln – mit Hilfe eines staatlich garantierten Minimal-Einkommens. Das wäre eine durchaus folgerichtige Fortsetzung der gegenwärtigen Fehlentwicklung. Und zwar weniger wegen der (scheinbar) höheren Kosten kürzerer Arbeitszeiten, sondern vor allem deshalb, weil bei einer Vollbeschäftigung das wichtigste Werkzeug des Lohndumpings verloren ginge: die Spaltung der Gesellschaft in Arbeitende und Arbeitslose. Schließlich macht erst die Verknappung der Arbeitsplätze die Arbeitskraft zur billigen Ware. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens – zumindest in den führenden Industrienationen – scheint aus dieser Perspektive daher nicht ganz unrealistisch. So rechnet zum Beispiel Tesla-Chef Elon Musk fest damit.2 Musk hat 5 Milliarden Dollar Steuersubventionen erhalten, ist mit einem Privatvermögen von 20 Milliarden Dollar einer der 100 reichsten Menschen dieser Erde und Chef von etwa 13.000 Untergebenen. Seinen amerikanischen Festangestellten bezahlt Tesla für das Zusammenschrauben des Schöne-Neue-Welt-Autos immerhin etwa 15 € brutto in der Stunde, bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 72 Stunden. Zu seiner Unterstützung für das bedingungslose Grundeinkommen merkt er an: »Ich möchte klarstellen: Das sind keine Dinge, die ich mir wünsche, sondern Dinge, von denen ich denke, dass sie wahrscheinlich passieren werden«.3 Einen Schritt weiter geht Y Combinator, der größte Inkubator im Silicon Valley. Y Combinator versammelt Talente aus der ganzen Welt, versorgt sie mit Risiko-Kapital (bislang 1.464 Unternehmen), um dann die erfolgversprechendsten Start-Ups, gemeinsam mit anderen Private-Equity-Fonds wie z.B. Sequoia-Capital (Apple, Google, Youtube), zu Welt-Konzernen zu formen – und im Gegenzug die Eigentumsrechte an deren Technologien zu erwerben. Offen bekunden die Risiko-Kapitalisten dabei ihre Hoffnung, letztendlich so viele »disruptive technologies« wie möglich zu entwickeln, d.h. bestehende Infrastrukturen zu zerstören und neue, rationellere an deren Stelle zu setzen.4 Am Beispiel Amazon: Man will nicht nur eine Firma besitzen, sondern den Markt als solchen, weil man so neue Abhängigkeiten schafft, denen sich niemand entziehen kann. Diese Abhängigkeiten ermöglichen dann, unabhängig von den tatsächlichen Kosten oder den tatsächlich erbrachten Leistungen Abgaben für die Nutzung der Infrastruktur bzw. für die Teilnahme am Markt zu verlangen. Das ist eine Renaissance mittelalterlicher Rechtsinstitute im Kleid kalifornischer »Hipster«, und als solche eine der Hauptursachen der Arbeitslosigkeit.
Nun wollen die Kalifornier das bedingungslose Grundeinkommen einführen. Y Combinator gibt bereits ein kleines Vermögen dafür aus. Warum? Weil die »Automation« immer mehr Menschen überflüssig mache. Gegenwärtig läuft die erste Testphase: 1.000 zufällig ausgewählte Personen erhalten von Y Combinator für 5 Jahre monatlich 1.000 Dollar – bedingungslos. Das ist aber erstmal nur ein Test, um Informationen über die psychologischen Wirkungen zu sammeln. Unklar sei ihm nämlich, so Firmenchef Sam Altman, ob durch ein bedingungsloses Grundeinkommen »das Netto-Glück der Leute vermehrt werde, oder ob wir hinsichtlich Sinn und Erfüllung doch abhängig sind von unserer Arbeit«.5 Falls der Test die erhofften Antworten liefert, soll das bedingungslose Grundeinkommen in Zusammenarbeit mit den US-Behörden landesweit getestet werden.
Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre ein genialer Coup für die Tec-Investoren: Nicht die Kapitalbesitzer, sondern das Volk besiegelte damit die privatrechtliche Verwertung des technischen Fortschritts. Die breite Masse würde dauerhaft vom Zugang zu Kapital und Produktionsmitteln ausgeschlossen, bejubelte diesen Vorgang aber als »Freiheit statt Vollbeschäftigung«. Für die Abhängigen eines bedingungslosen Grundeinkommens käme allerdings schnell die Ernüchterung: Die Möglichkeit, der eigenen Arbeit einen Sinn zu geben, wäre gänzlich verloren. Denn von jenem Zugang zu Kapital und Produktionsmitteln (und nicht etwa davon, was man »tun würde, wenn für das Einkommen gesorgt wäre«) hängt die Möglichkeit ab, Arbeit mit sozialer Relevanz zu verrichten und die gesellschaftlichen Verhältnisse mitzubestimmen. Ohne Zugang zu Kapital und Produktionsmitteln wird der Mensch zum reinen Konsumenten degradiert und aus dem sozialen Leben ausgeschieden. Mit Hilfe seines Grundeinkommens hätte er dann selbstverständlich (sofern es zum Leben ausreichen würde) die »Freiheit«, irgendetwas zu tun; er könnte seinen Garten umgraben, ein Gedicht schreiben oder was auch immer. Das wäre dann allerdings ökonomisch irrelevant. Arbeit wird erst in dem Augenblick soziale Arbeit, da sie in der richtigen Weise den Bedürfnissen anderer Menschen dient, d.h. eingeschaltet ist in den weltweiten, arbeitsteiligen Prozess, und so diejenigen Wertverhältnisse schafft, die Konsum, also Einkommen ermöglichen.
Entscheidend ist in gesellschaftlicher Beziehung nicht, wie der Einzelne seine Tätigkeit bestimmt, sondern wie weit er die Möglichkeit findet, die Arbeit umgekehrt vom arbeitsteiligen Wirtschaftsprozess bestimmt sein zu lassen. Hierfür ist er jedoch angewiesen auf Werkzeuge, die sich u.a. im Besitz von Altman & Co. befinden. Das ist denen durchaus bewusst. Es geht beim bedingungslosen Grundeinkommen eben um...