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E-Book

Das Buch der Begegnung

Wege zur Liebe

AutorJorge Bucay
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783104028224
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
»Partnerschaften sind darauf ausgelegt, nicht an der Oberfläche zu bleiben. Es ist diese Suche nach Tiefe, die ihnen Stabilität gibt, damit sie von Dauer sind.« Jorge Bucay Wir alle wünschen uns, den Partner fürs Leben zu finden. Wir sehnen uns nach der wahren, aufrichtigen Liebe. Doch der Weg zu einer erfüllten Zweisamkeit ist oft steinig, führt durch unwegsames Gelände. Jorge Bucay erzählt uns von der Entdeckung des anderen, der Liebe, und der Sexualität. Er will uns verstehen helfen, woran wir so oft scheitern, wenn wir von Liebe reden und alles Glück von ihr erwarten. Nur wer gelernt hat nicht abhängig zu sein, wird den Menschen finden, der sein Leben und seine Liebe mit ihm teilt.

Jorge Bucay, 1949 in Buenos Aires geboren, ist einer der einflussreichsten Gestalttherapeuten Argentiniens. Mit »Komm, ich erzähl dir eine Geschichte« gelang ihm der internationale Durchbruch als Autor. Bucays Bücher wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt und haben sich weltweit über zehn Millionen Mal verkauft.

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Leseprobe

Zweiter Teil

Vertikale Begegnungen


Über die Liebe


Nachdem ich den Weg der Selbstabhängigkeit gegangen bin, bin ich nun in der Lage, anderen zu begegnen.

Maturana zufolge ist es genau diese Begegnung mit anderen, die uns Menschen menschlich macht. Und er sagt noch mehr:

Der Homo sapiens trägt diesen Namen nicht wegen seines hochentwickelten Verstands, sondern weil er eine Sprache entwickelt hat. Es ist diese zunehmend verfeinerte Sprache, durch die sich der Verstand herausgebildet hat, nicht umgekehrt. Zu welchem Zweck ist diese Sprache entstanden? Um was mitzuteilen? Seine Antwort lautet: Liebe.

Natürlich ist hier nicht nur die romantische Liebe gemeint, sondern ganz allgemein die Zuneigung zu anderen. Es geht, so glaube ich, um die liebevolle Begegnung mit dem Nächsten.

Bedeutung


Aber worum handelt es sich bei dieser Liebe, die Maturana als so mächtig beschreibt, dass sie letztlich für unsere individuelle Entwicklung verantwortlich ist? Was sagt dieses überstrapazierte, abgenutzte, missbrauchte und entwertete Wort heutzutage noch aus (falls es überhaupt etwas von seiner Bedeutung bewahrt hat)?

Manchmal fragen mich die Leute bei meinen Vorträgen: Warum muss man den Dingen immer einen Namen geben?

 

Eine Frau kommt in ein Restaurant und bestellt als Vorspeise Spargelsuppe. Kurz darauf stellt ihr der Kellner einen dampfenden Teller hin und will sich entfernen, doch die Frau ruft ihn zurück.

»Ober!«

»Madame?«

»Probieren Sie mal die Suppe!«, fordert die Frau ihn auf.

»Was ist damit, Madame? Ist es nicht das, was Sie bestellt haben?«

»Probieren Sie!«, wiederholt die Frau.

»Aber was ist damit? Fehlt Salz?«

»Probieren Sie!«

»Ist sie kalt?«

»SIE SOLLEN PROBIEREN

»Aber Madame, bitte, sagen Sie mir doch, was damit ist …«, bittet der Kellner.

»Wenn Sie wissen wollen, was damit ist, dann probieren Sie die Suppe«, sagt die Frau und deutet auf den Teller.

Als der Kellner merkt, dass nichts die eigensinnige Frau von ihrer Meinung abbringen kann, setzt er sich vor die dampfende, cremeweiße Flüssigkeit und sagt überrascht:

»Aber da ist ja gar kein Löffel dabei …«

»Sehen Sie?«, sagt die Frau. »Der Löffel fehlt.«

 

Es wäre gut, wenn wir uns, im Großen wie im Kleinen, angewöhnen würden, Tatsachen, Situationen und Gefühle direkt und ohne Umschweife als das zu benennen, was sie sind.

 

Das heißt nicht, dass ich mich für immer festlegen muss, aber wenn ich über etwas spreche, muss ich mich entscheiden, was genau ich damit meine. Vielleicht ist es mir deshalb so wichtig, zu erklären, was nicht gemeint ist, wenn ich von Liebe spreche.

Ich spreche nicht von Verliebtsein.

Ich spreche nicht von Sex.

Ich spreche nicht von Gefühlen, die nur in Büchern existieren.

Ich spreche nicht von Freuden, die einigen wenigen vorbehalten sind.

Ich spreche nicht von großartigen, außergewöhnlichen Dingen.

Ich spreche von einer Empfindung, die jeder erleben kann.

Ich spreche von einfachen, wahrhaftigen Gefühlen.

Ich spreche von tiefen, aber nicht übermenschlichen Erfahrungen.

Ich spreche von Liebe als dem Gefühl, dass mir jemand etwas bedeutet.

In der spanischsprachigen Welt sagen wir selten »te amo« – ich liebe dich –, sondern eher »te quiero« – ich will dich. Aber was wollen wir mit diesem »Ich will dich« sagen?

Ich denke, es bedeutet: Mir ist es wichtig, dass es dir gutgeht.

Nicht mehr und nicht weniger.

Wenn ich jemanden liebe, merke ich, wie wichtig es mir ist, was diese Person macht, was sie mag und was ihr weh tut.

»Ich will dich« heißt also: du bedeutest mir etwas. Und »Ich liebe dich« heißt: du bedeutest mir sehr viel. So viel, dass ich dein Wohlergehen gelegentlich über andere Dinge stelle, die mir ebenfalls wichtig sind.

Diese Definition – dass du mir etwas bedeutest – macht aus der Liebe keine große Sache, reduziert sie aber auch nicht auf eine Lappalie …

Sie macht uns zum Beispiel zwei Dinge bewusst: Wer sich nicht für dich und dein Leben interessiert, kann dich nicht sonderlich lieben; wem jedoch etwas an dem liegt, was dir widerfährt, der kann dich nicht nicht lieben.

Noch einmal: Wenn du mich wirklich willst, liegt dir etwas an mir!

Und es mag schmerzhaft sein, das zu akzeptieren, aber wenn dir nichts an mir liegt, dann willst du mich auch nicht. Das ist nichts Schlimmes; es sagt nichts Schlechtes über dich aus, dass du mich nicht willst. Es ist einfach nur die Wahrheit, auch wenn es eine traurige Wahrheit ist. Wie heißt es in dem Lied von Serrat: Die Wahrheit ist nicht traurig/Doch es gibt kein Zurück. (Vielleicht muss man begreifen, dass dieses »Kein Zurück« das Traurige ist).

 

Aber es gibt noch viel mehr Wörter, die wir benutzen, um nicht »Ich will dich« zu sagen. Wir sagen: Du gefällst mir, ich finde dich sympathisch, ich hab dich gern, und eben ich mag dich.

 

Wenn ich zum Beispiel sage, dass ich meinen Hund wirklich gern mag (was eine Tatsache ist), dann ist das keine riesige Liebeserklärung, aber es ist auch nicht nichts. Mein Hund ist nicht irgendein Hund; er bedeutet mir etwas. Ich sage auch, dass ich meinen Nachbarn mag und den netten Herrn von gegenüber, aber den Nachbarn um die Ecke, den mag ich nicht. Mir liegt nicht viel an ihm, obwohl er auch nicht weiter weg wohnt als die anderen beiden. Aber mit ihnen verbindet mich etwas, mit dem anderen nicht.

Und wenn meine Mutter mir erzählt:

»Weißt du, wer gestorben ist? Mongo Picho ist gestorben.«

»So.«

»Er war öfter bei uns zu Besuch, erinnerst du dich?«

»Nein …«

»Wie, nein? Denk doch mal nach …«

»Doch, ja, ich erinnere mich. Und?«

»Er ist gestorben.«

Es bedeutet mir nichts. Ehrlich gesagt, bedeutet es mir überhaupt nichts. Aber meiner Mutter, die ich liebe, bedeutet es etwas, und deshalb sage ich dann manchmal, um meine Mutter zu trösten:

»Der arme Mongo …«

Und sie sagt:

»Ja, nicht wahr? Der Ärmste …«

Wenn ich mich so verhalte, scheint das zunächst allem zu widersprechen, was man uns beigebracht hat. Die anerzogene Moral scheint von einer Liebe auszugehen, die keinerlei Unterscheidungen macht, einer mystischen, scheinbar selbstlosen Liebe auch zu jenen, die ich nicht kenne und denen ich dennoch aus echter Sorge um ihr Wohlergehen helfe. Ich glaube, der Unterschied liegt darin, dass mein Interesse an ihnen in diesem Fall aus meiner egoistischen Freude am Helfen herrührt, in jedem Fall aber aus einer generischen Liebe zu anderen Menschen. Das heißt, der Nachbar um die Ecke, das Kind im Kosovo und der Obdachlose in Dallas bedeuten mir etwas, nicht um ihrer selbst willen, sondern schlicht und einfach, weil sie Menschen sind. Aber darum soll es hier nicht gehen, sondern um den Alltag, jenseits von Barmherzigkeit und der Erkenntnis, dass wir ein Teil des Ganzen sind und lernen, uns in den anderen zu lieben.

 

Wenn wir anfangen darüber nachzudenken, stellen wir fest, dass wir tatsächlich nicht alle gleich lieben und dass es unfair ist, uns daran zu messen, ob wir uns unterschiedslos um alle kümmern. Ich finde, die Menschheit als Ganzes zu lieben, ohne jemandem besondere Zuneigung entgegenzubringen, ist ein Gefühl, das Heiligen vorbehalten ist.

Wenn ich mir ohne Schuldgefühle eingestehe, dass ich manche Menschen mehr liebe als andere, beginne ich, den Dingen und Personen mehr Interesse entgegenzubringen, die mir am meisten bedeuten, und mich wirklich um die zu kümmern, die ich am meisten liebe.

 

Es klingt unglaublich, aber im tagtäglichen Leben verbringen viele Menschen mehr Zeit damit, sich mit Leuten zu beschäftigen, an denen ihnen nichts liegt, als mit denen, die sie angeblich aus ganzem Herzen lieben. Sie versuchen, es Leuten recht zu machen, die ihnen nichts bedeuten, statt sich zu bemühen, denen, die sie lieben, eine Freude zu machen.

Und das ist dumm.

 

Das muss in Ordnung gebracht werden. Man muss sich dessen bewusst werden.

Es ist nicht herzlos, wenn ich die wenige Zeit, die mir zur Verfügung steht, vor allem den Menschen widme, die ich liebe.

Ich muss mir darüber klarwerden, dass es verrückt ist, mehr Zeit mit Leuten zu verbringen, die ich nicht liebe, als mit den Menschen, die ich wirklich liebe.

Es ist eine Sache, wenn ich einen Teil meiner Aufmerksamkeit darauf ausrichte, Geschäfte zu machen und freundlichen Umgang mit Leuten zu pflegen, die ich nicht kenne und die mir nichts bedeuten. Eine andere ist es, wenn das System uns weismachen will, dass wir unser Leben in ihren Dienst zu stellen haben. Das ist krankhaft, ganz gleich, ob es sich um wichtige Kunden handelt, den einflussreichen Chef, einen fleißigen Angestellten oder wer auch immer es mir ermöglicht, mehr Geld zu verdienen oder zu mehr Ruhm und Macht zu kommen …

 

Nimm dir eine Minute, um herauszufinden, wer die fünfzehn, acht, zwei oder fünfzig Menschen auf der Welt sind, die dir wirklich etwas bedeuten. Denk nicht darüber nach, dass du womöglich jemanden vergessen könntest; wenn du jemanden vergisst, heißt das nur, dass er dir nicht wirklich wichtig ist. Erstell eine Liste (die Kinder kannst du außen vor lassen – wir wissen ja,...

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