Was Sie Ihrem Körper wirklich antun
Wenn Sie dieses Buch lesen, sind Sie dick. Ich weiß nicht, wie dick Sie sind, aber Sie wiegen definitiv mehr, als Sie wollen, mehr, als gut für Sie ist, und das macht Ihnen Probleme. Ich vermute: heftige Probleme. Darum wollen Sie ja auch abnehmen.
Sie und ich wissen, dass Abnehmen nicht einfach ist. Wenn es einfach wäre, dann hätten Sie längst eine Traumfigur. Abnehmen und auf Dauer schlank sein ist vielleicht die größte und schwierigste Herausforderung in Ihrem Leben. Aber einige Ihrer Zeitgenossen sagen trotzdem Sätze wie: „Dann musst du halt weniger essen …“ Noch viel mehr Ihrer Zeitgenossen sagen solche Sätze nicht – aber sie denken sie! Alles in allem glauben sehr viele Menschen um Sie herum im Stillen, dass Sie einfach aufhören könnten, dick zu sein, wenn Sie nur nicht so faul und so gierig wären.
Dicksein wird von vielen Schlanken als Zeichen charakterlicher Schwäche ausgelegt. Natürlich, das ist unfair. Ich stimme Ihnen zu. Und es macht Ihnen das Leben noch schwerer, als es ohnehin schon ist. Aber so werden Sie gesehen. Das ist Ihre Realität.
Sie wissen das selbst am besten, denn diese Meinung spiegelt sich in den Gesichtern der Menschen wider. Wenn Sie kurzatmig eine Treppe hochschnaufen, sind die Atemnot, die Schmerzen in den Knien und im Kreuz und das Schwitzen zwar unangenehm, aber viel schlimmer sind die Blicke um Sie herum, die Ihrer Mühsal unfreiwillig beiwohnen. Das ist sehr verletzend und nagt an Ihrem Selbstvertrauen.
Wenn ich nun mit Ihnen in diesem Kapitel Klartext spreche über das, was in Ihrem kranken Körper vor sich geht – ja, krank, alle Dicken sind definitiv krank –, dann tue ich das nicht, um Ihnen Ihr Selbstvertrauen weiter zu rauben. Ich konfrontiere Sie einfach deshalb mit der nackten Wahrheit, weil nur das Ihnen hilft, gesund zu werden.
Tacheles reden
Wissen Sie, ich bin Arzt. Entgegen anderslautender Gerüchte wird heute der hippokratische Eid von Ärzten nicht mehr abgelegt. Dennoch steckt hinter ihm eine Ethik, der ich mich verpflichtet fühle. Dazu gehört folgender Satz aus dem originalen Wortlaut des Hippokrates: Ich werde ärztliche Verordnungen treffen zum Nutzen der Kranken nach meiner Fähigkeit und meinem Urteil, hüten aber werde ich mich davor, sie zum Schaden und in unrechter Weise anzuwenden.
Und das bedeutet in Ihrem Fall für mich ganz konkret: Milde, Mitleid, Schönreden und Nachsicht schaden Ihnen und verstärken Ihre Krankheit. Ich sehe Sie nicht als gemütlichen Moppel, sondern als kranken Menschen. Ich rede nicht verharmlosend über ein paar überflüssige Pfunde, sondern über Ihren entgleisten Stoffwechsel und Ihre schlechte Lebensqualität. Ich rede nicht über eine Diät, sondern über Heilung und Gesundwerden.
Fakt ist: Sie sind dick. Medizinisch heißt Ihre Krankheit Adipositas, das heißt Fettleibigkeit; das lateinische Hauptwort „adeps“ bedeutet schlicht Fett. Wenn also der Volksmund umgangssprachlich sagt: Sie sind fett, dann ist das genau die gleiche Wahrheit, die der Arzt ausspricht, wenn er Sie adipös nennt.
Ihre Krankheit ist aber vielschichtiger. Wenn Sie nur zu viel Fett im Körper hätten, dann könnte man es einfach absaugen oder wegschneiden und alles wäre gut. Ist es aber nicht. In Ihrem Körper stimmen viele Abläufe nicht mehr, Ihre Lebensqualität ist beeinträchtigt, Ihnen geht es deutlich schlechter als Schlanken, sowohl psychisch als auch körperlich. Die übliche, politisch korrekte Verharmlosung des Dickseins macht mich deswegen wirklich wütend.
Heilung beginnt mit Ehrlichkeit. Und Ehrlichkeit fängt mit der Sprache an. Darum bitte ich Sie: Hören Sie als Erstes auf, sich „übergewichtig“ zu nennen – Sie könnten sonst einfach auch sagen: Ich bin untergroß. Das Wort „Übergewicht“ ist bereits eine gewisse Distanzierung von der Wahrheit. Jeder Schwergewichtsboxer hat auch Übergewicht – aber ist topfit und hat kaum ein Gramm überschüssiges Fett am Körper. Übergewicht ist nur eine aus der Norm geratene Maßzahl des Körpers. So wie Ihr hoher Blutdruck (ich wette, er ist zu hoch!) einfach nur eine Zahl ist, die den Zustand einer Körperfunktion beschreibt. Für Ihre Psyche ist so eine Zahl ganz weit weg und darum gut zu ertragen. Wenn ich aber sage, dass Sie dick sind, dann sage ich das, was auch ein Kind zu Ihnen sagen würde. Und Kindermund tut Wahrheit kund.
Wenn es Ihnen unangenehm ist, dass ich Ihnen gegenüber all die netten Umschreibungen weglasse und stattdessen die Dinge beim Namen nenne, dann machen Sie sich selbst mit großer Wahrscheinlichkeit etwas vor. Dann sind Sie sich selbst gegenüber nicht ehrlich. Und dieser permanente kleine Selbstbetrug, dieses Frisieren der Wirklichkeit und das Beschönigen der Fakten ist die erste zu überwindende Hürde beim Abnehmen. Solange Sie diese Hürde nicht beiseiteräumen, machen wir zusammen nicht weiter. Weil es sinnlos ist.
…
Sie sind einverstanden? Das freut mich sehr. Dann der nächste Schritt: Wenn Sie in Ihrem Leben wieder schlank und gesund sein wollen, dann müssen (nicht dürfen, nicht sollten, sondern müssen) Sie sich genau anschauen und begreifen, was in Ihrem Körper passiert. Was Sie sich selbst an jedem Tag antun.
Richtig, Sie selbst tun es sich an! Sie sind der einzige Mensch auf der Welt, der dafür sorgen kann, dass Sie abnehmen. Das können Sie aber erst dann, wenn Sie sich selbst gegenüber zugegeben haben, dass Sie der einzige Mensch auf der Welt sind, der die Verantwortung dafür trägt, dass Sie krank sind. Und Sie sollten als mündiger Erwachsener auch genau wissen, was in Ihrem Organismus nicht stimmt. Es ist Ihre Verantwortung, genau Bescheid zu wissen über Ihre Krankheit. Denn sonst bleiben Sie ein hilfloses Opfer der Umstände.
Aber die Wahrheit ist doch tatsächlich: Sie sind kein Opfer. Sie selbst haben jahrelang das Falsche gegessen und getrunken. Sie selbst haben sich jahrelang zu wenig bewegt. Sie selbst stehen nachts auf und gehen zum Kühlschrank, weil Sie vor dem Heißhunger kapitulieren. Ein Schlanker weiß nicht, wie das ist, wenn der Blutzuckerspiegel eines Dicken erst steigt, dann rapide sinkt und der insulingetränkte Körper in dieser Situation nach Kohlenhydraten schreit. Trotzdem können Sie nicht den Hunger für Ihre Essattacken verantwortlich machen, denn Sie selbst haben zuvor in Ihrem Leben dafür gesorgt, dass dieser übermächtige Hunger immer wieder auftritt.
Sie sind nicht absichtlich dick, das behaupte ich nicht. Aber es gibt niemanden, dem Sie die Schuld dafür geben können. Nicht Ihren Eltern, nicht der Kantine, nicht der Lebensmittelindustrie und nicht dem lieben Gott. Auch Ihnen selbst nicht! Ich will überhaupt nicht, dass Sie sich selbst die Schuld geben. Ich sage nicht: selbst schuld! Denn wenn ich oder Sie selbst sich beschuldigen, dann verurteilen wir Sie, dann machen wir Sie fertig. Aber wenn Sie fertig und frustriert sind, nehmen Sie weiter zu. Stimmt’s?
Verantwortung ist etwas völlig anderes als Schuld. Verantwortung kann man übernehmen und es ist gut, wenn man sie trägt. Sie ist durch und durch positiv – sie ist eine bejahende Antwort auf die Welt. Schuld dagegen ist durch und durch negativ. Sie hängt Ihnen um den Hals wie ein Mühlstein, der Sie in die Tiefe zieht – und Sie werden sie nie wieder los. Vergessen Sie die Schuldfrage! Fangen Sie lieber an, hundertprozentig Verantwortung zu übernehmen. Sehen Sie es so: Ihr Körper ist Ihr Kleid, das Sie vom Leben geliehen bekommen haben, um es vom ersten bis zum letzten Tag zu tragen. Wie Sie es pflegen und wie es deswegen aussieht, ist allein Ihre Sache.
Ich lasse Sie nicht aus der Verantwortung raus. Aber nicht, um Ihnen das Leben schwer zu machen, sondern, um Ihnen zu helfen, endlich liebevoller mit sich selbst umzugehen. Ein guter Freund sagt schonungslos die Wahrheit. Ein guter Arzt auch:
Erstens: Es ist, wie es ist, Sie sind dick.
Zweitens: Keiner ist schuld daran, dass Sie dick sind.
Drittens: Sie tragen die volle Verantwortung dafür, wie gesund oder krank Sie sind, also auch dafür, ob Sie dick oder schlank sind.
Viertens: Sie müssen wissen, was genau in Ihnen vorgeht.
Voll auf die Knochen
Schauen Sie also bitte jetzt genauer hin, was in Ihnen drin passiert: Da ist zunächst einmal Ihr Skelett, an dem Ihre Kilos zerren. Die Wirbelsäule ist bei vielen Menschen in unserer Gesellschaft ohnehin in Mitleidenschaft gezogen, vor allem wegen des vielen Sitzens, sowohl im Job als auch in der Freizeit. Ihre Wirbelsäule allerdings muss zusätzlich noch einiges mehr mitmachen.
Das Risiko eines Bandscheibenvorfalls ist bei Ihnen grob gesprochen doppelt so hoch wie bei einem Schlanken. Der Grund ist leicht zu verstehen: Am Bauch ist bei Dicken deutlich mehr Fett eingelagert als am Rücken....