Berührung – »Ich lass dich fühlen, was du für mich bist«
Erinnern Sie sich an eine Berührung, durch die Sie sich pudelwohl gefühlt haben? Vielleicht bei einer Massage oder einer anderen Behandlung? Was war das Ausschlaggebende daran? Nun, erst einmal muss die Person, die Sie berührt hat, vertraut oder zumindest so angenehm gewesen sein, dass Sie eine innige Berührung zulassen konnten. Was noch? Sie hatten genügend Zeit, einen passenden Platz zum Liegen, Sitzen oder Stehen, an dem Sie sich sicher genug fühlten, und die Temperatur im Raum war wohltuend. Als Sie berührt wurden, wurde dies in einer netten Form angekündigt, und der Kontakt von Haut zu Haut war stimmig, Ihre Grenzen (Scham, Schmerz) wurden respektiert und gegen Ende bekamen Sie genug Zeit, um nachzuspüren und sich auf den Abschied vorzubereiten.
Heutzutage haben nur wenige Erwachsene schon vor der eigenen Elternschaft Erfahrungen mit Babys gesammelt, und es ist eher selten geworden, sich mit einem kleinen Säugling im Arm sofort vertraut zu fühlen. Das geht Frauen wie Männern so, doch alle haben bereits gute oder weniger gute Erfahrungen mit Berührung gemacht. Woraus Ihr Baby, zum Beispiel bei der Körperpflege, Wohlbefinden schöpft, das ist die Qualität Ihrer Berührungen und die Verlässlichkeit Ihrer Zuwendung. Dies wächst durch Einfühlung, Zeit, Geduld und Übung.
Sie befinden sich mit allem, was das Elternwerden angeht, erst einmal wieder am Anfang eines Weges zu neuer Meisterschaft. Dies in Ihr Herz zu nehmen und nicht von sich zu verlangen, dass gleich alles gelingt, wird Ihr Baby Ihnen danken. Denn eine gespielte Sicherheit der Eltern fühlt sich eher unangenehm an. Es muss und kann nicht immer alles auf Anhieb gelingen. Sie werden durch die Signale Ihres Babys dessen feine Zeichen für Wohlgefühl und Unwohlsein immer deutlicher erkennen können und somit immer klarer herausfinden, was Ihr Baby wann braucht. Mit etwas Vertrauen in sich und Ihr Baby können Sie mit der Kraft des Anfängergeistes und Ihren intuitiven Elternkompetenzen zu einer innigen Beziehung finden. Wenn Sie etwas tun, was dem Kind ein Unwohlsein vermittelt, wird es Ihnen Zeichen geben, sodass Sie sich in Ruhe korrigieren können. So lernen beide Seiten.
Feinfühligkeit
Babys brauchen von ihren Eltern feinfühlige Zuwendung. Das bedeutet, die Äußerungen des Kindes ernst zu nehmen und respektvoll in Sprache und Handlung darauf einzugehen. Und das nicht nur in den ersten Wochen, sondern ein ganzes Familienleben lang. In der frühen Zeit braucht das Baby die Antwort sehr prompt und verlässlich, damit es sich schnell wieder beruhigen kann und damit es die Reaktion der Eltern als direkte Antwort auf sein gezeigtes Bedürfnis erlebt. Das feinste Gefühl für Ihr Baby und Kleinkind haben Sie, die Eltern – Sie können Ihr Kind am besten einschätzen. Keine Fachperson kennt Ihr Kind so gut wie Sie, auch wenn es Ihr erstes Kind ist!
Das Kennenlernen ist ein fließender Prozess. Das feine Gefühl für die Details wächst in den ersten Wochen und Monaten. Die gute Nachricht der Bindungsforschung ist, dass Feinfühligkeit erlernt und vertieft werden kann, selbst wenn sie in der eigenen Kindheit vermisst wurde oder schwierige Lebensumstände damals einen liebevollen Umgang zwischen Eltern und Kind erschwert haben. Eltern bekommen liebevolle Gefühle und die Bereitschaft, innere Grenzen zu überwinden, quasi zur Geburt ihres Babys mit geschenkt. Diese Gefühle können Sie in ihren Blick, ihre Mimik, ihre Stimme und in ihre Hände fließen lassen und damit weiche und sichere Botschaften vermitteln. Feinfühligkeit beginnt bereits nach der Geburt mit der Art und Weise, wie in der täglichen Körperpflege und Zuwendung auf das Baby eingegangen wird. Selbst wenn liebevolle Gefühle durch eine schwere Geburt, starke hormonelle Schwankungen oder psychische Krisen rund um die Geburt überdeckt sein können, sind sie doch vorhanden und mit zunehmender Gesundung abrufbar und als nährende Berührung für Ihr Baby wertvoll.
Vertrauen aufbauen
Pflege soll verlässlich sein, respektvoll und würdevoll in Berührung und Sprache. Daher kann ein pflegebedürftiger Mensch, egal, ob Säugling oder Senior, seine Autonomie und Würde bewahren und das, was er schon oder noch kann und selbst tun will, mit einbringen. Auf diese Weise kann ein Miteinander entstehen, das für beide Seiten bereichernd ist; denn Berührung wirkt besonders auf der emotionalen Ebene.
Eltern können sich gute pflegerische Erfahrungen zu eigen machen und damit ihrem Kind das Wichtigste für ein gesundes Aufwachsen mitgeben: ein stabiles Selbstgefühl und Sicherheit im Ausdruck eigener Gefühle und Grenzen. Zeigen Sie also dem Baby: Ich bin für dich da, schnell, zuverlässig und beständig!
In den ersten Wochen ist es noch recht schwierig, die Signale des Kindes richtig zu deuten. Wenn Sie aber in dieser frühen Zeit bei jedem Ruf aufmerksam zu Ihrem Baby sprechen, es vielleicht aufnehmen und beruhigend wiegen, bei Hunger stillen oder Fläschchen geben, es bei voller Windel in einem warmen Umfeld sauber machen und ihm Nähe und Geborgenheit schenken, wird es immer mehr Vertrauen aufbauen, und Sie werden seine Signale nach und nach klarer verstehen. Es kommt eine Art Feintuning in der Kommunikation in Gang, ohne die es kein vertieftes Verstehen gäbe. Das Kind kann anfangs das, was es in sich spürt und wahrnimmt, nicht immer richtig deuten und auch lange nicht benennen. Es wird sich unterschiedlich äußern. Dazu braucht es von Mutter und Vater Angebote, die es an- oder ablehnen kann, um dadurch herauszufinden und differenzieren zu lernen, was nun zum Beispiel Hunger oder Frust oder Müdigkeit oder Bedürfnis nach Nähe ist.
Ganz beim Kind sein
Um das »feine Fühlen« zu praktizieren, braucht es noch etwas: den Faktor Zeit. Anfangs fällt es Müttern und Vätern gar nicht schwer, die Momente der Pflege zum Beispiel beim Wickeln ausführlich zu zelebrieren. Ermöglichen Sie Ihrem Baby, so oft Sie Zeit haben, den eigenen Körper und die Gefühle bei der Berührung, wie zum Beispiel beim Wickeln, Waschen, Baden, Trocknen, Ölen, vielleicht Massieren, zu genießen. Ihr Baby möchte in Ihren Augen sehen, dass es gemeint ist. Es möchte von Ihren Händen spüren, dass es gemeint ist, und es durch Ihre Worte hören. Dazu braucht es Zeit, aber oftmals auch nicht mehr als ein durch unaufmerksames Handeln verunsichertes Kind zu beruhigen. Es wäre eine ungünstige Botschaft, wenn Sie Ihrem Kind vermitteln würden, dass die Körperpflege rasch erledigt werden muss, um schnell wieder miteinander spielen zu können. In der Zeit, in der Sie und Ihr Kind in den verschiedenen Pflegeprozessen beieinander sind, geschieht etwas, was jetzt besonders gut geschehen kann: Ihr Kind nährt sich an Ihnen und Ihrer Zuwendung, durch diese Zweisamkeit wird es emotional satt. Darum sollten Sie in diesen Momenten versuchen, wirklich beim Kind zu sein und nicht bei der Einkaufsliste oder etwas anderem, was Sie beschäftigt. Ihr Kind spürt, ob Sie wirklich da sind, und wenn Sie bemerken, dass es Ihnen gerade schwerfällt und die Gedanken immer wieder an einen anderen Ort hüpfen, dann nehmen Sie dies in Ihr Gespräch mit dem Kind hinein. »Oh, ich denke dauernd an das bevorstehende Gespräch mit meinem Arbeitgeber. Ich bin etwas aufgeregt, ja, das merkst du auch … « Dieses Erzählen kann für Sie klärend sein, und obwohl das Kind noch nicht den Sinn Ihrer Worte versteht, merkt es doch, dass Sie ihm nichts vorspielen.
Reden ist ohnehin eine Möglichkeit von Beginn an Feinfühligkeit zu schulen: Wenn Sie begonnen haben, ein kleines Gespräch mit dem Baby zu führen, und es Ihnen deutlich macht, wie gern es Ihnen zuhört, wenn es in Mimik und mit Lauten auch mit Ihnen spricht, dann erleben Sie wie wertvoll es ist, Ihr Tun und Ihr Vorhaben in Worte zu fassen.
Erst wenn es genug »liebevolle Aufmerksamkeit« getankt hat, wird es sich Abenteuern widmen und auf Entdeckungsreise gehen. Und dann haben Sie für eine gewisse Zeit »frei«, denn um zum Beispiel im Babykorb oder auf der Spieldecke liegend die eigenen Hände oder später den Raum der Wohnung und die Dinge darin zu erforschen, braucht es keine unmittelbare Zuwendung. Das Kind muss nur wissen und sehen, dass Sie oder eine andere vertraute Person da sind.
Elternfrage: »Muss ein Baby warten lernen?«
»Meine Freundin hat mich darauf hingewiesen, dass es langsam an der Zeit ist, nicht immer gleich auf Friedas Rufen zu reagieren, da sie sonst nicht lernt, auch mal zu warten, und ich sie zu sehr verwöhne. Muss meine fünfmonatige Tochter lernen, sich zu gedulden?«
Ein Kind muss im ersten Jahr nicht zum Wartenkönnen erzogen werden, denn das kann es noch nicht verstehen. Was es lernen würde, wäre: »Wenn eh niemand kommt, brauche ich auch nicht zu rufen« – und dabei entweder langsam aufgeben oder immer lauter werden. Das Kind, das aufgibt, wird in seinen Anforderungen leiser werden.
Ein freundliches Eingehen auf die echten Bedürfnisse des Babys stärkt sein Selbstwertgefühl, es fühlt sich gesehen, wertvoll und sicher. Sein Vertrauen in die Eltern und in sich selbst wird weiter vertieft.
Wenn Sie einmal in Konflikt mit der Zeit kommen, weil Ihr Baby zum Beispiel weint, Sie sich aber gerade dringend um das Geschwisterkind oder sich selbst kümmern müssen, und nicht sofort stillen oder das Baby auf den Arm nehmen können, dann hilft es ihm, wenn es Ihre beruhigende Stimme hört. Das befriedigt zwar nicht sein Bedürfnis und sollte bei kleinen Babys nicht oft vorkommen, aber es fühlt sich gehört und bemerkt. Warten lernen kann es dadurch trotzdem nicht. Zeit können Kinder lange nicht richtig einordnen....