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E-Book

Das Gewaltpotenzial der Religionen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783170256446
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Die abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, nach eigenem Bekunden Religionen des Friedens, stehen gerade auch heute wieder in Zusammenhang mit brutalen Kriegszügen und Terrorakten im Fokus des medialen Interesses. Es liegt daher nahe zu fragen, ob den monotheistischen Religionen neben dem Friedens- auch ein Gewaltpotenzial gemeinsam ist: So haben nicht nur Kreuzzüge und Türkenkriege auf den Seiten aller Beteiligten Spuren hinterlassen, die bis heute Denken und Verhalten prägen; bereits in den Heiligen Schriften der drei großen monotheistischen Religionen finden sich Passagen, die ohne die notwendigen hermeneutischen Kenntnisse den Anderen zu diffamieren scheinen oder angeblich gar zu seiner Vernichtung aufrufen. Angesichts einer Entwicklung, in der gesellschaftliche und politische Konflikte zunehmend unter Zuhilfenahme religiöser Argumente ausgetragen werden, ist eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit dieser Thematik dringend geboten.

Prof. Dr. Dr. Ina Wunn lehrt Religionswissenschaft an der Universität Hannover. Prof. Dr. Beate Schneider, Vizepräsidentin der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, lehrt dort Medienwissenschaften.

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Leseprobe

Religion als Ursache von Frieden und Konflikt


Gerard Tlali Lerotholi, OMI


Abstract


Religion ist ein menschliches Phänomen, das von keiner Gesellschaft oder Regierung ignoriert werden kann und mit dem vorsichtig umgegangen werden muss, weil es dazu dienen kann, die Gesellschaft aufzubauen oder zu vernichten, menschliches Leben zu retten oder zu zerstören. Religion hat das Potenzial, in beide Richtungen eingesetzt zu werden, und wurde in beide Richtungen benutzt. Die Geschichte zeigt, dass mit religiöser Praxis oftmals Gewalt einhergeht. Alle großen Religionen sind trotz ihres Anspruchs, auf Frieden gegründet zu sein, und der Behauptung, Frieden zu predigen, mit Gewalt behaftet. Ihre jeweiligen Texte und Rituale stiften nicht nur Beziehungen zwischen ihren Anhängern und Gott, sie begründen auch Haltungen anderen Religionen gegenüber: Sie verpflichten ihre Anhänger zu einer Reihe von Glaubensinhalten und Dogmen, die andere Religionen ausschließen. Dadurch kann es zu religiöser Intoleranz und zu religiösem Extremismus kommen. Nicht Religion an sich ist der Grund für Konflikte, es sind diejenigen, die Religion für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren. Das Streben nach Weltfrieden ist die Aufgabe jedes Einzelnen: Entweder leben wir zusammen in Frieden und Harmonie, oder wir gehen gemeinsam im Streit unter. Aufgrund der Unwissenheit im Bezug auf andere Religionen ist es notwendig, die religiösen Lehren und Praktiken des anderen zu studieren. Von den Gläubigen muss eine bewusste Anstrengung unternommen werden, Liebe und Verständnis zwischen unterschiedlichen Menschen zu fördern. Sie müssen davon absehen, Religion politisch einzusetzen, um Feindschaft und Gewalt anzufachen. Letztlich müssen sie davon Abstand nehmen, ihre eigene Religion als anderen Religionen überlegen, als die einzig wahre oder endgültige zu bezeichnen. Religiöse Konflikte haben eine lange Geschichte. Wir können die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber wir können die Zukunft gestalten.

1. Was ist Religion?


Bekanntermaßen gibt es keine allgemein anerkannte Definition von Religion, denn der Begriff Religion kann für verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Bedeutung haben, und Menschen können völlig unterschiedliche Handlungen im Namen ihrer Religion und als essenziellen Bestandteil ihrer Religion ausführen. Was für den einen Religion ist, kann für den anderen bloßer Aberglaube sein, und was der eine als heilige Handlung vollzieht, ist für den anderen sinnloses Tun, bedeutungsloses Tun oder sogar ein krimineller Akt. Religion ist also ein schwieriges, aber nichtsdestoweniger mächtiges Phänomen, das mit Sorgfalt behandelt und betrachtet werden muss.

Wir sollten daher gar nicht erst versuchen, eine allgemein gültige Definition zu formulieren, denn wir würden unweigerlich scheitern. Wir werden uns stattdessen an die Wurzeln der Weltreligionen begeben und den Begriff zunächst einmal einer etymologischen Betrachtung unterziehen. Der Begriff „Religion“ lässt sich auf drei lateinische Worte zurückführen: auf „ligare“, binden; auf relegere mit der Bedeutung von wieder auflesen, wieder aufsammeln, bedenken und beachten; und zuletzt auf „religio“, Bedenken, Gewissenhaftigkeit, aber auch Bindung. Die etymologische Bedeutung des Begriffs „Religion“ macht also deutlich, dass Religion etwas ist, das Menschen aneinander bindet, das Menschen vereint und sie in eine Beziehung zueinander oder aber auch zu etwas bringt. Religion bindet in zweierlei Weise: mit Gott einerseits und mit den Mitgeschöpfen andererseits.

Sie verbindet den Adoranten mit Gott (oder mit der transzendenten Person oder Kraft, an die er glaubt), sie vereint ihn mit Gott und stellt eine Verbindung zu Ihm her. Gleichzeitig bindet Religion ihre Anhänger untereinander und stellt auch hier Bindungen her. Religion ist also immer beides: individuell und auf die Gruppe bezogen, genau wie der Mensch selbst einerseits ein unabhängiges Individuum und andererseits Teil einer des sozialen Miteinanders ist.1 Keine Religion wurde jemals nur von einem einzelnen Menschen praktiziert, sondern stets von einer Gruppe von Menschen, sei es eine Familie, ein Stamm, eine Ethnie, eine Nation oder eine weltweit verbreitete Gemeinschaft – Letzteres ist der Fall bei den Weltreligionen wie Buddhismus, Christentum, Islam, Baha’i und anderen. Alle die genannten Religionen sind Universalreligionen, deren Gültigkeitsbereich sich nach dem Willen ihrer Stifter auf die gesamte Menschheit erstreckt. Ihr Erlösungsversprechen gilt für jeden, und nicht etwa nur für ein bestimmtes Volk oder eine Nation, wie ursprünglich das Judentum (für das jüdische Volk) oder der Hinduismus (für die Inder).

2. Die Religion und die Natur des Menschen


Religion ist nicht nur Teil der menschlichen Natur, sie ist geradezu eine Dimension der menschlichen Natur. Deshalb ist Religion so alt wie die Menschheit und wird bestehen bleiben, solange es Menschen auf dieser Welt gibt, genau wie es auch im Laufe der Menschheitsgeschichte niemals eine Zeit gegeben hat, in der Menschen nicht irgendeine Form von Religion praktiziert haben. Daher ist es auch reine Zeitverschwendung zu versuchen, Menschen an der Religionsausübung zu hindern, denn – wie gesagt – Religion gehört zum Menschsein. Alle Versuche, eine Religion auszurotten, führten zum Martyrium ihrer Anhänger und anschließend – gerade aufgrund des über den Tod hinausgehenden Zeugnisses ihrer Anhänger – zu einer noch stärkeren Ausbreitung der verfolgten Religion. Auguste Comte, herausragender französischer Geschichtsphilosoph des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und Begründer des Positivismus, glaubte (in seinen frühen Schriften) voraussagen zu können, dass sich Religion in den kommenden Jahrzehnten überlebt haben und einem wissenschaftlichen Weltbild Platz machen würde, aber die Geschichte hat ihn widerlegt.

Religion hat – in unterschiedlicher Form – überlebt, und zwar zusammen mit dem Siegeszug moderner Ingenieurs- und Naturwissenschaften. Karl Marx, der die Ausbeutung und das daraus resultierende Elend der Massen im kapitalistischen System als Ursache der Religiosität auszumachen können glaubte, sagte den Untergang des Kapitalismus und, mit ihm, der Religion voraus.2 Auch hier hat die Geschichte anders entschieden, denn sowohl der Kapitalismus als auch die Religion existieren weiter; mehr noch, sie blühen und gedeihen mehr als hundert Jahre nach Marx.

Religion allerdings ist das bei Weitem ältere Phänomen, denn es ist – wie bereits gesagt – ungleich dem Kapitalismus Teil der menschlichen Natur und so alt wie die Menschheitsgeschichte. Selbst die ursprünglichsten und landläufig oft als „primitiv“ beschriebenen Gesellschaften (heute: Gesellschaften mit aneignender Wirtschaftsform), für die Kapitalismus ein ebenso sinnloser wie unbekannter Begriff ist, praktizierten und praktizieren Religion in der einen oder anderen Weise. Und ungleich der Voraussage Auguste Comtes, dass Wissenschaft und Technologie Religion überflüssig machen würden, erfreuen sich Religionen gerade in den hochtechnisierten Gesellschaften unserer Zeit regen Zulaufs. Die Menschheitsgeschichte und unsere eigenen Erfahrungen lehren uns also, dass Religion/en bisher ihre Verfolger stets überlebt hat/haben. Religionsgegner unterschiedlichster Couleur kommen und gehen, aber die Religion besteht weiter, weil sie über bloße Menschenmacht oder die Macht irgendeiner Regierung hinausgeht – weil sie etwas anderes ist, das über irdische Macht hinausweist. Das imperiale Rom wollte das Christentum auslöschen, scheiterte und ging unter. Die UdSSR bekämpfte die Religion und zerbrach – das orthodoxe Christentum ging ungeschwächt aus den hundert Jahren der Unterdrückung hervor. Um es kurz zu machen: Es ist unmöglich, Religion in irgendeiner Gesellschaft auszulöschen, und zwar deshalb, weil Religion ein Teil der menschlichen Natur ist – wir erwähnten dies bereits wiederholt! – und weil sie auf einer Macht beruht, die Menschenmacht übersteigt. Solange es Menschen geben wird, wird es auch Religion geben – die Existenz einer religionslosen Gesellschaft ist schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Genauso unmöglich ist es, Menschen davon abhalten zu wollen, ihre Religion zu praktizieren; sie würden eher sterben. Das ist der Grund, warum es immer wieder Märtyrer gibt und geben wird; ein Phänomen, dem daher mit Sorgfalt und Weisheit zu begegnen ist und nicht mit der Demonstration von Macht und (staatlicher) Autorität! Religion ist wie ein zweischneidiges Schwert.

Religion ist ein mächtiges und gleichermaßen heikles Phänomen innerhalb der menschlichen Gesellschaft; ein Phänomen, das zu ignorieren sich keine Gesellschaft und keine Regierung leisten kann, mit dem sorgfältig umzugehen ist, denn: Religion kann Gesellschaften aufbauen oder...

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