Doch warum haben so viele Menschen Rückenschmerzen? Wir werden immer älter, und bei Erkrankungen von Knochen, Gelenken und Muskeln spielt auch der körperliche Verschleiß eine Rolle. Hinzu kommen die Schattenseiten der modernen Informationsgesellschaft: Ein Großteil der Menschen befindet sich beruflich den ganzen Tag vor dem Rechner, körperliche Bewegung – Fehlanzeige! Und selbst in der Freizeit sitzen viele auch zu Hause vor dem Computer, dem Fernseher oder dem Handy. Absurd, dass im Prinzip die heutige „Bürostuhl-Generation“, was Rückenschmerzen angeht, leidgeplagter ist als ihre Eltern oder Großeltern, die noch oft harte körperliche Arbeit leisten mussten. Der Rücken ist den Nicht-Anforderungen unserer modernen Gesellschaft nicht gewachsen. Das sollte uns im wahrsten Sinne bewegen, denn das ist es, was unser Rücken vor allem braucht. Rückenschmerzen treten oft im unteren Bereich des Rückens auf (man spricht dann von Kreuzschmerzen), gefolgt von Beschwerden in der Halswirbelsäule.
Diagnose von Rückenschmerzen
Fast jeder Mensch hat im Laufe seines Lebens einmal Kreuzschmerzen. Meistens kommen sie zum ersten Mal im Alter zwischen 35 und 55 Jahren vor. Häufig lässt sich keine konkrete Ursache für die Schmerzen finden. Nur bei zehn bis 20 Prozent kann ein körperlicher Grund für das Auftreten der Schmerzen gefunden werden (zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall, eine Wirbelverletzung nach einem Unfall oder eine Krankheit wie Osteoporose oder gar eine Tumorkrankheit). Man spricht dann von unspezifischen Kreuzschmerzen. Die Behandlung zielt darauf ab, den Schmerz zu lindern – denn eine zu behandelnde Ursache ist nicht auffindbar.
In vielen Fällen bilden sich solche unspezifischen Kreuzschmerzen nach ein paar Tagen von selbst wieder zurück. Oft ist es gar nicht notwendig, den Hausarzt aufzusuchen, wenn man die Schmerzen mit freiverkäuflichen Mitteln wie Schmerztabletten, Wärmepflastern und viel Bewegung in den Griff bekommt. Viel mehr kann beziehungsweise wird der Arzt auch nicht verordnen. Er wird zunächst im Gespräch und der körperlichen Untersuchung gefährliche Ursachen für die Beschwerden ausschließen (in der Medizin sind das die sogenannten „Red Flags“). Erst wenn der Schmerz länger als sechs Wochen bestehen bleibt, wird er dann beispielsweise eine bildgebende Diagnostik (Röntgen, MRT, CT) durchführen oder überweist zu einem Spezialisten. Warum? Weil, wie gesagt, meist sowieso nichts zu sehen ist und der Schmerz spätestens nach vier bis sechs Wochen wieder von allein verschwunden sein wird. Es gibt aber Situationen, bei denen man in jedem Fall sofort einen Arzt aufsuchen muss, damit eine zugrundeliegende Erkrankung oder Verletzung frühzeitig erkannt und behandelt werden kann.
Bandscheibenvorfall
Der Bandscheibenvorfall ist eine der häufigsten Formen des spezifischen Kreuzschmerzes, also einer Form, die einer konkreten Schmerzursache zuzuordnen ist. Bandscheiben sind eine Art „Pufferkissen“ zwischen den einzelnen Wirbeln: Sie haben einen weichen Kern, der von einem Faserring in Form gehalten wird. Durch Alter oder Verschleiß kann der Ring porös werden und unter schwerer (Fehl-)Belastung brechen, sodass der gelartige Kern ausläuft. Ein solcher Bandscheibenvorfall lässt sich im MRT oder im CT gut sehen. Drückt diese Masse auf den Rückenmarksnerv (Spinalnerv), können starke Schmerzen entstehen. Das liegt daran, dass auch der Faserring, der die Bandscheiben hält und bei einem Bandscheibenvorfall durchbrochen wird, mit vielen Schmerzfühlern ausgestattet ist. Zusätzlich kann der Schmerz auch durch Entzündungsreaktionen im Bereich der Schadensstelle (siehe Kapitel Gelenkschmerzen) angefeuert werden. Diese entwickeln sich langsam, und das ist der Grund, warum die Schmerzen häufig zeitversetzt, zum Beispiel erst einen Tag nach der Bandscheibenverletzung, einsetzen. Der Druck auf die Nerven kann außerdem sogenannte neurologische Begleitsymptome auslösen: Es kann zu Kribbeln („Ameisenlaufen“) in den Beinen, Taubheitsgefühlen und im schlimmsten Fall sogar zu Lähmungserscheinungen kommen. Treten keine solchen neurologischen Begleiterscheinungen auf, die eine Lähmung des Armes oder des Beines verursachen, wird ein Bandscheibenvorfall erst einmal konservativ behandelt, das heißt, ohne Operation. In neun von zehn Fällen verschwinden die Beschwerden innerhalb von sechs Wochen. Wichtig dabei ist, dass der Patient trotz der Schmerzen in Bewegung bleibt. Damit das möglich ist, erhält er Schmerzmittel. Basis der Therapie, nachdem die ersten stärkeren Beschwerden abgeklungen sind, ist die Physiotherapie. Der Betroffene erlernt krankengymnastische Übungen, die den Rücken entlasten und die Rücken- und Bauchmuskulatur kräftigen. Mit dieser aktiven Physiotherapie wird nicht sofort begonnen, sondern der Patient soll sich zunächst im Rahmen seiner Möglichkeiten normal bewegen. Dann setzt eine spezifische Übungsbehandlung ein, die vom Arzt verordnet wird.
„Red Flags“: Dann bei akuten Kreuzschmerzen sofort zum Arzt
•Wenn Sie in den vergangenen Tagen einen Unfall hatten oder gestürzt sind.
•Wenn Sie sich vor Kurzem einer Wirbelsäulen-OP unterzogen haben.
•Wenn Sie Krebspatient sind oder in der Vergangenheit schon einmal eine Krebserkrankung bei Ihnen diagnostiziert wurde.
•Wenn Fieber und Schüttelfrost begleitend auftreten.
•Wenn Sie unter Appetitlosigkeit leiden und/oder an Gewicht verlieren.
•Wenn Sie Steroide oder andere immunsuppressive Medikamente einnehmen.
•Wenn Sie an einer Infektionskrankheit erkrankt sind/waren (wie Borreliose, HIV).
•Wenn die Rückenschmerzen ausstrahlen und es zu Taubheit oder gar Lähmung der Beine kommt.
Wichtig ist, dass Sie Ihrem Arzt auch diese Begleitsymptome genau beschreiben, damit er weiß, welche möglichen Diagnosen er ausschließen muss.
Bei starken neurologischen Beschwerden, insbesondere bei Lähmungserscheinungen, muss zunächst engmaschig beobachtet oder auch gleich operiert werden. Hierbei wird die ausgelaufene Gelmasse entfernt, was den Spinalnerv vom Druck befreit. Häufig erhält der Patient eine Reha-Maßnahme, in der er rückenschonendes Verhalten erlernt und seine stützende Rückenmuskulatur kräftigt.
Behandlung von Rückenschmerzen
Viele Patienten, die keines dieser zusätzlichen Symptome wie Lähmungen haben, die eine sofortige Behandlung notwendig machen, sind unzufrieden, wenn sie mit Rückenschmerzen zum Arzt gehen – und dieser ihnen zwar Schmerzmittel verschreibt, sie aber ohne Überweisung zu einem Orthopäden oder zu einem Radiologen für eine MRT- oder eine Röntgenuntersuchung nach Hause schickt. Sie fühlen sich nicht ernstgenommen und haben Sorge, dass keine genaue Diagnostik vorgenommen wurde.
Der Arzt hat aber eine körperliche Untersuchung gemacht (die Wirbelsäule angeschaut und abgetastet) und eine Bewegungsprüfung durchgeführt. Dabei bittet der Arzt den Patienten, verschiedene Bewegungen auszuführen, wie sich zum Beispiel nach vorn und nach hinten zu beugen. So kann der Arzt erkennen, was dem Patienten schwerfällt, welche Bewegungseinschränkungen er hat oder inwieweit er schon Mechanismen erlernt hat, Dinge, die er nicht mehr kann, anders zu umgehen (Kompensation). Auch wird der Arzt im Gespräch erfragen, ob bestimmte Risikokonstellationen („red flags“) vorliegen, die eine sofortige diagnostische Abklärung notwendig machen. Hat der Patient keine solchen Risikofaktoren und deutet die körperliche Untersuchung ebenfalls nicht auf ein Krankheitsbild wie einen Bandscheibenvorfall hin, entspricht es dem heutigen Therapiestandard, erst einmal die Diagnose unspezifischer Kreuzschmerz zu stellen und sechs Wochen abzuwarten.
Früher wurde bei Rückenschmerzen sofort eine bildgebende Untersuchung gemacht. Da aber jeder eine Auffälligkeit an der Wirbelsäule hat, wurde fälschlicherweise angenommen, dass das die Schmerzursache sein muss und es wurde operiert. Dabei stand die Auffälligkeit oft nicht mit dem Schmerz in Zusammenhang – die OP war dann nicht nur umsonst, sondern hat oft zu neuen Problemen geführt. Heute weiß man, dass Kreuzschmerzen meist keine operativ behebbare, spezifische Ursache haben – weshalb man von unspezifischen Schmerzen spricht. Deshalb „fahndet“ man bei akut auftretendem Rückenschmerz erst einmal nicht weiter.
Akuten Schmerz nicht aussitzen
Häufig legen sich Menschen, wenn sie Rückenschmerzen haben, ins Bett und meiden jede Bewegung – oder bleiben möglichst bewegungslos sitzen. Das ist falsch, denn man riskiert damit, dass sich der Schmerz festsetzt und chronisch werden kann. Wichtig ist, trotz des Schmerzes in Bewegung zu bleiben und zu versuchen, den Alltag zu meistern – auch wenn das nur mit Schmerztabletten möglich ist. Die Schmerzmedikamente sind in diesem Fall eine sinnvolle Maßnahme, damit man nicht in einen Teufelskreis gerät: Denn Schonung und Ruhigstellung verschlimmern den Schmerz und lösen auch neue Rückenschmerzen aus. Wer nicht möchte, dass der Akutschmerz chronisch wird, muss sich bewegen. Bewegung ist auch die beste Prävention gegen Rückenschmerzen. Wer aktiv ist und regelmäßig Sport treibt, hat ein niedriges Rückenschmerzrisiko. Es ist dabei egal,...