I.
THEATER während des ERSTEN WELTKRIEGES (1914 – 1918)
I.I
Allgemein:
Auch wenn die Jahre vor dem Krieg als “Das goldene Zeitalter der Sicherheit“, wie es der Dichter Charles Péguy nannte, erschienen, sah sich Deutschland großen innen - wie außenpolitischen Problemen gegenüber. Innenpolitisch hatten die Feudalstrukturen abgewirtschaftet, die wirtschaftliche Entwicklung nagte „am Gegensatz zwischen dem in Niedergang begriffenen Autoritarismus und einem wachsenden Demokratisierungsdruck.“ Die Frage mag zynisch klingen, aber musste es erst zu einem Krieg mit anderen Mächten, d.h. zu einem Angriffskrieg kommen, um die Entwicklung, d.h. die Problemlösung im eigenen Land zu bewerkstelligen?“ (1)
Der Arzt und Dramatiker A. Schnitzler notiert in seinem Tagebuch am 25.7.: Der österreichisch – serbische Krieg in Aussicht, und am 25.7.: „Kriegs – und Beruhigungsnachrichten... überall patriotische Empfindungen“ (2), am 2.8.14 folgt die Nachricht von der Kriegserklärung Deutschlands an Russland, der wenig später die Nachricht von der Kriegserklärung Englands an Deutschland folgt, und er konstatiert betroffen: „Der Weltruin. Der Weltkrieg. Ungeheure und ungeheuerliche Nachrichten ...“ (Schnitzler, ebd.)
I.2 Der Erste Weltkrieg (S.563)
Die Nachbarn fühlten sich außenpolitisch durch die provozierende Politik und die wachsende Macht Deutschlands bedroht, ohne dass das politische System diese Lage entschärfen konnte.
Die militärstrategischen Vorplanungen der deutschen Seite erfolgten auf der Annahme, im imperialistischen Wettlauf um die Aufteilung der Welt zu kurz gekommen zu sein.
Die Mehrheit der Deutschen begrüßte den Kriegsbeginn...noch in der Überzeugung in einen lt. Propaganda Deutschland aufgezwungenen Verteidigungskrieg zu ziehen... alle Widersprüche waren im BURGFRIEDEN vergessen…Unmittelbar nach Kriegsausbruch begann in Deutschland die Erörterung der Kriegsziele. Dabei gab die poltische Macht unter Reichskanzler Bethmann - Hollweg ihre Führungsrolle an die OHL (Hindenburg, Ludendorff) ab, die sich auf die, s.o., allgemeine Kriegsbegeisterung der Bevölkerung stützen konnte.
Die militärische Mobilsierung von Millionen von Menschen hatte in den jeweiligen Ländern innen psolitisch spezifische, dann allgemeine tiefgreifende Verän-derungen (in Deutschland eine neue Rolle der Frauen, die für die Kriegsproduktion eingesetzt wurden, wachsende Arbeitsbelastungen, Verschlechterung der Ernährungslage, eine Spaltung der SPD) zur Folge. „Das wichtigste sozialpolitische Gesetz der Kriegszeit, das „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“ (1916) zeigte die Ambivalenz des gewerkschaftlichen Wirkens unter den Vorzeichen des Burgfriedens. Einerseits führte das Gesetz auf Betreiben der OHL einen Arbeitszwang für die männlichen Beschäftigten ein, mit dem auch das wichtige Recht auf einen freiwilligen Arbeitsplatzwechsel eingeschränkt wurde. Diesem gravierenden Einschnitt in Arbeiterrechte stand die Einführung von betriebsratähnlichen „Arbeiterausschüssen“ in Betrieben mit über 50 Beschäftigten gegenüber, die ein Antrags – und Beschwerderecht in Lohn – und sonstigen Fragen erhielten.“ (3)
Die Kriegsereignisse führten außen politisch zur russischen Doppelrevolution von 1917 sowie, innenpolitisch, zu Revolutionen in Deutschland und Österreich.
...Der anders verlaufende als erwartete Kriegsverlauf und die Durchhalteparolen des Kaisers zu Beginn des Jahres 1918 wurden mit einer breiten Streikbewegung und der Forderung nach sofortigen Kriegsverhandlungen beantwortet.
I.3 Die Bedeutung für die Theater:
Die Mobilmachung erfasste die ganze Gesellschaft; auch die Theater „zeigten Flagge“, beschworen wird die Einheit der Nation, es wird an den deutschen Idealismus appelliert, die Größe und Stärke eines Volkes gerade im Zeichen des Krieges: „Auf der Einheit von Volkskultur und Kriegstüchtigkeit beruht die Größe Deutschlands“ (4). An Schillers „Schaubühne als moralische Anstalt“, die Einfluss auf den Nationalgeist nehmen soll, wird erinnert.
Noch im Frieden hatte der Kaiser das Theater in diesem Sinne „als Pflegestätte des deutschen Idealismus, als Anstalt zur Erhaltung der schönsten geistigen Güter des Vaterlandes gepriesen.“ (5): „Ich war der Ansicht, dass das Theater vor allen Dingen dazu berufen sei, den Idealismus in unserem Volke zu pflegen, an welchem es Gott sei Dank noch so reich ist und dessen warme Wellen noch in seinem Herzen reichlich quellen. Ich war der Überzeugung und hatte mir fest vorgenommen, dass das Theater ein Werkzeug des Monarchen sein sollte, gleich der Schule und der Universität, welche die Aufgabe haben, das heranwachsende Geschlecht heranzubilden und vorzubereiten zur Arbeit für die Erhaltung der höchsten geistigen Güter unseres herrlichen deutschen Vaterlandes. Ebenso soll das Theater beitragen zur Bildung des Geistes und des Charakters und zur Veredlung der sittlichen Anschauungen.“ (ebd.) In Widerspruch dazu scheint es, dass die Theater ab 1. August geschlossen waren; jedenfalls erfolgte im August keine Theatermeldung. Alle Verträge des Bühnenpersonals mit der Direktion sind infolge des Krieges außer Kraft getreten.
Am 24.8. erfolgt der Aufruf „Öffnet die Theater (A.H.). Das Elend der Schauspieler könnte damit vermieden werden; zudem könnte das Theater, und hier nimmt der Aufruf das Kaiserzitat beim Wort, der Volksseele Kraft geben und, damit wird präjudiziert (oder nachvollzogen), was die verfeindeten Nationen kultivierten, die Ausklammerung der nachbarlichen Kultur und die Hinwendung zum nationalen Theaterstück (6). Und noch im Aug. 1914 folgen erste patriotische Vorstellungen: „Wir wollen mit diesen patriotisch – künstlerischen Darbietungen gleichzeitig das Unserige dazu beitragen, die unvergleichliche Stimung dieser Tage zu erhalten und zu vertiefen.“ (7). Dies kommt in Nürnberg erst 1916 zum Tragen, als alle drei Theater (Stadttheater, Apollotheater und IT) diesem Aufruf folgen.
Eine „einseitig im Interesse des Unternehmers ausgestaltete Rechtslage auf Grund der Unsicherheit und Unstetigkeit der Stellungsverhältnisse und der Eigenart des Berufs (führte, d. Hrssg.) a priori zu einer Abhängigkeit, die anderen Berufen fremd ist“ (8), so war dies nun der Höhepunkt.
So wurden Dienstverträge nur für eine Saison abgeschlossen, die Mitglieder „mussten sich (…) gleichwohl den einseitigen Unternehmervorrechten auf willkürliche Verfü-gung über Anfang, Ende und Dauer des Vertrags, auf jederzeitige Vertragslösung unterwerfen.“ (ebd.) Das hatte einen ständigen Personalwechsel an mittleren und kleineren Bühnen zur Folge, eine z.T. unangemessene fachwidrige Beschäftigung. Die Verschlechterung der Lage der Künstler „geschieht, während die Theater gut besucht sind, besser als in den vorausgegangenen Friedenszeiten, während die Häuser ausverkauft und die Geschäfte vielfach glänzend sind.“ (9)
Der Hang (oft auch der Zwang) Kasse zu machen oder, nicht zuletzt in Abhängigkeit von Verlagen, den „Kunstumsatz“ zu steigern (DIE Masse:..), führte zu Übermüdung und Entwertung der Arbeits-kräfte einerseits (Doppelvorstellungen auch an Wochentagen, Vorstellungen an Sonntagen) und zu einer Potenzierung des Abstecherunwesens. So vereitelt nun (10) „Der (kriegsbedingte) dauernde Personalwechsel (…) das höchste Ziel aller Theaterkunst, das vollkommene Zusammenspiel, das die innere Übereinstimmung der Spielpartner voraussetzt.“ Damit geben (11) die Bühnen, vor allem das „Geschäftstheater (…) den (ihm im Grunde seines Wesens fremden) Versuch auf, sein Publikum zu guter, ernster Kunst zu erziehen…“, stattdessen werden minderwertigste Ware, Possen und Rührstücke seichtester Art, das frivole französische Sittenstück, das nun nach diesem Strickmuster angefertigte deutsche seichte Unterhaltungsstück spielplanbeherrschend. Und als ein Beispiel der „nationalen Rückbesinnung“ benennt man eingebürgerte Begriffe französischer Herkunft um: Der Regisseur heißt jetzt offiziell Spielleiter, der Souffleur/die Souffleuse Einflüsterer.
Die soziale Entwicklung zeigt sich in den Anstellungsverträgen, dort steht die berüchtigte Kriegsklausel, nach der Bühnenmitglieder bei Krieg ohne weiteres entlassen werden können (12).
Weniger, um dieser Klausel zuvorzukommen, als angesteckt von der allgemeinen Kriegsbegeisterung, erlässt das Präsidium der Genossenschaft nachstehenden Aufruf, der alle vorausgegangenen Beteuerungen Hohn straft: „Aber was bedeutet das Schicksal des Einzelnen in dieser Stunde, wo es gilt, Gut und Blut einzusetzen für die Erhaltung des...