Außerirdisches Leben
Wenn die Beschaffenheit eines Himmelskörpers der Bevölkerung natürliche Hindernisse entgegen setzet: so wird er unbewohnt seyn, obgleich es an und vor sich schöner wäre, daß er Einwohner hätte.
Immanuel Kant, «Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels», 1755
Wenn auf der Erde irgendwas Seltsames auftaucht, dauert es geschätzte drei Minuten, bis jemand auf die Idee kommt, dass Außerirdische im Spiel sind. Außerirdische haben Stonehenge gebaut, sie erzeugen kuriose Leuchterscheinungen am Himmel, sie werfen mit komischen Dingen auf die Erde, haben Hitler und Elvis verschleppt und werden sich zudem für den Untergang der Menschheit zu verantworten haben (hinterher).
Warum wir Außerirdische immer wieder so hart rannehmen, ist klar: Sie bieten deshalb eine so gute Erklärung für alles, was man nicht erklären kann, weil wir nichts über sie wissen. Wir verwenden sie als Unwissensstrohmann und setzen sie überall dort ein, wo es nicht weitergeht – die große vereinheitlichende Erklärung für diese ganzen kleinen dreckigen Details, an denen in Wissenschaftlerhirnen zurzeit gearbeitet wird. Dabei verliert man manchmal aus den Augen, dass eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Wissenschaftlerhirnen sich unmittelbar mit der Suche nach außerirdischem Leben befasst. Mit bemerkenswerten Fortschritten – ein Lexikoneintrag über extraterrestrisches Leben sollte eigentlich nur als Loseblattsammlung (oder im Internet) veröffentlicht werden, damit man wöchentlich Updates vornehmen kann.
Leider ist es hier nicht mit einer einzigen schlauen Idee getan. Am einfachsten wäre es vermutlich, wenn morgen ein paar Aliens bei uns landen würden. Vorteilhaft natürlich, wenn sie ein wenig so sind wie wir, damit wir sie erkennen können, aber nicht exakt so wie wir, damit wir sie von uns unterscheiden können. So eine Invasion aus dem All passiert zwar in schöner Regelmäßigkeit, aber nur in Kontexten, die im wissenschaftlichen Diskurs eher wenig geschätzt werden, zum Beispiel in Kinofilmen oder Verschwörungstheorien.
Notgedrungen machen wir uns selbst auf die Suche nach Spuren von Leben im All, das nicht auf der Erde entstanden ist. Weil alles im Weltall weit weg ist und alles weit Entfernte kriminell klein erscheint, suchen wir die meiste Zeit nicht nach konkreten Lebewesen, denn die sind für uns unsichtbar. Es sei denn, die Lebewesen sind so groß wie Galaxien (oder sie sind Galaxien). Stattdessen suchen wir nach den Rahmenbedingungen für die Entstehung von Leben, nach Orten, die die richtige Temperatur oder die richtigen chemischen Elemente haben. Wer bei dem Wort «richtig» im letzten Satz schlucken musste, hat vollkommen recht.
Es ist nämlich so: Wir müssen uns erst einmal darauf einigen, wonach wir eigentlich Ausschau halten. Man kann keine Pilze suchen, ohne eine Idee davon zu haben, was Pilze sind und was sie vom Rest das Waldes unterscheidet. Genauso wenig kann man Leben suchen, ohne eine Vorstellung davon zu haben, was belebte Materie von unbelebter unterscheidet. Würden wir ein Megalebewesen von der Größe einer Galaxie noch als solches erkennen? Was ist mit Leben, das aus unerfindlichen Gründen im Innern von Sternen stattfindet, wo die Temperatur mehrere Millionen Grad Celsius beträgt? Oder im Innern eines Pulsars (einer schnell rotierenden Sternenleiche), wo der Druck so groß ist, dass Atome zerquetscht werden?
Fragen, auf die wir keine endgültigen Antworten wissen. Zum Glück ist die Wissenschaft nicht dazu da, endgültige Antworten zu geben. Fürs Erste reicht es aus, sich plausible Argumente auszudenken, warum Leben so und so sein muss und eben nicht ganz anders. Diese Argumente sind unter Astrobiologen – Wissenschaftler, die sich mit Leben im Universum befassen – hart umkämpft. Definieren klingt einfach, man beschließt etwas, und so ist es dann eben, aber damit eine Definition brauchbar ist, muss sie die Phänomene, die sie zu definieren versucht, einigermaßen treffend beschreiben. Mit anderen Worten: Es geht nicht darum, diktatorisch festzulegen, was Leben ist, sondern es zu verstehen.
Eine beliebte Art, Leben zu definieren, ist folgende: Man sieht sich an, welche gemeinsamen Eigenschaften alle Lebewesen auf der Erde aufweisen, und baut daraus eine Checkliste zusammen. Wenn man dann irgendwas Lebensähnliches im Universum findet, muss man einfach nur diese Liste abarbeiten: Fortpflanzung (check), Stoffwechsel (check), Anpassung (check), Organisation (check) usw. Es ist ziemlich klar, dass so eine Kriterienliste, wenn sie nur lang genug ist, ganz gut funktioniert, um ein Ding als Lebewesen zu identifizieren. Man muss sich allerdings fragen, ob wirklich alle diese Kriterien notwendig sind. Man kann sich leicht Wesen ausdenken, die eindeutig leben, aber zumindest eines der Kriterien nicht erfüllen, zum Beispiel wenn man fürs Fernsehen arbeitet. Das Rauchmonster aus der amerikanischen Fernsehserie «Lost» manifestiert sich als schwarzer, dichter Nebel, der unter anderem die Fähigkeit hat, die Gestalt von verstorbenen Menschen anzunehmen. Aber fortzupflanzen scheint es sich nicht, und von Stoffwechsel ist auch nichts bekannt.
Ein Komitee der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA hat sich in den 1990ern probeweise auf eine Definition anderer Art festgelegt: Leben ist ein «selbsterhaltendes chemisches System, das zu Darwin’scher Evolution fähig ist». Das ist viel kürzer und klingt auch besser. Wer möchte nicht gern ein selbsterhaltendes chemisches System sein? Aber auch hier wieder dasselbe Problem: Irgendein Rauchmonster, das eventuell weder chemisch ist, noch Interesse an Evolution hat, könnte schon morgen erscheinen, und wir müssten die Definition wegwerfen.
Die Definition der NASA illustriert, dass Definieren immer auch Erklären heißt. Sie postuliert, dass Leben immer an Chemie gebunden ist und sich notwendigerweise durch Evolution entwickelt, nicht nur auf der Erde, sondern überall im Weltall. Die Astrobiologie nimmt wenig Rücksicht auf die Phantasien von Science-Fiction-Produkten, weil sie insgeheim nicht an die Existenz von Dingen wie dem Rauchmonster glaubt – eine Eigenschaft, die wir an Wissenschaftlern normalerweise schätzen: Wenn man an etwas nicht glaubt, dann gibt man auch keine Steuergelder aus, um danach zu suchen.
Besonders praktisch ist die Definition allerdings nicht, jedenfalls nicht für die ersten Schritte auf der Suche nach Leben. Die meisten ernsthaften Unternehmungen, die in irgendeiner Weise nach Leben im All suchen, beruhen implizit auf noch viel stärkeren Annahmen. Große Anstrengungen werden unternommen, um Planeten zu finden, die so ähnlich sind wie die Erde. Insbesondere sucht man nach Planeten in der sogenannten «habitablen Zone» – jene Bereiche im Planetensystem, in denen Wasser flüssig ist und nicht gefroren oder gasförmig. Das Vorhandensein von flüssigem Wasser wird als eine wesentliche Voraussetzung von Leben angesehen. Ob das wirklich so ist, wissen wir nicht hundertprozentig, aber es ist eine vernünftige Annahme. Zum einen steht zweifelsfrei fest, dass es auf Planeten mit flüssigem Wasser Leben geben kann, zum anderen verfügt Wasser über einzigartige chemische Eigenschaften, die die Entwicklung von Leben unterstützen. Ein wenig mehr dazu steht im «Lexikon des Unwissens» im Kapitel «Wasser».
In den letzten Jahren hörte man einige Male, jetzt sei endlich ein «Zwilling» der Erde gefunden, und erst im Kleingedruckten las man dann, dass es sich doch eher um eine Stiefschwester handelte – entweder befindet sich die versprochene zweite Erde nicht in der habitablen Zone, oder sie ist in Wahrheit zehnmal größer oder überhaupt ein Messfehler. Was diese zwiespältigen Nachrichten in Wahrheit sagen wollen: Es geht voran. Wir mögen noch nicht ganz da sein, aber wir kommen der zweiten Erde näher.
Der nächste große Durchbruch beim Jagen nach Exoplaneten, wie man die Planeten nennt, die einen anderen Stern als unsere Sonne umkreisen, steht unmittelbar bevor. Im März 2009 schoss die NASA einen nach Johannes Kepler benannten Satelliten ins All, an Bord ein Teleskop, das drei Jahre lang mehr als 100 000 Sterne anstarren soll. «Kepler» sucht nach sogenannten Transits: Der Planet bedeckt einmal pro Umlauf einen kleinen Teil der Oberfläche des Sterns, um den er kreist – er bewegt sich aus unserer Sicht vor seinem Stern entlang. Diese «Verfinsterung» des Sterns, Transit genannt, lässt sich beobachten – der Stern leuchtet für ein paar Stunden ein klein wenig schwächer. Wenn man den Transit mehrfach in regelmäßigen Abständen sieht, hat man eventuell einen neuen Planeten entdeckt.
Mit der Transit-Methode wurden mittlerweile mehr als 100 Exoplaneten gefunden, von der Erdoberfläche aus. «Kepler» ist gerade dabei, diese Zahl drastisch nach oben zu treiben. Im Unterschied zu den bodenstationierten Transitteleskopen kann «Kepler» nicht nur sogenannte «Hot Jupiters» finden – Riesenplaneten, die sehr dicht an ihrem Mutterstern stehen –, sondern auch Planeten, deren Größe und Bahn der Erde ähnelt. Wenn «Kepler» im Jahr 2012 fertig ist mit seiner Arbeit und wenn alle seine Daten ausgewertet sind, werden wir wissen, wie oft es Planeten wie unseren in der Milchstraße gibt.
Aber schon jetzt ist klar, dass ein großer Anteil, eventuell mehr als die Hälfte der sonnenähnlichen Sterne, von Planeten umkreist werden, von denen wiederum ein beträchtlicher Anteil erdähnlich ist – vielleicht ein paar Prozent. Mit diesen Erkenntnissen...