III. Kulinarischer Reiseführer: PaläoPower-Genussthemen rund ums Jahr
In diesem Kapitel finden Sie spannende Themen rund um die Paläo-Ernährung, die Diskussion kontroverser Standpunkte und Details für die Umsetzung.
Frühling
Ohne Frühstück fit und fröhlich?!
Ostafrika, Tansania, an einem Oktobertag 2013 – im Morgengrauen. Es ist noch kühl, und so sitzen die etwas mehr als zwanzig Hadza nach dem Aufwachen erst einmal an verschiedenen kleinen Lagerfeuern und wärmen sich auf. Leise reden die Jäger und Sammler miteinander, werden langsam wach. Nur selten gibt es um diese Uhrzeit eine Kleinigkeit zu essen: Reste des Vortages an Fleisch und Früchten oder ein paar Samen. Heute starten sieben Männer, wie üblich ohne Getränk oder Speisen, zur Jagd, und etwas später beginnen einige Frauen mit ihrer Sammeltour. Zweieinhalb Stunden später: Die Jäger waren erfolgreich, haben erst ein Eichhörnchen und schließlich eine Meerkatze zur Strecke gebracht. Sofort wird mit dem umliegenden Holz ein Feuer angefacht und das Fleisch gegrillt – Barbecue zum Frühstück. Aber nur ein Teil des Jagderfolgs wird an Ort und Stelle gegessen – ebenso wie bei den Frauen, die nur einige der ausgegrabenen Wurzeln sofort zu sich nehmen. Nach den ersten Kraftanstrengungen des Tages tut das sichtlich gut und füllt die nun leeren Energiespeicher auf. Der überwiegende Teil der frischen Nahrungsquellen jedoch wird im Anschluss zum gemeinsamen Lager gebracht und miteinander geteilt (Marlowe 2010, S. 108–109; Hadza 2013).
Europa, Deutschland, zur gleichen Zeit. «Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages.» Mit diesem Glaubenssatz im Kopf sind Konflikte gleich nach dem Aufstehen vorprogrammiert. Denn viele Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene haben morgens einfach keinen Appetit. Aber die Frühstücksempfehlung von Ernährungsgesellschaften und Berichte, dass sich Menschen ohne Frühstück nicht konzentrieren könnten, übellaunig würden und gar ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Zuckerkrankheit hätten, führen zu einem schlechten Gewissen, wenn das Frühstück ausfällt. So werden viele Kinder vor der Schule zu einer Mahlzeit genötigt, etliche Erwachsene frühstücken aus «Vernunft», aber lustlos und häufig mit einem Schweregefühl im Bauch oder Kopf. Oft genug wird auch auf die Schnelle etwas Abgepacktes von der Tankstelle oder in der Cafeteria verzehrt, gefolgt von Heißhungerattacken später am Vormittag.
Das Spektrum, wie eine erste morgendliche Mahlzeit aussehen kann, reicht von nicht oder kaum existent in der klassischen mediterranen Ernährung z.B. in Spanien, Italien, Griechenland, Portugal (hier genügt oft ein heißes Getränk als Start in den Tag) bis zu sehr aufwändigen Zubereitungen in Asien (Suppen, Salzgemüse, Fladenbrot, Sojamilch). In Europa frühstücken bis zu 30 Prozent der Bevölkerung gar nicht, über 60 Prozent verzichten mindestens einmal pro Woche darauf (Herrmann, M.-E. 2010; Breakfast is best 2009). Dabei spielen zwar auch Zeitmangel, Armut oder der Versuch einer Gewichtskontrolle eine Rolle, aber für viele Menschen ist fehlender Appetit der entscheidende Grund. Es fällt ihnen daher leicht, ein Frühstück ausfallen zu lassen, während dies für das Abendessen nur auf wenige zutrifft: «Dinner Canceling» ist nicht sehr beliebt. Dieses Essmuster entspricht der Lebensweise der Jäger und Sammler.
Heutige Jäger und Sammler frühstücken kaum oder gar nicht. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn die Erkenntnis, «ein voller Bauch studiert nicht gern», trifft auch auf die Jagd und das Sammeln zu: Mit vollem Bauch ist dies beschwerlich und auch unnötig, denn nach den ersten Jagd- und Sammelerfolgen stehen frische Nahrungsmittel sofort zur Verfügung. Gegen Ende des Tages wird die Ausbeute aller unter den Gruppenmitgliedern geteilt, gemeinsam gegessen und der Erfolg der Tagesanstrengung gefeiert. In den meisten Kulturen macht das Frühstück bis heute weniger als 20 Prozent der Tagesenergieaufnahme aus, und das Abendessen ist üblicherweise die umfangreichste Mahlzeit.
Die frühstücksarme Lebensweise der Jäger und Sammler und der fehlende Appetit am Morgen bei vielen Menschen in westlichen Ländern weisen darauf hin, dass «Frühstücken wie ein Kaiser» möglicherweise kein natürlicher Start in den Tag ist. Aber ist es nicht paradox, dass Menschen nach den langen, nahrungsfreien Stunden des Schlafs oft ohne großen Hunger aufwachen?
Das Hungergefühl wird nach einem inneren Tagesrhythmus gesteuert, mit einem Tiefpunkt am Morgen gegen acht Uhr und einem Höhepunkt abends gegen 20 Uhr. Dieser Rhythmus ist weitgehend unabhängig von der Zeit des Aufwachens und dem Abstand zu anderen Mahlzeiten. Auch der Appetit auf Süßes, Salziges, stärkereiche Nahrungsmittel, Früchte und Fleisch folgt diesem inneren Rhythmus und ist abends am stärksten (Scheer 2013).
Eine Erklärung könnte sein, dass zwei Millionen Jahre einer Jäger-und-Sammler-Lebensweise zur Ausbildung dieses Rhythmus geführt haben und sich dies nun in unserem Stoffwechsel widerspiegelt: Das als Stresshormon bekannte Cortisol hat einen Tagesrhythmus, der unabhängig von akutem Stress körpereigene Energie mobilisiert, d.h., der Blutzucker wird erhöht, das Hungergefühl sinkt.
Die Cortisolmenge steigt bis etwa neun Uhr morgens stark an – somit ist die körpereigene Energieversorgung sehr gut und das Hungergefühl gering – und fällt zum Abend bis gegen Mitternacht hin ab, so dass abends der Hunger steigt und vermehrt Energie von außen zugeführt werden muss (Buckley 2005). Daher verwundert es auch nicht, dass viele Menschen noch Lust auf einen «Mitternachtssnack» haben – oder gar einen Ausflug zum Kühlschrank machen, wenn sie gegen Mitternacht wach werden. Hilfreich fürs Gewicht ist es, diese zusätzliche abendliche Kalorienaufnahme bewusst einzuplanen und durch entsprechende Bewegung oder energieärmere andere Mahlzeiten auszugleichen.
Wer seinem natürlichen Appetitrhythmus folgt, ist also im Einklang mit seinen Genen. Daher gibt es keinen Grund, bei fehlendem Appetit zwangsweise zu frühstücken. Wer aber gerne bald nach dem Aufstehen oder ein wenig später am Tag etwas essen möchte, kann sich an der Nahrung orientieren, die zu unseren Genen passt. Leckere Paläo-Frühstücke bieten reichlich Auswahl.
Allerdings zählen die getreide-, milch- und zuckerlastigen Produkte der Nahrungsmittelindustrie nicht dazu, auch wenn sie mit Müslimischungen und Aufbackbrötchen, Toast und abgepackten Schokocroissants versucht, uns das Frühstück zu versüßen, und mit Lobbyarbeit bemüht ist, Einfluss auf offizielle Ernährungsempfehlungen zu nehmen.
Frühstücksauslasser können ihr schlechtes Gewissen beruhigt durch Freude ersetzen und der Sprache ihrer Gene folgen. Sie erreichen durchaus positive Effekte auf ihre Gesundheit: Kleine Fastenphasen tun dem Körper gut. Interessant ist auch, dass das Auslassen eines Frühstücks in der wissenschaftlichen Literatur günstige Wirkung auf Übergewicht und Diabetes zeigt. Es scheint für das Verhindern von Übergewicht nach wie vor entscheidender zu sein, wie viel Energie pro Tag insgesamt aufgenommen wird, und nicht so sehr, dass ein Frühstück eingenommen wird – eher das Gegenteil: Wer frühstückt, tendiert zu insgesamt größerer Energieaufnahme. Auch für Diabetes wurde gezeigt, dass sich eine klassische mediterrane Ernährung, die ohne Frühstück auskommt und dafür eine größere Energieaufnahme zum Mittag- oder Abendessen aufweist, positiv auswirkt (Schusdziarra 2011; Fernemark 2013).
PaläoPower-Fazit zum Thema Frühstück
- Menschen sind biologisch nicht auf ein üppiges Frühstück programmiert. Sie können längere Zeit am frühen Tag ohne Nahrungsmittel auskommen.
- Wer morgens keinen Appetit verspürt, kann das Frühstück auslassen. Empfehlenswert ist dann, sich für einen späteren Zeitpunkt mit Vorräten der Paläo-Ernährung zu versorgen (oder passende externe Angebote zu nutzen), so dass unterwegs, in der Schule oder im Büro bei Appetit auf hochwertige Nahrungsmittel zurückgegriffen werden kann.
- Wer Hunger verspürt und frühstücken möchte, kann dies mit Nahrungsmitteln der Paläo-Küche auf sehr geschmackvolle Weise mit einer Vielzahl an Nährstoffen und im Einklang mit seinen Genen tun.
Rezept-Tipps:
1–22, 25, 45–47, 49–53, 81–90, 94–95, 122
Ach du dickes Ei!
Südwestliches Afrika, Kalahari in den 1920er Jahren. Ein !Kung-Mädchen trägt leere Straußeneier zur nächsten Wasserstelle. Es ist heiß, der Weg erscheint ihr sehr weit – und mit ein wenig Angst erinnert sie sich daran, wie zornig ihre Familie war, als sie beim letzten Mal die Eierschalen zerbrochen hat und kein Wasser...