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Das Recht der Jugendhilfe aus verfassungs- und sozialrechtlicher Sicht

AutorGerhard Benz
VerlagDiplomica Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl88 Seiten
ISBN9783836628105
FormatPDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis43,00 EUR
Durch die Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) 1991 wurde ein Perspektivenwechsel in der Jugendhilfe eingeleitet. Im Vordergrund stand nicht mehr die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Ausgrenzung verwahrloster Jugendlicher durch geschlossene Unterbringung und Arbeitserziehung etc, sondern vielmehr Leistungsverwaltung, um die Förderung und Integration junger Menschen in die Gesellschaft durch allgemeine und individuelle Hilfsangebote in unterschiedlichen Lebenssituationen besser zu erreichen.

Verfassungsrechtlich hat dieser Perspektivenwechsel insoweit Bedeutung, dass im Hinblick auf die vorrangige Erziehungsverantwortung der Eltern, die Förderung und der präventive Schutz von Kindern und Jugendlichen im Vordergrund steht (Art. 6 Abs. 2, 3 GG). Diese Schutzverpflichtung ist verfassungsrechtlich primär in Art. 2 Abs. 1 GG verankert, da das Kind eigenständiger Träger von Persönlichkeitsrechten „Person-Werden“ ist. Somit bedeutet Förderung der elterlichen Erziehungsverantwortung zugleich auch Förderung der Entwicklung des Kindes und Jugendlichen. Durch Beteiligungs- und Mitspracherechte trägt das Gesetz der wachsenden Mündigkeit von Kindern und Jugendlichen Rechnung. Eingriffe in die elterliche Sorge zum Schutz vor Kindeswohlgefahren sind ausschließlich dem Familiengericht vorbehalten (§ 1666 BGB). Ausnahme ist die Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII als vorläufige Schutzmaßnahme der Jugendhilfe.

Aufgrund der aktuellen Geschehnisse von Fällen der Vernachlässigung, Misshandlung bis hin zur Tötung von Kindern, werden in dieser Studie die unterschiedlichen Aspekte von Kindeswohlgefährdung aus verfassungs- und jugendhilferechtlicher Sicht beleuchtet, wobei das Spannungsfeld zwischen Hilfe und Kontrolle deutlich wird, indem sich Jugendhilfe bewegt.

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Leseprobe
Kapitel 4 Das Recht der elterlichen Sorge

Wenn man Jugendhilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht betrachtet, kommt man nicht umhin, das Recht der elterlichen Sorge näher zu beleuchten. Sicherlich ist die Rechtsbeziehung zwischen Eltern und Kind rein privatrechtlicher Natur. Geregelt ist diese in den §§ 1626 ff. BGB. Aber dennoch gibt es eine Vielzahl von Überschneidungen mit dem öffentlichen Jugendhilferecht, insbesondere wenn durch Trennung und Scheidung von Eltern schädliche Folgen für das Kindeswohl zu befürchten sind oder im schlimmsten Falle das im Grundgesetz (Art. 6 GG) garantierte Elternrecht kindeswohlgefährdend missbraucht wird. Mit diesen Themen beschäftigt sich schwerpunktmäßig das folgende Kapitel.

Allgemeine Bedeutung von Artikel 6 Grundgesetz (GG)

Das Grundgesetz stellt in Art. 6, in einer eigenen Grundrechtsbestimmung, die Familie als den engsten persönlichen Bereich des Einzelnen, besonders heraus. Die Bedeutung des Art. 6 GG ergibt sich aus einer Mehrdimensionalität, insbesondere aus drei Komponenten:

- subjektiv-öffentliches Abwehrrecht des einzelnen gegen staatliche Eingriffe.

- personal geprägte Institutsgarantie für Ehe und Familie.

- wertentscheidende Grundsatznorm für die gesamte Rechtsordnung.

Ehe und Familie werden unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung gestellt. In Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Pflicht ist es Aufgabe des Staates, für die Erhaltung und Förderung von Ehe und Familie, den Keimzellen jeder staatlichen Gemeinschaft, zu sorgen. Nach Art. 6 GGist der Staat verpflichtet, den Bestand, die Einheit und Selbstverantwortung von Ehe, Familie und Elternrecht zu respektieren, zu schützen und zu fördern. Dabei hat er die kulturgeschichtliche Tradition ebenso wie den gesellschaftlichen und sozialen Wandel zu berücksichtigen. Als wertentscheidende Grundsatznorm wirkt Art. 6 auf das gesamte private und öffentliche Recht ein und weist dem Staat positiv die Aufgabe zu, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern sowie vor Beeinträchtigungen und Belastungen zu bewahren, und enthält negativ das Verbot, Ehe und Familie zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen (staatliche Schutz- und Förderpflicht).

Unter dem Leitbegriff ‘Familie’ im Sinne von Art. 6 ist die lebenslange Gemeinschaft von Eltern und Kindern zu verstehen (sog. Kleinfamilie, nicht die Generationen-Großfamilie). Die Familie ist folglich die natürliche Erweiterung der Ehe, wobei eine Familie im Sinne von Art. 6 auch dann vorliegt, wenn sie nur aus dem Kind und einem sorgeberechtigten Elternteil besteht (sog. Restfamilie). Art. 6 schützt die Familie als geschlossenen und selbstbestimmten Lebensbereich (Familienautonomie). Der Staat ist verpflichtet, die Einheit und Eigenverantwortlichkeit sowie das Zusammenleben der Familie zu respektieren und zu fördern.

Art. 6 Abs. 2 enthält eine spezielle Bestimmung für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern in der Familie. Er garantiert den Vorrang der Eltern, ihre Eigenständigkeit und Selbstverantwortlichkeit bei der Pflege und Erziehung der Kinder, bestellt aber gleichzeitig die staatliche Gemeinschaft in den Fällen zum Wächter, in denen die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, ihr Erziehungsrecht zum Wohle des Kindes wahrzunehmen. Das Elternrecht ist ein ausgesprochen pflichtbezogenes Recht, das dem Wohle des Kindes zu dienen hat, da das Kind Grundrechtsträger im Sinne von Art. 1 und 2 Abs. 1 ist. Die Verknüpfung von Rechten und Pflichten ist im Unterschied zu anderen Grundrechten für Art. 6 Abs. 2 wesensbestimmend, das Elternrecht (besser: Elternverantwortung) ist nicht nur ein ‘sozial gebundenes, pflichthaltiges’ Recht, sondern es existiert von vornherein überhaupt als primär ‘fremdnütziges’ nämlich ‘kindernütziges’ und keinesfalls als elterliches Herrschaftsrecht. Das GG geht davon aus, dass das Kindeswohl im Sinne von Geborgenheit, erzieherischer Kontinuität und bestmöglicher Förderung bei den Eltern in aller Regel am besten aufgehoben ist. Das Elternrecht umfasst also die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern im Sinne einer umfassenden Personensorge für das persönliche, körperliche und psychische Wohl, für die seelisch-geistige Entwicklung, für Bildung und Ausbildung, sowie überhaupt das Recht, über Ziel und Methoden der Erziehung zu bestimmen (§ 1626 BGB).

Das Elternrecht soll gewährleisten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft erzogen wird. Dieses Elterngrundrecht gewährt den Eltern ein subjektiv-öffentliches Abwehrrecht gegen hoheitliche Eingriffe, soweit sie nicht durch das ‘Wächteramt’ gedeckt sind (BVerfGE 24, 119, 138 ff., 47,46, 69 ff). Der Staat, der im Rahmen seines ‘Wächteramtes’ grundsätzlich nur subsidiär tätig werden darf, hat lediglich durch geeignete Maßnahmen Elternkonflikte zu kanalisieren und Kinder vor elterlicher Untätigkeit oder vor Elternrechtsmissbräuchen zu schützen.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Das Recht der Jugendhilfe aus verfassungs- und sozialrechtlicher Sicht1
Inhaltsverzeichnis3
Einleitung5
1 Geschichte der Jugendhilfe7
2 Das Recht der Jugendhilfe10
2.1 Jugendhilfe aus verfassungsrechtlicher Sicht12
2.1.1 Sozialstaatsprinzip12
2.1.2 Soziale Grundrechte13
2.2 Jugendhilfe als Gegenstand des Sozialrechts15
2.3 Grundzüge des Sozial- und Jugendhilferechts16
2.3.1 Grundsätze des sozialen Leistungsrechts19
2.3.2 Das Verwaltungsverfahren20
3 Allgemeine Ziele, Aufgaben und Grundsätze des SGB VIII21
3.1 Aufbau des SGB VIII24
3.2 Träger der Jugendhilfe24
3.2.1 Öffentliche Träger25
3.2.2 Freie Träger26
3.3 Leistungen der Jugendhilfe26
3.3.1 Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz28
3.3.2 Familienstützende, -ergänzende und –ersetzende Leistungen28
3.3.3 Hilfen zur Erziehung29
3.3.4 Das Hilfeplanverfahren31
3.4 Die Sonderrolle der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe im Sozialleistungsrecht –Ambivalenz zwischen Hilfe und Kontrolle-33
3.5 Die anderen Aufgaben der Jugendhilfe34
4 Das Recht der elterlichen Sorge36
4.1 Allgemeine Bedeutung von Artikel 6 Grundgesetz (GG)36
4.2 Recht und Pflicht auf Erziehung des Kindes38
4.3 Elternwille und Selbstbestimmung des Kindes39
4.4 Elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung40
4.4.1 Konfliktlösung durch Verfahren43
4.4.2 Beratung und Unterstützung durch die Jugendhilfe45
4.4.3 Mitwirkung des Jugendamtes im Familiengerichtsverfahren47
4.5 Eingriffe, Beschränkungen und Ersatz der elterlichen Sorge48
4.5.1 Rechtliche Verhinderung48
4.5.2 Tatsächliche Verhinderung49
4.5.3 Tod der Eltern oder eines Elternteils49
4.6 Gefährdung des Kindeswohls aus Sicht des Familiengerichtes50
4.6.1 gesetzliche Voraussetzungen der Kindeswohlgefährdung50
4.6.2 Die Rechtsfolgen56
5 verfassungsrechtliche Gesichtspunkte zum „Kindesschutz“58
5.1 Elternrecht als Elternverantwortung59
5.2 Das staatliche Wächteramt60
5.3 Adressat des staatlichen Wächteramtes61
5.4 Verantwortungsgemeinschaft von Jugendamt und Familiengericht62
6 Der Schutzauftrag des Jugendamtes bei Gefährdung des Kindeswohls64
6.1 Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII65
6.2 Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII)66
6.2.1 Voraussetzungen der Inobhutnahme67
6.2.2 Information der Eltern69
6.2.3 Freiheitsentziehende Maßnahmen70
6.2.4 Verwaltungsverfahrensrechtliche Ausgestaltung der Inobhutnahme71
7 Ausblick73
8 Literaturverzeichnis76
Anlagen76

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