B.3. Die Dimension „Mitarbeiterorientierung“
Mitarbeiterorientiert führen heißt, auf den Mitarbeiter individuell einzugehen um ihn zu befähigen, die Aufgaben möglichst gut im Sinne des Unternehmens zu erledigen.
Ansatzpunkt ist die Beziehung zum individuellen Mitarbeitenden
Die Führungskraft agiert in dieser Dimension weniger als Fachexperte, sondern mehr wie ein Mentor oder Coach. Ihr Ziel ist es, den Mitarbeiter gut und erfolgreich zu machen. Was dafür nötig ist, hängt von dem jeweiligen Menschen mit seiner Persönlichkeit, seinen Stärken und Schwächen ab. Also muss die Führungskraft in die persönliche Ebene investieren und eine gemeinsame Wellenlänge herstellen. So kann sie erkennen oder zusammen mit dem Beschäftigten herausarbeiten, was genau gebraucht wird, damit dieser eine gute Leistung erbringen kann.
Grafik 23: Ansatz beim Mitarbeitenden
Mitarbeiter sind keine Maschinen
Während der Industrialisierung waren die Arbeiter zu anonymen Bedienern von Maschinen geworden. Einerseits ermöglichte dies standardisierte Fertigungsprozesse mit einem ungeheuren Produktivitätsschub. Andererseits ging der Mensch mit seinen sozialen Bedürfnissen unter. Mitarbeiterorientierung in der Führung motivierte die Arbeiter und brachte sie zu besserer Leistung. Je qualifizierter die Mitarbeiter und je autonomer die Tätigkeiten wurden, desto wichtiger wurde dies. Heute ist uns dieser Gedanke selbstverständlich.
B.3.1. Mitarbeiterorientierung – praktisch
Den Mitarbeiter als Menschen sehen, was heißt das? Hier kommt es nun weniger auf die Arbeitsaufgabe an, sondern auf die Individualität des Beschäftigten. Einige Beispiele dazu:
Die Teamleiterin in der Bausparkasse hat bemerkt, dass eine Sachbearbeiterin zu vorsichtig agiert und sich unnötig absichern will. Sie sucht das Gespräch und ermutigt sie immer wieder, Entscheidungen selbst zu treffen.
Individuell auf jeden Mitarbeiter anders eingehen
In der Kfz-Werkstatt wird es immer wichtiger, dem Kunden nicht nur ein repariertes Auto, sondern auch ein gutes Gefühl zu geben. Deshalb kümmert sich der Werkstattmeister besonders um einen Kollegen, der stets etwas einsilbig mit Kunden umgeht. Er regt ihn an, etwas über die Reparatur zu erzählen, wenn der Kunde das Auto abholt. Er achtet auf solche Gespräche und gibt Anerkennung, wenn der Kollege sich dazu durchgerungen hat.
Die Kita-Leiterin weiß, dass es einer langjährigen Erzieherin besonders schwerfällt, Eltern gegenüber Kritik zu äußern, wenn diese sich nicht an Regeln halten, beispielsweise die Kinder zu spät abholen. Wenn so etwas passiert ist, bietet sie der Erzieherin regelmäßig an, sich über den Vorfall mit ihr auszusprechen. So kann diese den Stress leichter abbauen. Darüber hinaus bezieht sie diese Erzieherin mit ein, um ein großes Plakat für den Eingangsbereich zu gestalten, auf dem das Kita-Team „Wünsche an die Eltern“ visualisiert.
Auch wenn die Führungsgespräche jeweils andere Inhalte haben, liegt das Gemeinsame darin, den einzelnen Mitarbeiter gut zu kennen und auf ihn individuell einzugehen.
Mitarbeiterorientierung umfasst einerseits Wertschätzung und Unterstützung, andererseits auch Einbeziehen und Beteiligung. Hier ist eine Übersicht der verschiedenen Aspekte:
Grafik 24: Einzelne Aspekte von Mitarbeiterorientierung
Dialog und Austausch sind der Kern von Mitarbeiterorientierung
Mitarbeiterorientierte Führung vollzieht sich im Dialog. Automatisch denkt man an das klassische Führungsgespräch: ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Chef und Mitarbeiter, in dem es um neue Aufgaben, Kritik, Unterstützung, Motivation, Förderung oder Beurteilung gehen kann. Es darf allerdings keine Vortragsveranstaltung sein, in der ein Chef 90% Redeanteil hat. Auch wenn Führungskräfte einen hohen Gestaltungswillen haben, müssen sie sich zurückhalten und durch Fragen und Zuhören den Beschäftigten zum Reden bringen. Es lohnt sich, einfach neugierig darauf zu sein, was im Kopf des Gegenübers vor sich geht. So finden sie gute Ansatzpunkte wenn es gilt, ihn zu überzeugen.
Gelegenheiten, sich mitarbeiterorientiert zu zeigen, gibt es weitaus mehr als die klassischen Führungsgespräche. Jeder Kontakt kann so gestaltet werden, dass ein Mitarbeiter sich mehr oder weniger gesehen, geschätzt oder einbezogen fühlt. Wird eine kleine Aufgabe per Mail weitergeleitet oder mit einem kurzen Wort zwischen Tür und Angel? Geht die Führungskraft gedankenverloren zum Kopierer oder blickt sie in die Büros auf dem Gang und grüßt? Mit welcher Absicht macht der Chef die tägliche Runde durch die Abteilung (Management by Wandering around): um sich zu zeigen, um zu kontrollieren oder um sich für die Mitarbeitenden zu interessieren? Oftmals machen Kleinigkeiten den Unterschied aus.
Aufmerksamkeit für die Menschen im Team
Die Qualität von Mitarbeiterorientierung misst sich also nicht in langen Führungsgesprächen, sondern mehr in ständiger Aufmerksamkeit für die Menschen im eigenen Team. Dazu gehört auch in umgekehrter Richtung, dass der Vorgesetzte zugänglich ist, also dass er Wege und Zeitfenster bereitstellt, damit sich die Teammitglieder an ihn wenden können.
Ein weiterer zentraler Aspekt von Mitarbeiterorientierung liegt darin, Hilfe und Unterstützung zu geben. Die Führungskraft kann dazu eigene Ratschläge erteilen, aber auch durch Fragen zur Selbsthilfe anregen. Sie kann bei Problemen ganz praktisch unter die Arme greifen und mit anfassen. Oder sie kann durch organisatorische Dinge wie etwa Vertretungsregelungen die Arbeitssituation von Mitarbeitenden verbessern.
Mitarbeiterorientierung meint etwas anderes als nett sein
Aber Achtung: Individuell auf einen Mitarbeiter eingehen heißt nicht automatisch helfen und nett sein! Das Ziel der Sit plus+ - Führung ist es, den Beschäftigten zu entwickeln. Dafür kann es im Gegenteil sinnvoll sein, Hilfe zu verweigern, wenn das Teammitglied es selbst schaffen könnte, sich nur nicht traut oder sich anderweitig selbst auf den Füßen steht.
Das andere verbreitete Vorurteil besteht darin, „mitarbeiterorientiert“ mit „nett und harmonisch“ gleichzusetzen. Ähnlich wie gute Eltern, die ebenfalls Grenzen setzen und konfrontieren müssen, darf eine gute Führungskraft bei notwendiger Kritik nicht kneifen und einem Konflikt aus dem Weg gehen. Denn das führte zu einer Fehlentwicklung: Der Mitarbeiter glaubt, alles bestens zu machen, der Vorgesetzte wird jedoch immer unzufriedener und schreibt ihn schließlich vielleicht sogar ab. In unserer Arbeit haben wir mehr als einmal von solchen sogenannten Altlasten gehört.
Kritik muss auch wachrütteln können
Es fördert nach unserer Meinung die Kompetenzentwicklung eines Mitarbeiters, ihn beizeiten mit einer notfalls energischen Kritik aufzurütteln und zur Verbesserung zu bewegen, selbst wenn er es (noch) nicht einsieht. Auch Mitarbeiterorientierung als eher weiche Führungsdimension bedeutet immer noch Führen und nicht (dem Mitarbeiter) Folgen.
Bei guter Kompetenz ist Partizipation ein Muss
Wenn Mitarbeitende eine hohe Kompetenz aufweisen, dann kommt der Aspekt der Partizipation zum Tragen. Die Führungskraft gibt Verantwortung ab, indem sie die Beschäftigten einbezieht und über Dinge, die sie auch betreffen, mitentscheiden lässt. Die Beschäftigten erleben so, dass ihre Erfahrung gewürdigt wird. Sie können die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit mit gestalten. Das eigene Handeln bewirkt etwas, ein sehr befriedigendes Erlebnis. Die Mitarbeitenden haben Anteil an der Entwicklung der Firma.
B.3.2. Mitarbeiterorientierung in den vier Kompetenzgraden
Anders als die Aufgabenorientierung verläuft die optimale Mitarbeiterorientierung in Bezug zum Kompetenzgrad im Sit plus+ - Modell nicht linear.
Grafik 26: Verlauf der Mitarbeiterorientierung in Abhängigkeit vom Kompetenzgrad des Mitarbeitenden
Die Mitarbeiterorientierung soll im mittleren Kompetenzbereich des Mitarbeiters am höchsten ausgeprägt sein. Sowohl bei geringer wie auch bei sehr hoher Kompetenz ist sie weniger wichtig. Dann stehen andere Führungsdimensionen im Vordergrund.
Anfängerfragen sind meist ähnlich
Beschäftigte mit einem niedrigen Kompetenzgrad, beispielsweise Anfänger, stellen meist ähnliche Fragen. Bei den Antworten ist ein individuelles Eingehen schlichtweg nicht nötig. Natürlich soll man nicht unfreundlich sein, nur hilft ihnen beispielsweise eine klare Checkliste mehr als jedes Einbeziehen. Denn fragt die Führungskraft jemanden mit geringer Kompetenz, wie er vorgehen würde, bringt sie ihn nur in eine schwierige Lage. Er hat wahrscheinlich keine Ahnung und stottert herum. Oder er schlägt etwas...