ANKOMMEN
SYRAKUS
Ich liebe Ortigia, das ist wahr! Der Charme und die Anmut deiner Jahrtausende währenden Erfahrung, deine betörende Vielfalt, die mich verführt und der Poesie anheimstellt, ob deiner Formen, Pracht und Einzigartigkeit. Die mannigfältige Mischung deiner Kulturen sollte jedem europäischen Zweifler der Gegenwart als Vorbild dienen. Der Wonne deiner Sinnesfreuden verfallen, trunken von deiner Lebenskraft grüße ich "meine“ Fischersfrau, die mich so viel, so leicht und lachend gelehrt.
KAPITEL EINS
SYRAKUS
Oh Syrakus! Der Beginn der Sizilianischen Sehnsucht am 15. April 2016. Freunde aus Berlin stellten mir ihr wunderschönes Refugium, ein Stadthaus aus dem 17. Jahrhundert, zur Verfügung. Danke! Es war viel geschehen, und ich brauchte dringend Einkehr.
_Das Haus liegt in einer Gasse der Altstadt von Syrakus, auf der Halbinsel Ortigia. Ein typisch italienisches enges Gässchen mit Kabeln und Wäscheleinen, die die nah beieinanderstehenden Häuser miteinander verbinden und eine sehr belebte Atmosphäre schaffen. Eine grüne Tür aus alten Zeiten, mit einem Eisengitter gesichert. Das Haus ist dreistöckig, mit einer Terrasse auf dem Dach, die mit der Küche verbunden ist. Man hört das Meer und spürt den Wind, sanft und warm. Hier werde ich meine ersten Kochexperimente wagen.
Auf historischen Pfaden zum Markt
_Mein erster Ausflug führt mich ans Meer. Über die kleine Brücke zum Aussichtsplatz und von dort die Küstenstraße und immer am Wasser entlang. Vorbei an der halb zerfallenen Kirche Spirito Santo bis hin zum Castello Maniace auf halber Strecke. Eine monumentale Festungsanlage, bei der man sofort von klassischen Theaterstücken und Mantel-und-Degen-Filmen träumt. Auf die dicken, alten Wehrmauern kann man klettern und blickt dann aufs Meer, das die Sonnenstrahlen reflektiert. Herrlich! Von hier sieht man schon den Porto Grande. Ich folge einer Promenade mit Cafés und Restaurants bis zum berühmten Brunnen der Aretusa. Seiner Berühmtheit zugrunde liegt die Sage von der Nymphe Aretusa und dem Jäger Alpheios. Durch ihre Liebe verschmolzen eine Süßwasserquelle und ein Fluss und schenkten Syrakus Trinkwasser.
_Danach führt der Rundweg durch eine Grünanlage mit uralten Bäumen – abends ein beliebter Treffpunkt für Verliebte, die auf den Bänken durch den Blätterwald vor neugierigen Blicken geschützt sind. Dann kommt man zum Hafen, seit Neuestem mit einem Kai für Kreuzfahrtschiffe, leider. Dahinter liegt der Jachthafen mit vereinzelten modernen Luxusmotorjachten, die in ihrem verspiegelten Silber eher an Kriegsschiffe erinnern als an Freude und Genuss. Protzige Geschmacklosigkeiten, wahrscheinlich für viel Geld. Mein Weg ist von Platanen und einer alten Mauer mit Treppen und Wasserspeiern gesäumt. Dazwischen Bars und Eiscafés. Später entdecke ich den Fischereihafen mit alten Kuttern und bunt bemalten Holzbooten.
_Gegen Ende meines Rundgangs passiere ich noch den Apollontempel, erbaut 570 v. Chr., und erreiche dann die Touristenstände und den Markt. Eine unglaubliche Fülle und Vielfalt. Eine sinnliche Explosion, ein glänzender Vorgeschmack auf die Küche Siziliens. Davon hat Marios Mama immer so geschwärmt.
In der Zauberwerkstatt des Panino-Meisters
_Ich sehe Stände mit frischem, sonnenverwöhntem Obst und Gemüse, in leuchtenden Farben. Vielerlei Gewürze, wie ich sie sonst nur auf den Märkten Nordafrikas erwartet hätte, eine ungeheure Auswahl an italienischem Käse, wie man sie bei uns nur in Feinkostläden geboten bekommt, aber auch Geschäfte und Stände mit frischem Fleisch und Fisch. Das gesamte Spektrum maritimer Köstlichkeiten ist zu finden, von Scampi über Tintenfische bis zu Sardinen – ganz oder filetiert –, Seeteufel und Barsch. Ich entdecke rötlich gefärbte Meerbarben, Makrelen sowie riesige Thun- und Schwertfische. Mein erster Kontakt zur Bevölkerung ist die fröhlich lachende Fischersfrau, die mir mit Händen und Füßen behilflich ist. An anderen Ständen entdecke ich die benötigten Kochutensilien. Die Arbeitstiere Italiens, die Ape, die berühmten Dreiräder der Firma Piaggio, dienen vielfach als Marktstände. Eine äußerst lebendige Betriebsamkeit erfüllt die kleine Straße mit Treppen, Hausein- oder -aufgängen und Garagen, zum Teil mit blechernen Rollläden.
_Gleich am Anfang des Markts gibt es mehrere Geschäfte, besser gesagt: Bars, die mich an meinen Hunger erinnern. Im zweiten Laden stehen die Menschen bereits Schlange und warten auf etwas, ohne dass ich wüsste, worauf, das nun aber auch mein Interesse weckt. Zuerst muss man eine Nummer ziehen. Die Kunden sehen äußerst erwartungsvoll aus.
_Ich rücke langsam auf, Minuten vergehen. Dann endlich erkenne ich, was die Wartenden so in seinen Bann zieht: Der Magier, der Zauberer des Panino, hält Hof, umgeben von einer begeisterten Schar von Anhängern oder sagen wir ruhig: Jüngern. Der Künstler arbeitet nach Auftrag oder entwirft Unikate, je nach Wunsch. Sensationen des Geschmacks und der Esskultur. Dabei geht es um eine italienische Variante des Fast Food, erschaffen mit einer Hingabe, Leidenschaft und Begeisterung, wie man sie sonst nur von bildenden Künstlern im Schaffensrausch kennt. Ein Feuer der Lust und Kreativität, ein unglaublicher Schöpfungsakt. Wir Kunden stehen mit offenen Mündern, in sehnsuchtsvoller Erwartung, und folgen jedem Handgriff des Meisters. Wie er mit Feuer, Messern und Händen komponiert, formt und jedem von uns dabei ein fröhliches Lächeln schenkt, uns sogar am Prozess teilhaben lässt. Wie er kurze, knappe Fragen einschiebt, um unser Vergnügen auf dem Weg zum Höhepunkt noch zu veredeln. Eine Offenbarung!
_Als ich endlich an der Reihe bin, klebt meine Nase an der Auslagenscheibe, meine Zunge muss gewachsen sein und ist dem Boden erschreckend nähergekommen. Ich atme nun mit jedem seiner Handgriffe. Wie er schneidet, faltet, träufelt, wickelt und flambiert. Natürlich überlasse ich ihm vertrauensvoll die Schöpfung meines individuellen Brotwerkes. Er lässt mich großherzig einige der Ingredienzien probieren, steigert damit meine Vorfreude und segnet meinen Morgen. Dann verschwindet mein Kunstwerk mundgerecht geschnitten in Pergamentpapier. Ich knie nieder, erbitte die Bezahlung, verstaue sorgsam seine Kreation, zahle und eile davon.
_Mein verpacktes Brotkunstwerk bringe ich über die Brücke auf die Mauer. Dort verzehre ich es genussvoll mit Meerblick. Es ist eine Köstlichkeit. Eine Komposition aus flambiertem Mozzarella, in Verbindung mit in Schinken gewickelten Antipasti bestehend aus getrockneten Tomaten, eingelegten Zwiebeln und Zucchinischeiben, unterlegt mit grünem Pesto und bestreut mit Kapern.
_Wunderbar, molto gusto, ein großes Vergnügen. Ich schwöre, Maestro, Sie haben mich nicht das letzte Mal gesehen. Ich komme wieder, ohne Frage, denn diese Panini sind nicht nur optisch eine wahre Epiphanie. Ich will mehr!
Den Reichtum entdecken
_Wie und was man kocht und zaubert – das will ich lernen bzw. kennenlernen, die sizilianische Küche in ihrer kulturellen Vielfalt und am besten von den Einheimischen, den Sizilianern, meiner wunderbaren Fischersfrau oder den Mamas wie der von Mario.
_Es gibt einen Grund, der mich hierher geführt hat. Leite mich und erleuchte mein Leben. Schließlich haben wir doch nicht umsonst Lena O. zwanzig Jahre lang vor dem Verhungern gerettet, wenn auch nur mit „Miraculix“. Es wird Zeit.
_Zwei Ecken weiter entdecke ich mein Refugium. Siesta, wie im Süden üblich.
_In den nächsten Tagen wiederhole ich die ortigiastischen Rundgänge und durchkreuze die Halbinsel auf der Suche nach Entdeckungen, bei Tag und bei Nacht. Ich fahre ins Umland nach Noto und Avola, wandere in der Cava Grande mit wilden Ziegen, Hütehunden und Kaskaden und erkunde den Parco Naturale di Vendicari. In Chiaramonte Gulfi schließlich besuche ich einen Salami-Traditionalisten. Köstlich! Welcher Geschmacksreichtum!
PANINO GIGANTE
CON ARINGA AFFUMICATA
Riesenpanino mit Bückling
Für 1 Panino oder 2 Personen: 1 Filone (längliches Weißbrot, ersatzweise Baguette), ca. 50 cm lang • 1 grüne Zitrone, Verdelli-Zitrone (grüne Sommerzitrone) oder Limette • 1 gelbe Zitrone • Olivenöl Extra Vergine • Saft von ½ Orange • 1 Tomate • 80 g Romanasalat • 3 eingelegte grüne Peperoni • 150 g Bücklingsfilet • 1 Mozzarella • 10 schwarze Oliven mit Stein • Salz • frisch gemahlener schwarzer Pfeffer
_Das Brot längs aufschneiden, Zitronen waschen und halbieren. Eine Brothälfte mit Olivenöl, etwas Zitronen- und dem Orangensaft beträufeln. Zitronen anschließend in sehr feine Scheiben schneiden und zur Seite legen.
_Tomate waschen, klein schneiden und die Brothälfte damit belegen. Salat waschen, mit den Peperoni ebenfalls klein schneiden und auf dem Brot verteilen. Bücklingsfilet grob hacken und auf den Salat geben. Mozzarella in Stücke reißen. Oliven mit der flachen Seite eines Messers zerdrücken, entsteinen und mit dem Mozzarella auf dem Panino verteilen.
_Mit den Zitronenscheiben belegen, nochmals mit Olivenöl beträufeln und mit Salz und Pfeffer würzen. Die andere Brothälfte etwas aushöhlen, auf die untere Hälfte legen und servieren.
_Zubereitungszeit: 15 Minuten
Der Panino lässt sich auch mit vielen weiteren sizilianischen Zitrusfrüchten wie z. B. Mandarinen, Clementinen oder...