Genetische Vielfalt (S. 241-242)
Nicht nur in der Biologie ist genetische Vielfalt Voraussetzung für langfristige Gesundheit, sondern auch im Unternehmen. Durch Ausbildung, Berufs- und Lebenserfahrung bildet sich der Wahrnehmungshorizont des einzelnen Managers. Er hat mit der Zeit eine Reihe feststehender Auffassungen über seinen Wirtschaftszweig und dessen Entwicklung, eine Art „genetischen Code", der sein Handeln bestimmt. Der durchschnittliche Manager lebt in diesem Rahmen. Er weiß nicht, was außerhalb liegt und, schlimmer noch, er weiß auch nicht, dass er es nicht weiß. Durch die Einstellungspraxis der meisten Unternehmen potenziert sich dieser Effekt eingeschränkter Wahrnehmung, denn es werden immer ähnliche Typen eingestellt. Hamel und Prahalad warnen: „Eine Industrie, deren Protagonisten allesamt Klone sind, ist ein gefundenes Fressen für jedes Unternehmen, das nicht im vorherrschenden Managementrahmen gefangen ist." Prominentes Beispiel aus den 90er-Jahren war Virgin Atlantic, die 1994 etablierte Fluglinien wie American und United Airlines in der Zahl der Transatlantikpassagiere überflügelte.
Unternehmen, die in komplexen Märkten ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten wollen, müssen also „genetische Vielfalt" entwickeln. Dies kann geschehen durch unternehmerische Initiativen und durch Einstellen Andersdenkender – denen dann aber auch entsprechende Einflussmöglichkeiten einzuräumen sind. Ist das Unternehmen bereits mit nicht mehr zeitgemäßen „Klonen" überfüllt, ist eine „Gentherapie" von Nöten. Das bedeutet, defekte Gene auszutauschen.
Es reicht nicht, eine lernende Organisation zu sein, sondern sie muss auch gezielt das „verlernen", was überholt ist, auch wenn es genau die Verhaltensweisen und Einstellungen sind, die das Unternehmen früher stark gemacht haben.
Nur wenige Unternehmen sind bislang in der Lage, sich derart neu zu erfinden und immer wieder innovativ am Markt zu positionieren. Motorola gehört zu den Ausnahmen. Es stieg in den Halbleiterbereich ein, erneuerte sich ein zweites Mal, indem es sich auf Handys konzentrierte und wagte die Erneuerung zum dritten Mal als Hersteller von Unterhaltungselektronik.
Vorausblick entwickeln
Um Vorausblick zu entwickeln, muss erst einmal die Notwendigkeit dafür erkannt werden. Manager wissen in aller Regel, wie stark sich ihr Wirtschaftszweig im letzten Jahrzehnt verändert hat, sind aber vielfach nicht darauf vorbereitet, dass sich ihr Geschäft auch in Zukunft wesentlich verändern wird. Hinzu kommt eine gewisse Betriebsblindheit. So stellen die Führer eines großen Unternehmens zum Beispiel stolz fest, dass ihre Firma seit Jahren auf Wachstumskurs ist, übersehen dabei aber, dass die Produktivität pro Mitarbeiter gesunken ist.
Ein weit verbreiteter Glaubenssatz lautet, dass es für große Unternehmen fast unmöglich sei, innovativ zu sein. Hamel und Prahalad argumentieren dagegen, dass die Vorstellungskraft der Mitarbeiter großer Unternehmen nicht geringer ist die in kleineren Firmen. Was Innovation abwürgt, sind umständliche Genehmigungsverfahren, die dafür sorgen, dass viele Ideen gar nicht erst an der Unternehmensspitze ankommen.
Wer sich am Markt behaupten will, muss bereits die ersten Entwicklungszeichen am Markt erkennen und zu deuten wissen. Voraussetzungen sind fundierte Einsichten in die Entwicklung von Lebensgewohnheiten, Technologien, von der Bevölkerungsstruktur und der Geopolitik, aber ebenso von Vorstellungsgabe und die Fähigkeit, Vorhersagen zu treffen. Walt Disney nannte diese Fähigkeit „Imagineering".
Hat die Unternehmensführung erkannt, dass Voraussicht überlebensnotwendig ist, muss sie hinreichend Zeit, Raum und Arbeitskräfte einplanen, um Trends und Entwicklungen antizipieren zu können.