Die Menstruation – eins unserer letzten Tabus
Wer hat eigentlich mehr Probleme mit der Menstruation, Frauen oder Männer? Wechseln wir einfach einmal die Perspektive und stellen uns vor, Männer würden fünf Tage lang ununterbrochen bluten – und trotzdem weiterleben!
Wir wissen, was ein Männerschnupfen aus ihnen macht, würden täglicher Blutverlust und starke Unterleibskrämpfe sie endgültig in die Knie zwingen? Weit gefehlt.
Ja, sie würden leiden, aber danach würden sie sich lautstark abfeiern und gegenseitig übertrumpfen: »Alter, hab ich geblutet! Und diese Schmerzen! Ich komm ja nur noch mit den größten Tampons klar, diese kleinen Dinger sind echt nur für Anfänger!«
Jeder einzelne Mann wäre plötzlich ein medizinisches Wunder und dem Tod nur knapp von der Schippe gesprungen. Aufmerksamkeit, bitte! Vielleicht etwas Szenenapplaus?
Die kleinen Jungs würden sehnsüchtig darauf warten, endlich in den Kreis der Menstruierenden aufgenommen zu werden, und dann – hey! – ein Herrengedeck bitte! Jetzt bist du ein echter Mann! Das muss gefeiert werden, und alle Welt soll es wissen! Warte, ich poste das gleich mal…
Man stelle sich vor, unter diesen Umständen nicht zum blutenden Teil der Bevölkerung zu gehören. Ihr wollt gleichberechtigt sein, gleich viel verdienen und in Spitzenpositionen arbeiten? Aber ihr blutet nicht mal! Was habt ihr für eine Ahnung vom Leben? Und denkt dran: menstruierende Männer haben ein Vorrecht auf Sitzplätze, dürfen sich in Schlangen vorne anstellen und werden beim Arzt zuerst drangenommen. Tampons und Binden sind plötzlich Statussymbole, aber sie werden selbstverständlich von der Krankenkasse bezahlt. Ach ja, und wir sollten dringend über zusätzliche Urlaubstage für Männer nachdenken.
Alles Quatsch? Schwer zu sagen, aber solche Gedanken hat die amerikanische Journalistin Gloria Steinem bereits vor 40 Jahren in ihrem Essay If men could menstruate zu Papier gebracht. Und was ist seitdem passiert? Nichts! Auch US-Comedystar Chelsea Peretti ist überzeugt, dass wir uns vor Menstruationswitzen nicht mehr retten könnten, wenn die andere Hälfte der Menschheit sich einmal im Monat damit herumschlagen müsste: »Wenn Männer ihre Periode hätten, wären 90 Prozent der Stand-up-Comedians Leute, die rumrennen und kreischen: »Ich habe aus dem Schwanz geblutet!« Das sollte man wirklich zu Ende denken: Mario Barth hätte endlich ein neues Thema!
Auf YouTube1 habe ich ein paar smarte amerikanische Jungs entdeckt, die sich einem besonderen Versuch ausgesetzt haben. Sie wollten wissen, wie es sich anfühlt, die Periode zu haben. Also wurden sie mit einer Art Beutel, wie er bei der Bluttransfusion verwendet wird, ausgestattet, aus dem über mehrere Tage gleichmäßig Blut in ihre Unterwäsche tröpfelte – und natürlich waren die jungen Männer besonders am ersten Tag völlig überfordert (wie wir es als Mädchen am Anfang auch sind). Blutflecken auf der Kleidung standen auf der Tagesordnung, und die Jungs waren schnell genervt davon, ständig zur Toilette zu müssen. Sie wollten einfach nur nach Hause aufs Sofa – und das, obwohl sie weder unter Bauchkrämpfen noch unter Stimmungsschwankungen zu leiden hatten. Ihr Verständnis und ihr Mitgefühl für Frauen, die dieses ganze Theater jeden Monat still und heimlich über die Bühne bringen, ist durch diese Erfahrung jedenfalls enorm gestiegen.
Wir Frauen bluten und schweigen, jeden Monat wieder, von Menstruationsblut will und soll schließlich keiner etwas wissen, es ist offensichtlich eklig und scheint sogar irgendwie unheimlich zu sein.
Der Satz »Die hat wohl ihre Tage…« wird immer noch als dümmste Beleidung aller Zeiten aus dem Hut gezaubert, sobald einem Mann nichts mehr einfällt. Das hat auch Donald Trump in seinem Wahlkampf unter Beweis gestellt. Nachdem Megyn Kelly, Moderatorin von Fox News, ihn anständig gegrillt hatte, begann er zu fabulieren: »She had blood coming out of her eyes, blood coming out of her wherever.« Oh je, hat da jemand Angst? Aber wovor, bitte?
Als kleines Dankeschön hat die Künstlerin Sarah Levy mit ihrem eigenen Menstruationsblut ein Porträt von ihm gemalt und für einen guten Zweck versteigert. Das Kunstwerk trägt den schönen Titel »Bloody Trump«.
Von der Erdbeerwoche bis zur Roten Zora – wie wir um Worte ringen, statt die Dinge beim Namen zu nennen
Dass wir ein Problem mit der Menstruation haben, erkennt man auch an unseren Euphemismen, diesen wundersamen Ausdrücken, die wir verwenden, wenn wir eine Sache lieber umschreiben möchten, statt sie klar zu benennen. Plötzlich befinden wir uns in der »Erdbeerwoche« oder haben Besuch von »Tante Rosa«, die Aufmüpfigeren von uns empfangen die »Rote Zora« oder lassen ganz mutig die »Rote Armee« einmarschieren. Bei den Pragmatischen sind gerade die »Maler im Keller«, oder sie reiten das »Baumwollkamel«, und ältere Generationen sprechen allen Ernstes von der »Erbsünde« oder einfach der »Sach«.
Aber keine Sorge, nicht nur hierzulande fehlen uns die richtigen Worte, wenn es um die natürlichste Sache der Welt geht. Im englischsprachigen Raum ist man ebenfalls sehr kreativ, das stellen Ausdrücke wie »Aunt Flow« oder »Shark Week« unter Beweis. Besonders gut gefällt mir »Arts and Crafts Week at Panty Camp« (Kunsthandwerk im Höschen-Camp), dagegen klingen die »Calendar Days« (Kalendertage) eher langweilig – und seine Periode als »The Curse«, also als Fluch zu bezeichnen, spiegelt auch nicht gerade ein positives Körpergefühl wider. Also lieber »Blowjob Week«? Okay, man muss keine Feministin sein, um da die Augen zu verdrehen.
Mit einem dezenten Hinweis auf den Tomatensaft-Cocktail »Bloody Mary« kann man sich möglicherweise sogar international verständigen.
Die Schweden haben ein Pendant zur Erdbeerwoche, das ihrer Pflanzenwelt entspricht: »Ligonveckan«, zu Deutsch: Preiselbeerwochen. Die Französinnen sagen »Les Anglais ont debarqué« (Die Engländer sind angekommen) oder »Elle a ses Anglais« (Sie hat die Engländer da). Sie scheinen ihrer Menstruation also nicht viel abgewinnen zu können, denn der Ausdruck ist ein Verweis auf Napoleons Schlacht von Waterloo im Jahr 1815, bei der die Engländer in ihren roten Uniformen Napoleon besiegten, in Frankreich einmarschierten und das Land besetzten.
Jetzt mal zum blutigen Ernst, der hinter so viel Sprachfantasie steckt: Euphemismen haben eine Funktion, sie verschleiern und beschönigen das, worum es wirklich geht. Ist die Menstruation also so ekelhaft und abstoßend, dass wir neue Wortschöpfungen brauchen, um überhaupt darüber sprechen zu können? Theoretisch nicht, denn es geht lediglich um rund 30 bis 60 Milliliter Blut, die der weibliche Körper einmal im Monat ausscheidet, und das mit einem hehren Ziel: Um im nächsten Monat wieder empfängnisbereit zu sein. Das war es auch schon, warum also diese Heimlichtuerei?
Die Firma SCA (ein Unternehmen für Hygiene- und Forstprodukte, zu dem auch Tempo, Tena und Zewa gehören) hat 2016 den »Hygiene Matters Report« vorgestellt und bringt erschütternde Ergebnisse ans Licht: »Die Menstruation ist für 18 Prozent der Frauen in Deutschland ein Tabuthema, über das sie niemals sprechen. Wenn überhaupt, dann findet ein Gespräch am häufigsten zwischen Mutter und Tochter (60 Prozent) oder mit einer Freundin (52 Prozent) statt. Knapp jede fünfte Frau (19 Prozent) hat schon einmal mit ihrem Partner über ihre Regel gesprochen. Väter spielen mit 3 Prozent als Gesprächspartner kaum eine Rolle.«2
Ich glaube diesen Zahlen sofort und stelle fest, dass ich mit meinem Vater zum ersten Mal in meinem Leben über das Thema gesprochen habe, als ich wusste, dass ich dieses Buch schreiben würde – mit Anfang 40.
Die Umfrage von SCA hat außerdem ergeben, dass sich jede fünfte Frau und jeder dritte Mann schämt, Binden oder Tampons zu kaufen. Und hat nicht schon jede von uns einmal diese Dinger auf dem Band vor einem großen Paket Klopapier versteckt, damit der Mann hinter einem nicht sieht, dass man a) überhaupt welche kauft und er b) nicht Wörter wie »Super Plus« liest und sich entsprechende Gedanken darüber macht.
Noch schlimmer ist es, wenn Frauen in einer misslichen Lage ein Tampon fehlt. Sofort entwickeln sie mehr kriminelle Energie als ein professioneller Drogenkurier am Frankfurter Hauptbahnhof, damit bloß niemand die Übergabe von drei Gramm gepresster Watte bemerkt.
Stellen wir uns zwei Frauen am Arbeitsplatz vor, die sich gegenübersitzen:
Frau 1: »Pssst, hast du was dabei?«
Frau 2: »Häh?«
Frau 1: »Du weißt schon…« Verdreht die Augen in Richtung Unterleib und flüstert: »Ich hab da gerade einen Notfall.«
Frau 2 (senkt ebenfalls die Stimme): »Ach so, klar, warte, ich guck mal.« Sie kramt in ihrer Tasche, ihrem Rollcontainer, noch mal in der Tasche, flüstert: »Tampon, normale Größe?«
Frau 1 nickt. »Ich nehme gerade alles, was ich kriegen kann. Pack ihn doch zu den Unterlagen von vorhin und gib’ mir den ganzen Ordner rüber.«
Mission accomplished. Frau 1 schmuggelt daraufhin den Tampon mit großer Raffinesse aus dem besagten Ordner in ihre linke Hand und hält ihn ab da so fest umschlossen, dass ihre Knöchel ganz weiß werden. Oder trägt sie vielleicht doch einen Zeitzünder oder einen USB-Stick für den russischen Geheimdienst mit sich herum? Es sieht fast so aus… Dann verschwindet sie schnell und doch irgendwie unauffällig auf der Toilette und überlegt...