Hinführung
«Alles, was entsteht, muss wieder vergehen.»
Dies ist die kürzeste Form, die Lehre des historischen Buddha zu interpretieren. Er erkannte klar, dass alles Leben durch Vergänglichkeit, Krankheit, Alter und Tod eingegrenzt ist. Natürliche Gesetzmäßigkeiten im Bereich des Daseins, der Ebene materieller Manifestation, die in der jeweiligen geistig-energetischen Disposition des einzelnen Wesens gleichwohl in Form, Art und Wahrnehmung begründet sind, stellen in ihrer Wirkung die Ursache für diese Eingrenzung dar. Eines ergibt das andere. Nichts, gar nichts, was immer wir tun (oder nicht tun, denn auch das ist Tun), bleibt ohne Konsequenz, ohne ein abhängiges Entstehen. Karma, die Ursache, und Vipāka, die Wirkung, begründen den Daseins-Kreislauf, den Saṃsāra, und hierin formen wir so lange neue Ursachen, neue Wirkungen, bis wir endlich verstehen, warum dies alles so ist.
Wir müssen lernen, gleich, ob wir wollen oder nicht, die jeweiligen Konsequenzen für unser Tun und Lassen zu tragen, und zwar in einer Weise, die wir uns ganz sicher nicht vorstellen können. Wir müssen akzeptieren, was wir getan oder eben nicht getan haben, und niemand fragt, ob es uns etwa gefällt, was aus unserem Handeln folgt. Nein, niemand, abgesehen von uns selbst. Wir fragen uns ständig. Denn, was wir nicht akzeptieren, das führt uns weg von unserem Ursprung. So gibt es keine Selbstwesensschau, schon gar keine Selbstannahme im eigentlichen Sinn. Mit Reizeinflüssen der materiellen Welt überflutete Menschen auf angeblichem Selbstfindungsweg, in Wirklichkeit jedoch nachgerade in rasender Flucht vor sich selbst befindlich, verdrängen die tiefe Wahrheit in sich. Sie wollen sie nicht, weil sie nichts von ihr verstehen. Es scheint bequemer, eine trügerische Sicherheit in der materiellen Welt zu suchen. Man denkt, wirkliche Sicherheit kaufen zu können. Dabei muss man ja nicht weiter über die Begrenztheit materieller Existenz nachdenken. Man flüchtet sich aufgrund des inhärenten Strebens des Geistes nach einer beständigen Sicherheit in eine eigene kleine Welt voller Illusion und Täuschung. Und je tiefer die Illusion und Täuschung die Menschen in einer Schein-Sicherheit, einer Schein-Freiheit, einem Schein-Glück wiegt – desto mehr glauben diese Armen, dass sie erreicht haben, was es zu erreichen gibt. Während der, angesichts der Unvorstellbarkeit der Ewigkeit im beständigen Hier und Jetzt unmittelbarer Gegenwart, doch nur winzig kleinen Zeitspanne ihrer aktuellen materiellen Manifestation mögen manche Menschen scheinbar sehr reich, aus ihrer Sicht auch sehr glücklich sein. Sie können sich alles kaufen. Alles habe ihrer Meinung nach ja nur seinen Preis. Sie wähnen sich frei und glücklich. Diese Menschen selbst denken es von sich. Andere Menschen denken über dieses scheinbare Glück, diese scheinbare Freiheit, voller Neid und Missgunst. Wie viel Leid hat allein dieses tiefe, so weit verbreitete eigene innere Missverständnis schon gebracht?!
Es ist nur ein Traum.
Niemand kann wirklich unwandelbares, unvergängliches Glück erreichen, wenn er nicht zuvor die beiden Ebenen der Wirklichkeit als eine einzige ultimative Wahrheit erfahren – und dies im alltäglichen Dasein umgesetzt, verwirklicht, hat.
Das Dasein eines solchen Menschen erweitert sich in ein So-Sein, letztlich nur noch in ein einfaches Sein. Solch ein Mensch hat dann den Zustand des dynamischen Nirvāṇa verwirklicht. Er ist unvergänglich und unwandelbar glücklich. Er unterliegt keinerlei Bedingtheiten mehr. Was er braucht, kommt von selbst. Solch ein Mensch ist ein Segen für die Mitmenschen.
Hier geht es um die eben erwähnten beiden Ebenen der Wirklichkeit, die zwei Ebenen, die als eine einzige ultimative Wahrheit erfahren werden und entsprechend der Erkenntnis aus dieser Erfahrung heraus im Alltag umgesetzt werden müssen. So ist es.
Dies ist eine naturgesetzliche Bedingtheit, der alle materiell manifestierten Wesen unterworfen sind, und zwar, ob es ihnen nun passt oder eben nicht. Es geht hier nicht und niemals darum, was wir uns wünschen, oder nach dem, was wir etwa gar wollen … Nein … Nein … Nein … Es geht einzig darum, was wir wirklich begriffen haben, und dies nicht auf der Ebene des diskursiven Intellekts. O nein, nicht innerhalb sämtlicher Ebenen begrifflichen Denkens vermögen wir faktisch auch nur das Mindeste gegen unsere materielle Abhängigkeit, ja, unsere materielle Unterworfenheit unter die bedingungslose, für den gewöhnlichen Menschen schlichtweg nicht nachzuvollziehende Gerechtigkeit der natürlichen Gesetzmäßigkeit zu tun. Der Mensch täte fürwahr gut daran, bescheidener aufzutreten. Er täte gut daran, mit dem, in das hinein er für die kurze Spanne seiner materiellen Existenz geboren wurde, sorgfältiger umzugehen. Es würde dem Menschen in der Tat zum Heil gereichen, empfände er in seinem alltäglichen Leben, was immer er auch gerade tun oder unterlassen mag – Andacht; denn dann wäre ihm klar, dass es immer nur ein Hier und Jetzt gibt.
Empfände er – die Krone der Schöpfung –, so etwas wie Demut, wahre Demut – nicht dieses unterwürfige Geheuchle, das ohnehin nur Frust erzeugt und somit die riesige, unvorstellbare Lebenslüge um ein Weiteres vergrößert –, dann würde er sehen, dass sich seine eigene Daseinsproblematik und die der allermeisten Menschen einzig und allein durch heuchlerische Selbsttäuschungen immer weiter potenziert.
Irdische Gerechtigkeit, wie sollte sie wohl aussehen? Man erzählt so viel davon … doch es gibt sie nicht.
Irdischer Friede, was sollte das wohl sein? Man erzählt auch hiervon so viel … und doch werden zurzeit weltweit über vierhundert bewaffnete Konflikte ausgetragen.
Unabhängigkeit, wie oft haben die politischen Führer dieses Wort missbraucht … bis ganze Völker schließlich endgültig – in welcher Form auch immer – versklavt waren.
Wahre, tatsächliche, vollkommene Gerechtigkeit, wahrer Friede und wirkliche Unabhängigkeit sind ausnahmslos universelle Eigenschaften und Seinszustände, nämlich aufrechte, bedingungslose Liebe ohne Ausschließlichkeit und Bevorzugung. Liebe ohne Ausschließlichkeit und Bevorzugung ist immer zugleich aufrechtes, bedingungsloses Mitempfinden. Mitempfinden ist immer auch aufrechte, bedingungslose Mitfreude mit der Freude jedes anderen Menschen. Mitempfinden ist immer auch tiefster Gleichmut.
Dies ist bei dem zu sich selbst zurückgekehrten Menschen aus dem Verstehen der Erfahrung unserer aller letztendlich gemeinsamer und untrennbarer Wirklichkeit gereift, in universelle Größe gewachsen. Eine materielle Manifestation, von den Menschen zumeist «Leben» genannt, in welcher Form und innerhalb welcher Wahrnehmungsebene auch immer, bedingt erst die Erfahrung der Einheit mit dem gemeinsamen Urgrund. Was die Menschen allgemein Leben nennen, ist faktisch immer nur als abhängiges Entstehen zu betrachten. Es gibt kein einziges Wesen, das – in welcher Form und wo auch immer – für sich selbst allein und unabhängig vom existenziellen Urgrund zu leben vermag.
Jedoch gibt es Menschen, die in einem unwandelbaren Glück, die in vollkommener Harmonie zu leben vermögen. Nichts und Niemand kann solchen Menschen dieses tiefe Glück, diese absolute Harmonie nehmen, innerhalb keiner Ebene dieser Erscheinungswelt der Dinge, Illusionen, Phänomene.
Warum dies so ist? Ganz einfach. Diese aus unser aller gemeinsamen Wesensnatur – oder welchen Namen man dem göttlichen Urgrund an welchem Ort auch immer gegeben haben mag – heraus bewusst lebenden Menschen sind hier und jetzt im ewigen Sein.
Sie unterscheiden sich in der Wahrnehmung gewöhnlicher Menschen äußerlich nicht von denen mit noch tierähnlichem Bewusstsein.
Sie sind jedoch nicht mehr von der bisherigen Entwicklungsstufe gewöhnlicher Menschen. Sie sind einfach. Ein gewöhnlicher Mensch erkennt nicht den Unterschied des Erleuchteten zum Durchschnittsmenschen. Der Unterschied ergibt sich aus der Schau der ultimativen Wahrheit, der letztendlichen Wirklichkeit dieses Menschen durch seine allein auf der Erfahrung des Selbst beruhenden Geisteshaltung. Ein wirklich Sehender hat seinen Urgrund geschaut, lebt in der Konsequenz aus dieser Erfahrung der Wesensnatur heraus in dem alten Wissen der Weisheit des Dharma-Bereiches, der vollkommenen Einheit mit allem.
Wie könnte ein gewöhnlicher Mensch auch wahren Frieden erkennen? wahrer Frieden entzieht sich der begrifflichen Vorstellung, da er nicht bedingt, sondern unbedingt ist.
Die Kōan-Schulung führt den Menschen auf dem Weg zurück zu sich selbst. Es geht ja auch um nichts anderes, als sich selbst, als sein Selbst verstehen zu lernen. Die Konsequenz daraus ist die Versöhnung mit dem eigenen Selbst, die Selbstannahme.
Ein Kōan ist ein mit dem diskursiven Intellekt nicht lösbares Rätsel. Ein Kōan ist nur lösbar durch jene aus Erfahrung des Selbst resultierende Erkenntnis ultimativer Wahrheit, in der es dann keine, absolut keine durch intellektuelle Aktivitäten bedingte Unterscheidung mehr gibt.
Wer diese Erfahrung gemacht hat, der weiß, dass er endlich wieder daheim angekommen ist. Und er versteht auch, dass er niemals woanders als daheim war. Vorher wusste er es nur nicht.
Es ist die zutiefst liebevolle und eben darum unter dem Aspekt des Mitempfindens entstandene Aufgabe einer fürwahr echten Zen-Meisterin, ihre spirituellen Kinder – nämlich ihre Schülerinnen und Schüler –...