DAS UNMÖGLICHE DENKEN, DAS MÖGLICHE WAGEN
Die Weltgeschichte erzählt zahlreiche und lehrreiche Beispiele von Visionen und Visionären, meist von gescheiterten. Wer aber nach den Gründen für das Scheitern forscht, wird immer wieder auf das zerstörerische Geschwisterpaar der Maßlosigkeit und des Größenwahns treffen.
Im Traum soll dem makedonischen König Alexander (*356 v. Chr. in Pella/Makedonien, † 322 v. Chr. in Babylon, dem heutigen Bagdad), dem später das Attribut »der Große« verliehen wurde, nach der Schlacht von Issos 333 v. Chr. in Kleinasien (der heutigen Türkei) ein Reich erschienen sein, das weit über die damals bekannten Grenzen der Welt hinausging. Es sollte noch größer sein als das persische Achämiden-Großreich, das damals mächtigste der antiken Welt.
Alexander befragte am nächsten Morgen seine Orakel und die Sterndeuter. Die sagten ihm, es sei unmöglich, mit seiner Armee von 15.000 Kriegern größere Eroberungsfeldzüge zu unternehmen, die beispielsweise die Grenzen Persiens überschritten. Sie sagten ihm auch, er müsse zuerst das Mögliche wagen, um das Unmögliche, das ihm im Traum erschienen war, zu denken oder gar zu erreichen.
Die weiteren Feldzüge Alexanders sind geschichtlich dokumentiert: Er besiegte in mehreren Schlachten den Perserkönig Dareios, zog über den heutigen Irak und Afghanistan bis nach Indien, wo er bis dahin unbekannte Fürstentümer unterwarf und in seinen Herrschaftsbereich eingrenzte. Er starb, 34-jährig, auf dem Rückzug in Babylon (Bagdad). Sein Grab, das eines der größten des Altertums gewesen sein soll, ist unbekannt.
Warum dieser kleine geschichtliche Exkurs zu einer der schillerndsten Personen der Weltgeschichte?
Alexander, zu dem sein Vater Philippus gesagt haben soll: »Geh, mein Sohn, und suche dir ein eigenes Königreich, das deiner würdig ist«, wagte auf dieser Suche das Unmögliche, überschritt, vor den Römern, sämtliche Grenzen seiner Zeit. Aber auch seine eigenen. Er kannte dabei, wie sein Lehrer Archimedes noch zu seinen Lebzeiten feststellte, keine Demut: »Um ein wirklich Großer zu sein, fehlte es ihm an Mäßigung.«
König Alexander hat auf seine Berater und das Orakel nicht gehört. Sein Traum von der Herrschaft über die antike Welt des Ostens scheiterte an seiner Maßlosigkeit. Spekulieren liegt mir eigentlich fern. Aber wenn ich über die Zeitläufte hinweg überlege: Wie hätte sich die damalige Welt entwickelt, hätte Alexander bei Issos entschieden: Kleinasien ist genug, damit habe ich mein Reich um das Fünfzigfache vergrößert. Das muss ich erst einmal konsolidieren. Hätte es dann jemals ein osmanisches Reich gegeben oder die heutige Türkei? Oder den Krieg in Syrien? Hätte, wenn … Die Weltgeschichte kennt noch viele weitere Beispiele solchen Eroberungs-Größenwahns: die Römer, die ihr Reich von West- und Südeuropa bis nach Kleinasien ausdehnten, bevor es in ein Ost- und ein Westreich mit den Zentren Rom und Konstantinopel zerfiel und sich dann ganz auflöste, das Frankenreich unter Karl dem Großen, das nach ihm in drei Teile zerbrach, das Frankenreich (Deutschland), das Merowingerreich (Frankreich) und Lothringen, und sich später im »Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation« manifestierte.
Im Jahr 1241 erreichte das Reitervolk der Mongolen unter Batu Khan, dem Enkel von Dschingis Khan, in der Schlacht bei Liegnitz Westeuropa und eroberte große Teile des heutigen China. Das Großreich zerfiel in der nächsten Generation wieder, auch weil es seiner schieren Ausdehnung wegen unregierbar war.
Aus der jüngeren Geschichte sind die gescheiterten Versuche Napoleon Bonapartes im 19. Jahrhundert und Hitlers im 20. Jahrhundert, West- und Osteuropa zu beherrschen, in schmerzhafter Erinnerung als pathologischer Größenwahn. Auch der Zerfall der Sowjetunion in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts zeigt die Grenzen unsinniger ideologischer Machtpolitik auf.
Allen selbsternannten großen Eroberern gemeinsam war die fehlende Kunst, sich selbst und die eigenen Möglichkeiten zu erkennen und richtig einzuschätzen. Auch deshalb stellt uns der heilige Benedikt die Tugend der Mäßigung, die Discretio, in allen Dingen zur Seite, die uns hilft, das Richtige nicht nur zu erkennen, sondern auch zu tun.
Erkennen Sie Parallelen zu demokratisch gewählten Eroberern und Machthabern in unserer Zeit?
Auch für Visionen gilt: Gut Ding braucht Weile
»Was möchtest du denn einmal werden?«
Sind Sie in Ihrer Kindheit und Jugend auch öfter mit dieser Frage konfrontiert worden?
Eine spontane Antwort auf diese direkte Frage fällt in diesem Alter oft nicht leicht, gerade weil man spürt, dass eine solche, und zwar möglichst konkret, erwartet wird.
Früher, noch in den 50er oder 60er Jahren, wurden auf dem Land berufliche Entscheidungen für die Kinder in der Regel von den Eltern getroffen, denn normalerweise begann man mit vierzehn Jahren, gleich nach der Volksschule, eine handwerkliche oder kaufmännische Lehre.
Zwei Generationen später gibt es kaum noch Großfamilien in der Landwirtschaft und nur noch wenige Handwerker, die ihre kleinen Betriebe an die nächste Generation weitergeben. Die Enkel besuchen meist höhere Schulen oder studieren – ein Privileg, das in meiner Generation allerdings nur wenigen vorbehalten war – und sie treffen ihre beruflichen Entscheidungen in der Regel selbst.
Hier halte ich einen Moment inne: Denn ich vermute, viele tun sich häufig richtig schwer bei Entscheidungen, die Eltern ihnen nicht mehr abnehmen können.
Bei der Berufswahl geht es schließlich um eine grundlegende Entscheidung für eine Zukunft, die heute niemand mehr mit einer solchen Bestimmtheit vorhersehen kann wie unsere Vorfahren. Es sei denn, man ist wirklich für einen bestimmten Lebensweg berufen wie wir Mönche. Und auch bei vielen Kandidaten gibt es ja keinen geraden Weg aus der Jugend bis ins Alter. In unsere Klöster kommen heute viele Mitbrüder, die vorher völlig andere Berufe erlernt und ausgeübt hatten, vom Handwerker bis zum Wissenschaftler.
Nicht jede Berufswahl ist heute eine lebenslange, endgültige.
Und doch: Jede Berufswahl, die selbst getroffen wird, wächst langsam aus einer Verbindung von erlerntem Wissen und bestimmten Fähigkeiten sowie aus Talent, Kreativität und Neigungen heran. Herz und Hirn ringen dabei häufig jahrelang miteinander um den inneren Konsens.
Denn die Wahl unseres Berufes ist Ausdruck unserer Individualität. Ob wir gerne kreativ oder künstlerisch arbeiten, lieber hart anpacken oder Freude daran finden, anderen Menschen zu helfen – das alles ist ein ureigener Teil unseres Selbst.
In modernen Jobs werden ganz unterschiedliche Anforderungen gestellt. In dem einen benötigt man Geschicklichkeit, im anderen technisches Verständnis, mal ist Kreativität gefragt, mal braucht man eine robuste Gesundheit. Und manchmal schon in der Ausbildung eine sehr hohe Verantwortungsbereitschaft. In vielen Berufen benötigt man aber auch eine Kombination dieser und anderer Fähigkeiten, in jeweils unterschiedlichen Ausprägungen. Um später im Beruf erfolgreich sein zu können, sollte man die Richtungen auswählen, die den eigenen Begabungen am meisten entgegenkommen.
Dennoch wissen viele Schulabgänger nicht, welche Möglichkeiten sie haben und mit welchem Beruf sie auch längerfristig glücklich werden könnten. Eignungstests helfen bei der Orientierung, sie informieren Schüler und Studenten über ihre individuellen Stärken und Schwächen und das dazu passende Berufsbild.
Auch für Berufstätige existieren solche Tests, vor allem wenn es um die berufliche Neu- oder Umorientierung geht. Sie sind wichtig für jeden, der sich konkrete Tipps für die Berufswahl erhofft. Die Tests liefern ganz persönliche Resultate, weil sie gezielt nach Interessen und Talenten fragen. Im Ergebnis werden dann bereits ziemlich genaue Berufsvorschläge gemacht, inklusive einer ausführlichen Beschreibung von Tätigkeiten und Aufstiegsmöglichkeiten.
Folgen wir unserem inneren Wegweiser
Wer mit einem Navigationsgerät unterwegs ist und ein Ziel eingegeben hat, hört nach jeder Richtungsänderung eine automatisierte Ansage: »Folgen Sie dem Streckenverlauf auf 21 Kilometer.« Oder: »Wenn möglich, bitte wenden.«
Jeder von uns hat einen inneren Wegweiser, der ihn mit Beharrlichkeit immer wieder auf den richtigen Weg, den geraden Weg zurückführen will: unser Gewissen. Es ist von unserem Schöpfer so eingestellt, dass es uns bei Abweichungen oder Verirrungen auf einen falschen Pfad immer wieder in die ideale Position einpendeln will.
Unser Gewissen nimmt uns keineswegs die Freiheit, einem falschen Weg nicht weiter zu folgen. Es klopft nur ganz sanft an und will uns sagen: »Es ist besser für dich, wenn du jetzt wendest und auf den geraden Weg zurückkehrst. Dann kommst du schneller und sicherer ans Ziel.«
Folgen wir diesem guten Rat nicht, bekommen wir leicht ein »schlechtes Gewissen«, denn der »Gewissenswurm« in uns lässt so leicht nicht locker. Gewinnen wir diesen Konflikt, ist uns wieder leichter ums Herz, verlieren wir ihn, tragen wir eine mehr oder weniger schwere Bürde mit uns herum.
Unsere Visionen und Vorsätze folgen einem ähnlichen Prinzip: Halten wir sie ein – oder folgen wir zumindest der richtigen Richtung, die wir ja kennen und die wir uns vorgenommen haben –, erfreuen wir uns an Erfolgserlebnissen, die uns weiter aufbauen und noch stärker machen. Wir fahren in der Spirale weiter nach oben.
Vergessen wir unsere Vorsätze aber oder lassen sie einfach als Abfall am Rand unseres...