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E-Book

Das Völkerrecht

Geschichte, Institutionen, Perspektiven

AutorAngelika Nußberger
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2011
ReiheBeck'sche Reihe 2478
Seitenanzahl128 Seiten
ISBN9783406623288
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Unsere Welt wächst zusammen und braucht mehr denn je internationale Regeln für militärische Konflikte sowie den Kampf gegen Terror und Menschenrechtsverletzungen. Angelika Nußberger schildert kenntnisreich die Geschichte und die zentralen Ideen des Völkerrechts. Sie geht auf neueste Entwicklungen wie die internationale Strafgerichtsbarkeit und das Umweltvölkerrecht ein und stellt die Frage nach der Einheit des Völkerrechts in einer kulturell heterogenen Welt.

Angelika Nußberger ist Professorin für Verfassungs- und Völkerrecht und Direktorin des Instituts für Ostrecht an der Universität zu Köln.

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Leseprobe

2. Die Akteure


Staaten als Hauptdarsteller


Rechte und Pflichten überträgt das Völkerrecht im Wesentlichen auf Staaten. Was aber ist ein Staat? Beispiele lassen sich schnell aufzählen: die USA, Frankreich, Deutschland, Israel, Australien. Man kennt die ihnen zugeordneten Gebiete auf der Weltkarte, die Fahnen und Hymnen, die Präsidenten und Regierungschefs, vielleicht auch Denkmäler und Geschichte. Wie aber lassen sich diese abstrakten Gebilde rechtlich fassen? Wie ist es mit Problemfällen, der Türkischen Republik Nordzypern, Palästina, Südossetien und Abchasien, Kosovo? Sind auch sie Staaten?

Nach der so genannten Drei-Elemente-Lehre des deutschen Staatsrechtslehrers Georg Jellinek ist der Staat die «mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgerüstete Verbandseinheit sesshafter Menschen». Danach sind drei Elemente, Staatsvolk, Staatsgebiet und staatliche Herrschaft, notwendig, um einen Staat zu konstituieren.

Als Staatsvolk wird im völkerrechtlichen Sinn ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss von Menschen verstanden, die aufgrund des einenden Bandes der gemeinsamen Staatsangehörigkeit eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Harmonie mit Blick auf Sprache, Religion, ethnische Herkunft und Kultur ist nicht nötig; auch unterschiedliche Menschen können durch das Band der Staatsangehörigkeit zusammengefasst werden, wie etwa der «Schmelztiegel» des Einwanderungslandes USA zeigt. Gefordert wird aber dennoch ein Mindestmaß an Zusammengehörigkeitsgefühl, ein «staatstragendes Bewusstsein» (Herdegen). Dies sind weiche Kriterien, die Abstufungen zulassen, das Gefühl, «zusammenzugehören», kann mehr oder weniger ausgeprägt sein. So markiert nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts die Unionsbürgerschaft in der Europäischen Union eine Zwischenstufe:

Mit der durch den Vertrag von Maastricht begründeten Unionsbürgerschaft wird zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten ein auf Dauer angelegtes rechtliches Band geknüpft, das zwar nicht eine der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat vergleichbare Dichte besitzt, dem bestehenden Maß existentieller Gemeinsamkeit jedoch einen rechtlich verbindlichen Ausdruck verleiht.

Ein europäisches Staatsvolk gibt es somit ebenso wenig wie einen europäischen Staat. Die Europäische Union wird nur als «Staatenverbund» angesehen. Aber was nicht ist, kann – theoretisch – noch werden, auch wenn es aufgrund der nationalen Eitelkeiten nicht sehr wahrscheinlich scheint, dass ein gemeinsames Ganzes geschaffen wird. Als Kompromiss nach dem aufgrund negativer Voten in Frankreich und den Niederlanden 2005 gescheiterten «Vertrag über eine Verfassung für Europa» wurde im Lissabonner Vertrag von 2007 auf alle Symbole, die an einen Staat erinnern, verzichtet; auch das Wort «Verfassung» wurde aus dem Entwurf verbannt.

Neben dem Staatsvolk ist im Sinne des Völkerrechts ein bestimmtes Segment der Erdoberfläche als Staatsgebiet nötig, da man sich einen Staat nicht als «körperlosen Geist» (Jessup) vorstellen könne. Dazu gehören auch die darüber liegende Luftsäule und das darunter liegende Erdreich sowie ein Küstenstreifen von bis zu zwölf Seemeilen. Auf eine Mindestgröße kommt es nicht an; auch «Mikrostaaten» wie San Marino und Vatikanstaat oder Nauru und Tuvalu sind Staaten im Sinne des Völkerrechts. Kein Teil der Erdoberfläche sind dagegen künstliche Anlagen im Meer. So wurde das «Fürstentum Sealand», das auf einer britischen Flakstellung aus dem Zweiten Weltkrieg gegründet worden war, nicht als Staat anerkannt. Nach einem in Völkerrechtslehrbüchern gerne zitierten Urteil des Verwaltungsgerichts Köln konnten deutsche Staatsbürger, die auf der künstlichen Insel ein alternatives Leben führten, sich nicht darauf berufen, Staatsbürger des Fürstentums geworden zu sein und die deutsche Staatsangehörigkeit verloren zu haben.

Es genügt aber nicht, dass ein bestimmtes Volk auf einem bestimmten Gebiet lebt. Um im völkerrechtlichen Sinn von einem Staat sprechen zu können, müssen Volk und Gebiet miteinander durch eine Staatsgewalt verklammert sein. Ein Staat braucht eine Regierung, wie auch immer sie beschaffen sein mag, demokratisch, autokratisch, diktatorisch. Nur effektiv muss sie sein, für Ordnung nach innen sorgen und mit einer Stimme nach außen sprechen. In Bürgerkriegen, Zeiten der Unruhe und Wirren mag dies nicht gewährleistet sein. Ist die Anarchie ein vorübergehender Zustand, ist sie völkerrechtlich unbeachtlich. Dauert sie aber über längere Zeit fort, spricht man von einem failing State, einem scheiternden Staat, oder gar von einem failed State, einem gescheiterten Staat. Beispiele für failing States wären etwa Libanon und Kambodscha während der Zeit der Bürgerkriege in den achtziger Jahren. Somalia wird oftmals als failed State angesehen. Die Konsequenzen einer derartigen Diagnose sind gravierend, da, nimmt man ein Erlöschen des Staates an, ein rechtliches Vakuum besteht. Die Übernahme essentieller Ordnungsaufgaben durch die internationale Staatengemeinschaft ist in einem derartigen Fall möglich, soweit Weltfrieden und internationale Sicherheit bedroht werden, allerdings, wie das Vorgehen der Vereinten Nationen in Somalia in den Jahren von 1993 bis 1995 gezeigt hat, nicht unbedingt erfolgversprechend. Im Völkerrecht ist man daher bereit, auch weithin funktionsunfähige Staaten noch als fortbestehend zu betrachten.

Auch besetzte Staaten wie etwa Deutschland nach der bedingungslosen Kapitulation vom 8. Mai 1945 oder der Irak nach dem Sturz seiner Regierung am 7. April 2003 infolge der von den USA geführten Invasion gehen völkerrechtlich nicht unter, auch wenn sie nach innen und nach außen handlungsunfähig sind. Nach Beendigung der Besatzung können sie ihre volle Souveränität wiedererlangen. In Deutschland geschah dies erst ein knappes halbes Jahrhundert später mit dem Inkrafttreten des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland am 15. März 1991. Der Irak ist seit der Bildung einer Übergangsregierung am 1. Juni 2004 wieder ein souveräner Staat.

Anders als in früheren Jahrhunderten, als es noch möglich war, durch Eroberungsfeldzüge Land zu gewinnen, wird die Annexion, die gewaltsame Einverleibung des Gebiets eines Staates durch einen anderen Staat, nunmehr nicht nur als völkerrechtswidrig angesehen, sondern es wird auch ausgeschlossen, dass durch Zeitablauf neue Fakten geschaffen werden: Eine einmal rechtswidrige Annexion bleibt immer rechtswidrig. So haben die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen darauf gepocht, dass sie nie als Völkerrechtssubjekte «untergegangen» seien, sondern aufgrund der rechtswidrigen Annexion durch die Sowjetunion im Jahr 1940 nur vorübergehend ihre souveränen Rechte nicht ausüben konnten und im Jahr 1990 «wiedererrichtet» worden seien. Estland und Lettland haben daher ihre Vorkriegsverfassungen – zumindest teilweise – wieder in Kraft gesetzt und die alten Staatssymbole übernommen; auch das Staatsangehörigkeitsrecht knüpft an die Zeit vor der Okkupation an.

Staaten ändern sich, sie fallen auseinander, bestimmen die Grenzen neu, schließen sich mit anderen zusammen, neue Staaten entstehen. Im Jahr 1945 zählte man knapp fünfzig Staaten, zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich ihre Zahl fast vervierfacht. Wesentlich dazu beigetragen hat der Prozess der Dekolonialisierung. Aber auch der Zerfall des unter kommunistischer Herrschaft fest gefügten Ostblocks nach 1990 bietet reiches Anschauungsmaterial für das Auseinanderbrechen und die Neubildung von Staaten.

Grundsätzlich unterscheidet man im Völkerrecht zwischen Dismembration und Sezession. Dismembration – wörtlich «Zerstückelung, Zergliederung» – bedeutet, dass ein Staat in zwei oder mehr Staaten zerfällt und zu existieren aufhört. Ein klassisches Beispiel ist die Tschechoslowakei, die sich 1992 in die Slowakei und Tschechien gespalten hat. Da der ursprüngliche Staat in einem derartigen Fall nicht mehr fortbesteht, gilt es, alle Rechte und Pflichten neu zu regeln. Ähnlich wie bei einem Erbfall ist zu bestimmen, wer für vertragliche Verpflichtungen gegenüber Dritten einsteht, insbesondere für Schulden verantwortlich ist, auf wen das Eigentum des Staates, etwa Kunstschätze, übergeht, ob und inwieweit die Nachfolgestaaten ebenso wie der Vorgängerstaat in Internationalen Organisationen mitwirken. Zwar hat man versucht, diese überaus komplexen Fragen in völkerrechtlichen Verträgen zu regeln. Da aber bisher weder die «Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Verträge» von 1978 noch die «Wiener Konvention über die Staatennachfolge in Staatsvermögen, Staatsarchive und Staatsschulden» von 1983 in Kraft getreten ist, ist man weiterhin auf die Regeln des Völkergewohnheitsrechts angewiesen.

Anders als bei der Dismembration geht es bei der Sezession um die Abspaltung einzelner Gebiete eines Staates, wobei aber ein «Rumpfstaat» fortbesteht. So hat sich Montenegro von der im Jahr 2000 in die Vereinten Nationen aufgenommenen...

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