2. Die Ausgewogenheit der Wahrheit
„Und wenn du Gottes Weg verlässt und vom rechten Weg (zur Rechten oder zur Linken) abkommst, wirst du hinter dir eine Stimme hören: Halt, dies ist der Weg, wandle darauf“ (Jes 30,20-21; Living Bible/LB).
Die Stimme, auf die hier Bezug genommen wird, ist die Stimme des Heiligen Geistes, der uns warnt, wenn wir auch nur geringfügig (zur Rechten oder zur Linken) vom geraden und schmalen Weg, der zum Thron Gottes führt, abkommen.
Wenn wir uns heute sogar die Gemeinden von Gläubigen anschauen, werden wir feststellen, dass die meisten von ihnen festgefahren sind – sie stecken entweder links oder rechts von der geraden Spur der Wahrheit fest.
Betrachte bloß ein Beispiel: Einige Gruppen überbetonen die Gaben des Geistes und sind in einer Richtung unausgewogen. Andere überbetonen die Frucht des Geistes und vernachlässigen die Gaben völlig und sind somit auf der anderen Seite unausgewogen. Keine dieser Gruppen scheint auf die Stimme zu hören, die ihnen zu sagen versucht, sich zur Rechten oder zur Linken zu bewegen, um wieder zurück zum Zentrum zu kommen. Jede Gruppe hat ihre Lieblingsverse in der Bibel, auf die sie immer wieder zurückgreifen. Sie scheinen die anderen Abschnitte der Bibel nie zu sehen, die sie ausgewogen machten könnten, weil sie gegen diese Verse voreingenommen sind.
Sehr oft ist ihre Weigerung, diese anderen Verse zu sehen, durch die Tatsache bedingt, dass diese anderen Verse von anderen Gruppen missbraucht wurden, die in der entgegengesetzten Richtung in die Irre gingen. Daher stammte ihr Verständnis der Wahrheit aus einer Reaktion auf die Extreme, zu der andere Gruppen gelangt sind und nicht aus einem sorgfältigen Studium des gesamten Wortes Gottes.
Der Dienst der alttestamentlichen Propheten bestand stets darin, aufzuzeigen, wo Israel vom rechten Weg abgekommen war. Sie verkündeten das korrigierende Wort des Heiligen Geistes. Sie strebten nicht nach einem „ausgewogenem Dienst“. Sie betonten stets das, was fehlte. Sie vergeudeten nie Zeit damit, über Dinge in Israel zu sprechen, die bereits der Ordnung Gottes entsprachen. In diesem Sinne waren alle Propheten des Alten Testaments in ihrem Dienst unausgewogen.
Betrachte zum Beispiel Jeremia. An einem bestimmten Punkt sagte Jeremia zu Gott: „Du hast mir NIE AUCH NUR EIN EINZIGES MAL ein Wort der Güte zu diesem Volk sprechen lassen. Es ist immer nur Unheil, Schrecken und Zerstörung“ (Jer 20,8; LB). Er predigte sicherlich keine ausgewogene Botschaft voller Gnade und Wahrheit! Es war nur Gericht, Gericht und noch mehr Gericht! Diese Botschaft wurde in einer bestimmten Phase für Jeremia zu einer enormen Last. Aber er konnte dennoch nicht aufhören, sie zu verkünden, weil jedes Mal, als er daran dachte, die Botschaft zu ändern, Gottes Gericht in seinem Herzen wie ein Feuer brannte und er es nicht länger ertragen konnte (Jer 20,9; LB). Daher fuhr er fort, dem Volk Juda 46 Jahre lang das Gericht zu verkünden.
Hätte Jeremia auf die Stimme seiner eigenen Vernunft oder auf den Rat anderer Prediger, die den Sinn Gottes nicht kannten, gehört, würde er seine Botschaft geändert haben. Er wäre dann ausgewogener gewesen. Aber er wäre dann nicht mehr länger Gottes Prophet gewesen!
Betrachte jetzt den Dienst eines früheren Propheten, von Hosea. Seine Botschaft unterschied sich völlig von der Jeremias. Gottes Botschaft an Israel durch Hosea war: „Wie sehr liebe ich dich, auch wenn du mir ungehorsam gewesen und vom rechten Weg abgekommen bist.“ Aber Jeremia, der 180 Jahre nach Hosea lebte, versuchte nie, den Dienst Hoseas nachzuahmen. Diese Propheten haben einander nicht nachgeahmt. Jeder von ihnen kannte die Last, die Gott ihnen gegeben hatte.
Ein neutestamentlicher Prophet wird stets darüber sprechen, was in einer Gemeinde fehlt und aufzeigen, was unausgewogen ist. Er wird von Gott geistliches Verständnis über die gegenwärtigen Bedürfnisse der Menschen, denen er dient, haben.
Das größte Bedürfnis in allen heutigen Kirchen ist ein prophetischer Dienst, durch den der Heilige Geist mit den Worten spricht: „Halt. Nicht jenen Weg, sondern diesen Weg.“
Die meisten Prediger bereiten ihre Predigten vor, indem sie Bücher und Zeitschriften lesen und Kassetten hören, um ihre Zuhörer zu beeindrucken. Sie sind jedoch sorgfältig darauf bedacht, alles, was ihren Zuhörern Anstoß bereiten könnte, wegzulassen, weil sie nach Ehre und nach Geschenken trachten.
Propheten sind jedoch nicht so. Sie hören auf Gott und sagen den Menschen genau das, was sie nach Gottes Willen hören sollten. Daher kann ein Prophet über ein Thema mehrmals predigen, bis die Unausgewogenheit in der Gemeinde korrigiert ist. Professionelle Prediger haben jedoch Angst, die gleiche Botschaft auch nur zweimal in der gleichen Gemeinde zu predigen. Herumreisende Prediger müssen sich sogar notieren (in ihrem Verstand oder in ihrem Terminkalender), welche Botschaft sie in einer bestimmten Gemeinde gegeben haben, damit sie nicht den Fehler begehen, die gleiche Predigt erneut zu geben, wenn sie diese Gemeinde ein zweites Mal besuchen – damit sie ihre Ehre als Prediger nicht verlieren!
Welch ein dringendes Bedürfnis nach Propheten gibt es in unserer Zeit!
Ein Lehrdienst unterscheidet sich von einem prophetischen Dienst. Der Lehrer ist fähig, die Doktrinen der Heiligen Schrift klar darzulegen. Seine Lehre muss jedoch nicht mit einem aktuellen Bedürfnis bei den Menschen, denen er dient, zusammenhängen. Ein Lehrdienst über Rechtfertigung oder über die Taufe im Heiligen Geist oder über Heiligung oder über das zweite Kommen Christi wird in jeder Gemeinde nützlich sein! Aber die dortigen Leute mögen trotz dieser wunderbaren Lehre immer noch von Sünde und Entmutigung besiegt sein. Was eine solche Gemeinde braucht ist ein prophetischer Dienst!
Betrachten wir einen Bereich, wo wir ausgewogen sein müssen: In unserem Verständnis der Botschaft des Evangeliums.
Im Epheserbrief sehen wir klar die gute Nachricht, die Paulus predigte. Paulus sagte den Ältesten der Gemeinde in Ephesus, nachdem er drei Jahre in ihrer Mitte zugebracht hatte: „Ich habe euch den GANZEN Ratschluss Gottes verkündigt“ (Apg 20,27).
Paulus empfing das Evangelium direkt aus dem Mund des Herrn – und nicht aus zweiter Hand von anderen Menschen, wie wir alle es empfangen haben (Gal 1,11-12). Er sagte, wenn jemand ein anderes Evangelium verkündigen würde als das, was er vom Herrn empfangen hatte, so soll ein solcher Mensch von Gott verflucht sein (Gal 1,8-9). Es ist etwas Ernstes, ein anderes Evangelium zu predigen – oder das Evangelium in irgendeiner Weise zu verwässern oder irgendeinen Teil davon wegzulassen.
Der Brief an die Epheser ist in zwei Teile unterteilt – die ersten drei Kapitel stellen den ersten Teil des Evangeliums dar, die darauffolgenden drei Kapitel bilden den zweiten Teil. Der erste Teil handelt davon, was Gott für uns getan hat. Der zweite Teil handelt davon, was wir für Gott tun müssen.
Epheser 4,1 beginnt mit den Worten, „So ermahne ich euch nun … dass ihr der Berufung würdig lebt …“ Das Wort „So [daher] …“ verweist darauf, dass alles, was in den Kapiteln 4 bis 6 folgt, auf dem Fundament beruht, das der Heilige Geist in den ersten drei Kapiteln gelegt hat. Paulus war ein guter Baumeister und er schrieb den Epheserbrief unter der Inspiration des Heiligen Geistes mit großer Sorgfalt.
Wir könnten sagen, dass Epheser 4 bis 6 der Überbau ist, der auf dem Fundament von Epheser 1 bis 3 aufgebaut ist. Die Unausgewogenheit, die man heute in vielen Gruppen im Christentum sieht, besteht darin, dass einige das Fundament der ersten drei Kapitel gelegt, aber keinen Überbau darauf gesetzt haben. Andere errichten den Überbau (der letzten drei Kapitel), aber ohne das Fundament. Beide Gruppen sind gleichermaßen töricht.
Es fällt auf, dass es in den ersten drei Kapiteln des Epheserbriefes kein einziges Gebot oder keine einzige Ermahnung in Bezug darauf gibt, was WIR tun sollen, um Gott zu gefallen! Andererseits sind sie voll von einer Beschreibung davon, was GOTT für uns getan hat.
Aber beachte, dass die nächsten drei Kapitel des Epheserbriefes voller Ermahnungen sind, auf welche Art und Weise WIR Gott gefallen sollten!
Das ist ein Unterschied, den wir sorgfältig beachten sollten, wenn wir zwischen den grundlegenden und aufbauenden Wahrheiten unterscheiden wollen. In das Fundament setzen wir keine Türen und Fenster ein! Nein, diese sind für den Überbau bestimmt. Aber der Überbau selbst muss auf das Fundament aufgesetzt werden. Mit anderen Worten, jedes Gebot, das wir predigen, muss zuerst fest darauf gründen, was Gott FÜR und IN uns getan hat.
Wenn wir als Allererstes nicht sicher sind, was...