Das Yin und das Yang
Unsere Welt ist aus dem Gleichgewicht geraten. Unzählige Kommunikationskanäle wie TV, Printmedien und Internet zeigen uns täglich die Missstände und Konflikte. Die Menschheit hat Wege gewählt, die offenbar in eine Sackgasse führten. Ein Ungleichgewicht ist sichtbar – überall. Ich sage: Es liegt an den Frauen, am Weiblichen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen. Dies ist kein feministisches Buch, das Ziel liegt auch nicht im Entweder-oder von männlich und weiblich, und ich betone ausdrücklich, dass ich das Männliche nicht abwerten will. Vielmehr möchte ich aufzeigen, dass es eine neue Ausgewogenheit der beiden polaren Energiequalitäten braucht.
Anhand dieses Buchs werde ich diesen Ansatz näher beschreiben und die Wege zu einer neuen Balance gemeinsam mit dir ergründen. Doch zuvor möchte ich dich auf eine Reise mitnehmen: Lass uns herausfinden, worin sich die Sichtweise von Yin und Yang begründet.
Die Dualität
In meinem Weltbild ist das Leben des Menschen von seiner Seele geprägt. Anders ausgedrückt: Die Seele erfährt sich in einem menschlichen Leben. Sie ist in meinem Verständnis zeitlos, pure Energie ohne Form und Geschlecht. Das menschliche Leben bietet der Seele eine Erfahrungswelt, die in Dualität eingebettet ist: Himmel und Erde, Berg und Tal, Dunkelheit und Licht – gegensätzlich. Und so erleben wir auch den Menschen: als Mann und Frau.
Um ein besseres Verständnis zu ermöglichen, möchte ich noch einen weiteren Aspekt hinzunehmen, der sich aus der Schöpfungsgeschichte anbietet. Den heiligen Schriften nach existierte zunächst »das Göttliche«, das »All-Eine« – man beschreibt es auch als das »Ich bin«. Das Entstehen der Welt und des Lebens vollzieht sich durch Trennung. Aus eins wird zwei und mehr. Und dann finden wir in allem Geschaffenen die Dualität: Zum »Himmlischen« kommt das »Irdische« hinzu, zum »Ich bin« des Göttlichen – das Du, der Mensch als Repräsentant des irdischen Lebens.
Auch der Mensch fügt sich in das System der Polarität ein und erlebt sich als Mann und Frau. Die Erfahrungswelt des Menschen ist durch Polarität definiert: oben und unten, außen und innen, heiß und kalt, hoch und tief. Und wenn wir noch eine weitere Ebene hinzuziehen, erkennen wir, dass auch der Mensch in sich selbst diese Dualität repräsentiert. Zum einen gibt es das menschliche Ich, mit dem er sich der Materie zuwendet, und auf der anderen Seite erlebt er das spirituelle Ich, den göttlichen Aspekt, den wir als Menschen alle in uns tragen und mit dem wir uns an die Spiritualität wenden.
Noch eine Erfahrung bietet sich an. Wir alle, Mann und Frau, tragen weibliche und männliche Anteile in uns. Jeder von uns findet in sich die »innere Frau« und den »inneren Mann«. Zwischen all diesen Prinzipien herrscht eine gewisse Wechselwirkung. Das eine beruht auf dem anderen, das eine ergibt das andere, das eine existiert nicht ohne das andere, und miteinander vereinen sie sich zu einem Ganzen. Es liegt in der Natur des Menschen, im wahrsten Sinn des Wortes, dass die Einheit und das Ganze die Grundlage allen Lebens sind. Sind Mann und Frau eins, entsteht neues Leben. Lebt der Mensch seine inneren Anteile ausgewogen, erlebt er sich »in seiner Mitte«. Dieses Bedürfnis der Einheit und Ausgewogenheit ist Weg und Ziel zugleich. Dies will die Seele im Menschen erfahren. Darin liegen die Lektionen der Bewusstseinsentwicklung begründet. Es ist das Bedürfnis nach Einheit, das wir tief in uns tragen. Die innere Frau und der innere Mann wollen in einer gleichwertigen Balance gelebt werden. Ebenso streben der menschliche und der spirituelle Anteil in uns danach, EINS zu sein. Die Trennung will sich auflösen, und beides will miteinander gleichwertig gelebt werden. Selbiges gilt für Mann und Frau und darüber hinaus für alle männlichen und weiblichen Aspekte, die für das Gleichgewicht in allen Bereichen des Lebens, der Gesellschaft und auf dem Planeten sorgen.
Eine kurze Reise durch die Geschichte
Ethnologische Studien zeigen, dass es in der frühen Phase der Menschheitsgeschichte eine Gesellschaftsordnung gab, die sich von der heutigen unterschied – im Hinblick auf das Machtverhältnis zwischen Männern und Frauen. In dieser Frühzeit war die Gesellschaft vom weiblichen Prinzip geprägt. Man kennt dafür den Begriff Matriarchat. Diese Bezeichnung setzt sich aus dem lateinischen mater (Mutter) und dem griechischen arché (Anfang) zusammen. Arché steht in seiner älteren Bedeutung für Ursprung. Aus dieser Sichtweise lässt sich erkennen, dass die Gesellschaftsordnung des Matriarchats keineswegs ein Herrschaftssystem der Frauen über die Männer ist, sondern aus dem Mütterlichen ihre Ausrichtung ableitet. Fürsorge und Lebenserhaltung bestimmten die ethischen Prinzipien. Dieses Gesellschaftssystem umfasste alle Dimensionen des Lebens: die familiale, die gesellschaftliche, die ökonomische, die politische und die spirituelle. Aufgrund des vorherrschenden Einflusses des weiblichen Prinzips lebten die Menschen in der mutterrechtlichen Gesellschaft besonders friedlich, harmonisch und im Einklang mit der Natur. Das Schöpferische, Heilende, Nährende, die friedliche Kraft des Weiblichen standen im Mittelpunkt, die Menschen waren in Einklang mit der Natur und den weiblichen Energien. So herrschte eine natürliche Koexistenz zwischen Frauen, Männern, Tieren, Pflanzen und Elementen. Doch auch diese Ordnung neigte wiederum zu Auflösungserscheinungen. Die Historiker gehen davon aus, dass die Frauen ihre Macht überreizten. Überall, wo Ungleichgewicht herrscht, lehnt sich die Minderheit auf. So gelang es anscheinend den Männern, die Vorherrschaft zu übernehmen. Das Matriarchat wurde vom Patriarchat abgelöst: vom System des geistig-männlichen Prinzips, das von da an mehr Anerkennung bekommen sollte als jenes, das auf die weibliche Struktur aufbaut. In der späteren Zeit, jener der »römischen Paternität«, erfährt diese Struktur der unumschränkten Herrschaft des Vaters bzw. des Mannes über seine Familie ihren Höhepunkt.
Die Frauenforschung berichtet weiter darüber, dass Frauen stets minderberechtigt waren. Die Gesellschaft war männerdominiert, und Frauen besaßen keine spezifisch weibliche Lebensform. Ihr Lebens- und Handlungsspielraum war eng und von Männern bestimmt. Frauen waren in vielen Aspekten des Lebens und der Gesellschaft minderwertig in ihrer Stellung und vom Gesetz her dem Manne untertan. Hier zeichnete vor allem die Kirche dieses negative Frauenbild. Die Theologen des Mittelalters leiteten die Minderwertigkeit der Frau aus der Bibel ab. Sie argumentierten damit, dass Eva aus der Rippe Adams und nicht aus seinem Kopf oder seinem Herzen geschaffen worden sei. Die wenig wertvolle und entbehrbare Rippe gebe Auskunft über die Wertigkeit der Frau als Gespielin und Unterhalterin des Mannes. Frauen hatten vor allem in den niedrigeren Ständen weniger Rechte als Männer, galten als weniger intelligent und nicht selten als »hysterisch«. Vor allem starke, weise, kluge und einflussreiche Frauen entsprachen nicht dem damaligen weiblichen Rollenbild und wurden deshalb oftmals verleumdet. In den Frauen suchte man die Schuldigen, denen man all die dunklen Fantasien der Menschen zuschreiben konnte, und man beschuldigte die Frauen, mit dem Teufel im Bunde zu sein und in seinem Auftrag Schaden anzurichten. Durch diesen Glauben kam es ab dem Spätmittelalter zu den schrecklichen Hexenverfolgungen.
Der Weg der Frauen zur Wiedererlangung der Gleichberechtigung war und ist ein langer. Erst im 19. Jahrhundert formierte sich eine Frauenbewegung, die politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung für die Frauen forderte. Der Durchbruch für die meisten Aspekte der Gleichberechtigung kam erst im 20. Jahrhundert.
Ein Blick auf die Gegenwart oder Yang im Überschuss
Ohne besonders kritisch gegenüber Gesellschaft, Politik oder Wirtschaft zu sein, lässt sich feststellen, dass unsere Welt nicht in ihrer Ordnung ist. Naturkatastrophen, Kriege, Flüchtlingsströme, ökologische Zerstörung und Ausbeutung sind allerorts erkennbar. Unternehmen und Wirtschaftsstrukturen brechen in sich zusammen wie instabile Kartenhäuser. Die Dynamik des Werdens hat eine Entwicklung genommen, die nicht heilsam ist. Die Welt ist bestimmt von einer äußerlichen, materiellen Wirklichkeit. Die Welt krankt am Streben nach Geld, Reichtum und Macht. Das Ziel »Wachstum« ist in aller Munde seitens Wirtschaft und Politik. Die Menschheit bewegt sich mit dem Bewusstsein an der Oberfläche und lässt sich verführen zu immer mehr, immer schneller, immer höher. Dadurch verliert sie den Kontakt zur Erde, zur Natur und vor allem zu sich selbst. Das Bewusstsein für Balance und Ausgleich gerät mehr und mehr in den Hintergrund. Die Gründe dafür sind vielfältig und die Erklärungen zahlreich.
Es geht mir hier nicht darum, einen Schuldigen zu nennen, sondern vielmehr darum, ein Bewusstsein für neue Wege zu eröffnen. Die Strukturen, die wir vorfinden, sind aus der männlichen Energie entstanden, jener des Wollens. Der Weg des Männlichen ist der Fluss nach außen, in Strukturen hineingerichtet, nicht nach innen, als Weg der Erkenntnis. Die bislang gültigen Werte und Mechanismen, mit denen man die Wirtschaft bediente, sind größtenteils zum Scheitern verurteilt, wenn man nicht erkennt, dass dem Business die weiblichen Qualitäten fehlen. Das Weibliche drückt sich eher durch Formloses und Wesentliches aus, weniger planmäßig strukturiert. Die weiblichen Qualitäten betonen die inneren Bereiche und jene in die Tiefe, sie suchen das...