1. Standhaftigkeit
Man sagt, ein Buch soll ebenso belehren wie unterhalten. Auf Latein, wie es die Gelehrten benutzen, nennt man Unterhaltungen „delectationes“. In diesem Wort enthalten sind die „lectiones“, die Übungen und Lehren also, die ein Leser in einer Schrift finden kann. Es gibt viele Diskussionen und weitere Begriffe in diesem Zusammenhang. Ich habe mich entschieden, ein Buch zu schreiben, welches diesem Grundsatz folgt.
Kürzlich war ich in Essen, und eine rechthaberische Stiftsdame grummelte, es hieße eigentlich „prodesse et delectare“, und würde das genaue Gegenteil bedeuten. Ich sparte mir die Frage, ob eine gegenteilige Bedeutung vielleicht auch nach einem anderen Namen verlangen würde. Ich schreibe dieses Buch absichtlich nach dem erwähnten Prinzip.
Ich bin ein Ritter aus Hamme bei Bochum. Ich heiße Tobias, und werde entsprechend Tobias von Hamme genannt. Die Geschichte, die ich erzähle, spielt in meiner Heimat und in ihrer Umgebung. Sie spielt in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, als große Kämpfe über Jahre hinweg das Land bedrohten.
Die Erzählungen von diesen Kämpfen sollen den Leser anlocken und die „delectationes“ bieten. Die Leute finden es spannend, sobald gekämpft wird. Aber auch lustige Dinge haben sich zugetragen.
Ich bin ein Lehrer im Schwertkampf. Ich habe schon viele Schüler gehabt und habe lange überlegt, ein Lehrbuch zu dem Thema zu schreiben. Vielleicht wäre der Schulstoff alleine etwas zu trocken für viele gewesen, die nun auf diese Zeilen schauen. Darum sollen nun die Geschichten von den Schlachten zwischen den Häusern Isenberg und Mark meine Leser unterhalten und aufmerksam zuhören lassen, wenn ich die Ausführung bestimmter Schläge in ihren Zusammenhängen erläutere. Dies sind meine „lectiones“.
Natürlich kann ich es niemandem abnehmen, selbst Schläge auszuführen, sowie die Arme zu üben und zu kräftigen, bis sie schmerzen. Das bringt Schwertkampf mit sich.
Im Jahre 1231 jedenfalls nahm ich einen Knappen an, Gerhard von Dreer. Er blieb der Umstände wegen besonders lange bei mir. Ich bildete ihn in den ritterlichen Tugenden und Kampfesweisen aus, wie ich es davor und danach mit anderen getan habe. Ich glaube, die Vermittlung ist mir bei ihm einigermaßen geglückt. Deshalb will ich ihn und seine Ausbildung als Beispiel nehmen, anhand dessen ich erzähle, was zu tun ist. Nachdem Gerhard unverletzt geblieben ist, mögen meine Leser sich ein Beispiel an ihm nehmen.
Bevor ich jedoch dazu komme, wie aus meinem Knappen ein echter Ritter wurde, will ich sagen, wie es überhaupt zu der ganzen Auseinandersetzung im Hintergrund meiner Erzählung kam.
Vor alten Zeiten gab es wichtige und mächtige Adelshäuser in Westfalen und im Rheinland. Eines der bedeutendsten unter ihnen war das Haus Berg aus Altenberg bei Burscheid. Eine Linie spaltete sich von ihm ab und erbaute die starke Burg in Altena. Doch auch diese Linie zerfiel weiter.
Ein Teil der Grafen blieb im letzten Jahrhundert, dem 12., auf Altena wohnen, und setzte sich im vorderen Sauerland fest. Ein anderer zog aus, um sich einen neuen Ort und einen neuen Namen zu suchen. Sie nannten sich die Grafen vom Isenberg.
Sie errichteten eine mächtige Burg, die ihresgleichen im Lande suchte. Sie war hoch und stolz und weithin sichtbar. Dies war die Isenburg bei Hattingen. Nach ihr und dem Berg, auf dem sie stand, hatten die Grafen sich benannt. Die Burg wiederum hieß so, weil dort viel mit Eisen gearbeitet wurde. Schwerter entstanden dort ebenso wie Gebrauchsgegenstände.
Viele Ritter der Umgebung folgten dem Ruhm des Isenbergs. Bereits mein Großvater war unter ihnen. Man sollte nicht glauben, dass er sich von irgendetwas hätte blenden lassen. Mein Großvater war ein ebenso nachdenklicher wie gutmütiger Mann. Er hätte sich niemals auf die Seite des Isenbergs gestellt, wenn sie ihn nicht auch mit ihrer Großherzigkeit beeindruckt hätte.
In der Zeit meines Vaters war es ebenso. Die Zeit verlief für ihn ruhmvoll und langweilig. Das neue Jahrhundert brach an und ein neuer Kaiser bestieg den Thron, nur, um ihm dann fernzubleiben. Er war meist in Italien. Westfalen und Engern wurden endlich frei von Sachsen. Gleich darauf fanden sie sich in den Klauen des Kölner Erzbischofs wieder. Viele mächtige Herren stritten sich deswegen. Es wurde unruhig im Land, bald nachdem meinen Vater ein schwerer Bluthusten niedergestreckt hatte. Unter den Grafen Westfalens wurde geredet. Es bestand Einigkeit darüber, dass man sich lieber selbst verwalten wollte, als zu Knechten der Kölner Kirche zu werden.
Der Kaiser und König war weit entfernt. Er hatte im heiligen Land, mit dem Papst, und noch an vielen anderen Stellen zu tun. Der ewig lächende Bischof Engelbert von Köln versprach ihm viele Dinge, die fast an Wunder grenzten. Seine Amtsbrüder in Mainz, Trier und Hamburg waren stiller. Außerdem schauten sie strenger drein. Deshalb fand die Prahlerei des Kölners Gehör bei den Ohren des großen Herrschers, der sich Ruhe im fernen Norden seines Reiches wünschte.
Am Ende kam es soweit, dass der Kaiser den Bischof von Köln sogar zu seinem Statthalter im Reich und zum Erzieher seines Thronerben ernannte.
Das ließ das Murren unter den Großen des Landes lauter werden, da sie ja wussten, was Engelbert in Wahrheit für ein Mensch war. Aus meiner Sicht war er nichts als selbstverliebt. In seiner Großherrlichkeit ließ er sich feiern und blendete viele Menschen ebenso wie sich selbst. Er bezahlte sogar Minnesänger dafür, dass sie Preislieder auf ihn sangen. Der Unmut unter denjenigen, die ihn kannten, wuchs.
Auch in den mächtigen Bürgerfamilien fanden sich viele, die den Mann hinter dem schönen Schein sahen. Es kochte vielerorts in den Städten der Umgebung. Die Kölner selber trauten sich nicht, zu handeln. Aber die zweitgrößte Stadt weit und breit war Soest, die Hauptstadt Westfalens, und diese war mehrfach kurz vor dem Aufstand. Nur mit viel Mühe und Geduld gelang es den kribbeligen und erregten Grafen noch, die Kaufleute zu mäßigen.
Schließlich traf man sich hin und wieder. Man beratschlagte, was zu tun sei.
Man entscheid sich, zunächst mit Bischof Engelbert zu reden. Schließlich sei er ein Mann der Kirche und des Verstandes, so sagte man. Viele der Grafen meinten, dass er für vernünftige Worte ein Ohr haben müsste.
Man suchte darum einen Unterhändler, um mit Bischof Engelbert die Gespräche zu führen. Die Wahl fiel auf meinen damaligen Herren, Graf Friederich vom Isenberg. Er war nicht nur ein Verwandter Engelberts. Er war früher auch selber Kirchenmann in Köln gewesen. Er kannte die Leute dort mitsamt ihren Eigenheiten. Niemand machte ihm mangelnde Frömmigkeit zum Vorwurf. Auch jene weiteren Verhandlungen und Gespräche zogen sich über Jahre hinweg.
Ich selber war zu jener Zeit zunächst noch Knappe auf dem Niederenhof, gelegen in einem breiten Tal hinter dem Isenberg. Er gehörte nicht zur Burg, aber ich ging auf jener wegen der Nähe ein und aus. Ich sah damals als Heranwachsender den Herrn Friederich oft hin und her reiten.
Später wurde ich zum Ritter geschlagen. Ich ritt weiter häufig zur Isenburg, da sich dort viele Kämpfer trafen und übten. In dieser Zeit änderte sich das Verhalten des Grafen. Er wirkte immer grüblerischer und in Gedanken verloren. Die äußeren Verhältnisse beschäftigten ihn sehr. Er wurde immer wortkarger.
Trost fand er bei seiner Frau, der Herrin Sophia von Limburg. Ich will nicht zuviel sagen, aber es entstanden viele Kinder aus dieser Verbindung. Von ihnen soll später noch die Rede sein.
Schließlich traf man sich 1225 wieder einmal in Soest, der Bischof mit den Grafen und den Kaufleuten. Auch mein Herr war unter ihnen. Als er zurückkam, war es früher als erwartet, und war er sehr unruhig. Viele Ritter auf der Burg sagten damals, dass er manche Entscheidungen hin- und herwälzte. Einen Tag später schickte er mehrere seiner Kämpfer los, ohne zu sagen, wohin. Eine Reihe von Leuten war plötzlich einfach verschwunden. Uns war klar, dass es auf seinen Befehl hin geschehen war, nur nicht, was sie genau tun sollten. Der Graf selber lief auf und ab.
Ich erfuhr von einigen Reisigen später die Hergänge. Sie pressten missmutig hervor, sie hätten dem Bischof aufgelauert, um ihn gefangen zu setzen. Dann hätte man neu verhandelt. Die Männer kannten das Land, und hatten ihm im Unterholz eines zugewucherten Hohlweges eine Falle gestellt. Dort hatten sie gewartet, im Glauben, dass sie ihn ohne weitere Umstände festnehmen könnten.
Nun ist es so, dass Priester keine Waffen führen dürfen und auch gerne den Frieden predigen. Nichts dergleichen fand sich bei Herrn Engelbert. Er griff sich sofort beim ersten Zuruf eine Waffe und feuerte seine Leute gegen die klare Übermacht der Isenberger Mannen an. Er muss wirklich der Meinung gewesen sein, Gott würde ihm bei seinem Tun helfen. Doch statt eines göttlichen Eingreifens wurden nur die unsrigen immer zorniger. Bald gab ein Wort das andere unter den Rufen, und manche unserer Krieger fingen an, ebenso wütend wie wild zu werden.
Die Leibgarde Engelberts erwies sich als vernünftiger als er selbst. Als nichts mehr zu retten war, ergriffen die Leute die Flucht. Der Bischof allein hieb munter weiter um sich. Einige leicht Verletzte unter unseren Leuten begannen schließlich grimmig damit, gezielt auf ihn einzustechen. An eine Gefangennahme dachte niemand mehr. Etliche Schwertstiche fanden ihren Weg in den Leib Engelberts. Ein jeder von ihnen legte Zeugnis dafür ab, wie sehr der Kölner verhasst war unter Männern Westfalens.
Vieles ist gesungen und geschrieben...