Einleitung
Ich biete diese Unterweisungen für jene an, die nicht viel Zeit oder Gelegenheit zu umfassendem Studium haben. Ich habe nichts zu sagen, was nicht schon zuvor gesagt wurde. Lesen Sie also dieses Buch nicht einfach, um neue Erkenntnisse zu gewinnen, sondern versuchen Sie meine Erläuterungen zur Umwandlung Ihres Geistes zu nutzen. Es reicht einfach nicht aus, etwas schon zuvor gehört oder gelesen zu haben; Sie sollten sich wiederholt bemühen, es in Ihrer spirituellen Praxis anzuwenden, denn nur dann werden Ihnen diese Unterweisungen wirklich nützen.
Der Buddha selbst sagte: »Begeht keinerlei Missetaten; sammelt alle vorzüglichen Eigenschaften an; wandelt euren Geist vollständig um – das ist die Lehre des Buddha.« Wir sollten seinen Rat befolgen, weil dem innersten Empfinden nach keiner von uns Leid will; wir alle wollen Glück. Leid ist das Ergebnis irriger und negativer, Glück hingegen ist das Ergebnis positiver Handlungen. Negativität können wir jedoch nicht durch positives Handeln ersetzen, indem wir bloß unser körperliches oder verbales Verhalten ändern. Dies erfordert eine Umwandlung des Geistes.
Wir gehen im Leben auf intelligente Art an die Dinge heran, indem wir uns Ziele setzen und dann ausfindig machen, ob diese auch realisierbar sind. In der buddhistischen Praxis besteht unser Ziel darin, Nirvana und den Zustand von Buddhaschaft zu erlangen. Als Menschen besitzen wir glücklicherweise die Fähigkeit, diese Ziele zu erreichen. Der Erleuchtungszustand, nach dem wir streben, ist die Befreiung von der Last störender Emotionen. Die eigentliche Natur des Geistes ist rein; die störenden Emotionen, die ihn plagen, sind nur vorübergehende Mängel. Wir können jedoch negative Emotionen nicht beseitigen, indem wir bestimmte Gehirnzellen entfernen. Selbst die fortgeschrittenste Operationstechnik kann diese Aufgabe nicht leisten. Das lässt sich nur durch eine Umwandlung des Geistes erreichen.
Der Buddhismus lehrt, der Geist sei die Hauptursache für unsere Wiedergeburt im Existenzkreislauf. Aber der Geist ist auch der Hauptfaktor, der uns die Befreiung aus diesem Geburts- und Todeskreislauf ermöglicht – indem wir die negativen Gedanken und Emotionen eindämmen und die positiven fördern und entwickeln. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass diese Aufgabe Jahre der Ausdauer und harten Arbeit erfordert. Wir können keine sofortigen Ergebnisse erwarten. Denken Sie an all die großen Meister der Vergangenheit. Auf ihrer Suche nach spiritueller Verwirklichung nahmen sie bereitwillig ungeheure Entbehrungen auf sich. Die Geschichte von Buddha Shakyamuni3 ist dafür eines der besten Beispiele.
Motiviert durch das Mitgefühl mit allen empfindenden Wesen, wurde Buddha Shakyamuni vor mehr als 2500 Jahren in Indien geboren. Er kam als Prinz zur Welt. Schon als Kind war er hinsichtlich seines Wissens wie auch seines Mitgefühls innerlich reif. Er erkannte, dass wir alle von Natur aus Glück wollen und nicht leiden möchten. Leid kommt nicht immer nur von außen. Es ist nicht nur mit Problemen wie Hungersnot und Dürre verbunden. Wäre dies der Fall, dann könnten wir uns vor Leid schützen, indem wir beispielsweise Nahrungsvorräte anlegen. Aber Leiden wie Krankheit, Altern und Tod sind Probleme, die mit dem eigentlichen Wesen unserer Existenz verknüpft sind, und wir können sie nicht durch äußere Bedingungen bewältigen. Und was noch wichtiger ist: Wir haben diesen ungezähmten Geist in uns, der für alle möglichen Probleme anfällig ist. Er wird von negativen Gedanken wie etwa Zweifel und Wut geplagt. Solange unser Geist von dieser Vielzahl negativer Gedanken heimgesucht wird, wird er unsere Probleme nicht lösen, auch wenn wir weiche, bequeme Kleidung besitzen und köstliche Nahrung zu essen haben.
Buddha Shakyamuni sah all diese Probleme, und er sann über das Wesen seiner eigenen Existenz nach. Er stellte fest, dass alle Menschen Leid erdulden, und er erkannte, dass wir dieses Elend aufgrund unseres undisziplinierten Geisteszustands erfahren. Er erkannte, dass unser Geist so ungestüm ist, dass wir oft nachts nicht einmal schlafen können. Angesichts dieser Vielzahl von Leiden und Problemen war er weise genug, nach einer Methode zur Bewältigung dieser Probleme zu fragen.
Er kam zu dem Schluss, ein Leben als Prinz in einem Palast biete keinerlei Möglichkeit, Leid zu beseitigen. Es war allenfalls ein Hindernis. Darum gab er alle Annehmlichkeiten des Palastes auf, einschließlich der Gesellschaft seiner Frau und seines Sohnes, und begann das hauslose Leben.4 Im Verlauf seiner Suche fragte er viele Lehrer um Rat und hörte ihre Unterweisungen. Er fand, dass ihre Lehren von einigem Nutzen waren, aber sie verhalfen nicht zu einer endgültigen Lösung des Problems – Leid zu beseitigen. Sechs Jahre lang unterzog er sich strenger Askese. Indem er sämtliche Annehmlichkeiten aufgab, die er als Prinz genossen hatte, und sich strenger asketischer Übung widmete, konnte er sein meditatives Verständnis stärken. Unter dem Bodhi-Baum5 sitzend, überwand er die hinderlichen Kräfte und erlangte Erleuchtung. Später gab er Unterweisungen, auf der Grundlage eigener Erfahrung und Verwirklichung begann er das Rad der Lehre zu drehen.6
Wenn wir über den Buddha reden, reden wir nicht über jemanden, der von Anfang an ein Buddha war. Er begann genauso wie wir. Er war ein gewöhnliches empfindendes Wesen, musste die gleichen Leiden mit ansehen wie wir: Geburt, Alter, Krankheit und Tod. Er hatte allerlei Gedanken und Gefühle, Empfindungen von Glück und von Schmerz, geradeso wie wir. Aber infolge seiner starken und ausgeglichenen spirituellen Praxis erreichte er die verschiedenen Stufen des spirituellen Weges zur Erleuchtung.
Wir sollten uns sein Beispiel vor Augen halten. Wir haben dieses Leben als freie und von Glück begünstigte Menschen begonnen, und wir sind zwar vielfältigen Leiden unterworfen, aber wir besitzen menschliche Intelligenz. Wir verfügen über Unterscheidungsfähigkeit. Wir sind auf die unermesslich tiefgründige Lehre des Buddha gestoßen, und – was noch wichtiger ist – wir haben die Fähigkeit, sie zu begreifen. Seit Buddha Shakyamunis Zeit bis heute haben buddhistische Praktizierende sich von ihm und späteren erhabenen Lehrern inspirieren lassen.
Wir sind zwar als gewöhnliche Menschen geboren. Dennoch müssen wir, bevor wir sterben, diese kostbare Gelegenheit zur unerschütterlichen Verwirklichung des Dharma, der Lehren des Buddha, zu nutzen versuchen. Können wir dies tun, dann werden wir uns vor dem Tod nicht fürchten müssen. Ein guter Dharma-Schüler kann ohne Bedauern friedvoll sterben, weil sein oder ihr menschliches Potenzial voll verwirklicht ist. Wenn wir hingegen als Menschen unfähig sind, eine positive Prägung in unserem Geist zu hinterlassen, und nur negative Handlungen ansammeln, wird unser menschliches Potenzial am Ende wirkungslos vertan sein. Wer für den Schmerz und die Vernichtung von Menschen und anderen empfindenden Wesen verantwortlich ist, gleicht mehr einer bösen Macht als einem menschlichen Wesen. Machen Sie daher aus diesem menschlichen Leben etwas Lohnendes und nicht etwas Zerstörerisches.
In dieser Welt führt man bisweilen Kriege im Namen der Religion. Das geschieht, wenn wir die Religion letztlich als bloßes Etikett auffassen, also ihre Bedeutung nicht wirklich in die Tat umsetzen. Mithilfe der spirituellen Praxis sollen wir unseren ungebärdigen Geist disziplinieren. Wenn wir uns von negativen Gedanken leiten lassen, ohne uns jemals zu bemühen, sie umzuwandeln, und den Dharma dazu benutzen, unseren Stolz zu verstärken, kann er zum Grund für einen Krieg werden. Nutzen wir hingegen die spirituelle Praxis zur Umwandlung unseres Geistes, dann besteht keinerlei Möglichkeit, dass er zu einer Konfliktursache wird.
Bei zu vielen Menschen beschränkt sich der Dharma nur auf ein Lippenbekenntnis. Anstatt den Dharma zu nutzen, um bei sich selbst negative Gedanken zu beseitigen, betrachten sie den Dharma als einen Besitz und sich als den Eigentümer. Sie benutzen den Dharma, um den Krieg zu führen und andere destruktive Handlungen zu begehen. Ob wir uns nun zum buddhistischen, hinduistischen, christlichen, jüdischen oder moslemischen Glauben bekennen – wir sollten uns nicht bloß mit dem Etikett der jeweiligen Konfession zufriedengeben. Vielmehr geht es darum, die in diesen verschiedenen religiösen Überlieferungen enthaltene Botschaft herauszuholen und sie dazu zu verwenden, unseren undisziplinierten Geist umzuwandeln. Kurzum, als Buddhisten sollten wir dem Beispiel von Buddha Shakyamuni folgen.
Denke ich über Buddha Shakyamunis Leben nach, habe ich bisweilen ein unbehagliches Gefühl. Obwohl Buddha Shakyamunis Lehre auf mehreren Ebenen interpretiert werden kann, ist aus dem historischen Bericht klar ersichtlich, dass Buddha Shakyamuni sich sechs Jahre lang harter Übung unterzog. Dies zeigt, dass man den Geist nicht umwandeln kann, indem man bloß schläft und sich entspannt und sämtliche Annehmlichkeiten des Lebens genießt. Es zeigt uns: Nur dadurch, dass wir hart arbeiten und über lange Zeit Entbehrungen auf uns nehmen, können wir erleuchtet werden. Es ist nicht leicht, innerhalb kurzer Zeit und ohne Mühe all die spirituellen Stufen und Verwirklichungen zu erreichen. Selbst der Buddha, der Begründer dieser Lehre, musste solche Entbehrungen auf sich nehmen. Wie können wir also erwarten, spirituelle Höhen zu erreichen und erleuchtet zu werden, indem wir lediglich bestimmte Übungen durchführen und eine erholsame Zeit verbringen? Wenn wir die Geschichten von den großen spirituellen Lehrern der Vergangenheit lesen, stellen wir fest, dass sie...