DIE STUDIE
Die Studie »Prostitution weiblicher Jugendlicher in Wien« wurde im Rahmen unserer Diplomarbeiten in der Zeit von Jänner 2003 bis Juni 2004 in Wien durchgeführt. Im Mittelpunkt dieser empirischen Erhebung standen drei Forschungsfragen, die auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ausgerichtet waren. Zum einen wurden die Beweggründe und Ursachen erforscht, die Jugendliche in die Prostitution führen. Ziel war es, herauszufinden, was im Leben dieser Mädchen vorgefallen ist, worin die Gründe für die Prostitution liegen könnten. Hierbei wurden Kindheit, Familie und Jugend fokussiert. Die zweite Forschungsfrage befasste sich mit der aktuellen Lebenssituation der jungen Prostituierten. In diesem Kontext wurden die Mädchen zu den unterschiedlichsten Bereichen ihrer Lebenswelt bzw. zu Themen wie beispielsweise Erfahrungen im Milieu, Gesundheits- bzw. Risikoverhalten und soziale Beziehungen befragt. Somit konnte eine wirklichkeitsgetreue, umfassende Darstellung der Lebenssituationen erarbeitet werden. Die dritte Fragestellung bezog sich auf Unterstützungsmöglichkeiten für diese Zielgruppe und auf die Überlegung, wie ein adäquates Hilfsangebot aussehen könnte. Die Erfassung der Bedürfnisse und Wünsche der Mädchen hinsichtlich eines solchen Hilfsangebots standen hier im Vordergrund. Neben diesen drei Hauptfragestellungen waren im Sinn eines offenen Forschungsprozesses die von den Befragten selbst eingebrachten Themen von zentraler Bedeutung.
Die Zielgruppe der Untersuchung stellten Mädchen und junge Frauen dar, die vor der Vollendung des 18. Lebensjahres mit der Prostitution begonnen haben und zum Zeitpunkt der Erhebung nicht älter als 25 Jahre alt waren. Der Schwerpunkt der Befragung lag bei österreichischen Staatsbürgerinnen, die keine Kontrollkarte besitzen und somit als Geheimprostituierte definiert werden. Weiters wurden bis auf wenige Ausnahmen Frauen befragt, die auf dem Straßenstrich tätig sind.
Um eine geringere Komplexität und vor allem eine Eingrenzung des Untersuchungsfeldes zu erzielen, wurde bewusst auf die Analyse der Gruppe von sich prostituierenden Migrantinnen/Asylantinnen sowie auf die Miteinbeziehung der Thematik Frauen- bzw. Menschenhandel verzichtet. Weiters wurde in dieser Studie auch Beschaffungsprostitution nicht als gesonderter Bereich untersucht, da die Annahme, dass Drogenkonsum und Prostitution in Wechselwirkung zu einander stehen, den Ausgangspunkt darstellte. In Folge dessen war der Fokus nicht auf drogenkonsumierende, junge Prostituierte gerichtet.
Bis auf zwei Ausnahmen gingen alle Befragten zum Zeitpunkt der Erhebung der Prostitution nach. Ein Mädchen berichtete im Zuge des Interviews, dass sie seit acht Monaten nicht mehr auf den Strich geht, ein anderes machte keine konkrete Angabe dazu. Da viele der jungen Prostituierten früher schon versucht haben auszusteigen, ihnen dies aber nur für kurze Zeit gelungen ist, kann auch bei diesen beiden Mädchen nicht mit Sicherheit angenommen werden, dass es sich bei ihnen um einen endgültigen Ausstieg handelt. Fast keine der befragten Frauen deklariert sich selbst als Prostituierte. Sie sehen ihre Tätigkeit vordergründig als Notwendigkeit für eine gewisse Zeitspanne an und haben kaum professionellen Zugang zur Prostitution.
Die Studie wurde in Kooperation mit dem STD Ambulatorium der Magistratsabteilung 15 in Wien durchgeführt. Die Magistratsabteilung 57 – Frauenbüro der Stadt Wien und die Fachhochschule St. Pölten leisteten finanzielle Unterstützung, um die Realisierung der Studie zu sichern. Als Projektträger der Studie fungierte der Verein SOZAKTIV, dessen Ziel es u.a. ist, Projekte der Sozialarbeitswissenschaft zu fördern. Darüber hinaus unterstützten viele Personen und Einrichtungen aus dem In- und Ausland die Studie durch ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihre Kooperation.
Um Zugang zur Gruppe der weiblichen, jugendlichen Prostituierten zu finden, lag der erste Schritt darin, Informationen über diese Mädchen beim STD Ambulatorium der Stadt Wien, Magistratsabteilung 15 einzuholen. Frau Maga. (FH) Elisabeth Mayer unterstützte uns dabei herauszufinden, wo sich die Zielgruppe zur Ausübung der Prostitution überwiegend aufhält und wann die »Hauptgeschäftszeiten« sind. Da sich die Mädchen hauptsächlich im 15. Wiener Gemeindebezirk im Gebiet äußere Mariahilferstraße und im 2. Wiener Gemeindebezirk im Stuwerviertel prostituieren, wurden diese Gebiete aufgesucht, um erste Eindrücke von den Abläufen und Gegebenheiten am Straßenstrich zu gewinnen.
Die Kontaktaufnahme mit den Mädchen und jungen Frauen erfolgte einerseits durch persönliches Ansprechen auf der Straße oder anderseits durch telefonische Kontaktaufnahme von Seiten der Mädchen. In diversen niederschwelligen sozialen Einrichtungen des Vereins Wiener Sozialprojekte (Drogenberatungsstelle Ganslwirt, Stützpunkt Streetwork Karlsplatz, Mobile Anlaufstelle am Westbahnhof) sowie auch im STD Ambulatorium wurden Plakate aufgehängt, um auf diesem Weg Mädchen zu erreichen und für die Teilnahme an der Untersuchung zu gewinnen. Zum selben Zweck fand auch die Verteilung von »Visitenkarten« mit Informationen zur Studie an relevanten Orten – wie dem Stuwerviertel und dem 15. Wiener Gemeindebezirk, aber auch am Drogenszene-Treffpunkt Karlsplatz – statt. Um jederzeit für interessierte Mädchen erreichbar zu sein, wurde ein Wertkartenhandy erworben. Die Nummer dieses Handys wurde auf den Plakaten und Visitenkarten vermerkt bzw. auch per Mundpropaganda im Milieu weitergegeben.
Insgesamt wurden 25 Mädchen und junge Frauen im Alter zwischen 14 und 25 Jahren befragt. Die Studie hat einen explorativqualitativen Charakter und erhebt daher keinen Anspruch repräsentativ zu sein. Die Ergebnisse der Erhebung beziehen sich infolgedessen auf die von uns befragten jungen Frauen und stellen damit einen »Ausschnitt« der gesamten Zielgruppe dar.
Die Untersuchungsmethoden setzten sich aus einer Fragebogenerhebung, leitfadenzentrierten Interviews, ExpertInneninterviews sowie einem Literaturstudium zusammen. Die Fragebogenerhebung diente dazu, Grunddaten der Mädchen zu erfassen sowie einen ersten Eindruck von relevanten Themenbereichen zu gewinnen. Der Fragebogen war so konzipiert, dass die Mädchen ihn nicht selbst ausfüllen mussten, sondern die Antworten notiert wurden. Ein einfacher, zügiger Ablauf der Befragung wurde damit gesichert. Zudem hatten einige ExpertInnen im Vorfeld dieser Befragung Zweifel geäußert, dass alle Mädchen der Zielgruppe ausreichend gut schreiben und lesen können. Um die Eignung des Fragebogens zu überprüfen, wurden Pre-Tests mit sechs Prostituierten durchgeführt, die zu Änderungen im Fragebogendesign führten. Nach einigen Vereinfachungen wurden mit insgesamt 15 Mädchen und jungen Frauen der Fragebogen ausgefüllt.
Die zweite Forschungsphase erfolgte einige Wochen darauf mittels leitfadenzentrierten Interviews und wurde mit zehn jungen Frauen durchgeführt. Der Leitfaden für diese Interviews baute hauptsächlich auf den Ergebnissen der Fragebogenerhebung auf, wobei forschungsrelevante Fragen vertieft und ausgeweitet wurden. Es stand jedoch auch im Vordergrund, den Aussagen der Interviewpartnerinnen genug Platz und Authentizität einzuräumen. Aus diesem Grund wurde besonderes Augenmerk auf die Flexibilität der Fragestellungen gelegt, um sich aus dem Gespräch ergebende Themen aufnehmen und weiterzuverfolgen zu können. Die Interviews wurden mit einem Kassettenrecorder aufgenommen und anschließend transkribiert. Die Auswertung des gewonnenen Datenmaterials erfolgte durch die, an die Grounded Theory angelehnte Methode des thematischen Kodierens.
Die Fragebogenerhebung dauerte pro Befragung ungefähr 30 Minuten, die leitfadenzentrierten Interviews hingegen nahmen mindestens eine bis maximal drei Stunden in Anspruch. Es wurde darauf geachtet, die Mädchen mit den gestellten Fragen nicht zu überfordern bzw. sie nicht zu detailliert über traumatische Erlebnisse zu befragen, da eine eventuell notwendige Nachbetreuung im Rahmen dieses Projekts nicht gewährleistet werden konnte. Hinzu kam allerdings die Problematik, dass viele der Mädchen durch wiederholte Grenzüberschreitungserfahrungen ihre persönlichen Grenzen nicht mehr wahrnehmen und infolgedessen nicht spüren, wann Fragen zu aufwühlend werden. Aus diesem Grund wurde immer wieder ihr Einverständnis für heikle Fragen eingeholt und laufend nachgefragt, ob sie eine Pause benötigen.
Als Kostenersatz erhielten die befragten jungen Prostituierten 30 Euro für ihre Teilnahme an der Studie, da der Zeitaufwand für sie auch einen Verdienstentgang bedeutete. Es zeigte sich, dass diese 30 Euro einen großen Anreiz darstellten, ohne den einige der Mädchen und jungen Frauen wahrscheinlich nicht an der Erhebung teilgenommen hätten. Unsere Interviewpartnerinnen wurden auch zu Getränken und gelegentlich zu einem Imbiss eingeladen.
Die Interviews fanden an den unterschiedlichsten Orten statt. Manche Befragungen wurden in Kaffeehäusern und Gaststätten durchgeführt, manche in der Mobilen Anlaufstelle des Vereins Wiener Sozialprojekte am Westbahnhof und andere wiederum auf Parkbänken...