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Othmar Nestroy
Vorwort
„Es gibt in der Natur keinen wichtigeren, keinen der Betrachtung würdigeren Gegenstand als den Boden.“ F. A. Fallou
Statistisch gesehen bevölkerten am 01.01.2014 7,2 Mrd. Menschen die Erde, litten rund 2 Mrd. Menschen an Mangelernährung (Riegler & Hickersberger, 2008), rund 850 Mio. an Hunger und etwa alle 10 Sekunden starb ein Kind an Hunger. Pro Jahr wird die Erdbevölkerung um 83 Mio. Menschen zunehmen und im Jahre 2050 werden rund 10 Mrd. Menschen auf der Erde leben – zum Großteil in den Städten von Entwicklungsländern (Abb. 1).
Abb. 1: Entwicklung der Weltbevölkerung, von Ackerland/Person sowie der Waldfläche von 1960 bis 2040.
(Brady & Weil, 2008)
Die Zahl der gegenwärtigen Erdbevölkerung hat sich gegenüber dem Jahre 1960 verdoppelt – davon leben rund 49 % mit zunehmender Tendenz in Städten.
Die Erhaltung von fruchtbaren Böden ist essenziell, um die Weltbevölkerung, die mit zunehmender Tendenz in Städten lebt, zu ernähren.
Die Ernährung der Weltbevölkerung kann nur dann gesichert werden, wenn die landwirtschaftlichen Flächen erhalten bleiben und optimal genutzt werden, wobei die Verluste bei Ernte, Transport und Lagerung sowie die Fakten, dass für den Eigenkonsum oft nicht genug produziert werden kann und den bedürftigen Menschen oftmals das Geld für den Kauf der notwendigen Lebensmittel fehlt, nicht unterschätzt und deshalb nicht übersehen werden dürfen.
Die Unterernährung ist in erster Linie kein Produktions-, sondern ein Verteilungs- und Kaufproblem (Brandt, 2008).
Dazu kommt noch, dass bei zunehmendem Wohlstand auch der Fleischkonsum zunehmen und deshalb der Bedarf an Futtermitteln überproportional ansteigen wird, da bei jeder Trophiestufe rund 85 % verloren gehen und nur die restlichen 15 % der zugeführten Energie genutzt werden: So werden z. B. für die Produktion von 1 kg Rindfleisch rund 7 kg Futtergetreide benötigt.
Von den oftmals genannten drei Medien – Boden, Wasser, Luft – haben viele Menschen über den Boden meist eine vage Vorstellung und demnach auch nur eine sehr lose Beziehung zu ihm. So ist kaum bekannt, dass etwa 80 % unserer Nahrungsmittel direkt oder indirekt über den Boden produziert werden und rund 95 % des Wassers, das wir trinken, durch den Boden seinen Weg findet.
Obwohl der Boden Eingang in vielen Redewendungen gefunden hat, haben die wenigsten Menschen eine genaue Vorstellung von ihm.
Nur ein kleiner Kreis von Personen setzt sich mit dem Boden und seinen Funktionen auseinander und kennt ihn genauer, doch in sehr unterschiedlicher Form hat jeder von uns schon mit dem Boden bewusst oder unbewusst Bekanntschaft gemacht – dies jedoch meist oberflächlich. Der Boden wird häufig als die braune, schmutzig machende Substanz wahrgenommen. Er wird mit Füßen getreten und auch viele Redewendungen beziehen sich auf den Boden, wie: „den Boden unter den Füßen verlieren“, „mit beiden Füßen auf dem Boden stehen“, „bodenverbunden sein“, „geerdet sein“, „wiederum festen Boden unter den Füßen haben“, „bodenständig sein“, „ihm wurde der Boden zu heiß“, „jemandem den Boden unter den Füßen wegziehen“, „ich hätte vor Scham im Boden versinken können“, „am Boden zerstört sein“, „an Boden gewinnen/verlieren“, „etwas aus dem Boden stampfen“, „auf fruchtbaren Boden fallen“, „einer Sache den Boden bereiten“, „wie Pilze aus dem Boden schießen“, „zu Boden gehen“ und „das ist eine bodenlose Frechheit“. Diese Auswahl von Redewendungen, in denen der Begriff Boden vorkommt, lässt erkennen, dass wir im täglichen Leben nicht ganz den Kontakt mit dem Boden verloren haben, denn schließlich wurde Adam (hebräisch ādām – Mensch) aus Lehm (hebräisch ādāmäh – Ackerboden) von Gott geformt.
Wir soll(t)en den Boden in die Hand nehmen, statt ihn mit Füßen zu treten und zu zerstören!
Verweilen wir ein wenig bei dem von uns bewohnten und genutzten Planeten Erde. Unser Planet weist einen Äquatordurchmesser von rund 6.378 km und eine Gesamtoberfläche von 510 Mio. km2 auf, davon sind 362 Mio. km2 Wasserfläche und 148 Mio. km2 Landoberfläche.
Von der Landoberfläche stehen jedoch nur relativ geringe Anteile für den Anbau von Nutzpflanzen zur Verfügung, denn rund 23 % sind zu trocken, rund 20 % sind zu kalt, rund 20 % zu steil oder zu flachgründig, rund 5 % zu feucht und rund 10 % weisen eine zu geringe Fruchtbarkeit auf (Driessen & Dudal, 1991). Nur 22 % sind ackerbaulich nutzbar, doch dieser Anteil ist derzeit schon mehr als zur Hälfte unter Kultur genommen, die verbleibenden Flächen könnten zwar intensiv kultiviert werden, doch der Aufwand steigt mit der Verminderung von verfügbaren Flächen, da logischerweise zuerst die günstigen Lagen kultiviert wurden. Rund 31 %, d. s. 4 Mrd. ha, der Landoberfläche sind (noch) Wald.
Verknüpft man diese Fakten mit den Böden unserer Breiten, die eine durchschnittliche Mächtigkeit von (nur) einem Meter erreichen, dann kann man mit Recht von der dünnen, empfindlichen Haut unseres Planeten sprechen, die aber von eminenter Bedeutung für unser Überleben ist: Sie ist die Lebensgrundlage der Menschheit (Abb. 2).
Der Boden ist jedoch eine begrenzte und gefährdete Ressource. Es ist demnach geboten, sich mit den folgenden brisanten Fragen auseinanderzusetzen, die von uns zu be- bzw. verantworten sind:
Was ist Boden, welche Prozesse laufen in ihm ab, welche Eigenschaften zeichnen ihn aus und wie können wir diese erkennen?
Nutzen wir den Boden ordnungsgemäß und damit nachhaltig?
Wie viel Boden verbrauchen wir?
Wie viel fruchtbaren Boden hinterlassen wir den folgenden Generationen?
Abb. 2: Der Boden, die dünne und empfindliche Haut unseres Planeten
Der Boden als dünne Haut unseres Planeten ist auch die Lebensgrundlage unserer Nachkommen.
Es ist also aus mehreren Gründen geboten, den Boden zu schützen und als Zeichen der Wertschätzung der Gesellschaft als Zeuge der Geschichte zu erhalten, denn der Boden ist nur als Leihgabe von den Vorfahren an unsere Generation für unsere Nachkommen zu sehen.
Um das Interesse an diesem Gut Boden zu wecken und um dieses Gut bewusster wahrzunehmen – man kann nur etwas schätzen (und ggf. auch lieben), was man näher kennt – soll dieses Buch einen Beitrag leisten, zugleich soll es aber auch unqualifizierte und unbewiesene Behauptungen über den Boden, die oftmals einfach in den Raum gestellt werden, durch Fachargumente entkräften.
Dieses Buch soll gleichermaßen eine Einstimmung wie auch Einführung in die Bodenkunde für jenen Personenkreis sein, der an dieser Materie berufsbedingt oder aus privaten Gründen Interesse hat. Kurzum: ein praktisches Handbuch, ein Praxisbuch für alle, die sich mit dem Boden beschäftigen oder an der Bodenkunde interessiert sind. Deshalb sollen alle Sparten der Bodenkunde ausgewogen dargestellt und zumindest andeutungsweise ausgeleuchtet werden, um auf diese Weise die Bedeutung wie auch Breite der Bodenkunde darzulegen.
Bewusst wird der Blick an vielen Stellen über den rein bodenkundlichen Horizont fachübergreifend erweitert. Die Ursache liegt nicht darin, dass nicht genügend Material vorhanden wäre, sondern hat ihren Grund in der Tatsache, dass die Bodenkunde eine integrative und viele Gesellschaftsbereiche umfassende Fachdisziplin ist und innerhalb naturwissenschaftlicher Disziplinen keine scharfen Grenzen existieren und daher solche auch nicht gezogen werden können. So ist der Boden nicht nur als Teil der Landschaft zu verstehen, sondern ein prägender Faktor für das Leben auf unserem Planeten. Stahr et al. (2008) verwenden deshalb zu Recht den Plural und sprechen von Bodenwissenschaften.
Feldbodenkunde und Laboruntersuchungen müssen sich ergänzen.
Der Bereich Feldbodenkunde und jener Bereich der Bodenkunde, der sich vorwiegend auf computergestützte Analysendaten vom Laboratorium bezieht, müssen eine Einheit bilden; sie sind nicht trennbar. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass die letztgenannte Teildisziplin ein Übergewicht erlangt haben dürfte. Deshalb soll in diesem...