Vorwort
Oft fühle ich im Laufe einer Therapie, wie unglücklich der Mensch ist, der mir gegenübersitzt. Und ich verstehe, wie es zu diesem Leid kam. Dann arbeiten wir an den Wurzeln des Unglücks und daran, wie sich das Leben zum Besseren wenden kann. Bei anderen Menschen denke ich manchmal, dass ich deren Unglück nicht wirklich verstehe. Sie sind doch mit allem ausgestattet, was es braucht, um glücklich zu sein: gesichertes Einkommen, funktionierende Beziehung, körperliche Gesundheit, Freundeskreis. Was fehlt? Warum reicht es nicht? Irgendetwas ist immer falsch, irgendwer tut ihnen gerade weh, irgendetwas, was sie sich wünschen, bekommen sie nicht, oder sie sind nicht gut genug. Sie glauben, dass keiner sie wirklich schätzt, weil sie so viele Fehler haben. Und weil sie so fehlerhaft sind, so der Glaube vieler Menschen, können sie auch nicht zufrieden mit sich oder gar stolz auf sich sein.
Im Zusammenhang mit einer Fortbildung in Trauma-Psychotherapie stieß ich auf die Erklärung: In vielen (wenn nicht in allen) Seelen wohnt eine Gestalt, die immer unzufrieden ist, Glück nicht gern zulässt – wenn es nicht unter Schmerzen verdient ist. Diese Gestalt gab dem Buch seinen Titel.
Bei meiner Beschäftigung mit den unterschiedlichen Meditationsmethoden habe ich viel über den tibetischen Buddhismus gelesen. Mich beeindruckte der Abschnitt der Lehre, der besagt, dass wir alle schon eine Buddhanatur in uns hätten. Wir müssen sie nur finden, mit ihr in Kontakt kommen. Mit Buddhanatur ist der Teil in uns gemeint, der gütig, geduldig, selbstbewusst, humorvoll und zufrieden ist. Je nach psychologischer Schule könnte man auch vom »gesunden Selbst« sprechen. Dieses Selbst verbirgt sich hinter Ängsten, Abwehrmechanismen, Selbstzweifel, Neid und anderen »Symptomen«, die uns am Glücklichsein hindern.
Zweifel und Kritik sind dabei die größten Hindernisse, oft lösen sie weitere Symptome wie Ängste oder Depressionen aus. Dieses Buch beschäftigt sich mit einem wichtigen Verursacher diesen Unglücks, dem Inneren Kritiker. Er ist weder gelassen noch akzeptierend noch mitfühlend – was wichtige Voraussetzungen für Zufriedenheit sind.
Wir sind erfüllt von Kritik, Wertung und Verurteilung, oft untermauert mit dem wahrhaft erschlagenden Argument: »Du musst die Wahrheit vertragen können.«
Wir unterscheiden zwischen richtig und falsch, gut und schlecht. Das sind unsere Hauptkriterien. Dabei bemühen wir uns, alles »richtig« zu machen und »gut« zu sein. Leider führt jede Kritik, jede Bewertung, gleich, ob wir sie an uns selbst vornehmen, an den anderen Menschen oder an irgendwelchen Ereignissen, zu einem größeren Gefühl von Unzulänglichkeit und Scham. Das gilt auch, wenn wir andere kritisieren und von uns selbst meinen, »recht zu haben«, denn tief in unserem Inneren glauben wir nicht, dass wir wirklich besser sind als alle, die wir kritisieren.
Dieses Buch zeigt einen Weg aus dem Dilemma von Kritik, Schuldzuweisung und Scham. Es ist ganz einfach (was nicht bedeutet, es sei leicht in die Realität umzusetzen): Wir können aufhören, alles zu bewerten. Die Dinge sind, wie sie sind, ich bin, wie ich bin – jedenfalls in diesem Augenblick. Alles kann sich ändern, muss es aber nicht.
Ich schreibe in diesem Buch nicht nur über den Inneren Kritiker, sondern auch über gesunde Ich-Anteile und starke, fröhliche Kinder in uns. Es geht auch nicht darum, den Inneren Kritiker loszuwerden. Das funktioniert einfach nicht. Es geht darum, ihn zu zähmen, ihn sich vertraut zu machen. Wie sagt der schlaue Fuchs zu dem Kleinen Prinzen: »Man kennt nur die Dinge, die man zähmt.« Und: »Wenn du einen Freund willst, so zähme ihn.« Das heißt, seine Kritik abzumildern, zu relativieren und ihn zu integrieren, uns mit ihm zu versöhnen. Er gehört zu unserer Persönlichkeit und hat seine Bedeutung. Aber er hat noch nicht verstanden, dass wir erwachsene Menschen sind und ihn so, wie er sich gerade benimmt, nicht wirklich brauchen. Wir zeigen ihm, wie wir ihn brauchen. Damit übernehmen wir ein Stück mehr die Verantwortung für uns selbst.
Wir können zu uns selbst die akzeptierende Haltung einnehmen, die wir als Kind von unseren Bezugspersonen gebraucht hätten. Wie ein Kind können wir beobachten, statt zu urteilen. Wir können staunen über das, was wir sehen. Wir können neue Zusammenhänge erkennen, die uns durch Kritik und Urteile verschlossen bleiben. So können wir das Leben in seiner Fülle neu genießen.
Bemerkungen über Ratgeber im Allgemeinen
Es gibt viele Ratgeber auf dem Büchermarkt, und dieser Markt wächst. Und es gibt viele Menschen, die Ratgeber kaufen. Diese Bücher füllen eine Lücke zwischen »Ich kann mein Leben ohne größere Schwierigkeiten allein bewältigen« und »Ich habe ein oder mehrere große Probleme und brauche professionelle Hilfe«.
Kann denn ein Ratgeber wirklich helfen? Die Antwort ist eindeutig: Nein, kann er nicht! Ein Ratgeber, der das von sich behauptet, ist unlauter, beziehungsweise sein Autor ist es. Warum also schreibe ich Ratgeber, warum kaufen und lesen Sie welche? Ist das dann sinnvoll? Ja, ist es. Und das ist kein Widerspruch. In einem Ratgeber gibt jemand sein Wissen und seine Erfahrungen weiter, seine Ideen zur Bewältigung verschiedener Konflikte oder Probleme. Er beschreibt Strategien, Techniken, gibt auch Erklärungen darüber, wie ein Konflikt zustande kommen kann, weil schon das Verständnis oft eine Erleichterung bringen kann. So bietet der Ratgeber gleichsam eine Kiste voller mentaler Schätze, aus der Sie aussuchen können, was Ihnen für sich selbst angemessen, nutzbar und Erfolg versprechend erscheint. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte Nachricht ist: Ein Ratgeber hilft nicht, wenn Sie es nicht selbst tun. Selbst die Verantwortung zu übernehmen für sich, seine Entscheidungen, seine Gefühle, gehört zum Schwersten, das uns das Erwachsensein aufbürdet. Selbst wenn wir erkennen, wie viele unserer Probleme und merkwürdigen Verhaltensweisen in unserer Kindheit liegen, müssen wir die Veränderungen selbst und aus eigener Kraft vornehmen. Auch wenn Sie Unterstützung von Freunden, Therapeuten oder Ratgebern in Anspruch nehmen, entstehen Veränderungen aus Ihrer eigenen Kraft heraus. Also: Ein Ratgeber ist wie ein Autoatlas. Sie sind gleichzeitig Fahrer und Auto. Auto ist das, was Sie gerade sind, was Sie mitbringen, Ihren Charakter, Ihren Intellekt, Ihre Gefühle, Ihren Körper. Fahrer sind Sie, weil Sie sich (Ihr ICH) lenken, Ihren ganzen Lebensweg lang.
Ich benutze auch gern folgendes Beispiel, um klarzumachen, dass Sie selbst handeln müssen: Wenn Sie schwimmen lernen wollen, brauchen Sie jemanden, der Ihnen sagt und zeigt, wie es geht. Dadurch können Sie allerdings noch nicht schwimmen, Sie müssen ins Wasser gehen! Manche Menschen stehen ihr ganzes Leben am Beckenrand und sagen: »Ich gehe erst ins Wasser, wenn ich schwimmen kann.«
Zum Lernen gehört immer eine sinnliche Erfahrung. Deshalb können Sie aus einem realen Buch eher lernen als aus einem virtuellen. Nichts gegen E-Books im Urlaub, aber ein Ratgeber muss aus Papier sein. Dann können Sie ihn mit dem Bleistift bearbeiten oder nach Lust und Laune nutzen.
Zum Schwimmenlernen ist es notwendig, wirklich schwimmen können zu wollen, Veränderungen wirklich zu wollen. Und um etwas wirklich wollen zu können, muss es auch Spaß machen! Das hat inzwischen die Gehirnforschung nachgewiesen: Wenn wir mit Freude lernen (oder arbeiten), ist es nicht nur leichter, sondern jedes kleine Ergebnis erhöht die Freude und macht Lust auf weiteres Wissen und Lernen. Und die Forschung hat auch mit der Idee aufgeräumt, unser Gehirn sei wie ein Bücherregal, das einfach mal voll ist. Je mehr wir lernen, umso mehr neue Synapsen bildet das Gehirn und umso mehr können wir lernen – bis an unser Lebensende. Ähnlich ist es mit Veränderungen, die Sie aus eigener Kraft erreicht haben. Sie entwickeln eine Sicherheit, in Ihrem Leben die Verantwortung übernehmen zu können, wirksam zu sein. Dieses Gefühl der Selbstwirksamkeit ist unsere wichtigste Kraft bei Problemen und im Leid. Genau deshalb legt dieser Ratgeber auch Wert auf die sogenannte Psychoedukation. Damit sind die Erklärungen (Theorien) gemeint, die ich zu den jeweiligen Aspekten unseres Themas gebe. Zu verstehen, wie unser Verhalten entstanden ist, hilft uns, geduldiger mit uns zu sein, Zusammenhänge zu erkennen und Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln. So werden wir zum selbständigen Erwachsenen.
Ich hoffe, dass Sie viel Spaß mit diesem Ratgeber haben und die eine oder andere Veränderung oder Persönlichkeitsentwicklung, die Sie sich wünschen, auch erreichen. Wie das gehen könnte, beschreibe ich im nächsten Kapitel.
Wie Sie mit diesem Buch arbeiten können
Wie also können Sie mit diesem Buch arbeiten? Wie Sie wollen, wie es Ihnen Spaß macht, ist die logische Antwort, die aus dem Abschnitt über Ratgeber im Allgemeinen hervorgeht. Die Struktur des Buches lässt außerdem verschiedenste Möglichkeiten zu:
- Sie können es einfach in Ihr Bücherregal stellen – neben einen anderen Ratgeber aus diesem Verlag. Eine solche Serie habe ich auch, und die Reihe sieht sehr hübsch aus.
- Sie können das Buch lesen, ich habe mich bemüht, mich nicht zu kompliziert auszudrücken, also ist es auch nicht allzu schwer zu lesen.
- Sie können das Buch verschenken an eine Freundin, die es nötiger hat.
Vielleicht werden Sie jetzt ärgerlich und denken: »Was soll denn der Unsinn?« Ich meine es (fast) ernst. Natürlich werde ich im Anschluss an...