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E-Book

Hinter den Schneebergen

Sagenhafte Geschichten aus dem alten Tibet

AutorUlli Olvedi
VerlagO.W. Barth eBook
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783426442296
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis16,99 EUR
Die Bestsellerautorin Ulli Olvedi erzählt außergewöhnliche Geschichten, Märchen und Fabeln aus dem alten Tibet. Manche der Kapitel mögen an die Gebrüder Grimm, andere wiederum an Äsops Fabeln erinnern, und andere wieder können es an Frechheit mit dem Decamerone aufnehmen. Doch ob sie zauberisch, drastisch oder unverschämt sind, man findet vor allem den Schalk der Tibeter darin. Dieser begleitet den Leser nicht nur in die exotische Vergangenheit Tibets, sondern führt auch in das fröhliche Herz dieser alten Nomaden-Kultur. Als profunde Kennerin der tibetischen Kultur verwebt Ulli Olvedi die Erzählungen nicht nur thematisch ineinander, sie lässt eigene Erfahrungen und Erkenntnisse einfließen und zeigt uns ihr ganz persönliches Tibet. Die enthaltenen Geschichten eignen sich zum Selber- und zum Vorlesen. Sie bringen uns dem Dach der Welt ein Stückchen näher und lassen uns einsinken in die wundersame Erzähltradition Tibets.

Ulli Olvedi gilt als profunde Kennerin des tibetischen Buddhismus und der tibetischen Kultur. Sie verbrachte immer wieder längere Zeit im Himalaya, lebte zurückgezogen in Klöstern und hat daraus die Inspiration für ihre sehr erfolgreichen Romane geschöpft. Mit ihren Romanen, wie u.a. Wie in einem Traum oder Zanskar und ein Leben mehr, stand sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Olvedi gründete die Hochschule für traditionelle tibetische Medizin, das Shelkar Tibetan Medical Institute in Kathmandu, und ist Fachbereichsleiterin für Spiritualität an der Akademie Aidenried am Ammersee bei München.

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Leseprobe

Der Prinz und die sieben Magier


Es war einmal ein Prinz, der einzige Sohn seiner königlichen Eltern und ihr größtes Glück. Seine Schwestern waren schöne und kluge Mädchen, für die sich gute Edelmänner gefunden hatten, doch am meisten liebte das Elternpaar den jungen Prinzen. Viele Gebete und Opferrituale hatten sie im größten Kloster des Landes in Auftrag geben müssen, bis endlich der lang ersehnte Sohn geboren wurde. Wie hatte sich das Volk mit dem König und der Königin gefreut! Im ganzen Land hatte man tagelang Feste gefeiert, denn eine Gelegenheit zum Feiern wurde in diesem Königreich niemals versäumt.

Der Prinz wuchs zu einem ansehnlichen jungen Mann heran mit gutem Benehmen, klugem Geist und hervorragenden Reitkünsten. Im ganzen Königreich wurde er gepriesen. Das gefiel ihm sehr, aber es war nur ein kleines Königreich, und er machte sich Gedanken, wie er über dessen Grenzen hinaus berühmt werden könnte. Manche Yogis, die jahrzehntelang in Höhlen meditiert hatten, wurden weit und breit als geistige Helden gepriesen, aber dieser Weg zum Ruhm dauerte dem Prinzen zu lang, und er bezweifelte, dass er es längere Zeit ganz allein in einer Höhle oder Einsiedelei aushalten würde. Es gab auch berühmte Kämpfer, die viele Feinde besiegt hatten, aber es herrschte Frieden im Land und mit Überfällen war nicht zu rechnen.

Und dann gab es noch die berühmten Magier. Vor ihnen hatten die Leute am allermeisten Respekt. Der Prinz wäre gern ein Magier geworden, wusste jedoch nicht, wo er einen geeigneten Lehrer finden könnte. Zunächst vergnügte er sich mit der Vorstellung, wie er durch fremde Königreiche reisen würde und sein Ruhm ihm vorauseilte, wie selbst Könige sich vor ihm verneigen würden und insgeheim seine Macht fürchteten. Doch das befriedigte ihn bald nicht mehr, und so machte er sich, als Pilger verkleidet, auf den Weg, um einen Meister der Magie zu finden.

Das war nicht so einfach. Mal wurde ihm ein Magier genannt, der sich dann nur als ein schlichter Einsiedler erwies, lediglich fähig, hin und wieder in der Meditation ein bisschen herumzufliegen. Ein anderes Mal schickte man ihn zu einer angeblichen Magierin, die sich jedoch nur auf magisches Heilen verstand. Als der Prinz schon recht entmutigt war, berichtete ihm ein alter Nomade von sieben Magierbrüdern, die tief im Gebirge hausten. Sie verfügten, so erzähle man sich, über höchst ungewöhnliche magische Fähigkeiten und könnten sich sogar in Tiere verwandeln. So mancher habe schon nach ihnen gesucht, aber keiner sei zurückgekommen.

»Schlag dir diese Magier lieber aus dem Kopf, junger Mann«, sagte der Nomade, »sonst wird es noch ein böses Ende nehmen. Entweder wirst du unterwegs das Opfer einer Bergdämonin oder die Magier verzaubern dich in weiß der Himmel was.«

Doch der Prinz ließ sich nichts sagen und wanderte drauflos in das unwegsame Gebirge. Der Nomade hatte sich nämlich nach einigem Zögern doch entlocken lassen, wo ein verborgener Pfad in die Berge hineinführte. Diesem folgte der Prinz Tag für Tag, schlief im Schutz von Felsen oder gelegentlich auch in der Hütte eines Ziegenhirten. In sehr felsigem Gelände war der Pfad oft nicht mehr sichtbar, aber der Prinz gab nicht auf und suchte so lange, bis er wieder eine Spur entdeckte. Schließlich führte ihn sein Karma zu einem Haus, das sich in einem Hochtal zwischen zerklüfteten Felsen duckte. So gut versteckt war es, dass er es fast übersehen hätte.

Erschöpft klopfte er an die Tür. Niemand öffnete, und auch der Stall war leer, aber alles wies darauf hin, dass sich häufig Pferde darin aufhielten, also musste hier jemand wohnen. Der Prinz hoffte inständig, es möge das Haus der Magier sein. Also setzte er sich an die Hauswand und wartete. Unversehens schlief er ein.

Es war schon Nacht, als das Geräusch von Pferdehufen und Stimmen ihn weckte. Im Schein des fast vollen Mondes sah er, dass sich sieben Reiter näherten, und er atmete erleichtert auf. Das mussten sie sein, die sieben besonderen Magier.

Er sei von hoher Geburt, erklärte der Prinz stolz auf ihre Fragen. Er wolle ihr Schüler sein und die Magie erlernen. Dabei zeigte er die kostbaren Edelsteine, die er ihnen dafür geben wollte. Die Magier, wilde Kerle mit langen Bärten, lachten schallend.

»Ein Magier will er werden!«, sagte einer und schlug sich aufs Knie. »Nun, dann soll er doch was lernen.«

Seine kostbaren Steine solle er behalten, sagten die Magier, aber da er nun mal den langen Weg auf sich genommen habe, dürfe er drei Tage lang ihr Schüler sein. Sie verriegelten die Haustür und schickten ihren Gast zum Schlafen in den Stall zu den Pferden.

Am nächsten Morgen lernte der Prinz, die Rufe von Fasanen, wilden Ziegen und Schneeleoparden nachzuahmen, sodass er diese Kunst für die Jagd verwenden konnte.

»Das ist aber keine großartige Zauberei«, sagte der Prinz enttäuscht. »Ich möchte etwas Besseres lernen.«

Wieder lachten die Magier. »Etwas Besseres will er lernen!«, sagte einer. »Striegle die Pferde, vielleicht darfst du dann noch etwas lernen.«

Dem Prinzen blieb nicht anderes übrig, als die Pferde zu striegeln, bis seine Gastgeber wegritten. Erst am Abend kamen sie zurück.

Am nächsten Morgen lehrten ihn die Magier, Felsen in Erde zu verwandeln und Erde in Felsen.

»Das ist auch keine großartige Zauberei«, murrte der Prinz, der schnell lernte. »Ich möchte einen richtig großen Zauber lernen.«

Die Magier lachten so laut, dass es in den Bergen widerhallte. »Einen großen Zauber will er lernen!«, sagte einer. »Dann bekommt er erst mal eine große Arbeit. Also, Junge, mach den Stall ordentlich sauber.« Und sie ritten davon und kamen wieder den ganzen Tag lang nicht zurück. Unwillig säuberte der Prinz den Stall.

Am nächsten Morgen lehrten die Magier ihn, ein schwarzes Pferd in ein weißes zu verwandeln und ein weißes Pferd in ein schwarzes.

»Das ist ja schön und gut, aber von solch einem Zauber wird man nicht berühmt«, sagte der Prinz.

Die Magier lachten nicht mehr. »Undankbarer Lümmel!«, riefen sie und jagten ihn davon.

Der Prinz packte sein Bündel und tat so, als gehorche er, doch er versteckte sich im Wald und wartete, bis die Magier am Abend heimkamen. In den vergangenen Nächten hatte er Licht im oberen Stock des Hauses gesehen, und so nahm er sich vor herauszufinden, was da oben vor sich ging.

In der Nacht gelang es ihm, zu dem beleuchteten Fenster hinaufzuklettern. Da sah er die Magier im Kreis sitzen, sie besprachen Zaubereien, schlugen in ihren Büchern nach und lasen einander laut vor. Er hörte zu, bis die Magier schlafen gingen, und versteckte sich wieder im Wald.

Jeden Tag, nachdem er die Magier hatte fortreiten sehen, kletterte der Prinz hinauf zum Fenster, zwängte sich durch die enge Öffnung in das Zimmer und vertiefte sich in das Studium der Bücher. Da er gut lernen konnte, fiel es ihm leicht, sich die Zaubersprüche und Rituale zu merken.

Doch eines Tages kamen die sieben Magier früher heim als sonst. Der Prinz, vertieft in ein Buch, hörte sie plötzlich ins Haus kommen. In Panik kletterte er aus dem Fenster, rutschte ab und fiel mit Gepolter zu Boden. Die Zauberer sahen ihn fliehen und holten schnell ihre Pferde wieder aus dem Stall. Eilig sprach der Prinz den Zauberspruch aus einem der Bücher, mit dem man sich in ein Pferd verwandelte. So schnell und geschickt er als Reiter war, so schnell und geschickt war er auch als Pferd, doch sein Vorsprung war nicht allzu groß.

Schließlich geriet er an einen Fluss, galoppierte hinein und sprach geschwind den Zauberspruch, der ihn in einen Fisch verwandelte. Hui, wie schnell er durch das Wasser glitt! Doch schon waren sieben wendige Fischotter hinter ihm her. Im Nu verwandelte er sich in einen Sperling und schoss wie ein Pfeil aus dem Fluss. Vor den sieben Falken, die ihm folgten, konnte er im Wald Deckung suchen, doch ihre scharfen Augen spürten ihn immer wieder auf. Zudem bemerkte er, wie er müde wurde. Er begann seinen Übermut zu bereuen, der ihn zu den Magiern geführt hatte. Wie verzweifelt würden seine Eltern sein, wenn er nie mehr zum Schloss zurückkehrte.

Als er schon zu taumeln begann, entdeckte er den Eingang zu einer Höhle, in der ein Einsiedler meditierend saß. Schnell flog er hinein und ließ sich auf der Schulter des Einsiedlers nieder.

»Bitte, Großvater, versteckt mich«, keuchte er. »Ich werde verfolgt. Die Magier wollen mich töten.«

»Wo soll ich dich denn hier verstecken?«, fragte der Einsiedler, der sofort erkannte, dass der Sperling nicht wirklich ein Sperling war. »Hier gibt es keine Verstecke.«

»Eure Mantrakette«, sagte der Prinz atemlos. Und schon hatte er sich in eine Perle der Mantrakette, die der Einsiedler in der Hand hielt, hineingezaubert. Nur einen Augenblick später betraten die sieben Magier die Höhle.

»Ein Vogel ist hier hereingeflogen«, sagten sie. »Wo ist er?«

Der Einsiedler antwortete: »Ein Vogel? Was soll das? Bitte geht wieder, ihr stört meine Meditation.«

Die Magier waren wütend. Sie verwandelten sich in sieben Insekten, die sich auf den Magier stürzten, um ihn zu stechen und so zum Reden zu bringen. Das Entsetzen darüber, dass der Einsiedler seinetwegen Schmerzen erleiden sollte, verlieh dem Prinzen neue Kraft. Er verwandelte sich in einen Hahn, pickte blitzschnell die sieben Insekten auf und zerquetschte sie mit seinem Schnabel. Da blieben von den Magiern nur sieben Insektenleichen übrig.

Der Einsiedler, ein großer Meister, war sehr bekümmert. »Da hast du etwas Schlimmes getan«, sagte er. »Sieben Tote. Und das in meiner Höhle.«

Der Prinz erkannte, was er in seiner Gier nach Berühmtheit angestellt hatte, und war sehr zerknirscht.

»Bitte, Meister, verzeiht mir«,...

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