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Depressionen im Sport

Der Ratgeber für Sportler, Trainer, Betrauer und Angehörge

AutorFrank Schneider
VerlagHerbig
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783776681659
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Die Jagd nach sportlichem Erfolg lässt keinen Platz für Schwäche. Dabei sind Depressionen und andere psychische Erkrankungen keineswegs selten bei Sportlern, wie die Fälle Sven Hannawald, Sebastian Deisler und Britta Steffen zeigen. Doch Stigmatisierung und mangelnde Information haben oft fatale Folgen - bis hin zum Suizid, den Robert Enke beging. Prof. Dr. med. Frank Schneider bietet Sportlern, Trainern und Angehörigen wertvolle Orientierung: Wie kann man Depressionen erkennen, was sind die Ursachen und besonderen Gefahren bei Sportlern, welche Behandlungsmöglichkeiten wie Medikamente und Psychotherapie gibt es? Er macht den Betroffenen Mut: Es gibt einen Ausweg aus der Krise.

Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider, Jahrgang 1958, war Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) und arbeitet als Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum Aachen. Zuletzt erschienen von ihm bei Herbig die Ratgeber Demenz sowie Depressionen im Alter und zusammen mit Sigrid Falkenstein Annas Spuren. Ein Opfer der NS-'Euthanasie'.

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Leseprobe

Welche anderen seelischen Erkrankungen gibt es?

Depression ist nur eine unter vielen psychischen Erkrankungen. Bei Leistungssportlern treten auch häufig Angsterkrankungen, Zwangsstörungen, Substanzmissbrauch, Essstörungen und natürlich die große Gruppe der Folgen von traumatischen Einwirkungen auf das Gehirn auf. Letzteres ist aus dem Bereich des Boxens bekannt. Im folgenden Kapitel sollen die für Leistungssportler relevanten Erkrankungen vorgestellt werden. Sie als Leserin bzw. Leser sollen sich dadurch selbst einen Eindruck verschaffen können, ob eine wahrgenommene Auffälligkeit im Erleben und Verhalten einen Krankheitswert hat oder noch zum Bereich des Gesunden gehört. Dann können Sie die richtigen Konsequenzen ziehen und je nach Einschätzung gegebenenfalls einen Facharzt oder den Hausarzt hinzuziehen.

Burnout durch Überforderung?

Schon in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde von einem New Yorker Psychotherapeuten der Begriff »Burnout« für einen Zustand des »Ausgebranntseins« durch höchste Arbeitsbelastung eingeführt. In Deutschland ist der Begriff in aller Munde, in anderen Ländern ist er ein Fremdwort. Wir verstehen darunter, dass der Arbeitsplatz uns depressiv gemacht hat. Wir haben uns aufgeopfert und können dem Druck nicht mehr standhalten. Dies ist allerdings eine etwas eigentümliche Definition: Wir wissen, dass Depressionen durch die Wechselwirkung von biologischen (besonders genetischen) und psychosozialen Faktoren (Stress am Arbeitsplatz, aber auch in allen anderen gesellschaftlichen und privaten Bereichen) ausgelöst wird. Depressionen auf eine einzige Ursache zu reduzieren, verkennt diese wissenschaftliche Tatsache der multifaktoriellen Bedingtheit psychischer Erkrankungen.

Warum ist der Begriff »Burnout« so populär geworden?

Burnout, also »Übertraining« im mentalen Sinne (»Ich habe zu viel gearbeitet«), hört sich schöner an als der Name jeder psychischen Erkrankung: Man kann nichts für die Erkrankung, hat sich sogar noch aufgeopfert, bis man umgekippt ist. Dies ist ja gerade für Leistungssportler typisch, wenn sie in Krisen geraten. Aber auch hier gilt, dass Burnout ein unpassender Begriff ist. Nicht einmal im internationalen Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen (ICD-10, F-Kategorie) erscheint Burnout als Diagnose. Jeder könnte sagen, dass er ein Burnout hat, ob er sich nun momentan schlecht fühlt im Sinne einer vorübergehenden »Laune« oder unter einer manifesten Depression leidet.

Leider wird aber in den Medien häufig der Eindruck erweckt, »Burnout« sei eine Erkrankung der hart arbeitenden Menschen, Depression dagegen eine Erkrankung der »Schwachen«. Es ist jedoch festzustellen, dass Burnout keine Depression des arbeitenden Menschen ist, diese Begriffe also auch nicht austauschbar sind.

Mit viel gutem Willen könnte man vielleicht noch sagen, dass Burnout manchmal eine Vorstufe der Depression sein kann. Wir sollten uns aber vor Augen halten, dass eine Arbeitsüberlastung, die mit Stress und Frustration verbunden ist und eventuell in einen Risikozustand mit Erschöpfung, Zynismus sowie Leistungsminderung übergeht, nicht zwangsläufig in eine Depression mündet. Möglich sind auch andere psychische Störungen (etwa eine Suchterkrankung) und natürlich körperliche Erkrankungen. Doch aus dem als Burnout beschriebenen Zustand muss keineswegs eine manifeste psychische oder körperliche Erkrankung resultieren.

Was lernen wir aus dieser Diskussion?

Burnout gibt es natürlich in dem Sinne, dass eine längerfristige Arbeitsüberforderung möglicherweise zu psychischen und körperlichen Beschwerden führt. Wir müssen demzufolge die Arbeitsplätze so organisieren, dass wir versuchen, dies zu vermeiden. Gerade bei Leistungssportlern ist das aber kaum vorstellbar: Nehmen wir den Leichtathleten oder den Schwimmer, der nur alle vier Jahre die Chance hat, bei den Olympischen Spielen innerhalb von ein oder zwei Minuten seine Höchstleistung zu zeigen. Danach kann er sich wieder vier Jahre auf das nächste Großereignis vorbereiten.

Betreuer, Trainer und Sportmediziner entwickeln gemeinsam mit den Sportlern Strategien, um den gesunden Zustand langfristig aufrechtzuerhalten, mit Stresssituationen umzugehen und Höchstleistungen zu vollbringen. Viele der Sportler schaffen dies. Trotzdem können sie psychisch erkranken. Dies ist dann keine Fehlleistung am Arbeitsplatz, sondern eine Wende im eigenen Lebensschicksal.

»Athleten-Burnout«

Auch der spezielle Begriff des »Athleten-Burnouts« ist umstritten. So werden darunter ein Erschöpfungssyndrom auf körperlicher wie psychischer Ebene, manchmal auch Zynismus und Abwertung des Sports, verbunden mit sportlicher Leistungsunzufriedenheit verstanden.

Es erscheint unangemessen, ein spezielles Burnout für Athleten zu postulieren, denn die Medizin hat genügend Begriffe, um solche Zustände zu definieren und gegebenenfalls Diagnosen dafür zu vergeben. Im Übrigen konnten selbst große Untersuchungen bei Sportlern nicht zeigen, dass ein solcher Komplex von Beschwerden bei Sportlern häufig vorkommt oder für diese spezifisch ist. Selbstverständlich gibt es »ausgebrannte« Sportler, genauso wie dies aber auch in allen anderen Berufen vorkommt.

Übertraining und Übertrainingssyndrom

»Übertraining« ist dagegen ein klarer definierter Begriff: Er beschreibt ein zu häufiges und zu anstrengendes Training und hohen Wettkampfdruck über längere Zeit mit zu wenig und zu kurzen Erholungszeiten zwischen den Trainingseinheiten. Übertraining kommt nur bei Leistungssportlern vor.

Übertraining beschreibt ein Missverhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit bzw. Training und Regeneration über eine längere Zeit.

Der Beginn eines solchen Übertrainings ist meist mit gewissen Ermüdungszeichen verbunden, das Übertrainingssyndrom selbst führt zu körperlichen Auffälligkeiten wie z. B. Herzratenerhöhung (Tachykardie), daneben aber auch zu Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, Depressivität, Schlafstörungen und manchmal diffusen Schmerzen. Dass die Leistungsfähigkeit unter diesen Umständen absinkt, liegt auf der Hand. Gleichzeitig nimmt die Gefahr für Verletzungen zu. Von einem Übertrainingssyndrom im engeren Sinne spricht man, wenn die sportartenspezifische Leistungsfähigkeit trotz vorherigen regelmäßigen Trainings über eine Regenerationszeit von zwei Wochen hinaus noch eingeschränkt bleibt. Zur Entstehung eines Übertrainingssyndroms kann aber auch die Kombination sportbedingter und externer (z. B. beruflicher oder familiärer) Faktoren führen.

Häufig werden zwei Formen des Übertrainingssyndroms beschrieben, wobei oft auch Mischformen vorkommen: die sympathikotone und die parasympathikotone Form. Die Namensgebung geht auf die jeweils relevanten Anteile des vegetativen Nervensystems zurück: das sympathische Nervensystem (»ergotrope«, d. h. aktivierende Wirkung, ermöglicht die Leistungsphase) und das parasympathische Nervensystem (»trophotrope«, d. h. hemmende Wirkung, ermöglicht die Ernährungs- und Regenerationsphase), die gegensätzlich wirken.

Während sich das sympathikotone Übertrainingssyndrom vor allem durch eine leichte Erregbarkeit, Gereiztheit, erhöhte Herzfrequenz, verminderte Pulsabnahme in der Ruhephase, Schlafstörungen und körperliche Beschwerden wie Kopfschmerzen oder vermehrtes Schwitzen sowie Gewichtsabnahme auszeichnet, macht sich das parasympathikotone Übertrainingssyndrom eher durch eine allgemeine Verlangsamung, Niedergestimmtheit und einen erniedrigten Ruhepuls bemerkbar. Beiden Arten des Übertrainingssyndroms sind aber ein zunächst unerklärlicher Leistungsabfall und leichte Ermüdbarkeit gemein. Ein sympathikotones Übertrainingssyndrom kann im Verlauf, je nach körperlicher Konstitution und Reaktion auf frühe Symptome des Übertrainings, in eine parasympathikotone Form übergehen oder primär als Letztere auftreten.

Fallbeispiel

Woher kommt dieser plötzliche Leistungsabfall? Der 25-jährige Radsportler Christoph K. trainiert hart, setzt sich immer wieder neue Belastungsreize, steigert seine Trainingseinheiten. Doch obwohl er nun mehr denn je trainiert, geht seine Leistungskurve nach unten. Dabei muss er doch gerade jetzt, kurz vor einem wichtigen Rennen, absolut fit sein und mehr noch – seine Höchstform erreicht haben, da ist für Ruhepausen und »Schongang« keine Zeit mehr. Nun verliert er aber an Tempo, seine Muskeln schmerzen, seine Beine fühlen sich schwer an, auch auf flachen Strecken kommt es ihm vor, als würde er nur bergauf fahren. Sein Puls ist bereits in Ruhe deutlich erhöht. Eine körperliche Erkrankung, etwa ein Infekt oder eine Entzündung, oder aber ein Vitaminmangel liegen nicht vor, Christoph ist gesund – fühlt sich aber nicht so. Nachts plagen ihn Schlafstörungen, tagsüber ist er gereizt und unkonzentriert. Und anstatt durch das viele Training Muskulatur aufzubauen, nimmt diese nun eher ab, was sich auch in einer deutlichen Gewichtsreduktion zeigt.

Was ist hier los?

Dieses Fallbeispiel beschreibt ganz charakteristisch die Symptome eines sympathikotonen Übertrainingssyndroms und macht deutlich: Zu viel Training kann zu einem Leistungsabfall führen!

Um ein solches Übertrainingssyndrom zu verhindern, ist es eine wesentliche Aufgabe der Trainer und betreuenden Sportmediziner, regelmäßige Belastungs- und Befindlichkeitsuntersuchungen der Athleten durchzuführen und den...

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