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Der Blitz als Mordinstrument.

Ein Streifzug durch 150 Jahre Strafrechtswissenschaft. Anhang: Die Genesis der Lehre von der objektiven Zurechnung.

AutorFriedrich-Christian Schroeder
VerlagDuncker & Humblot GmbH
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl68 Seiten
ISBN9783428529407
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,90 EUR
Die Rechtswissenschaft besteht nicht nur aus Thesen und Theorien zur Systematisierung und Auslegung der Gesetzgebung. Sie entwirft auch ausgeklügelte Fälle, mit denen sie ihre Theorien belegt und konkurrierende Theorien herausfordert oder zu widerlegen sucht. Einige dieser Fälle sind unsterblich und - wie es scheint - um so unsterblicher, je lebensfremder sie sind. Anhand eines solchen Falles, der die deutsche Strafrechtswissenschaft bereits seit 150 Jahren beschäftigt, zeigt F.-C. Schroeder die Entwicklung der Strafrechtswissenschaft in dieser Zeit auf. Scharfsinnige Analysen vermischen sich mit eher skurrilen Produkten der Wissenschaft. Der Streifzug lässt die beteiligten Wissenschaftler zu ihrem eigenen Wort kommen und spiegelt so auch den Wandel der Sprache der Wissenschaft wider.

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Leseprobe
Der Blitz als Mordinstrument (S. 7-8)

Ein Streifzug durch 150 Jahre Strafrechtswissenschaft

Die Rechtswissenschaft besteht nicht nur in Thesen und Theorien zur Systematisierung und Auslegung der Gesetzgebung. Sie entwirft auch ausgeklügelte Fälle, mit denen sie ihre Theorien belegt und konkurrierende Theorien herausfordert oder zu widerlegen sucht. Einige dieser Fälle sind unsterblich und – wie es scheint – um so unsterblicher, je lebensfremder sie sind. Anhand eines solchen Falles, der die deutsche Strafrechtswissenschaft bereits seit 150 Jahren beschäftigt, möchte ich die Entwicklung der Strafrechtswissenschaft in dieser Zeit aufzeigen. Dabei will ich auch den Wandel der Sprache der Wissenschaft dartun und werde daher die beteiligten Wissenschaftler häufig zu ihrem eigenen Wort kommen lassen.

I. Occidere – causam mortis praestare

Im Jahre 1865 bildete ein „Professor Dr. Hugo Böhlau zu Rostock“ im „Archiv für Preußisches Strafrecht“ den Fall, daß jemand „bei einem heftigen Gewitter seinen Feind in einem Walde spaziren führt in der bestimmtesten Hoffnung, ein Blitz werde den Feind tödten“. Böhlau war vor allem durch eine Monographie über den Mordfall Rose-Rosahl1 bekannt geworden, der ebenfalls noch heute in keiner Vorlesung fehlen darf – aber ich kann hier nicht noch weiteren berühmten Strafrechtsfällen nachgehen. Mit seinem GewitterFall wollte Böhlau seinem Heidelberger Kollegen Ernst Immanuel Bekker zu Hilfe kommen.

Dieser hatte in einer vielbeachteten „Theorie des heutigen Deutschen Strafrechts“ die Straflosigkeit der Tötung eines Diebes durch eine Selbstschußanlage mit der zivilrechtlichen Lehre – es war die Zeit, in der die Wissenschaft des Zivilrechts alle anderen Disziplinen überstrahlte – von den unmöglichen Bedingungen zu begründen versucht. Der Tod des Eindringlings sei an eine widerrechtliche und damit unmögliche Bedingung geknüpft und deshalb dem Handelnden nicht zur Schuld zuzurechnen.

Nach Böhlau ist, wie er schon zum Fall Rose-Rosahl ausgeführt habe, auf den von den römischen Juristen zur lex Aquilia herausgearbeiteten Unterschied zwischen occidere und causam mortis praestare abzustellen. Böhlau greift zunächst zu Metaphern: „Wer seinenWillen, einen Andern zu tödten, nicht weiter verwirklicht, als daß er diesen Andern mit der Möglichkeit eines Unglücks in ein gleichsam nachbarliches Verhältniß, wer seinen Feind und die causa mortis dicht nebeneinander setzt, ist auch im Fall tödtliches Ausganges des ganzen Drama noch kein Mörder.

Nur der ist dies, welcher jene Nachbarschaft zu einer Vereinigung macht, die causa mortis aktuell auf den Feind applicirt.“ Das causam mortis praestare werde zum occidere, wenn diese Applikation eine notwendige sei. Notwendig sei der Erfolg einer Handlung aber nur, wenn er durch Gesetze bedingt sei. Nur das nach Gesetzen regelmäßig Eintretende könne durch menschliche Handlungen bewirkt werden. Wohl lasse sich die Absicht auf einen nicht gesetzlich notwendigen Erfolg, z. B. auf den Tod des Feindes, welchen man einem Gewitter exponiert, richten, bewirken lasse sich ein solcher Erfolg aber nicht.
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Der Blitz als Mordinstrument. Ein Streifzug durch 150 Jahre Strafrechtswissenschaft8
I. Occidere – causam mortis praestare8
II. Conditio sine qua non10
III. Die Regel des Lebens11
IV. Fehlender Vorsatz12
V. Keine „adäquate“ Verursachung13
VI. Keine Berechenbarkeit16
VII. Der Traum vom Gewitter17
VIII. Das Erbmotiv18
IX. Das Grundwasser22
X. Romane und Dramen23
XI. Rechtsnormwidrigkeit als Erhöhung der Möglichkeit der Vereitelung des Normzwecks23
XII. Die Erbtante auf der Eisenbahn24
XIII. Streit um den Vorsatz25
XIV. Keine „objektive Zurechnung“27
XV. Gesetzmäßige Bedingung28
XVI. Keine „Tatherrschaft“29
XVII. Kein „Vorstellungsbild“ des Tötens29
XVIII. Keine „Sozialadäquanz“30
XIX. Diverses31
XX. Keine Täterschaft32
XXI. „Lehrbuchkriminalität“33
XXII. Neubelebung der Lehre von der objektiven Zurechnung33
XXIII. Blitz und Aids37
XXIV. Der Erbonkel als Täter37
XXV. Resümee38
Anhang: Die Genesis der Lehre von der objektiven Zurechnung40
I. Entstehung und Aufstieg des Begriffs der Zurechnung41
II. Der Niedergang im 19. Jahrhundert42
III. Die Umdeutung der Straftat als Erfolgsverursachung43
IV. Die Adäquanztheorie44
V. Der Verbotsverstoß als Gefährdungsbegründung und -verwirklichung (M. L. Müller 1912)45
VI. Die Zurechnung als normative Alternative zur Kausalität (Kelsen 1910)46
VII. Die „objektive Zurechnung“ als objektive Zweckhaftigkeit ab 192746
VIII. Welzels „teleologischer Sinnsetzungszusammenhang“ (1931)50
IX. Gefahrverwirklichung und Risikovergleich (Engisch 1931)52
X. Die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts53
XI. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm54
XII. Die Entstehung der modernen Lehre von der objektiven Zurechnung (1969/70)56
1. Kompilatorische Lehren56
2. Die objektive Zurechnung als Gefahrschaffung und -realisierung57
XIII. Die weitere Entwicklung63
XIV. Fazit68

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