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BUDDHA
Wer war Buddha?
Der historische Buddha, damals noch Prinz Siddhartha genannt, wurde 623 vor Christus in Lumbini, im heutigen Nepal nahe der indischen Grenze, geboren und verstarb 543 vor Christus. (Diese Zeitrechnung wurde im Jahr 1950 von der Weltvereinigung der Buddhisten in Sri Lanka während der ersten Vollversammlung festgelegt.) Zu jener Zeit entstanden in Indien viele neue Glaubenssysteme, während andere verschwanden, und so war es ein günstiger Zeitpunkt für die Entwicklung einer neuartigen Religion. Jede philosophisch begründete Religion, die auf Logik basierte und sich für die Menschen im Alltag als nützlich erwies, besaß gute Chancen, innerhalb der vorwiegend hinduistischen Gesellschaft anerkannt zu werden. Die buddhistische Lehre, neben anderen wie die der Jains, beinhaltete diese Aspekte und konnte sich aus diesem Grund bei den damals üblichen öffentlichen Debatten durchsetzen und schließlich als eigenständige Religion verbreiten.
Mit den Jahrhunderten dehnte sich der Buddhismus über die Grenzen Indiens aus und fand Eingang in zahlreiche, meist asiatische Länder. Seit etwa dem 19. Jahrhundert nimmt das Interesse verstärkt auch in den westlichen Ländern zu. Das Forschungszentrum Pew beispielsweise veröffentlichte 2007 einen Bericht, aus dem hervorgeht, dass der Buddhismus in den Vereinigten Staaten von Amerika – nach Christentum und Judentum – bereits die drittgrößte Religion ausmacht.1 Dies zeigt, dass sich diese über 2.550 Jahre alte Weisheitstradition mittlerweile zu einer modernen Weltreligion entwickelt hat.
Ist Buddha Gott oder Mensch?
Folgt man den Gelehrten unter den Buddhisten, wird Buddha Shakyamuni nicht als Gott, sondern als ein Lehrer betrachtet, der Befreiung erlangte und auf der Basis seiner authentischen Erfahrung und Erkenntnis den Weg hierzu lehrte. Dies ist ein Grund, weshalb sich zunehmend auch mehr westliche Menschen für seine Weisheitslehren interessieren. Weitere Gründe sind die Herangehensweise der logischen Beweisführung, die spezielle Sicht des abhängigen Entstehens, die prinzipielle Gleichwertigkeit aller Menschen und eine demokratische Entscheidungsfindung innerhalb der buddhistischen Gemeinschaften. Große Anziehungskraft liegt auch darin, dass Buddha Shakyamuni als Mensch durch die Praxis seines spirituellen Pfades vollkommene Weisheit erlangte und daraus unendliches Mitgefühl verwirklichte. Da wir in unserem Menschsein alle gleich sind, können wir diesem Weg folgen und ebenfalls Buddhaschaft erlangen. Die Lebensgeschichte Buddhas verdeutlicht sein Menschsein: Die Texte beschreiben, wie er sich im Mutterleib entwickelte, geboren wurde, verschiedene Fähigkeiten erlernte, heiratete, sich als Mönch ordinieren ließ, meditierte, seine negativen Geisteszustände überwand, Erleuchtung erlangte, schließlich den Dharma lehrte und ins Nirvana einging. Keines dieser Stadien überschreitet die Grenzen des Menschlichen. Er war keine magische Erscheinung, kein überirdisches Wesen oder Überbringer göttlicher Nachrichten in menschlicher Form.
Im Hinduismus dagegen wird Buddha als die neunte von zehn Erscheinungsformen des Gottes Vishnu2 verstanden, der inkarnierte, um den Pfad des Friedens zu lehren. Die Lehren Buddhas werden darum als Teil der hinduistischen Lehren anerkannt. Es gibt noch weitere Beispiele für die Verbindung Buddha Shakyamunis mit anderen Religionen. Die Ahmadiyya-Muslime3 zum Beispiel erkennen ihn als einen der Propheten an; eine Gruppe früher chinesischer Tao-Buddhisten nahm an, Buddha sei eine Reinkarnation Laotses4; und die Geschichte des christlichen Heiligen Josaphat5 soll auf der Lebensgeschichte Buddhas beruhen.
Betrachten wir nun, wie Buddha selbst sich sah, so beschrieb er sich weder als eine Art Gott oder Gesandten Gottes noch dass er im Besitz von Schöpferkraft sei. Er sagte vielmehr: »Die Buddhas können unheilsame Taten nicht wegwaschen. Sie können das Leiden der Wesen nicht mit einem Handstreich beseitigen. Sie können ihre Erkenntnis nicht auf andere übertragen. Sie zeigen einzig die friedvolle Natur der Wirklichkeit, wodurch Befreiung erlangt werden kann.«
Buddha sagte außerdem: »Jeder ist sein eigener Beschützer. Niemand sonst kann der Beschützer sein.«
All dies deutet darauf, dass die Lehren und deren Bedeutung von jedem selbst erfahren und überprüft werden müssen, aber gleichzeitig auch für jeden erfahrbar sind.
Buddha im Alltag
Wir alle benötigen Lehrer in Bereichen, in denen uns Wissen und Erfahrung fehlen. So sind die ersten Lehrer und Wegweiser unsere Eltern, danach unsere Schullehrer, die unsere intellektuelle Entwicklung bis ins Erwachsenenalter begleiten. Lehrer formen unser Wissen und unsere Sicht auf die Welt und bilden zugleich eine Brücke zwischen den verschiedenen Abschnitten des Lebens.
Brauchen wir einen Lehrer wie Buddha?
Welche aber sind unsere wichtigsten Lehrer, und wie verhalten wir uns ihnen gegenüber angemessen? Aus meiner Sicht brauchen wir vor allem Lehrer, die uns einen Weg zu Glück und Zufriedenheit zeigen. Solche Lehrer müssen gleichzeitig Lehrer der Wahrheit sein. Und der Respekt, den wir ihnen entgegenbringen, richtet sich nach ihren Qualitäten. Dann sprechen wir von authentischen Lehrern.
Als ich zu Beginn meiner Ausbildung im Namdroling-Kloster in die Obhut meiner ersten Lehrer kam, besaß ich noch keine rechte Vorstellung davon, was ein Lehrer wirklich ist. Doch nach einiger Zeit und mit mehr Wissen erkannte ich die unterschiedlichen Qualitäten; meine Lehrer, allen voran Penor Rinpoche, vermittelten nicht nur die Bedeutung der Lerninhalte, sondern zugleich gütiges und wohlwollendes Verhalten sowie Geduld und Hingabe. Das erkannte ich allerdings nicht von heute auf morgen, sondern durch stetes Ansammeln von Erfahrungen, was mein Vertrauen zunehmend stärkte.
Wir alle brauchen Lehrer, die uns zusätzlich zur Wissensvermittlung zeigen, wie wir körperliches und mentales Wohlbefinden erlangen. Hierzu möchte ich eine Geschichte erzählen: Es trafen sich drei Schüler verschiedener Meister, von denen jeder behauptete, sein Meister sei der erstaunlichste. Der erste sagte: »Mein Lehrer kann eine Woche meditieren, ohne zu schlafen.« Daraufhin erzählt der zweite Schüler: »Mein Meister ist noch wundersamer. Er kann, ohne zu essen, eine Woche lang meditieren.« Der dritte schließlich warf ein: »Mein Lehrer ist euren bei Weitem überlegen.« Die beiden fragten erstaunt: »Ohne was kann denn dein Lehrer auskommen?« Der dritte Schüler antwortete daraufhin: »Mein Lehrer kann nicht nur eine Woche lang meditieren, er isst auch, wenn er Hunger hat, und schläft, wenn er müde ist.«
Der dritte Schüler betont in der Geschichte, was für unser tägliches Leben wichtig ist. Wir brauchen einen bodenständigen Lehrer, der, statt Wunder zu vollbringen, zeigt, was uns physisch wie seelisch erfüllt und uns geistigen Frieden bringt.
Wer ist ein Lehrer der Wahrheit?
Der indische Gelehrte Dharmakirti lebte im 7. Jahrhundert nach Christus und lehrte in Indien an der berühmten buddhistischen Nalanda-Universität. Er beschrieb in seiner Abhandlung über gültige Erkenntnis die Merkmale, die ein authentischer Lehrer aufweisen muss. Gültige Erkenntnis meint hier auf Logik basierende Erkenntnis. Ob gültige Erkenntnis in Verbindung mit dem Wort Lehrer im Deutschen ebenso verwendet werden kann und es die gleiche Bedeutung hat wie im Sanskrit und Tibetischen (Sanskrit pramana; Tibetisch tshad ma rigs pa), vermag ich nicht zu sagen. Deshalb verwende ich hier lieber die etwas verständlicheren Worte wahr und Wahrheit.
Der Ausdruck Lehrer der Wahrheit beinhaltet drei Aspekte: (1) Der Begriff Wahrheit meint das korrekte Erfassen der Dinge ohne jeden Irrtum; (2) der Schüler wird mit dieser Wahrheit nicht getäuscht; und (3) die Geschicklichkeit des Lehrers in der Anwendung seiner Methoden. Diese drei Faktoren nun können als Orientierung dienen und sollten im Prinzip allen religiösen, spirituellen oder politischen Leitfiguren zu eigen sein.
Wahrheit als ein korrektes Erfassen ohne jeden Irrtum
Dies bedeutet, der Lehrer besitzt ein fehlerfreies Verständnis der Wirklichkeit. Wird uns ein Pfad gezeigt, der auf einem falschen Verständnis gründet, wird er nicht zum Ziel führen, ganz egal, wie groß das Mitgefühl unseres Lehrers sein mag. Erklärungen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, sind nicht gültig begründbar, und ohne klare Begründung können die Zweifel der Schüler nicht beseitigt werden. Folglich wird es schwerfallen, Vertrauen in diese Lehren zu fassen. Kennt ein Lehrer nicht die psychischen und alltäglichen Probleme, unter denen wir leiden, wird er uns nicht wirklich weiterhelfen können.
Vergleichen wir dies mit einer liebenden Mutter, deren Kind erkrankt ist: Ihre Liebe allein lässt sie die Krankheit nicht verstehen und so das Kind nicht gesund werden. Darum braucht es einen Arzt, der die Krankheit zweifelsfrei diagnostizieren kann. In gleicher Weise ist es notwendig, dass wir in wichtigen Situationen keinen Irrtümern erliegen. Was wir also brauchen, ist eine klare und auf Logik begründete Erkenntnis der Wirklichkeit, die nicht auf blindem Vertrauen ruht, sondern auf einer exakten Analyse und einem sorgfältigem Studium.
Wie...