Das Bestandsmanagement plant und steuert die unternehmensinternen Bestände, wobei dies die Bestandssteuerung des Logistiknetzwerkes beinhaltet.[75] Aufgabe der Bestandssteuerung ist es, die Bestände auf einem bestimmten Niveau zu halten.[76] Betrachtet man das Bestandsmanagement in Verbindung mit dem Supply Chain Management, so ist das Bestandsmanagement als Teilbereich des Supply Chain Managements zu verstehen. Da von einer dezentralen Koordination ausgegangen wird, werden in TA 3 Lagerhaltungsmodelle behandelt, in denen jede Unternehmung selbst über die Höhe des Lagerbestandes entscheiden kann.[77] (vgl. 2.1) Die Materialarten, die im Bestandsmanagement berücksichtigt werden, lassen sich unterteilen in Rohstoffe bzw. zugekaufte Teile, Materialien, die sich noch im Produktionsprozess befinden, sowie Fertigprodukte.[78] Einzig die von dem Endprodukthersteller erstellten Fertigprodukte sind nachfolgend relevant, da zwischen den anderen Materialarten meist Abhängigkeiten bestehen.[79] Von einer abhängigen Nachfrage von Materialarten spricht man, wenn die Nachfrage nach einer Materialart eine direkte Folge der Nachfrage einer anderen Materialart ist.[80] Dieser Zustand tritt innerhalb von Produktionsprozessen ein, da dort die Nachfrage nach Materialien abhängig ist von der zu fertigenden Menge an Endprodukten.[81] Die nachfolgend relevante Form der unabhängigen Nachfrage besagt, dass die Nachfrage für ein Material, welches auf Lager genommen wird, unabhängig von der Nachfrage jeder anderen Materialart sein muss, welches eingelagert wird.[82] Dies gilt beispielsweise für die oben aufgeführten Endprodukte oder auch Ersatzteile.[83] Bevor man sich mit den möglichen Klassifikationen von Lagern beschäftigt, sollte geklärt werden, welche Motivation für die Haltung von Lagern existiert. Relevante Gründe für die Lagerhaltung sind Skaleneffekte, Unsicherheiten sowie Spekulationen.[84] Skaleneffekte treten mit steigender Bestellmenge ein, da sich so die Bestellkosten auf eine größere Anzahl von Produkten verteilt.[85] Unsicherheiten können sich einerseits auf die Höhe der zukünftigen Nachfrage und andererseits auf Unregelmäßigkeiten der Lieferzeit beziehen.[86] Die Lieferzeit soll nachfolgend als die Zeitspanne zwischen der Bestellung und der Ankunft der Ware im Lager zu verstehen sein.[87] Lieferzeiten sind im Folgenden als deterministisch zu betrachten und werden immer im Verhältnis zur Basisperiode gemessen.[88] Um gegen Unsicherheiten gerüstet zu sein, wird ein zusätzlicher Lagerbestand gehalten. (Sicherheitsbestand) Spekuliert man mit einem Preisanstieg, so kann es sinnvoller sein, heute eine große Menge des Produktes auf Lager zu nehmen.[89] Die Differenzierung von Lagerbeständen ist eine Aufgliederung des gesamten Lagerbestandes, um eine bessere Kontrolle und Übersicht zu ermöglichen.[90] Nachfolgend sollen die für diese Arbeit zielführenden Differenzierungsmöglichkeiten aufgeführt werden. Der physische Lagerbestand entspricht im Rahmen dieser Arbeit den auf Lager aktuell verfügbaren Mengeneinheiten reduziert um die noch auszuliefernden Verzugsmengen.[91] Der physische Lagerbestand kann durchaus negative Werte annehmen. Der Sicherheitsbestand, auch als Pufferlager bezeichnet, soll als Ausgleich für mögliche Unsicherheiten in der Nachfrage dienen.[92] Der so genannte Pipelinebestand gibt diejenige Menge an, die sich während der Lieferzeit von einer Stufe der Supply Chain auf dem Weg zur nachgelagerten Stufe der Supply Chain befindet.[93] Dabei handelt es sich beispielsweise um alle bestellten Mengen, die auf dem Weg vom Großhändler zum Einzelhändler sind, aber noch nicht bei dem Einzelhändler als Warenzugang verzeichnet werden können. Die Summe aus physischem Lagerbestand und Pipelinebestand wird als disponsibler Lagerbestand bezeichnet und gibt demnach den theoretischen Lagerbestand an, der nach Ausgleich der Verzugsmengen und nach Ankunft der noch offenen Bestellungen herrscht.[94] Mit der Haltung von Lagerbeständen sind Kosten verbunden, die nachfolgend in Kategorien eingeteilt werden, allen voran die Lagerhaltungskosten, die durch die Aufbewahrung der Produkte im Lager anfallen. Darunter fallen beispielsweise Kosten für gebundenes Kapital, Steuern, Versicherungen oder anteilige Personal- und Mietkosten.[95] Kosten für eine Bestellung lassen sich in variable und fixe Bestellkosten unterteilen. Fixe Bestellkosten sind jene Kosten, die unabhängig von der Bestellmenge anfallen und beinhalten beispielsweise Größen, wie Verwaltungskosten oder Kosten für die Warenkontrolle.[96] Variable Bestellkosten hingegen fallen proportional zu der Bestellmenge an und beinhalten Größen, wie den Einstandspreis oder die Transportkosten.[97] Fehlmengenkosten entstehen, wenn der aktuelle Lagerbestand nicht ausreichend groß ist, um die geforderte Menge zu befriedigen.[98] Man unterscheidet dabei zwischen dem so genannten Vormerkungsfall (Verzugsmengensituation) und dem Verlustfall (Fehlmengensituation). Im Falle der Vormerkung wird die Nachfrage zurückgestellt, bis die Unternehmung wieder lieferfähig ist. Dadurch können beispielsweise Kosten entstehen für Eilbestellungen oder Konventionalstrafen.[99] Im Verlustfall geht die unbefriedigte Nachfrage verloren und es fallen Kosten in Höhe des entgangenen Gewinns an.[100]
Das Bestandsmanagement arbeitet mit deterministischen und stochastischen Lagerhaltungsmodellen.[101] In TA 3.2 wird ein deterministisches Lagerhaltungsmodell betrachtet, welches auf dem klassischen Bestellmengenmodell basiert. In TA 3.3 wird die kompliziertere Betrachtungsweise von stochastischen Lagerhaltungsmodellen dargestellt. Um eine übersichtliche Darstellung stochastischer Lagerhaltungsmodelle zu ermöglichen, unterscheidet man zwischen einer kontinuierlichen und einer periodischen Betrachtungsweise.[102] Innerhalb des kontinuierlichen Bestandsmanagements ist der Lagerbestand jederzeit bekannt und eine Bestellung wird aufgegeben, wenn ein bestimmter Bestellpunkt erreicht ist.[103] Nachfolgend relevant ist allerdings das periodische Bestandsmanagement, welches die Höhe des Lagerbestandes immer zu bestimmten Zeitpunkten feststellt.[104] Das Zeitintervall zwischen zwei Zeitpunkten entspricht einer Basisperiode. Die Höhe der Bestellmenge kann sowohl für jede Periode als Fixum angenommen werden oder die Bestellmenge ergibt sich aus der Differenz von Zielbestand und dem aktuellen Lagerbestand.[105] (vorläufige Annahme: Lieferzeit gleich Null) Unter dem Zielbestand ist dabei diejenige Menge zu verstehen, die am Anfang der Periode auf Lager sein sollte.[106] Das periodische Bestandsmanagement wird, unter der Annahme einer stochastischen Nachfrage, betrachtet. Ein Sonderfall dieses Modellansatzes tritt ein, wenn nur eine Betrachtungsperiode angenommen wird. Diese Problemstellung wird auch als einperiodisches Bestandsmanagement bezeichnet und in TA 3.3.1 behandelt.[107]
Deterministische Lagerhaltungsmodelle zeichnen sich dadurch aus, dass sämtliche Modellparameter als bekannt vorausgesetzt werden. Auf Basis dieser Annahme wird die kostenminimale Bestellmenge bestimmt.[108] Im Folgenden wird das klassisch optimale Bestellmengenmodell unter zusätzlicher Berücksichtigung der Transportkosten vorgestellt. Es gilt, die Gesamtkostenfunktion in Abhängigkeit der Bestellmenge (Z(x)) zu minimieren unter Berücksichtigung der bestellfixen Kosten, der Lagerhaltungskosten und der Transportkosten.[109] Die zugrunde gelegten Modellprämissen sind ein vorgegebener Gesamtbedarf im Betrachtungszeitraum (B), die Betrachtung nur einer Materialart, ein konstanter Materialbedarf im Betrachtungszeitraum, keine Verzugs- oder Fehlmengensituationen, konstante Beschaffungspreise pro ME (c), eine Bestellmenge (x) in Höhe von Null ist unzulässig, eine unendliche Liefergeschwindigkeit, frei wählbare Lieferzeitpunkte, es gibt keine Sicherheitsbestände sowie einen Lageranfangs- und Endbestand von Null.[110] Abweichungen zu den Annahmen des klassisch optimalen Bestellmengenmodells entstehen durch die Transportkosten, die nachfolgend als Funktion in Abhängigkeit der Bestellmenge zu sehen sind. (vgl. (3-1))
Die Transportkostenfunktion (f(x)) aus (3-1) ist für Bestellmengen (x) zulässig, für die und gilt. Die Bestellmenge ist demnach positiv, ganzzahlig und darf eine vorher festgelegte Bestellmengenobergrenze (q) nicht überschreiten.[111] Bis zur vorher festgelegten Bestellmengengrenze q1 steigen die Transportkosten pro ME (p1) linear mit der Bestellmenge (x) an. Für Bestellmengen größer q1 und kleiner gleich q wird eine Transportkostenpauschale (pkon) veranschlagt. Es liegt also eine nicht lineare Transportkostenfunktion (f(x)) vor.[112] Außerdem sind die maximalen Transportkosten des linearen Abschnitts der Funktion (p1*q1)...