Alltag
Zusammenspiel
Was Buck gemacht hatte, so ziemlich von Anfang an, als ich mich das erste Mal auf seinen Rücken geschwungen hatte, war, mir eine Gelegenheit zum Lernen zu bieten. Im Verlauf unserer ersten Jahre zusammen fing ich an zu verstehen, dass ich, wenn ich aufpasste, mich anstrengte und die Lektionen, die er anbot, auch ausführte, ein sehr viel besserer Pferdemann werden konnte. Es dauerte zwei oder drei weitere Jahre, bis ich begriff, dass noch mehr dahintersteckte.
Anfangs missverstand ich einiges an den Lektionen, die ich von Buck lernte. Das erste Missverständnis bestand darin, dass ich jede Lektion als in sich geschlossene Einheit sah, abgetrennt von den anderen Lektionen.
So dachte ich zum Beispiel, ich könnte in einer bestimmten Situation zwar geduldig und beständig sein, müsste mich aber nicht unbedingt auch beharrlich oder unaggressiv verhalten. Beim nächsten Mal plante ich vielleicht voraus und war beharrlich, aber nicht beständig oder geduldig.
Das zweite Missverständnis war, dass ich dachte, ich könne die Lektionen sozusagen mechanisch anwenden, das heißt, sie an- und abschalten, wie ich wollte, und sie wegschieben, wenn sie meiner Meinung nach in dem Moment nicht gebraucht wurden.
Für den Erfolg der Lektionen hätte nichts weiter von der Wahrheit entfernt sein können. Alles, was ich lernte, musste auch die ganze Zeit eingesetzt werden, und genau genommen war das nur eine weitere Lektion, die Buck mir beibrachte. Er schaltete nicht an oder ab, wie er es gerade brauchte. Er lebte so und begegnete seiner Umwelt die ganze Zeit auf diese Weise, ganz unabhängig davon, um was es ging oder mit wem er es zu tun hatte, Mensch oder Tier.
Es fiel mir schwer, diese Idee zu begreifen, und noch schwerer, sie in die Tat umzusetzen. Wie die meisten Leute hatte ich unbewusst verinnerlicht, dass es sozial akzeptabel war, sich verschiedenen Menschen gegenüber und in verschiedenen Situationen unterschiedlich zu benehmen.
Wenn ich zum Beispiel im Supermarkt einen Gang hinuntergehe und mir jemand aus Versehen mit seinem Einkaufswagen in die Quere kommt, werde ich höchstwahrscheinlich bremsen, um ihn nicht anzurempeln. Vielleicht entschuldige ich mich sogar, obwohl es nicht meine Schuld war. Wenn mein Kontrahent merkt, dass er mich geschnitten hat, wird er wahrscheinlich lächeln und sich entschuldigen, und dann werde ich lächeln und seine Entschuldigung annehmen. Spielt sich das gleiche Szenario aber auf dem Highway ab, fallen die Reaktionen vermutlich total verschieden aus.
Es stimmt zwar, dass das Risiko um einiges höher ist, wenn Sie mit hundert Stundenkilometer die Autobahn entlangbrausen, aber im Grunde sind die beiden Situationen die Gleichen. Trotzdem gehen wir in den meisten Fällen anders damit um. Unser Verhalten in der einen Situation könnte sogar genau entgegengesetzt zu der in der anderen sein.
Im Laufe der Jahre habe ich mit vielen Pferdeleuten gesprochen, mit Profi-Trainern ebenso wie mit Freizeitreitern. Viele haben gesagt, dass sie die Geduld in Person sind, wenn sie mit Pferden arbeiten, aber überhaupt keine Geduld mit Menschen haben. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich selbst zu dieser Gruppe gehörte.
Ich erinnere mich an einen Kurs über Arbeit an der Hand, den ich Ende der achtziger Jahre gab. Gleich danach klagte ich einem Freund völlig frustriert mein Leid: Nicht um alles in der Welt konnte ich verstehen, warum so viele Leute solche Schwierigkeiten hatten, ihr Pferd von A nach B zu führen. Mein Geduldsfaden war bei dieser speziellen Gelegenheit zum Zerreißen gespannt – nicht wegen der Pferde, das nicht, sondern wegen ihrer Besitzer.
Ironischerweise war dies um die gleiche Zeit, als Buck und ich anfingen, zusammen zu arbeiten. Während ich voller Ungeduld Leuten Anweisungen gab, die von mir Hilfe erwarteten, versuchte Buck in seiner stillen, unaufdringlichen Art geduldig, mir durch den Tag zu helfen. Der Unterschied in unserem Unterrichtsstil war nicht zu übersehen. Buck verhielt sich tagein, tagaus allem und jedem gegenüber beständig gleich. Ich dagegen war nur beständig, wenn es mir in den Kram passte.
Zu sagen, dass ich keine Geduld mit Menschen hatte, war nicht viel mehr als ein maulfauler Ausdruck dafür, dass ich keine Lust hatte, mich in diesem Lebensbereich anzustrengen und besser zu werden. Allmählich fing ich an zu begreifen, dass ich nicht einmal wirkliche Geduld mit Pferden hatte, obwohl ich das immer von mir geglaubt hatte.
Im Rückblick ist mir ganz klar, dass ich auch Pferden gegenüber nicht wirklich geduldig sein konnte, wenn ich es Menschen gegenüber nicht war. Wie das Geschnittenwerden im Supermarkt und auf dem Highway war auch dies im Grunde genommen beide Male das Gleiche.
Es dauerte nicht lange, bis ich dahinterkam, dass die sechs Lektionen, die ich von Buck gelernt hatte – keine Konfrontationen, vorausplanen, Geduld haben, beharrlich sein, beständig sein, in Ordnung bringen, was schief gelaufen ist, und weitermachen – zusammengehörten. Sie alle waren Teile eines Ganzen; sie bedeuteten eine Grundeinstellung beziehungsweise eine Lebenshaltung.
Es ist diese Art Einstellung, die Buck so gut beherrscht. Sie ist der Grund, warum er so leicht Erfolg hatte, sowohl mit anderen Pferden als auch mit mir. Als ich das Konzept begriffen hatte, war klar, dass es nicht funktionieren würde, wenn man nur jeweils eine oder zwei Lektionen in die Tat umsetzte, jedenfalls nicht im selben Maße, wie sie funktionierten, wenn man sie zusammenfügte und sie als eine einzige »Energie« (in Ermangelung eines besseren Begriffs) einsetzte.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto klarer wurde mir, dass ich mit meiner ursprünglichen Vorstellung von der Wirkungsweise dieses Konzepts weit daneben gelegen hatte. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Art Energiekreis, der aus den sechs Einzellektionen besteht. Im Einklang miteinander eingesetzt, entsteht daraus eine positive Lebenshaltung. Getrennt sind sie verhältnismäßig ineffektiv.
Ich fing an zu verstehen, dass ich vorausplanen musste, um mich unaggressiv verhalten zu können. Um vorausplanen zu können, musste ich Geduld haben. Geduld ohne Beharrlichkeit oder Beharrlichkeit ohne Beständigkeit war nicht möglich. Mit Beständigkeit würde ich in der Lage sein, einen Misserfolg auszuwetzen und weiterzumachen, aber dazu gehörte, dass ich Konfrontationen vermied. Sie sehen also, dass jede einzelne Lektion Teil des Zirkels ist. Fehlt eine Lektion, ist der Kreis nicht geschlossen.
Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals eine bewusste Anstrengung unternommen zu haben, um von der Person, die ich war, bevor ich Buck begegnete, zu der Person zu werden, die ich seitdem geworden bin. Ich bin mir nicht einmal sicher, wann diese Veränderung anfing. Was ich weiß, ist, dass ich irgendwann den Weg betrat, auf den Buck mich geduldig hingewiesen hatte.
Davor war ich ziemlich ruhelos gewesen. Nicht ruhelos in dem Sinn, dass ich ständig in Bewegung sein wollte, sondern geistig ruhelos. Mein Geist schien ständig in zehn Richtungen auf einmal zu wandern. Es fiel mir manchmal schwer, mich auf anstehende Dinge, seien sie persönlicher oder beruflicher Art, zu konzentrieren. Manchmal kämpfte ich um klare Entscheidungen in diesen Dingen. Es kam aber auch zu impulsiven Überreaktionen, Entscheidungen aus dem Bauch heraus, obwohl eine ganz einfache Lösung nahe gelegen hätte. Freunden, meiner Familie oder Mitarbeitern gegenüber verhielt ich mich oft viel dogmatischer, als die Situation erforderte, und ich hatte zudem das überwältigende Bedürfnis, immer und überall Recht zu haben.
Bei der Arbeit mit Pferden hatte ich es oft so eilig, die richtige Reaktion zu erhalten, dass ich sie verpasste, wenn sie mir angeboten wurde. Deshalb machte ich dann oft mehr Druck, als notwendig oder angemessen war. Obendrein ertappte ich mich auch manchmal dabei, dass ich das Training im Eiltempo absolvierte und dabei mehr das Endresultat im Sinn hatte, als darüber nachzudenken, wie das Pferd das Ganze bis dahin erlebte.
Zwei Jahre, nachdem ich Buck begegnet war, begann sich all dies zu verändern. Allmählich veränderte sich mein Verhalten. Ich redete sehr viel weniger und hörte sehr viel mehr zu. Mir ging langsam auf, dass es vielleicht nicht so wichtig war, ob alle Leute immer meiner Meinung waren. Ich sagte meine Meinung erst, wenn ich danach gefragt wurde, und wenn ich meine Meinung sagte, hatte sie Hand und Fuß.
Bei der Arbeit mit Pferden verlor der Zeitfaktor immer mehr an Bedeutung. Anstatt alles in Eile zu absolvieren, um so schnell wie möglich eine Reaktion zu erhalten, wie ich sie mir vorgestellt hatte, verwendete ich mehr Zeit darauf, dem Pferd die korrekte Reaktion auf die Hilfe beizubringen, die ich anwendete. Ich ging langsam vor und erreichte einen korrekt ausgeführten Schritt in derselben Zeit, die ich sonst gebraucht hatte, um zehn nicht ganz korrekte Schritte zu erreichen.
Die größte Veränderung bestand darin, dass ich so ziemlich alles, was ich tat, langsamer tat. Seltsamerweise schien ich meine Ziele umso schneller zu erreichen, je langsamer ich sie anging. Je weniger Druck ich ausübte, desto schneller kam die erwartete Antwort. Je weniger ich redete, desto mehr Leute hörten mir zu. Je weniger ich redete, desto mehr hörte ich. Je weniger Sorgen ich mir machte, desto besser konnte ich mich konzentrieren. Je besser ich mich konzentrierte, desto ruhiger blieb ich und...