Wo Freyheit ist und Recht, da ist das Vaterland,
Dis ist uns aber nun und wir ihm unbekannt
Daniel von Czepko, 1632
I. Einleitung
Der Anfang war kein «deutscher Krieg» und das Ende kein «nationales Unglück». Die dreißig Jahre dazwischen haben Deutschland und die Deutschen dennoch kräftig in Atem gehalten, millionenfachen Tod, Verwüstung und Barbarei über Mitteleuropa gebracht und die politischen Verhältnisse gehörig durcheinander gewirbelt. Doch die scheinbar so tiefgreifenden Veränderungen erwiesen sich als wenig beständig: Der Westfälische Frieden restaurierte 1648 die verfassungspolitischen Verhältnisse, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eingependelt hatten. Behutsame Korrekturen sorgten dafür, dass das System «Kaiser und Reich» funktionsfähig blieb. Mit dem Krieg und durch den Frieden wurde die Integration Niederdeutschlands in das «oberdeutsche» Reich abgeschlossen. Erst jetzt bildete der gesamte Raum zwischen den Alpen und den Küsten von Nord- und Ostsee ein Gemeinwesen – keinen Staat im klassischen Sinne, aber ein politisches Mehrebenensystem, in dem viele aufeinander bezogene Entscheidungszentren zusammenwirkten, um «gesamtstaatliche» Aufgaben wie die Außenverteidigung oder die Rechts- und Friedenswahrung erfolgreich zu bewältigen. Die 1648 eingeführte konfessionelle Parität sowie die Diskriminierungs- und Kriminalisierungsverbote gegenüber reichsrechtlich legitimierten Andersgläubigen haben das Konfliktpotential entschärft, das den Krieg mit verursacht und immer wieder neu entfacht hatte.
Damit ist die Perspektive dieses Bändchens genannt: die Verknüpfung von Ursachen, Abläufen und Wirkungen im Horizont der deutschen Geschichte. Aufgabe des Historikers ist es, einzelne Handlungsstränge aus der Gesamtheit des vergangenen Geschehens so miteinander zu verbinden, dass bestimmte Merkmale und Prozesse erkennbar werden. In diesem Sinne gelten als sinnstiftende Ordnungsmuster für den Dreißigjährigen Krieg: «Konflikt zweier Machtblöcke», «Staatsbildungskrieg», «Kampf um eine ständisch-republikanische oder eine absolutistisch-monarchische Herrschaft», «Konfessionskrieg». Sie verweisen auf Probleme, die in Deutschland wie beinahe überall in Europa zur offenen Austragung drängten. Sie schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern ergänzen sich und helfen, das Geschehen in langfristige Entwicklungsprozesse einzuordnen.
Eine Antwort auf die banale Frage nach der Dauer des Dreißigjährigen Krieges ergibt sich keineswegs von selbst. Eine logisch zwingende Einheit bilden die Ereignisse und Entwicklungen zwischen dem Prager Fenstersturz 1618 und dem Westfälischen Frieden 1648 nicht. Dieser Zeitraum lässt sich in zahlreiche Einzelkriege und Friedensschlüsse unterteilen. Die gegnerischen Mächte oder Mächtegruppen veränderten sich in diesen Jahren ebenso wie ihre Ziele. Zum «Dreißigjährigen Krieg» wurden die verwirrend unübersichtlichen und disparaten Handlungsstränge erst durch gedankliche Verknüpfungen zeitgenössischer Beobachter und analysierender Historiker.
Neben der Reformationszeit gehört dieser Krieg zu den am häufigsten behandelten Epochen der frühneuzeitlichen deutschen Geschichte. Erinnert sei nur an die heute noch lesenswerten Arbeiten Friedrich Schillers, Moriz Ritters oder C.V. Wedgwoods sowie an die neueren Synthesen – beispielsweise von Langer, Parker mit seinen Koautoren, Barudio, Schormann, Burkhardt und Asch, zuletzt von Kampmann, Arndt, Münkler und Wilson, dessen monumentale Darstellung in der Tradition der älteren historischen Großerzählungen steht. Aus den Veröffentlichungen des Jubiläumsjahres 1998 ragt der dreibändige Katalog der Ausstellung in Münster und Osnabrück heraus. Hinzu kommen die neueren und älteren Quelleneditionen, eine unübersehbare Fülle von Einzelstudien wie Siegrid Westphals Westfälischer Frieden oder Sammelbänden sowie die Gesamtdarstellungen zur deutschen und europäischen Geschichte wie das voluminöse Werk von Joachim Whaley.
Gekämpft wurde im 17. Jahrhundert nicht nur in Deutschland: Die Neuformierung der alteuropäischen Gesellschaft und ihres Staatensystems verlief auch andernorts alles andere als konfliktfrei. Die frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesse mit ihrer Tendenz zur Formierung und Disziplinierung führten zu zahllosen Transformations- und Anpassungskonflikten. Angelsächsische Historiker sprachen von der «allgemeinen Krise des 17. Jahrhunderts». Sie erinnerten unter anderem an den englischen Bürgerkrieg, die großen Volksaufstände in Frankreich, den niederländischen Freiheitskampf, die Revolten in Katalonien, Andalusien, Portugal und Neapel sowie an den tiefen Einschnitt des «deutschen» Krieges. Schon die Zeitgenossen haben diese Ereignisse parallelisiert und nach den tieferen Ursachen ihres Zusammentreffens gefragt. Sie fanden Antworten in der Bedrohung durch teuflische Mächte, im zürnenden und strafenden Gott und in Hinweisen auf das angeblich unmittelbar bevorstehende Jüngste Gericht.
Im Mittelpunkt der «Krisendiskussion» stehen ökonomische und politische Erklärungsmuster. Marxistische Historiker sahen in der Krise Begleiterscheinungen des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Ihre nichtmarxistischen Kollegen bestreiten zwar keineswegs die wirtschaftlichen Hintergründe des Krieges, machen dafür aber die unkontinuierliche Preisentwicklung oder die «kleine Eiszeit» verantwortlich – eine Periode spürbar niedriger Temperaturen seit etwa 1560 mit geringeren Ernteerträgen und latenten Hungerkrisen. Neuere Forschungen zeigen, dass sich in den 1560er und in den 1590er Jahren die Revolten häuften und die ökonomische Krise die verschiedenen Teile Europas zu ganz unterschiedlichen Zeiten ergriff.
Das Erklärungsmuster «allgemeine Krise» verweist nur am Rande auf Deutschland. Der große Krieg stellte hier seit eh und je das Raster zur Ordnung des 17. Jahrhunderts bereit. Angesichts der gewaltigen regionalen Unterschiede in Europa stießen zudem alle einheitlich-systematisierenden Erklärungsansätze schnell an ihre Grenzen. Die Krisensymptome sind allerdings auch in Deutschland unverkennbar: Um 1600 – so Heinz Schilling – war der im Ganzen optimistische Zug des 16. Jahrhunderts verflogen. Die disziplinierenden obrigkeitlichen Eingriffe bedrückten die Menschen und machten ihnen Angst: «Konkurrenzdruck und Zusammenbrüche einst berühmter Handelshäuser, Ernährungsnöte selbst bei der Mittelschicht, Pauperismus, Vagabondage, Elend, Hunger und Krankheit bei den Unterschichten und dem wachsenden Heer der Bettler und Vagabunden. Vor allem aber wirkten beängstigend und lähmend die fanatische Feindseligkeit, die nervöse Unversöhnlichkeit, die unerbittliche Konfrontation der Konfessionen und konfessionell gesteuerter Blöcke im neuen Europa der Mächte» (Schilling 1988, 372).
Es ist vorgeschlagen worden, die angeblich zu sehr auf Deutschland bezogene Kategorie «Dreißigjähriger Krieg» durch offenere Benennungen wie «Epoche europäischer Kriege und Krisen» oder «allgemeine Krise des 17. Jahrhunderts» zu ersetzen. Doch was wäre damit gewonnen? Die Geschichtsschreibung tut gut daran, am rein formalen, gerade deswegen aber einprägsamen Begriff «Dreißigjähriger Krieg» festzuhalten, weil
– er zeitgenössisch ist und bis heute etwas vom damaligen Schrecken und Entsetzen transportiert,
– sich das politische, konfessionelle und militärische Geschehen zwischen 1618 und 1648 im Wesentlichen in Deutschland verknüpfte und an den deutschen Verhältnissen stets von Neuem entzündete,
– der Krieg sich als eine tiefe Zäsur vor allem in das kulturelle Gedächtnis der Deutschen eingegraben hat und bis ins 20. Jahrhundert als Urkatastrophe und nationales Trauma begriffen wurde.
Die Betonung der deutschen Perspektive heißt freilich nicht, die soziokulturellen Begleitumstände und die europäischen Dimensionen des auf Mitteleuropa konzentrierten Geschehens zu ignorieren. Die jüngsten Versuche, den Dreißigjährigen Krieg und den Westfälischen Frieden radikal zu europäisieren, führen jedoch in die Irre. In England, Italien und in vielen anderen europäischen Ländern sind diese Ereignisse im historisch-kulturellen Gedächtnis nicht präsent. In Frankreich verweist die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts weniger auf eine Leidenszeit als auf den Beginn nationaler Größe (Wilson 2009, 4f.). Eine gemeinsame europäische Erinnerung, die diese nationalgeschichtlich gedachten Vergangenheiten integriert, gibt es nicht, und sie lässt sich wohl auch nicht ad hoc konstruieren. Der Dreißigjährige Krieg war nicht das «Inferno», das Europa durchschreiten musste, um in der Moderne anzukommen (Schilling 2007, 417ff.). Auch Kampmann (2008, 1) behauptet lediglich, dass es «heute wohl unstrittig» sei, diesen Krieg als «europäischen Konflikt» zu charakterisieren. Seine auf machtpolitische Fragen konzentrierte Darstellung bleibt...