KAPITEL 1
Warum es Wohneigentum in Deutschland schwer hat
Dieses Buch ist das Ergebnis wachsenden politischen Unbehagens. 87 Prozent der Deutschen wollen Wohneigentum.1 Aber nur 45 Prozent haben Eigentum, Tendenz sinkend. Das heißt: Rund 42 Prozent der Deutschen würden gern eine Wohnung oder ein Haus kaufen, können sich das aber nicht leisten oder trauen sich nicht. Das ist – für das Land mit der vierthöchsten Lebensqualität der Welt, für den Exportweltmeister Deutschland, vor allem aber auch für ein Land mit vergleichsweise niedrigen Immobilienpreisen – ein Eigentumsskandal.
Die meisten Menschen in Deutschland haben keine Erfahrung mit Eigentum, sie wissen nicht, was es heißt, in den eigenen vier Wänden zu leben. Bestenfalls kennen sie noch jene IKEA-Werbung, in der gefragt wird: »Wohnst du noch oder lebst du schon?« Aber heißt »leben« tatsächlich, sich mit IKEA-Möbeln einzurichten? Selbst eingedenk unterschiedlicher und gegenläufiger Lebensentwürfe ist es ein Armutszeugnis, dass unser Konsens im Hinblick auf Leben bei schwedischen Massenmöbeln endet.
Nicht jeder Mensch in unserem Land braucht, geschweige denn will Wohneigentum. Jedem nach seiner Fasson, jedem nach seinen Lebensvorstellungen. Aber dass ein Polizist in München, dass ein Lehrer in Hannover, dass ein Universitätsdozent in Tübingen für sich und seine Familie, selbst wenn er es noch so sehr wollte, keine eigene Wohnung kaufen kann, das sollte uns nicht nur zu denken geben, sondern uns auch wachrütteln.
Potenziellen Wohnungseigentümern wird der Weg ins Wohneigentum auf vielfältige Art und Weise verbaut. Immobilienkreditrichtlinie, Grunderwerbsteuer, Aufteilungsverbote, Nachverdichtungsverbote, verzögerte Baugenehmigungsverfahren – dies und mehr hindert Menschen daran, Eigentum zu erwerben. Dabei steht fest: Hürden auf dem Weg zum Eigentum soll es getrost geben, der Weg selbst muss aber begehbar bleiben, die Hürden müssen mit Planung und Vorbereitung genommen werden können.
Das ist durchaus sinnbildlich gemeint: Denn auch beim Hürdenlauf wird nicht übersprungen, sondern überlaufen. Der Läufer entwickelt eine bestimmte Technik, er bereitet sich auf den Hürdenlauf vor, er springt nicht um die Hürden herum, sondern er nimmt sie im Sprint. Das sollte auch für den Eigentumserwerb gelten. Man bereitet sich vor, man lässt sich beraten, man diskutiert, man spart, man rechnet – und dann entscheidet man sich, im besten Falle für Wohneigentum.
Es gilt daher stets zu prüfen, für wen und wie Eigentumserwerb in Betracht kommt. Und für wen nicht. Denn nicht jeder ist finanziell in der Lage, eine Immobilieninvestition zu verantworten. Die Subprime-Krise ist uns allen der beste Lehrmeister. Wer sogenannten NINJAs zu Immobilieneigentum verhilft, fördert nicht den Vermögensaufbau einer Gesellschaft, sondern riskiert, dass deren schwächste Glieder noch mehr verlieren. Deshalb gilt: Wer kein Einkommen, keine Arbeit und keine Vermögenswerte hat (NINJA: no income, no job, no assets), der braucht unsere Unterstützung, aber mit Sicherheit keinen Immobilienkredit.
Andere wollen und sollen aber gefördert werden. Und deswegen stellt sich logischerweise die Frage, warum Eigentum eigentlich gut und richtig ist. Wie fördert Wohneigentum den Zusammenhalt in einer Gesellschaft? Hat Eigentum Auswirkungen auf die Identifikation der Menschen mit ihrem Haus, ihrer Straße, ihrem Kiez, ihrem Stadtteil, ihrer Stadt? Deutschland ist ein Einwanderungsland: Sind Menschen, die Eigentum haben, mehr in einem Land zu Hause, fühlen sie sich mehr daheim als Mieter? Hat Eigentum womöglich Auswirkungen auf Bildungschancen? Oder ist Wohneigentum ein Relikt überholter Sozialstrukturen und -vorstellungen? Vielleicht irren wir nämlich, und in einer Welt, die schneller und schnelllebiger und vor allem mobiler ist, brauchen Menschen gar kein Eigentum mehr. Sharing Economy ist eines der Zauberworte des 21. Jahrhunderts – gilt das auch für die eigene Wohnung?
Die Frage nach Wohneigentum betrifft also auch das Thema »Zukunft des Wohnens«: Wie sehen Wohnkonzepte in den nächsten 20, 30 Jahren aus? Wenn wir endlich Automobilität haben, die den Namen Auto-Mobilität auch verdient hat. Wenn Lebens- und Arbeitsprozesse derart vernetzt sind, dass jedem Einzelnen von uns mehr Zeit bleibt. Wenn der größte Teil des Einkaufens nicht dem Warten in der Kassenschlange und dem Weg vom und zum Parkplatz geopfert, sondern tatsächlich der Besorgung von Waren gewidmet ist. Wenn Wohnen und Arbeiten im Kiez bedeutet, dass jeder an jedem Tag neu und frei darüber verfügen kann, ob er im Home-Office, im quartierseigenen Coworking-Space oder doch im Firmen-Hub kreativ wird. Alles Zukunftsmusik?
Wir werden uns wundern, wie schnell die digitale Revolution unseren Alltag verändert – manches unmerklich, anderes hingegen wird unsere tägliche Routine (und unsere Städte) so auf den Kopf stellen wie vor 100 Jahren die Erfindung des massenmarkttauglichen Automobils. Und deswegen muss die Politik jetzt handeln, damit eines der zentralen und bewusstseinsstiftenden Elemente unseres Daseins – unsere Wohnung oder unser Haus – das bleibt, was es per Definition ist: unser Dach überm Kopf, die uns schützenden vier Wände, das uns Geborgenheit stiftende Zuhause.
Der Themenkomplex Wohneigentum betrifft aber nicht nur den Blick in die Zukunft, sondern auch unmittelbar und im Jetzt immer mehr Menschen in unserem Land: Die Miet- und Immobilienpreise steigen, und selbst wenn Wohnen in Deutschland objektiv gesehen weiterhin erschwinglich ist (und man als Marktteilnehmer nicht müde wird, das immerzu zu betonen), so nehmen große Teile der Öffentlichkeit die positive Entwicklung des Marktes als Preistreiberei wahr. Das ist nur zu menschlich, denn das subjektive Gefühl lässt sich nur selten mit Argumenten widerlegen.
Gleichzeitig trifft es zu, dass die Diskrepanz zwischen Einkünften und Ausgaben immer mehr Menschen trotz Lohn und Brot zu schaffen macht. Am Beispiel Wohneigentum lässt sich ablesen, wie gespalten der alltägliche Umgang mit sozioökonomischen Idealen einerseits und dem angebrachten politisch-gesellschaftlichen Dialog andererseits mittlerweile geworden ist. In vielen privaten Gesprächen heißt es, wenn man als Gast eine Wohnung betritt: »Ihr habt gekauft? Gut gemacht, gratuliere!« Im öffentlichen Diskurs wird derselbe Erwerber von Wohneigentum indes gebrandmarkt als Gentrifizierer, Kapitalist und bestenfalls als Spießer und Sparer.
Welche gesellschaftlichen Grundlagen liegen dieser Entwicklung zugrunde? Wir haben fünf konzentrische Kreise rund um das Thema Wohneigentum identifiziert, die zeigen, wie einerseits Wahrnehmung und Wirklichkeit auseinander gehen und wo zunehmend ein gesellschaftlicher und über Jahrzehnte ideologisch mitgeformter Graben aufgerissen wird.
Der Polizist in München – das Paradebeispiel
Der Polizist in München gilt als Durchschnittsverdiener in der teuersten deutschen Stadt regelmäßig als Musterbeispiel für das Spannungsverhältnis zwischen Einkommen und Lebenshaltungskosten (zu denen auch die Wohnkosten zählen). Wann immer über prekäre Verhältnisse vermeintlich anständig Verdienender gesprochen wird, wird gern auf den uniformierten Beamten in der bayerischen Landeshauptstadt verwiesen. Was ist dran an der Sache?
Wer als Polizeibeamter in München arbeitet, erhält zusätzlich zu seinem regulären Gehalt, das für alle bayerischen Polizeibeamten gleich ist, eine monatliche Ballungsraumzulage – seit Kurzem rund 120 Euro,2 zuvor waren es lange Jahre weniger als 80 Euro.3 120 Euro sind ein bescheidener Ausgleich für jene Mehrkosten, die der Polizist in der bei Weitem teuersten Stadt Deutschlands hat.
Nur zum Vergleich: Im privaten Sektor erhalten Angestellte bis zu 500 Euro (teilweise auch deutlich mehr) zusätzlich im Monat, wenn sie – statt in Hof oder Landshut, wo die Lebenshaltungskosten deutlich geringer sind – an einem Münchner Unternehmensstandort arbeiten. Sofern Arbeitnehmer angesichts der Münchner Preise überhaupt noch willens sind, in die bayerische Landeshauptstadt zu wechseln.
Polizisten wissen sich bekanntlich zu helfen – und so geht unser Münchner Beamter nach Dienstschluss abermals arbeiten. Mittlerweile haben 15 Prozent der Polizisten in der bayerischen Landeshauptstadt einen Nebenjob,4 die Dunkelziffer liegt vermutlich weitaus höher. Als Komparse, als Musiker, als Trainer die einen. Als Hausmeister, als Kassierer, als Lkw-Fahrer die anderen. Natürlich geben die meisten an, dass ihnen ihre Nebenjobs Spaß und Freude bereiten. Das ist ihnen – und auch jedem anderen – zu gönnen. Weil Polizeibeamte ihre Nebenbeschäftigungen im Übrigen melden müssen, würden sie – wir auch – einen Teufel tun, etwas anderes zu sagen, als dass sie ihrer Nebentätigkeit aus purer Lust an Abwechslung und Zeitvertreib...