Einleitende Bemerkungen
Gärtnern hat viel mit Denken zu tun, aber Denker schauen darauf gerne geringschätzig von oben herab. Sie meinen, es handle sich um eine einerseits praktische, andererseits repetitive Tätigkeit; außerdem macht man sich dabei ja die Hände schmutzig. Einige wenige Universitäten bieten Abschlüsse in Landschaftsdesign und professionellem Gartenbau an, ihr Schwerpunkt liegt allerdings auf Unkrautvernichtung und Massenvermehrung. Sie erteilen keine Noten in praktischer Gartenarbeit und deren Verhältnis zu Kunst und Wissenschaft. Ich habe Profidenker sagen hören, die Liebe der Engländer zum Gärtnern sei für das Scheitern von England als Industrienation verantwortlich. Ich habe sogar gehört, dass sie Gartenarbeit als Ersatz für ernstzunehmende Studien abqualifizierten – ein Grund, so nehmen sie an, weshalb Frauen so gern im Garten tätig sind, denn viele Frauen im mittlerweile reiferen Alter hätten angeblich nie »stattdessen« eine richtige Ausbildung genossen. Als ich vor über fünfzig Jahren mit dem Gärtnern anfing, erzählte ein renommierter Medizinprofessor in Oxford den angehenden jungen Ärzten in seiner Abteilung, dass es zwei wichtige Regeln im Leben gebe. Sie sollten ihren Wohnsitz so wählen, dass sie das Krankenhaus zu Fuß erreichen konnten, und sie sollten ein Haus mit einem Garten kaufen, der gerade so groß war, dass die Gattin ihn allein bewältigen konnte.
Abb. 2: Gedankenversunken schreitet der Autor Mitte Juli durch seinen Garten in Oxfordshire
Doch wie überall gibt es auch auf dem Feld der Denker Ausnahmen. Bevor ich mit achtzehn Jahren nach Oxford kam, hatte ich – in einer 78 Personen umfassenden Belegschaft – mehrere Monate lang im großen Alpingarten des Botanischen Gartens in München gearbeitet. Im zweiten Jahr meines Studiums in Oxford wechselte ich zur Philosophie und stieß auf einen Helden in einer Welt des Denkens, die mir in jeder Hinsicht so vorkam, als gehe sie weit über meinen Horizont hinaus. Der berühmte Denker Ludwig Wittgenstein wurde von meinem klugen Tutor in neugierig machender Weise als »ein entschieden komischer Kauz« bezeichnet. Ich stöberte daraufhin einen Vortrag auf, den der »komische Kauz« Wittgenstein in Cambridge im Jahr 1929 gehalten hatte. Zu meiner Verwunderung hatte er gesagt, dass er manchmal »über die Existenz der Welt staunte« und dass er andererseits »die Erfahrung kannte, sich absolut sicher zu fühlen«. Auf meinen erdverbundenen Geist machte das einen ziemlich neurotischen Eindruck. Seinen Gedanken »Wie außerordentlich es doch ist, dass überhaupt irgendetwas existiert« fand ich auf interessante Weise sonderbar. Noch sonderbarer wirkte sein Gedanke »Ich bin in Sicherheit, ganz gleich, was geschieht – nichts kann mir etwas anhaben« – und er war der Meinung, dass auch andere so dachten. Man konnte sich kaum vorstellen, dass er unter Geschwistern aufgewachsen war – ja dass er sogar das Jüngste von acht Kindern war. Ganz offensichtlich hatte er nicht ein Leben gelebt wie meines, mit Pferden, und ganz bestimmt hatte er nie Brennesseln gejätet.
Ich fand dann heraus, dass er im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, ein Umstand, der sein Interesse am »Gefühl absoluter Sicherheit« erklärte. Außerdem fand ich heraus, dass er über »gedankenvolle« Tätigkeit nachgedacht hatte. »Denken wir uns«, so schrieb er, »dass einer eine Arbeit verrichtet, in der es ein Vergleichen, Versuchen, Wählen gibt«, etwas aus »gewissen Materialstücken mit gegebenen Werkzeugen … Immer wieder entsteht das Problem: ›Soll ich dies Stück dazu nehmen?‹ – Das Stück wird verworfen, ein anderes versucht …« Wittgenstein dachte an die Herstellung eines Geräts, aber er hätte ebenso gut meine Arbeit im Münchner Alpinum beschreiben können, wo ich mit der spitzen deutschen Version eines englischen, geradkantigen Spatens die Erde aufgrub und zitronengelbe Butterblumen neben blauen bayerischen Enzian pflanzte, in der Hoffnung, dass sie sich in saurem Boden gut nebeneinander machen würden. Wittgenstein stellt sich dann vor, die »ganze Prozedur« werde gefilmt. »Der Arbeiter gibt vielleicht auch einige akustische Signale von sich wie ›hm‹ oder ›ha‹«: In meinem deutschen Garten entsprach dem das Rülpsen von Herrn Strauß und das notorische Furzen des Herrn Schmidt. Weder in München noch in Wittgensteins Notizbuch äußerte der Arbeiter »auch nur ein einziges Wort«. Was aber nicht heißt, dass er nicht nachdachte: »Wir könnten natürlich sein ›Denken‹ von der Tätigkeit nicht trennen. Denn das Denken ist eben keine Begleitung der Arbeit; so wenig wie der gedankenvollen Rede.« In meinem ersten Jahr in Oxford war ich überzeugt, dass ich während meiner Tätigkeit als Gärtner in München mehr nachgedacht hatte als bislang im Zusammenhang mit dem, was mir mein Altgriechisch-Tutor an Stoff geboten hatte. Und jetzt wurde mein Eindruck durch diesen großen Denker, den mein Lehrer so »kauzig« fand, bestätigt.
Gedankenvolles Gärtnern wurde zu meinem Glaubensbekenntnis.
Es gab da jedoch immer noch eine Kluft zwischen der Vorstellung des Philosophen und meiner eigenen. Sein Arbeiter arbeitet zwar denkend, doch denkt er nicht, bevor er anfängt, lange und gründlich nach, und er fasst seine Gedanken auch nicht in Worte. Sein Denken ist rudimentär; als ich dann aber meine Lektüre erweiterte, verstand ich das Ganze besser. Ich fand heraus, dass Wittgenstein zweimal in seinem Leben mehrere Monate lang als Gärtner tätig gewesen war. Damit wurde mein Held zu einem Halbgott, und obwohl ich so wenig verstand, las ich alles, was ich von seinen Schriften bekommen konnte. Im Sommer 1920 hatte er in Österreich die Ausbildung zum Volksschullehrer absolviert, die Ferien aber verbrachte er mit der Arbeit in den Gärten des Stifts Klosterneuburg in der Nähe von Wien am Ufer der Donau. Während er – zweifellos intensiv denkend – gärtnerte, kam der Abt des Klosters am Beet vorbei und bemerkte: »Ah, ich sehe, dass auch für die Arbeit als Gärtner Intelligenz eine Rolle spielt.«
Es ist zu schade, dass jener Abt dieses Buch nicht lesen kann. Seit dreißig Jahren habe ich die Ehre, für die Gärten in meinem Oxforder College, dem New College, verantwortlich zu sein, in einer Welt von Denkern, für die ich außerdem neun weitere, auswärtige Gärten betreue, unter anderem auch solche, in denen diese Denker denken, wenn auch nicht arbeiten. Ich gebe die Anweisungen für die wackeren Gartenfirmen-Teams, die von März bis Dezember an drei Tagen pro Woche für uns arbeiten, und ich tausche mich mit dem Mann, der für das Mähen verantwortlich ist, über die Rasenflächen aus, wenn er von seiner Arbeit auf den Grasflächen der College-eigenen Sportplätze freigestellt wird. Ebenso wie Wittgensteins denkender Arbeiter wähle ich, vergleiche, probiere aus, und wahrscheinlich äußere ich auch so manches »hm« und »ha!«. Nichts wird ohne meine Anweisung angepflanzt oder verändert. Die Gärtner machen die Arbeit, doch in den arbeitsreichsten Monaten, und wenn mein eigener Cotswold-Garten mir solche Treulosigkeit erlaubt, packe ich an Wochenenden oder abends auch selbst mit an. Um mich herum gehen die Studenten ihrem Denk-Geschäft nach und haben keine Zeit, sich mit dem Staunen darüber aufzuhalten, dass die Welt existiert, oder mit der Kühnheit, sich in absoluter Sicherheit zu wiegen. Meine Kollegen werden dafür bezahlt, täglich zu denken, aber ich erfahre nur selten, was sie eigentlich über den Garten denken, der sich um sie herum erstreckt, außer der Verwunderung über seine Existenz. Einige haben die sonderbarsten Vorstellungen vom Geschäft des Gärtnerns. Unser akademisches Jahr beginnt im Oktober, und einmal lud mich ein Kollege aus diesem Anlass zu einem Umtrunk ein, quasi einer akademischen Neujahrsfeier. Einer der denkenden Gäste war gerade von seinem Sommeraufenthalt in einer auswärtigen Forschungseinrichtung zurückgekehrt, wo er in einem Labor Ratten getestet hatte, und er stellte mir eine Frage, die mich regelrecht erschütterte: »Und Sie hatten auch einen guten Sommer, Robin? Hatten die Blumen alle die richtige Farbe?«
Wenn die Arbeit im Garten etwas mit Intelligenz zu tun hat, dann stellt sich mir im Blick auf meine Kollegen manchmal allerdings die Frage, wo Intelligenz zu verorten wäre. Die klugen Gärtner in diesem Buch sind keine anerkannten, bejubelten Geistesgrößen. Es zählen zu ihnen Lady Chatterleys Liebhaber und der leitende Gärtner eines bedeutenden Anwesens in Northamptonshire in der Nähe des Dichters John Clare. Und dann gab es mehr als vierzig Jahre lang in meinen College-Gärten einen weiteren bemerkenswerten Gärtner, einen ehemaligen Kriegsgefangenen aus...