EINLEITUNG
1937 wollte der britische Literaturkritiker Cyril Connolly ein Buch über eine ungewöhnliche Frage schreiben: Wie kann ein Autor dafür sorgen, dass seine Werke auch nach zehn Jahren noch gelesen werden? Für Connolly war es ein Merkmal literarischer Größe, wenn ein Buch zum Klassiker wurde. Angesichts des drohenden Weltkriegs hatte die Vorstellung, dass etwas in einer ungewissen Zukunft überleben würde, besondere Bedeutung und Brisanz.
Connollys Buch – Enemies of Promise – beschäftigte sich mit zeitgenössischer Literatur und mit der zeitlosen Herausforderung, ein Meisterwerk zu schaffen. Daneben war es eine ehrliche persönliche Bestandsaufnahme der Gründe, aus denen Connolly, selbst durchaus begabter Autor, mit seinen bisherigen Werken keinen kommerziellen Durchbruch erzielt hatte. Auch mit Enemies of Promise schaffte er den Sprung in den Massenmarkt nicht. Dennoch war das Buch eine provokative Untersuchung der maßgeblichen Frage, die Künstler seit jeher einander und sich selbst stellen.
Angesichts der Überzeugung des Autors, selbst qualifiziert bestimmen zu können, was ein Meisterwerk ausmacht, ergeben sich ein paar interessante Fragen: Wie verhielt es sich denn mit seinem eigenen Werk? Wie lange konnte sich ein Buch über das Überdauern halten? Konnte er das selbst gesteckte Ziel erreichen? Konnte Cyril Connolly wie ein literarischer Babe Ruth den Ball punktgenau treffen?
Zu einer kulturellen Sensation wurde dieses ungewöhnliche Buch zwar nicht, doch es überlebte letztlich Kriege, Revolutionen, Trends, Scheidungen, Stiländerungen (und erneute Stiländerungen), spektakuläre technische Fortschritte und vieles mehr. Es überdauerte ein Jahrzehnt. 1948, zehn Jahre nach seiner Veröffentlichung, erschien eine erweiterte Neuauflage von Enemies of Promise. Das wiederholte sich 2008 – rund 60 Jahre später. Und hier an dieser Stelle sprechen wir jetzt wieder darüber.
Connolly ist gelungen, was nur wenige Künstler vollbringen: Er hat ein Werk geschaffen, das dem Zahn der Zeit trotzt. Was er geschrieben hat, gilt immer noch und wird bis heute gelesen. Connolly wurde damals und wird heute zitiert (vor allem mit bissigen Bemerkungen wie »Der schlimmste Feind großer Kunst ist der Kinderwagen im Flur« oder »Wen die Götter vernichten wollen, den bezeichnen sie als vielversprechend«). Das Buch hat ihn längst überlebt – wie auch die meisten anderen Verlagsprodukte seiner Zeit. Der Connolly-Kult aber hält noch Jahrzehnte nach seinem Tod an. Besonders beeindruckend: Angesichts seines Themas war dieser Erfolg kein Zufall. Er hat es vielmehr bewusst darauf angelegt – und hingekriegt. Auch heute noch, so viele Jahre später, sind seine Theorien über den kreativen Prozess zumindest für mich so relevant wie eh und je, denn sie waren es, die den Anstoß zu dem Buch gaben, das Sie gerade lesen.
Ist es nicht dieser dauerhafte Erfolg, von dem letztlich jeder Kreative träumt? Etwas hervorzubringen, das auch nach Jahren noch konsumiert (und gekauft) wird, das in den »Kanon« unserer Branche oder Sparte aufgenommen wird – etwas Wegweisendes, das uns im Schlaf Geld bringt (und andere beeinflusst), auch wenn wir längst andere Projekte im Auge haben?
Die Romane von James Salter werden als »unvergänglich« bezeichnet. Ein Übersetzer des Dissidenten und Autors Alexander Solschenizyn hat dessen Schriften eine gewisse »unwandelbare Frische« bescheinigt. Ein Biograf von Bob Dylan wies darauf hin, obwohl viele seiner Songs von Ereignissen handelten, die in den 1960er Jahren bedeutsam waren, habe seine Musik Bestand und »eine zeitliche Transzendenz«. Was für Formulierungen! Wie elegant sich doch ausdrücken lässt, was so viele von uns gern erreichen möchten. Nicht nur wir Schriftsteller oder die Musiker, sondern im Grunde jeder Unternehmer, Designer, Journalist, Produzent, Filmemacher, Kabarettist, Blogger, Experte, Schauspieler, Investor – jeder, der in irgendeiner Form kreativ tätig ist –, sie alle versuchen genau das: etwas zu bewirken und die Zeit zu überdauern.
Die traurige Wahrheit: Den meisten gelingt das nicht. Woran liegt das? Nun, erstens dürfen wir uns nichts vormachen – es ist ziemlich schwer. So schwer, dass man verrückt werden kann, wenn man zu viel darüber nachdenkt. Das ist meiner Ansicht nach aber nicht der Grund, aus dem die meisten Kreativen wenig hervorbringen, was sich länger hält als zehn Minuten – geschweige denn zehn Jahre. In Wirklichkeit bemühen sie sich nicht richtig darum. Sie versagen, weil sie strategisch bedingt nie eine Chance hatten. Geht ja auch schlecht, solange praktisch jeder Anreiz, jedes Vorbild, jede Anleitung, ja, selbst die Hinweise wohlmeinender Fans und Kritiker in die Irre führen.
Wie sollte es anders sein, wenn uns doch die führenden »Vordenker« und »Fachleute« mit Tricks und Kniffen, die auf den schnellen, offensichtlichen Erfolg abzielen, auf Abwege bringen? Die Kreativen befassen sich damit, die Bestsellerlisten zu entern, »Teilen«-Befehle in den sozialen Medien zu zählen oder hohe Summen von Investoren einzuwerben, noch bevor sie ein tragfähiges Geschäftsmodell haben. Sie behaupten, sie wollen etwas bewegen, richten sich dabei aber nach den falschen Standards und messen ihren Erfolg nicht in Jahren, sondern in Mikrosekunden. Angeblich wollen sie etwas Zeitloses schaffen, doch in Wirklichkeit geht es ihnen hauptsächlich um sofortige Belohnung und Befriedigung.
Im kreativen Prozess lassen sich zu viele durch Abkürzungen vom Weg abbringen. Keiner will eine Eintagsfliege sein, doch im entscheidenden Moment halten wir nicht inne, um uns zu überlegen, wie wir unsere Lebensdauer steigern und unser Verfallsdatum hinausschieben können. Stattdessen messen wir uns an allem, was in, cool und trendig ist und sich gut verkauft. Aus diesem Grund müssen wir mehr produzieren, haben Probleme, es zu vermarkten, und stehen am Ende schlechter da – ein Hamsterrad, das mit jedem Tag schneller läuft.
Kein Wunder also, wenn kreativer Erfolg als unerreichbar gilt. So kurzsichtig betrachtet, ist er das im Grunde auch.
BESSER UNTERWEGS MIT EINEM NEUEN MODELL
»Klassiker« gibt es in jeder Branche – von Büchern über Filme und Restaurants bis zu Theaterstücken und Software. Ich meine damit Produkte, die ungeachtet ihres Erfolgs oder ihrer Reichweite bei der Veröffentlichung oder Eröffnung im Laufe der Zeit immer wieder ankommen und immer mehr Kunden überzeugen. Kunstwerke oder Erzeugnisse, die wir uns mehr als einmal zu Gemüte führen und die wir anderen empfehlen, auch wenn sie nicht mehr taufrisch und tagesaktuell sind. Das sind quasi zeitlose, verlässliche Ressourcen und unbesungene Einnahmequellen, die ihren Eigentümern Tantiemen einbringen. Wie Gold oder Grund und Boden steigen sie mit der Zeit im Wert, weil es immer irgendwo irgendjemanden gibt, der sie schätzt. Anders formuliert: Sie halten sich nicht nur ewig, sie verkaufen sich auch ewig.
Nehmen Sie beispielsweise Die Verurteilten. Der Film konnte an den Kinokassen nicht überzeugen. Er wurde höchstens in 1000 Kinos gezeigt und spielte mit den Bruttoeinnahmen aus dem Kartenverkauf kaum seine Produktionskosten ein. Doch in den folgenden Jahren brachte er über 100 Millionen Dollar ein. Selbst die Nebendarsteller verdienen noch jeden Monat 800 Dollar und mehr daran. Wenn Sie am Wochenende Ihren Fernseher einschalten, werden Sie bestimmt einen Sender finden, auf dem der Film läuft.
Ganz in der Nähe des Staples Center in Los Angeles befindet sich das Original Pantry Cafe, ein Lokal, das das ganze Jahr über rund um die Uhr geöffnet hat … und zwar seit 1924 (bekanntlich hat es noch nicht einmal Schlösser an der Tür). Seine ergebenen Stammgäste nennen es nur das Pantry. Dort wird seit 33 000 Tagen (in über 792 000 Stunden) ununterbrochen Essen serviert, vom Frühstück bis zum einen oder anderen Steak. Morgens muss man meist Schlange stehen, um einen Platz zu ergattern. Geändert haben sich in den 93 Jahren nur die Preise, die als unwilliger Tribut an ein Jahrhundert der Inflation gestiegen sind. In Clifton’s Cafeteria ein paar Straßen weiter werden seit 1935 Essensgäste bewirtet. (Das Lokal gab Impulse für den exzentrischen Charakter von Disneyland.) An der Wand hängt eine Leuchtschrift, die in 77 Jahren nie ausgegangen ist – die älteste, unverändert leuchtende Neonreklame der Welt.
Die Lieblingsband meiner Jugend war die Heavy-Metal-Formation Iron Maiden. Im Radio wurde sie zwar selten gespielt, hat aber im Verlauf ihrer vierzigjährigen Karriere dennoch über 85 Millionen Alben verkauft. Bis heute sind Konzerte für 30 000 oder gar 60 000 Besucher weltweit ausverkauft.
* Bei Spotify-Streams konnte Iron Maiden sogar Madonna schlagen (mit 160 Millionen Streams der fünf Toptitel gegenüber 110 Millionen Streams, die Madonnas fünf erfolgreichste Songs verbuchten). Wie geht das? Und was steckt dahinter?
Dabei muss man im Musikgeschäft nicht unbedingt Musik verkaufen, um zum Dauerbrenner zu werden. Haben Sie schon mal einen Schlagzeuger Zildjian-Becken spielen sehen? Wenn Sie schon mal Dave Grohl (Foo Fighters und Nirvana), Keith Moon (The Who) oder Phil Collins zugeschaut haben, dann ja. Das Unternehmen wurde 1623 in Konstantinopel gegründet. Mittlerweile stellt Zildjian seit 400 Jahren Becken her.
Den Scherenhersteller Fiskars gibt es schon seit 1649. Cire Trudon produziert seit dem 17. Jahrhundert hochwertige Kerzen. Einen Namen gemacht hat sich dieses Unternehmen womöglich bereits als Hoflieferant von König Ludwig XIV. und später Napoleons, doch es expandiert noch immer. 2015 eröffnete es seine...