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E-Book

Der Film-Verführer

Warum Frauen Action lieben und Männer Romantik wollen

AutorMatthias Lohre
VerlagS. Fischer Verlag GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783104026367
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Filme schauen mit Frauen - der richtige Streifen für Flirts, Sex und die große Liebe Mann trifft Frau zum Blind Date im Kino. Er denkt: Titanic ist der romantische Film, mit dem man jede Frau rumkriegt. Weitgefehlt, denn die Frau findet: »Kate Winslet, die fette Matrone, hätte absaufen sollen statt der schwulen Kartoffel Leo diCaprio!« So kann sich der Mann täuschen! Egal, ob Fight Club, Keinohrhasen, Pretty Woman oder Terminator: Matthias Lohre erzählt humorvoll und klug, was unsere Lieblingsfilme über Frauen und Männer wirklich verraten.

Matthias Lohre hat in seiner taz-Kolumne jahrelang über »Männer« geschrieben. Als Reportage-Redakteur berichtet er für die taz vom politischen Berlin, aus der deutschen Provinz und Ländern wie China oder den USA. Sein erstes Buch »Milde Kerle« erschien 2013.

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Leseprobe

Vorspann


Seit ich Schlaflos in Seattle gesehen habe, weiß ich, wie wir alle die große Liebe finden können. Die Idee ist, wie alle genialen Ideen, im Kern einfach. Und das Beste daran: Um den passenden Menschen zu finden, muss niemand wie Meg Ryan eine nächtliche Radiosendung hören, in der einer wie Tom Hanks zögerlich von seiner verstorbenen Frau erzählt. Damit hätte ich ein Problem. Schließlich bin ich ein Mann auf der Suche nach einer Frau, was soll ich da mit einem Witwer? Es braucht auch niemand seinem kleinen Sohn nach New York hinterherzufliegen, der ausgebüxt ist, um seine neue Mama auf der Aussichtsplattform des Empire State Buildings zu treffen. Ich zumindest will die perfekte Frau ja erst kennenlernen, mit der ich ein Kind bekomme, das meine Nerven strapaziert. Nein, die Sache ist viel einfacher. Wer hätte gedacht, dass man beim Suchen und Finden der Liebe auch bequem sitzen und Popcorn essen kann? Aber der Reihe nach.

Vordergründig geht es bei Schlaflos in Seattle ja um die Frage, ob Tom Hanks und Meg Ryan zueinander finden – entgegen aller Wahrscheinlichkeit und über Tausende Kilometer hinweg. Es ist eine typische, perfekt inszenierte Romantische Komödie. Aber jeder gute Hollywoodfilm ist mehr als die Summe seiner Drehbucheinfälle und Schauspielleistungen. Ein Meisterwerk seines Genres bringt etwas in Menschen zum Schwingen, von dem sie oft selbst nicht wissen, was es ist. Es lässt sie ahnen, was sie fürchten und wünschen. So war es auch bei mir, als ich neulich Schlaflos in Seattle guckte.

Es war später Abend, ich sah allein fern. Mehr brauche ich wohl kaum zu sagen, um klarzumachen, dass ich schlechte Laune hatte. Meine Freundin und ich hatten uns kurz zuvor getrennt, grässliche Streitereien und noch grässlicheres Schweigen inklusive. Der Eisberg, der unserer Beziehung den tödlichen Stoß versetzte, hieß Titanic 3D. Von diesem Schiffbruch erzähle ich gleich, vorher aber zu Schlaflos in Seattle.

Im Fernsehen war gerade zu sehen, wie Sam (Tom Hanks) nach dem Krebstod seiner Frau versucht, ins Leben zurückzufinden. Spätestens da hätte ich auf einen Film für Männer umschalten müssen, aber sogar dafür war ich zu deprimiert. Und in diesem Moment kommt Annie (Meg Ryan). Sie macht sich zu Filmbeginn daran, ihren netten, aber langweiligen Freund zu heiraten. Annie redet sich ein, als Frau in den Dreißigern müsse sie ihre Jungmädchenträume von der großen Liebe aufgeben.

»Schicksal«, sagt Annie ihrer Mutter, »ist etwas, das wir erfunden haben, weil wir den Gedanken nicht ertragen können, dass alles, was passiert, reiner Zufall ist.«

Ich legte die Fernbedienung aus der Hand. Genau, dachte ich, so ist es! Wir können nicht darauf warten, dass der perfekte Mensch an der Tür klingelt nach dem Motto: »Dingdong, du hattest die große Liebe bestellt. Hier bin ich. Oh, du guckst Schlaflos in Seattle. Hast du noch Platz auf der Couch? Ich hab’ auch Choco Crossies.«

Wer die große Liebe finden will, muss etwas dafür tun. Aber was? Ich schaute auf die DVD-Hülle. Darauf stand: »Stell Dir vor, jemand, den Du nie getroffen hast, den Du nie gesehen hast, den Du nie kennengelernt hast, ist die Liebe Deines Lebens.« (Okay, ich geb’s zu: Ich habe den Film nicht zufällig im Fernsehen gesehen, ich habe die DVD in der Videothek ausgeliehen. Bitte nicht meinen männlichen Freunden erzählen.) Mir wurde klar, dass tief in mir große Unruhe herrschen musste, wenn eine Romantische Komödie es schafft, mich derart zu berühren. Irgendwo verbarg sich eine ungestillte Sehnsucht, und sie scherte sich einen Dreck darum, ob ein Film kitschig ist oder nicht. Die perfekte Frau für mich mochte da draußen sein, und ich saß allein zu Hause und hatte nicht mal Choco Crossies. Das musste sich ändern. Vielleicht verhält es sich mit dem Schicksal wie mit Marmelade: Selbst gemacht ist es am besten. Aber wie helfe ich dem Lebensglück nach? Dann kam diese unscheinbare Filmszene.

Annie eilt zu ihrem älteren Bruder. Sie ist verwirrt, ihr geht die Stimme aus der nächtlichen Radiosendung nicht aus dem Kopf: die Stimme des Witwers Sam. Annie fragt ihren Bruder, ob es tatsächlich sein könne, dass sie verliebt ist in einen Mann, den sie gar nicht kennt. Ihr Bruder antwortet ruhig:

»Wenn du dich zu jemandem hingezogen fühlst, heißt das nur, dass dein Unterbewusstsein sich von dem anderen Unterbewusstsein angezogen fühlt – unterbewusst. Also ist das, was wir Schicksal nennen, das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen.«

Es war gut, dass meine große Liebe noch nicht neben mir auf der Couch saß, denn mein Mund stand offen. Etwas in mir wusste: Das ist es. Das ist die Lösung der Probleme bei der Partnersuche. Die Lösung meiner Probleme. Dass ich nicht früher darauf gekommen bin! Dabei hatte ich die Antwort die ganze Zeit direkt vor meinen Augen.

Filme beeinflussen uns weit mehr, als wir verstehen. Sie verbinden sich mit unseren Hoffnungen, Ängsten und Sorgen, ohne dass wir es ganz begreifen. Sie prägen unseren Blick auf die Welt. Romanzen beispielsweise haben großen Einfluss darauf, welche Bilder in unseren Köpfen entstehen, wenn wir an Verliebtheit, Liebe und Heirat denken. Als Victoria von Schweden im Jahr 2010 heiraten wollte, gab es ein Problem. Die Kronprinzessin bestand darauf, dass ihr Vater, König Carl XVI. Gustaf, sie durchs Kirchenschiff bis zum Altar begleitete, wo ihr Bräutigam auf sie wartete. Eine typische Hollywood-Situation, bekannt etwa aus Vater der Braut mit Spencer Tracy und Elizabeth Taylor. Das Abba-Musical Mamma Mia! handelt sogar größtenteils von der Suche einer Braut nach ihrem unbekannten Vater, damit dieser sie zum Altar geleitet. Doch dieser Akt der Übergabe war in dem skandinavischen Land unüblich. Es gab Streit. Die protestantischen Kirchenoberen und große Teile der Bevölkerung sahen darin einen archaischen, unemanzipierten Brauch: den symbolischen Übergang des väterlichen »Eigentums« in das des Bräutigams. Diese amerikanische Sitte sollte nicht Einzug in das schwedische Königshaus halten! (Ins Musical einer schwedischen Popband hatte es das ja schon geschafft.) Doch Victoria bestand darauf. Man einigte sich auf einen Kompromiss: Carl XVI. Gustaf begleitete seine Tochter bis zur Mitte des Kirchenschiffs. Dort übergab er sie an seinen künftigen Schwiegersohn, und der schritt mit der Prinzessin zum Altar. Es war ein Kampf zwischen Hollywood auf der einen Seite, jahrhundertealten Kirchentraditionen und einem europäischen Königshaus auf der anderen. Punktsieg für die Traumfabrik.

Die Macht der Bilder reicht aber viel weiter. Bei den Anschlägen vom 11. September 2001 war die erste Reaktion vieler Menschen: »Das ist ja wie im Film.« Wir hatten Szenen einer Katastrophe im Kopf, die sich noch gar nicht ereignet hatte. Als die beiden Türme des World Trade Centers in New York zusammenbrachen, Menschen vor den herabstürzenden Trümmern flohen und kurz darauf der US-Präsident ernste Worte in eine TV-Kamera sprach, da schien das Leben Hollywood zu imitieren. Nicht umgekehrt.

Filme sind mächtig, weil sie uns Bilder einprägen können. Das gelingt ihnen aber nur, wenn sie dabei an etwas rühren, was bereits in uns schlummert. »Im Laufe eines Tages sind wir mehrmals in das Entstehen und Vergehen kompletter Seelenwelten einbezogen«, schreibt Dirk Blothner in seinem Buch Erlebniswelt Kino. Blothner ist Medienpsychologe und Psychotherapeut, er analysiert, warum und wie Filme auf uns wirken. Sie hinterlassen einen bleibenden Eindruck, wenn sie unser Unbewusstes ansprechen. Auch in alltäglichen Situationen geraten wir ständig »in die Dramatik von Gelingen und Verfehlen, von Sieg und Niederlage, Ordnung und Chaos, Treue und Verrat. Jeden Tag aufs Neue«, schreibt Blothner. Im Büro gibt es Streit, jemand nimmt uns die Vorfahrt, oder der Blick eines Menschen auf der Straße irritiert uns. An das meiste erinnern wir uns schon bald nicht mehr. Das Unbewusste aber vergisst nicht, es kennt weder Vergangenheit noch Zukunft. »Das Kino ist ohne diesen zugleich erregenden und beängstigenden Alltagsbetrieb nicht zu verstehen. Es erwächst aus ihm«, schreibt Blothner. »Im Kino haben wir die dramatische Lebenswirklichkeit noch einmal vor Augen. Es eröffnet Wirkungswelten mit Herz. So wie unser Leben von Momenten wie Aufbrechen, Eindringen, Siegen, Verwirrung, Angst, Glück und Abschied bestimmt wird, so suchen wir diese Erlebnisse im Kino. Wir wollen sie immer wieder erfahren. Wir wollen den Wegen des Lebens folgen – Sieg und Vereinigung in gesteigerter Intensität, Trennung und Verlust in ungewöhnlicher Tiefe erleben. Wir möchten im freieren Raum der fiktionalen Unterhaltung ausprobieren, was wir uns im realen Leben nicht (zu)trauen. Wir benutzen das Kino, um zu erfahren, was uns lieb und teuer ist, und um unsere Grenzen kennenzulernen.« Hier kommt Schlaflos in Seattle ins Spiel. Annies Bruder Dennis sagt: »Was wir Schicksal nennen, ist das Bewusstsein zweier Neurosen, dass sie perfekt zusammenpassen« – unbewusst. Beim Sich-Verlieben verstehen zwei Menschen also gar nicht, was sie am Gegenüber so anziehend finden. Etwas in ihnen aber weiß es genau. Bekanntlich erweisen sich Beziehungen als besonders stabil, die auf Gemeinsamkeiten, nicht auf Unterschieden beruhen. Auf lange Sicht halten Menschen es nur mit ähnlich Gesinnten aus. Wie aber lässt sich herausfinden, welche Neurosen, Ängste, Sehnsüchte und Vorlieben ein Mensch hat und ob sie zu meinen passen, ohne viel Geld fürs Bestechen seines...

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