Lange Zeit war die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und damit korrelierend die gründliche Aufarbeitung des Verhaltens des DFB im „Dritten Reich“ geradezu ein Tabuthema in der deutschen Sportgesellschaft wie auch in der Medienlandschaft. Verbände und Vereine aller Sportdisziplinen erwehrten sich vehement gegen eine lückenlose Prüfung ihrer Geschichte und befürchteten bei einer möglichen Vorlage von belastenden Ergebnissen einen erheblichen Schaden in der Außendarstellung und der damit einhergehende Verlust an öffentlicher Reputation. Nicht nur der DFB ignorierte jahrzehntelang den oftmals erhobenen Vorwurf, dass er sich nicht in ausreichendem Maße den dunklen Kapiteln seiner sonst so sportlich strahlenden Vergangenheit stelle. Arthur Heinrich fordert in seiner im Jahre 2000 publizierten Studie zum Themenkomplex DFB und dessen Geschichte [6], dass gerade der DFB als größter Verband Deutschlands mit seinen sechs Millionen Mitgliedern die Pflicht hat, der Öffentlichkeit eine vollständige Aufarbeitung seiner Vergangenheit zu präsentieren, um „den Genuss öffentlicher Bedeutung und Wertschätzung mit Transparenz zu begleichen.“[7] Im Juli 1946 behauptete Georg Xandry, seinerzeit Geschäftsführer des Verbandes, dass der DFB „vor allem um die Freihaltung unserer fachlichen Sportführung von jeglicher parteibonzenhaften Führung durch politische Leiter und vornehmlich durch SA und SS“ gekämpft habe, was dem Verband „bis zuletzt gelungen“ [8] sei. Dem Geiste dieser Aussage folgend, verkündete Peco Bauwens, erster Nachkriegsvorsitzender des DFB, dass „der deutsche Sport trotz stärkster Versuchung der DAF[9] wie der SA nur zum allerkleinsten Teil nazistisch vergiftet gewesen sei.“[10] Noch zehn Jahre nach Kriegsende wurden keinerlei Versuche unternommen, das Wirken des DFB in der zwölf Jahre dauernden Schreckensherrschaft zu untersuchen und einzuordnen. Kläglich erscheint die vom Verband herausgegebene „Geschichte des Deutschen Fußballsports“[11], verfasst von Carl Koppehel, in der er lediglich ein Kapitel dem Thema Fußballsport im „Dritten Reich“ einräumt. In Kriegszeiten war Koppehel Pressewart des DFB und als Funktionär stark involviert in die Geschehnisse der damaligen Zeit. So verwundert es nicht, dass Koppehel marginal aufklärende Fakten zur Aufarbeitung beiträgt und sich dem eigens inszenierten Selbstbild unterwirft. Eine objektive, kritische Prüfung des Themenkomplexes fand in dieser Chronik nicht statt.
„Die politischen Verhältnisse erschwerten die Innehaltung der bisher geltenden Linie, aber im Allgemeinen gelang es doch, den alten Kurs zu steuern. Parteipolitisch waren die im Fußballsport führenden Männer nicht gebunden.“ [12]
Die Schilderung entsprach dem allgemeinen Umgang der jungen Republik mit den Jahren der Hitler-Diktatur. Die große Mehrheit der Bevölkerung lehnte es ab, sich mit den Geschehnissen und der Frage nach individueller Schuld und Verantwortung auseinanderzusetzen. Die Menschen gingen einer direkten Konfrontation mit den Verbrechen aus dem Weg und schlugen eher den anscheinend bequemeren Weg der Verdrängung ein. Weitere zwanzig Jahre mussten verstreichen, bis das von Koppehel gezeichnete Bild des DFB im „Dritten Reich“ öffentlich angezweifelt wurde. In der Rede zum 75-jährigen Bestehen des DFB geißelte der Gastredner, Walter Jens, Tübinger Rhetorikprofessor, das Verhalten des DFB. Dem überraschten Auditorium mahnte er an, dass der Verband sich der eigenen Geschichte stellen müsse und dass der Sport keineswegs „fern von der Politik im Wolkenkuckucksheim angesiedelt“ [13] sei.
„Es ist das Ziel dieses Vortrages, […], den Deutschen Fußballbund daran zu erinnern, dass er eine Geschichte hat, die nicht nur aus Bilanzen besteht, nicht nur aus Länderspielen, Meisterschaften, Vereinen und Ligen, sondern eine politische Geschichte ist. Eine Geschichte, die der DFB, einer der größten Meinungsbildner in unserem Land endlich aufarbeiten sollte.“[14]
Das brisante Thema des Fußballsports im „Dritten Reich“ rückte im Jahr 2000 erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Anlass war die in diesem Jahr stattfindende 100-Jahr-Feier des DFB. Im Zuge dieses Ereignisses erschienen vier Arbeiten, die anstrebten, die Rolle des Verbandes zur Zeit des NS zu erklären. Auf die Ergebnisse und den daraus resultierenden Schlussfolgerungen wird an dieser Stelle jedoch nicht eingegangen. Im Verlauf der Arbeit werden aber die Veröffentlichungen mit einbezogen und deren zum Teil sehr unterschiedliche Interpretationen gegeneinander geprüft. Zunächst publizierten Gerhard Fischer und Ulrich Lindner ihr Werk „Stürmer für Hitler“[15], in dem sie sich in journalistischer Form mit dem Fußball zwischen 1933 und 1945 auseinandersetzten und dabei auch dem DFB ein Kapitel widmeten. Ihre Ergebnisse stützten sie auf das vorhandene Forschungsmaterial, auf zeitgenössische Zeitungsartikel, Memoiren von Fußballspielern und die Befragung von Zeitzeugen. Schon in der Einleitung weisen die Autoren aber darauf hin, dass diese Form der Materialsammlung zwar eine Menge Informationen transportieren, ihre Auswertung hinsichtlich der subjektiv wahrgenommenen Ereignisse jedes Individuums aber kritisch zu erfolgen hat.[16] Ein Jahr nach Veröffentlichung des Werkes „Stürmer für Hitler“ erschien das Buch von Arthur Heinrich mit dem prägnant pragmatischen Titel „Der Deutsche Fußballbund – Eine politische Geschichte.“ Seine Publikation behandelt die gesamte (politische) Geschichte des DFB seit dem Gründungsakt im Jahre 1900 und legt die Zeit des NS in circa 50 Seiten dar. Heinrich erklärt hierbei detailgenau die Mechanismen des Zusammenspiels des DFB mit den NS und kommt zu aufschlussreichen Befunden. Heinrich interpretiert das Verhalten des DFB als eine Kooperation mit den NS, die sehr wohl auf ideologischen Beweggründen basierten. Er verstand seine Studie auch als Gegenthese zu einem knappen Beitrag, den Adolf Scherer ein Jahr zuvor in der Jubiläumsfestschrift „100 Jahre DFB“[17] veröffentlicht hatte. Scherer behandelt darin zwar einige Aspekte des Fußballs in der Zeit des Nationalsozialismus, doch hält er sich mit einem klaren und deutlichen Fazit zurück. Diese Tatsache muss man wohl dem Rahmen, in dem dieser Aufsatz verfasst wurde, attribuieren. Die 600 Seiten umfassende Festschrift befasst sich lediglich 27 Seiten lang mit dem Fußball im „Dritten Reich“. Walter Jens, der Gastredner der 75-Jahrfeier, bezeichnete diesen Aufsatz schon vor der Veröffentlichung als „Alibibeitrag“ und gibt weiterhin zu bedenken, dass „jeder Beitrag, der unter 100 Seiten ist, nicht seriös sein kann.“[18] Im Tenor von Scherer vertritt Karl-Heinz Schwarz-Pich in seinem Werk „Der DFB im Dritten Reich – Einer Legende auf der Spur“[19] die These, dass der DFB nach dem Januar 1933 „nur das Allernötigste“ getan habe, was „angesichts der revolutionären Stimmung im Lande fast schon eine Provokation in Form passiver Resistenz“ [20] gewesen sei. Schwarz-Pich hebt in seinen Ausführungen den Vorwurf auf, dass der DFB ein williges Werkzeug des NS-Regimes gewesen sei. Weiterhin äußert er eine Reihe, in der Sporthistoriografie sehr umstrittener Annahmen, die im weiteren Verlauf dieser Arbeit examiniert werden sollen. Im Jahre 2005 erschien dann eine vom DFB in Auftrag gegebene Studie, die die Zeit von 1933 bis 1945 kritisch und objektiv beleuchten und analysieren sollte.[21] Beauftragt wurde Nils Havemann, der zu diesem Themenkomplex bis dato verschlossene Archive und Nachlässe als Informationsquelle nutzen konnte. Anders als Arthur Heinrich kommt Havemann zu dem Schluss, dass der DFB, geblendet von den potenziell ökonomischen und finanziellen Zuwendungen der NS, sich willfährig in den Dienst des Regimes stellte. Wie im Laufe dieser Arbeit zu sehen sein wird, wurde der Sport mit dem Machtantritt der NS zu einem prioritären Gut der Volksgemeinschaft, welches mit allen Mitteln gefördert werden sollte. Der DFB, motiviert durch die mögliche Prosperität des eigenen Verbandes, zeigte laut Havemann eine „ausgeprägte Bereitschaft und Fähigkeit zur Anpassung an politisch-gesellschaftliche Trends.“[22] Er verweist die Ausführungen Heinrichs, die klarstellen, dass der DFB sich vornehmlich aufgrund ideologischer Gemeinsamkeiten zu den NS bekannte und erweitert das Spektrum der Blickwinkel um die machtpolitisch-ökonomische Komponente. Die Studie markiert einen Wendepunkt in der Aufarbeitung der Geschehnisse seitens des DFB. Anlässlich der Präsentation der DFB-Studie von Havemann im September 2005 wies der aktuelle DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger darauf hin, „dass die heutige Veröffentlichung keinen Schlussstrich ziehen [soll], sondern ein Anfang [zu weiteren Untersuchungen, d. Verf.] darstellen soll.“[23] Dem Aufruf Folge leistend, veröffentlichten Lorenz Peiffer und Dietrich Schulze-Marmeling 2008 als Herausgeber des Werkes „Hakenkreuz und rundes Leder“[24] die Ergebnisse der mitwirkenden Autoren. Das Werk beleuchtet die Politik des DFB und des deutschen Fußballs seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts und prüft des Weiteren auch die Zeit nach 1945 im Hinblick auf den Umgang mit der...