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E-Book

Der Geruch des Todes

Einsätze eines Leichenspürhundes

AutorCat Warren
VerlagKynos Verlag
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl344 Seiten
ISBN9783954641550
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Für die Polizei ist es ein Vermissten- oder Kriminalfall. Für die Angehörigen ist es eine Tragödie. Für den Hundeführer ist es harte Konzentrationsarbeit. Für den Leichenspürhund ist es ein spannendes Spiel. Cat Warren, Professorin für Journalistik und Literaturwissenschaft, sucht zunächst eigentlich nur nach Möglichkeiten, ihren nicht ganz einfachen Deutschen Schäferhund Solo vernünftig auszulasten. Dabei stößt sie auf die Sucharbeit nach Toten und taucht ein in die faszinierende Welt der Wissenschaft rund um den Geruch, Geruchszersetzung, Forensik und die Leistung der Hundenase. Die unbekümmerte und zielstrebige Begeisterung, mit der ihr Hund sich auf die Suche nach dem Geruch des Todes macht, lässt sie auch ganz neue Perspektiven auf das Leben und seine Vergänglichkeit erleben. Folgen Sie den beiden auf ihre Wege und Irrwege und erfahren Sie viel Spannendes über die Geruchsleistung von Hunden, aber auch über die Zusammenarbeit und das Zusammenwachsen von Hund und Mensch in einer Parallelwelt, die wir nur zu gerne aus unserem Alltag ausblenden.

Cat Warren ist Honorarprofessorin an der North Carolina State University, wo sie seit 1995 Wissenschaftsjournalismus, Textredaktion, Medientheorie und Gender Studies lehrt. In ihrer ersten Berufslaufbahn als Zeitungsreporterin berichtete sie USA-weit für verschiedene Redaktionen über die Themen Kriminalität, Armutsproblematik, Umwelt und Politik. Für ihre Arbeit wurde sie zwischen 1985 und 2004 mit zahlreichen regionalen und überregionalen Pressepreisen ausgezeichnet. Während einer Projektanstellung beim Hartford Courant kam ihr die Idee, einmal eine Pause von der Reportertätigkeit zu machen und stattdessen aushilfsweise einen Kurs in Textredaktion an der Universität von Oregon zu unterrichten. Sie verliebte sich in die Lehrtätigkeit und ging, anstatt zu ihrer Zeitungsarbeit zurückzukehren, mit Mitte dreißig noch einmal zur Universität zurück, um ihren Doktortitel zu machen. Trotzdem hielt sie immer Kontakt zur Zeitungswelt. Während sie an ihrer Doktorarbeit schrieb, arbeitete sie bei der University of Illinois Press und war drei Jahre lang Herausgeberin des Magazins Academe. Sie hat mehrere akademische Artikel verfasst und zwei Fachbücher betreut. Außerdem hatte sie Lehraufträge an den Universitäten vom Portland, Stanford und Duke. Sie ist in Oregon geboren, wo ihr Vater ihr das Fliegenfischen beibrachte, ihr zeigte, wie man im Sommer Schlangen einfängt und sie im Herbst zum Überwintern wieder aussetzt und ihr alle Bäume und Pflanzen des Pazifischen Nordostens erklärte. Nach einigen Jahrzehnten der Unstetigkeit ließ sie sich in North Carolina nieder, wo sie heute mit ihrem Mann David Auerbach, der Brotbäcker und Philosophieprofessor an der North Carolina State University ist, den beiden Deutschen Schäferhunden Solo und Coda und zwei geschäftigen Bienenstöcken lebt. Der Geruch des Todes ist ihr erstes Buch.

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Leseprobe

Einleitung


Ich fühle mich schon wohler dabei, mit den Toten zu arbeiten. Besser gesagt mit Teilen der Toten. Ein paar Zähne, ein Rückenwirbel, ein Stück Teppich, das eine Zeitlang unter einer Leiche gelegen hat. Erde, die ich an der Ruhestätte verwesender Toter aufgelesen habe, um meinen Deutschen Schäferhund zu trainieren. Beim Öffnen eines Einmachglases voller Erde rieche ich nichts als die Wälder North Carolinas − moschusgetränkte Schatten, ein Hauch modriger Erlenblätter. Solo riecht die Verstorbenen.

Solo ist ein Leichenspürhund. Manchmal läutet mein Telefon, wenn jemand vermisst und wahrscheinlich tot ist: Solos Dienste sind gefragt. Ob es ihn deprimiert, einen Toten zu finden? Nein. Solos Arbeit − und sein Spaß − beginnen, wenn ein Leben endet. Nichts macht ihn glücklicher, als auf der Suche nach einem Vermissten durchs Moor zu tollen. Für ihn ist der menschliche Tod ein einziges Spiel. Um zu gewinnen, muss er ihn einfach nur riechen, ihm so nahe wie möglich kommen, mir Bescheid geben und seine Belohnung kassieren: ein Zerrspiel mit dem Knotenseil.

Ich hatte nicht erwartet, dass der Tod eine Sonnenseite hat, und noch weniger, dass ein Hund mir diese näherbringen würde. Solo hat mir in den acht Jahren, die wir bereits gemeinsam arbeiten und trainieren, eine ganz neue Welt gezeigt: eine mitunter finstere Welt, doch erhellt das Licht, das durch ihre Schatten dringt, noch ganz andere Seiten meines Lebens.

Solo und ich tun unsere Arbeit aus unterschiedlichen Gründen. Solos Motivation ist nicht nur das Zerrspiel am Ende, obwohl er sich darüber unheimlich freut, sondern auch die Arbeit an sich: Auf der Jagd nach geruchlichen Irrlichtern fegt er übers Feld wie Speedy Gonzalez. Mich hingegen motiviert es, Solo bei der Arbeit zu beobachten − einen schwarz-roten Schäferhund mit einem breiten Grinsen und einem gewaltigen Ruder von Rute. Seine Nase fängt eine verborgene Welt ein, deren geheimnisvolles Wissen er für uns Menschen übersetzt. Einer der Diensthundeführer bewunderte Solos deutliche Körpersprache mit den Worten: „Diesen Hund kann man lesen wie ein Buch.“ Glücklicherweise ein einfaches Buch, wie gemacht für eine arbeitshundetechnische Anfängerin wie mich. Eher Wilhelm Buschs Max und Moritz als Robert Musils Mann ohne Eigenschaften. Es ist gut, dass Solos Herangehensweise der von Wilhelm Busch entspricht, denn manchmal lässt mich die Welt der Vermissten und Toten nicht einschlafen. Ich drehe und wende sie in Gedanken, zerpflücke einzelne Puzzleteile in dem Versuch, undurchschaubare Handlungsstränge zu verstehen. Ein berühmter Leichenspürhundetrainer brachte es auf den Punkt: „Die Suche ist eine klassische Kriminalgeschichte.“

Manch einer runzelt die Stirn, wenn er von meinem Hobby erfährt. Enge Freunde und sogar ein paar Kollegen an der Universität sind fasziniert von der Vorstellung, doch andere erschaudern. Manchen Kollegen gegenüber erwähne ich bewusst nicht, was ich in meiner Freizeit mache. Die meisten wissen nichts davon. Warum auch? Einer unserer Administratoren reagierte verdutzt, als ich meinte, dass ich die gleich stattfindende Konferenz verpassen würde; Solo müsse dringend eine Mordkommission bei der Suche unterstützen. Ob ich nicht Lust hätte, schlug er am nächsten Morgen mit lobenswertem Optimismus vor, meine Aktivitätenliste um Leichenspürhundearbeit zu erweitern − so als freiwilligen Dienst und soziales Engagement? Ich bin mir nicht sicher, ob dieses sonderbare Hobby meine akademische Glaubwürdigkeit unterstreicht, aber ich weiß zu schätzen, dass er die Möglichkeit in Betracht zieht. Mir ist durchaus bewusst, dass die Suche nach Toten ein esoterischer Bereich fern der Arbeitshundewelt und ganz schön gewöhnungsbedürftig ist. Rümpft jemand die Nase, wechsle ich das Thema und spreche über Politik.

Akademiker haben natürlich kein Monopol darauf, sich überlegen zu fühlen. In ruhigen Momenten auf einer Suche fragt mich gelegentlich ein Vertreter des Sherriffs oder ein Polizeibeamter, womit ich mein Brot verdiene. Wenn ich erzähle, dass ich an der Universität unterrichte − dass ich Professorin bin, erwähne ich nie − zuckt mein Gegenüber manchmal zusammen und sucht verstohlenen Blickes Zeichen von Kraftlosigkeit und Schwäche an mir, bis uns die Suche unsere Unterschiede vergessen lässt. Dabei sind wir auf derselben Wellenlänge − für kurze Zeit zumindest.

Solo hat keine Ahnung davon, dass ich ein Doppelleben führe und er mit ein Grund dafür ist. Warum sollte er auch? Er ist ein Hund. Ebenso wenig weiß er, dass Tod und Verfall des menschlichen Körpers Abscheu und Unsicherheit hervorrufen. Für ihn ist der Tod ein Zerrspielzeug. Für mich ist Solo der ideale Mittelsmann zwischen mir und dem Tod. Nicht nur auf der Suche, sondern auch beim Training wird er zum Mittelpunkt meines Universums − bis auf unser Suchgebiet gerät alles in Vergessenheit. Meine Aufgabe ist, ihn wenn nötig zu führen, aber nicht bei der Arbeit zu stören, dafür zu sorgen, dass er ausreichend Wasser trinkt und weder belebten Straßen noch Hinterhof-Rottweilern zu nahe kommt, und ihn ununterbrochen genau zu beobachten, während er Luftströme prüft und darauf reagiert.

Die Suche nach Leichen ist eine eigentümliche Art Waldspaziergang. Wenn ich einer Schnappschildkröte begegne oder ein Indigofink durchs Blätterdach blitzt, oder wenn die winterlichen Wälder den Blick auf eine verlassene Tabakscheune zwischen goldenen Buchen freigeben, bleibt meine Freude bestehen, selbst wenn der Grund meines Ausflugs ein düsterer ist. Und es gibt nicht nur Schönes dort draußen: Verborgene Stacheldrahtzäune, Stechwinden und Kletternder Giftsumach, umgestürzte Baumstämme und Dickicht, Kahlschläge und mitten im Wald abgeladener Müll erfordern meine Aufmerksamkeit. Solo läuft nicht gern durch Stechwinden, doch abgesehen davon liebt er es, seine Nase in dunkle Löcher zu stecken, in Berge verrosteter Metallteile auf Schrottplätzen und in die Spalten der Grundmauern eines verlassenen Gehöfts. Ich fürchte mich mehr vor Schlangen, scharfen Metallplatten und Glassplittern als vor den Gefahren, die vom Menschen ausgehen − selbst wenn es sich um einen Mordfall handelt. Ich weiß auch mehr über den Drogenhandel in North Carolina als früher und meide bestimmte Autobahnraststätten entlang der I-40 selbst dann, wenn ich tanken muss.

Überhaupt scheint die Welt mit einem großen Hund an der Seite weniger furchteinflößend − wenn man dem Tod ins Auge blickt, gilt das wahrscheinlich ganz besonders. Seit Tausenden von Jahren und in zahlreichen Religionen, vom Hinduismus in Indien bis zu den Maya-Religionen in Mesoamerika verlassen sich die Toten auf Hunde, um an ihr Ziel zu gelangen. Auch die Zarathustrier wollten einen Caniden am Begräbnis − aber nicht irgendeinen, sondern bevorzugt einen „vieräugigen“ Hund mit einem dunklen Fleck über jedem Auge. Ich stelle mir einen urtümlichen Schäferhund, einen Vorfahren Solos vor, der einen fröhlichen Slalom durch die Trauernden läuft.

Tragödien, manchmal auch das Scheitern und eine gewisse unvermeidbare Grausamkeit sind Teil dieser Arbeit. Ich vergesse all diese Facetten nicht: Sie sind wichtig, ohne jedoch hervorzustechen, und zwar nicht nur, weil ich Solo an meiner Seite habe. Schlaue Ermittlungsbeamten und Sherriffs, erfahrene Fahndungsleiter, ortsansässige Helfer, die jeden Feldweg und Bach des Bezirks kennen, und Familien und Freundeskreise, die sich sorgen − die meisten bringen sich ein − beschäftigen mein selektives Gedächtnis und drängen alles andere in den Hintergrund.

Die Arbeit mit meinem überschwänglichen Schäferhund und seiner guten Nase leitete eine Odyssee ein, die bald beginnen sollte, Welten miteinander zu verschmelzen, die ich jahrzehntelang unabhängig voneinander geliebt hatte: die Natur, die Forschung und das Schreiben über Biologie und angewandte Naturwissenschaft, und das Arbeiten und Spielen mit Tieren − in erster Linie mit Hunden. Die Nase des Hundes hat mich zu Umweltbiologen, Gerichts-anthropologen, Kognitionspsychologen, Leichenbeschauern und Militärforschern geführt. Ich hatte die Gelegenheit, talentierte Arbeitshundetrainer und -führer zu treffen, zu befragen und von ihnen zu lernen − Menschen, die ich bald so sehr ins Herz schloss wie die Hunde selbst. Ich habe gemeinsam mit Hundeführern und Trainern gearbeitet, die mit Drogen-, Bomben und Diensthunden trainieren. In der Welt der Strafverfolgung sind Hunde nicht nur gute Freunde, sondern unabkömmliche Partner, die den Menschen an ihrer Seite Nase, Ohren und manchmal auch ihre Zähne leihen. Sie riechen und hören Dinge, die den Hundeführern verborgen bleiben, und sind bereit, Orte zu betreten, vor denen die meisten Menschen zurückschrecken.

Die Erkenntnis, die mich faszinierte, bestand nicht etwa darin, dass Gebrauchshunde schier Unmögliches möglich machen. Ohne den Menschen könnten sie das nicht. Vielmehr faszinierte mich die Einsicht, wie untrennbar ihr Erfolg mit dem Können des Menschen am anderen Ende der Leine und der Qualität seines Trainings zusammenhängt. Der Erfolg eines...

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