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Von der Gosse ins Schloss Bellevue

Bilanz eines vermeintlich hoffnungslosen Säufers

AutorRolf D. Bollmann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783749415328
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Mit diesen biografischen Aufzeichnungen erhält der Leser Einblick in die bewegende Geschichte des Autors, der auf ein Leben zurückblickt, in dem der Alkohol die Hauptrolle spielte. Der ehemalige Manager eines US-Konzerns ist selbst mehr als 25 Jahre trockener Alkoholiker und leitete viele Jahre ein Genesungszentrum für Alkoholkranke auf Mallorca. Niemand kennt die Verzweiflung hilfesuchender Alkoholiker und die Betroffenheit Angehöriger besser als er. Eindrucksvoll schildert Rolf Bollmann als selbstbetroffener Alkoholiker, wie es letztendlich möglich war, sich aus der Hölle der Alkoholsucht zu befreien. Er erzählt aber auch von seiner späteren Arbeit mit hilfesuchenden Alkoholkranken und liefert dem interessierten Leser darüber hinaus wertvolle Informationen und Tipps rund um das Thema Alkoholismus. Dieses Buch geht unter die Haut!

Der ehemalige Manager eines US-Konzerns ist mehr als fünfundzwanzig Jahre trockener Alkoholiker und leitete viele Jahre erfolgreich ein Genesungszentrum für Alkoholkranke auf Mallorca. Niemand kennt die Verzweiflung hilfesuchender Alkoholkranker und die Betroffenheit Angehöriger besser als er. Für seine Arbeit mit Alkoholkranken wurde Rolf Bollmann vom Altbundespräsidenten Dr. h.c. Johannes Rau geehrt. Medien-bekanntheit erlangte er durch Einladungen großer Fernsehsender und seine Präsenz in Talkshows, unter anderem bei Pilawa, Kerner, Fliege und Backes Nacht Café. Auf der Finca Esperanza setzte er sich viele Jahre zusammen mit seinem Kompetenz-Team für die Genesung Alkoholkranker ein und arbeitete auch im fortgeschrittenen Alter immer noch unermüdlich und gern. Mit seinen biografischen Aufzeichnungen geht Rolf Bollmann jetzt noch einmal mutig einen Schritt weiter. Er will zeigen, dass es auch aus dem dunkelsten und tiefsten Loch wieder Licht am Horizont geben kann. In schonungsloser Offenheit liefert er uns hier mit seiner eigenen bewegenden Geschichte den lebenden Beweis dafür.

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Leseprobe

Stiefväter en masse


Es dauerte nicht lange und der erste Stiefvater kam zu uns ins Haus. Es war der Filmschauspieler Ernst von Klipstein. Wir nannten ihn erst Onkel, dann Vati. Es ist komisch, aber ich kann mich kaum noch an ihn erinnern. Alles was noch an Erinnerung vorhanden ist, sind seine regelmäßigen Standpauken, die er meinem Bruder und mir hielt, während er ständig im Zimmer auf und ab ging. Dabei trug er morgens immer noch das Haarnetz, welches er beim Schlafen aufsetzte, damit seine Haare nicht durcheinandergerieten.

Mit sechs Jahren kam ich in die Schule in der Ridlerstraße in München. Ich habe kaum noch eine Erinnerung an diese vier Jahre Volksschule. Was ich in meinem Gedächtnis behalten habe, waren allerdings die Freitage. Dann kamen nämlich die Amerikaner mit großen Töpfen und verpflegten uns Schüler mit Essen und Süßigkeiten. Eingebrannt in meiner Erinnerung haben sich »Life-Saver« und »Hershey Bars«. Es ist heute noch so, wenn ich in Amerika bin, dann kaufe ich mir als erstes »Life-Saver« und »Hershey Bars«. Das ist sicher nicht ungewöhnlich, denn die Speisen oder Süßigkeiten, die ich als Kind bekam, gehören bis zum heutigen Tag zu meinen Lieblingsspeisen. Würde man mich vor die Wahl stellen: 200 Gramm Kaviar oder 200 Gramm Leberkäs? Ich würde zum Leberkäs greifen!

Zusätzlich schickte uns unsere Halbschwester Ingeborg aus Amerika zu Weihnachten immer Geschenke, darunter auch »Life Saver« und »Hershey Bars«, und meistens waren auch noch 5 Dollar dabei.

Als ich dann ungefähr neun Jahre alt war, endete die zweite Ehe meiner Mutter mit Ernst von Klipstein. Dennoch nannte sie sich auch nach der Scheidung Elisabeth Biebl-von-Klipstein. Das mag den Eindruck erwecken, dass dieser adlige Zusatz eine besondere Bedeutung für sie hatte. Elisabeth Biebl hieß sie nur auf der Bühne, und da war sie wirklich eine Vollblut-Schauspielern. Insbesondere in der Operette von Franz Lehar »Das Land des Lächelns«. Der dort gesungene Satz »doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an« wurde wohl so etwas wie ihr Lebensmotto. Jedenfalls hat sie ihre Gefühle ihren Kindern gegenüber kaum oder nie gezeigt. Ich habe mich oft gefragt, ob ich das von ihr geerbt habe, denn auch ich war sehr lange nicht in der Lage, meine Gefühle zu zeigen. Jedenfalls war es für mich als Alkoholiker immer sehr schwer, »Nähe« zu ertragen oder mit Zärtlichkeiten umzugehen. Wie es bei vielen Künstlern mit gutem Ruf und entsprechender Beliebtheit oft der Fall ist, glaube ich, dass meine Mutter doch innerlich sehr einsam war. Vielleicht flüchtete sie deshalb immer wieder in die Arme neuer Männer und suchte Trost im Alkohol, dessen langsam aber sicher steigender Konsum ganz schleichend hinzukam. Die Auswirkungen wurden immer heftiger.

Der erste Stiefvater Ernst verließ uns, doch es dauerte nicht sehr lange und ein anderer nahm seinen Platz ein. Zusammengezählt war das schon Vater Nummer drei, nämlich »Onkel Gerhard«, der dann in »Vati Gerhard« umbenannt wurde. Rückblickend weiß ich, dass es der erste Lebensgefährte meiner Mutter war, der mit Sicherheit alkoholabhängig war. Mit meiner Erfahrung von heute wage ich sogar zu behaupten, dass sich meine Mutter diesen Mann genau deshalb ausgesucht hatte, eben weil er dem Alkohol wohlwollend zusprach. So konnte oder musste sie nicht allein trinken. Es wurde meist Cognac getrunken und es kam auch vor, dass bei zornigen Auseinandersetzungen schon mal die Flaschen durchs Wohnzimmer flogen. Es war meiner Mutter und »Vati Gerhard« sicherlich nicht klar, welche Auswirkungen derartige Szenen auf ihre Kinder haben würden. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich in meiner Verzweiflung in meinem Zimmer auf die Knie ging und betete: »Lieber Gott, lass mich nie so werden wie meine Mutter und Vati Gerhard.« Was ein Alkoholiker ist, das wusste ich als Kind natürlich nicht. Aber so viel hatte ich doch auch schon als Kind kapiert: Wenn heftig getrunken wurde, war der Hausfrieden in Gefahr.

Nun war ich etwa zehn oder elf Jahre alt und schrie diesen Stiefvater an, der sich für einen guten Pädagogen hielt: »Du bist ja gar nicht mein richtiger Vater!« Die Strafe folgte auf dem Fuß und es gab Schläge. Ich hatte ihm zu folgen. An Lob aus dem Munde meiner Mutter oder »Vati Gerhard« kann ich mich nicht erinnern, an Tadel allerdings schon, denn davon gab es reichlich. Hatte ich etwas gut gemacht, dann war das scheinbar ganz normal und wurde nicht anerkannt. Baute ich aber Mist, dann ließ die Strafe nicht lange auf sich warten.

Einmal hatten mein Bruder und ich aus dem dritten Stock einen Kübel mit Wasser auf den vorgelagerten Gemüseladen gegossen, der sich im Erdgeschoss des Hauses befand. Einige der Kunden wurden ziemlich nass beim Aussuchen von Gemüse oder Obst. Die Strafe war, dass wir das Einmaleins von 1 bis 20 zwanzigmal schreiben mussten. Das Resultat war, dass ich das Einmaleins fast im Schlaf kannte und meine Hand im Mathematikunterricht förmlich in die Luft flog. Die richtige Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

Aber auch an eine schöne Geschichte aus dieser Zeit kann ich mich erinnern. Ich muss etwa elf Jahre alt gewesen sein. Mein »Vati Gerhard« forderte uns Kinder auf, alle Spielsachen, mit denen wir nicht mehr spielten, einzusammeln und in einen Koffer zu stecken. Natürlich ist es für kein Kind leicht, sich von Spielsachen zu trennen, selbst wenn diese mehr als ein Jahr nur in der Ecke herum gelegen haben. Deshalb packte ich auch nur widerwillig einiges in diesen Koffer. Anschließend fuhren wir mit dem Auto, einem alten »Wanderer«, was 1951 schon etwas Besonderes war, in München zu Kindern aus sehr armen Familien. Jetzt lief der Pädagoge, der in Gerhard steckte, zur Höchstform auf. Er bat uns, den armen Kindern unsere Spielsachen zu schenken. In die Augen dieser Kinder zu schauen, denen ich die Spielsachen als Geschenk übergab, war für mich ein sehr schönes Gefühl, und an dieses Erlebnis erinnere ich mich bis heute immer noch gern. Nicht nur die strahlenden Augen dieser Kinder hatten Freudentränen, auch ich hatte das. Das gleiche Gefühl habe ich auch heute noch, wenn ich einem Alkoholiker helfen kann und er sein Leben wieder auf die Reihe bekommt. Auch für mich ist das dann eine Art Geschenk.

Wenn mein Bruder und ich uns mal in die Haare gerieten oder gar prügelten, kam »Vati Gerhard« und haute unsere beiden Köpfe zusammen. »So, und nun vertragt ihr euch wieder!« Das Ergebnis dieser pädagogischen Maßnahme war, dass wir uns wieder vertrugen, ihn allerdings dafür hassten.

Es kam, wie es kommen musste und eigentlich war es ja abzusehen, dass sich meine Mutter nun auch von »Vati Gerhard« trennte. Den Grund dafür kann ich zwar nur ahnen, aber ich vermute, dass ein Techtelmechtel meiner Mutter mit einem wohlhabenden Industriellen dahintersteckte. Jedenfalls kam dieser mal mit einem 600er Mercedes vorgefahren und wir Kinder durften mitfahren. Das war für einen zwölfjährigen Jungen wie mich in der Nachkriegszeit einerseits ein großartiges Erlebnis, andererseits hatte ich mit der Trennung von »Vati Gerhard« noch zu kämpfen. Ich hatte mich inzwischen doch an ihn gewöhnt und mochte ihn. Immerhin: Der Industrielle wurde nicht mein nächster Stiefvater.

Meine Großmutter sorgte sich immer sehr um uns, auch um mich. Warum betone ich das »auch um mich?« Nun, sie hielt mir immer wieder vor: »Du bist genauso egoistisch wie dein Vater.« Je öfter ich das zu hören bekam, umso mehr fühlte ich mich zu meinem Vater hingezogen. Das sollte noch schmerzhafte Konsequenzen haben. Als Bollmann war ich ein Außenseiter und keiner, der zur Familie Biebl gehörte. Das habe ich immer zu spüren bekommen. Dieses »Nicht-dazu-Gehörigkeitsgefühl« bestimmte mein ganzes Leben und ließ mich Dinge machen, die ich wohl besser nicht hätte machen sollen und die ich wohl auch nicht gemacht hätte, wenn dieses Gefühl in mir nicht so tief verankert gewesen wäre.

Mit dreizehn Jahren musste ich in den Kommunionsunterricht für ein Jahr. Als diese Zeit vorüber war, kam dann die Kommunionsfeier für alle, die dieses Jahr hinter sich hatten. Selbstverständlich wollte ich auch daran teilnehmen. So etwas war ja auch in der Regel mit einem Geschenk verbunden, meistens mit einer Armbanduhr.

Meine Mutter verweigerte mir, an dieser Feier teilzunehmen. Einen Grund dafür konnte ich nicht erkennen und war maßlos traurig, zumal ich auch während dieser Kommunionszeit Trompetenspielen lernte und mit dieser kleinen Musikanten-Gruppe nochmal zusammen sein wollte. Vielleicht fehlte meiner Mutter auch einfach das Geld, um die Kommunionsfeier zu bezahlen.

Meine Großmutter hingegen bestand auf meiner Teilnahme. So arrangierte sie alles zusammen mit meinem Onkel Max. Meine Mutter blieb dann allerdings der Kommunionsfeier fern, warum auch immer. Ich weiß es nicht.

Mein Vater hatte nach seinem Hotelleben in Hamburg eine große Wohnung gemietet. Das war ungewöhnlich, denn...

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