Müssen wir mit einem Crash rechnen?
Permanentes Wirtschafts- und Wohlstandswachstum?
Eine 70-jährige tendenzielle – erst echte und dann nur noch künstliche – Wirtschafts- und Wohlstandsphase hat uns den Blick dafür verstellt, dass es permanenten wirtschaftlichen Aufschwung weder wirtschaftstheoretisch noch im Laufe der Geschichte gegeben hat.
Allerdings haben wir in den letzten 70 Jahren einige positive Sonderfaktoren gehabt, welche den vergangenen Boom dauerhaft getragen beziehungsweise verlängert haben:
Eine 70-jährige Friedenszeit in den wichtigsten Industrieländern, sodass Kosten erspart und Wohlfahrtsanliegen dadurch gesteigert werden konnten.
Die wachsende internationale Handelsfreiheit mit gewachsenem Außenhandel und entsprechenden Wirtschaftswachstumsfolgen.
Die Entwicklung neuer technischer Innovationen in neuen Marktbereichen wie zum Beispiel der Informationstechnologie, der Telekommunikation und der Gentechnik, welche neue Wachstumsimpulse für die Weltwirtschaft gegeben haben (Kondratjew-Zyklen).
Über diese echten Wachstumsimpulse hat sich durch hemmungslose Geldmengenvermehrung der Zentralbanken, durch zügellose Kreditschöpfung des Bankensystems, durch Entwicklung des Spekulationsgeldes mit Hedgefonds, Derivatenhandel etc. die Geldmenge der Welt allein in den letzten 40 Jahren verfünfzigfacht, was zu entsprechender weltweiter Überliquidität – einer monetären Blasenbildung – und zu Inflationstendenzen geführt hat.
Unter diesen positiven Zeichen blieben die nominale und sogar die reale Wachstumskurve der Weltwirtschaft trotz kleiner Dellen tendenziell positiv. Ein Dauerwachstum schien also garantiert.
Diese Meinung vertreten vor allem Banker, Finanzdienstleister, Versicherungen und Vermögensanlageberater, weil sie nur bei wachsender Wirtschaft die Kunden in monetäre Anlagen locken können. Das Finanzwesen kann noch so berechtigte Kassandrarufe nicht vertragen und verbreitet deshalb sogar wider besseres Wissen pausenlosen Optimismus, weil nur dieser für sie maximale Umsatz- und Gewinnmöglichkeiten entstehen lässt.
Als dann das Mittelstandsinstitut Hannover im Jahre 2002 mit der Vorgängerausgabe des Crash-Buches herauskam, gaben viele Banker den Autoren hinter vorgehaltener Hand recht, obwohl sie draußen weiterhin verkündeten, die Intelligenz der Notenbanken und Finanzminister sowie die Manipulationsmöglichkeiten der Zentralbankmanager seien mittlerweile so groß geworden, dass Krisen beherrschbar und durch die Kooperation der geballten Weltfinanzkompetenz immer lösbar seien.
Zur These vom »ewigen Boom« hat auch beigetragen, dass als Wachstum nicht mehr reales, sondern immer mehr monetäres Wachstum verstanden wurde, dass es also inzwischen weniger auf das Güterwachstum als auf das Geldwachstum ankomme. Das Wachstum unserer Gütermenge hat sich in den letzten 40 Jahren nur vervierfacht, die monetäre Seite dagegen verfünfzigfacht. Auf einer nur mäßig wachsenden Güterbasis haben sich also die Geldwerte multipliziert.
Es ist vor allem in den letzten 10 Jahren so viel unkontrolliertes Geld in die Welt gepumpt worden, dass sich güterunabhängig die Finanzströme und Finanzwerte dynamisch verselbstständigt haben und dadurch scheinbar grenzenlos wachsen konnten – man musste nur bereit sein, diese monetäre Scheinblüte als wirkliche Wohlstandsvermehrung anzusehen und der Bevölkerung beziehungsweise den Anlegern dies als wirkliches Wachstum aufzuschwatzen, damit nicht nur an die Zahlungsfunktion des Geldes, sondern auch an dessen Werterhaltungsfunktion weiter geglaubt wurde.
Noch immer nehmen die Anleger die monetären Werte als reale Werte, glauben, dadurch reicher geworden zu sein, und zahlen sogar überschuldeten Ländern weiterhin Anleihen, weil die Publizistik ihnen täglich wachsenden Wohlstand durch wachsende Kurse und Finanzströme bescheinigt.
Dass sich das Märchen vom »ewigen Boom« so lange und immer noch verbreiten konnte, hängt auch damit zusammen, dass die heutige Generation Crash und Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre nicht mehr erlebt hat und auch nicht mehr an die normalen Konjunkturbewegungen des Auf und Ab, des Booms und der Rezession gewohnt ist. Die Finanzwelt und Finanzpolitik haben nämlich die normalen Rezessionen durch Geldmengenvermehrung, Zinsregulierung, Kreditpolitik, Wechselkurs, Kooperation der Zentralbanken, Bankenhilfe und Staatsfinanzierung so egalisiert, dass die Bevölkerung selbst in Pleitestaaten wie Griechenland, Italien, Frankreich oder Spanien die aus normalen marktwirtschaftlichen Korrekturen von Allokationen sich ergebenden Einschränkungen nicht mehr dulden und die Politiker für den eigenen Machterhalt ausschließlich Wachstumszahlen – echt oder unecht – gebrauchen können.
Wie aber die Natur Wechsellagen von Sommer und Winter braucht und dann die Herbstkorrektur die neue Wachstumsperiode des Frühjahrs erst ermöglicht, ist auch für Marktwirtschaften eine normale Wechsellage von Aufschwung und Abschwung notwendig.
Wenn der Aufschwung in einzelnen Branchen die Marktnachfrage übersteigt, sorgt der Preisverfall der Überproduktion für Mengenanpassung, also für reduzierte Produktion. Wo umgekehrt erhöhter Bedarf ist, sorgt die Preissteigerung für erhöhte Produktion. Angebot und Nachfrage sollen sich so in Wechsellagen automatisch ausgleichen (Regeneration).
Aber schon geringe Rezessionen sind für die Wiederwahl der jeweils herrschenden Parteien schädlich. Die Regierungen versuchen deshalb immer, Wachstumsimpulse zu schaffen, um Umschwungskorrekturen zu vermeiden. Und wenn echte Wachstumsimpulse wie technischer Fortschritt, neue Technologien oder neue Organisationsstrukturen fehlen, werden künstliche monetäre Wachstumsimpulse geschaffen wie zum Beispiel Geldmengenvermehrung, Erhöhung der Sozialleistungen aus Schulden etc., wird also mangels echten Wachstums statistisch ein monetäres Scheinwachstum mit weiter wachsender Geldmenge, steigenden Aktienkursen, steigenden Preisen (und Renditen) oder auch nur durch umgestellte Statistiken erzeugt.
Normalerweise gleichen sich mittelfristig die Konjunkturwellen einer Marktwirtschaft um die Trendlinie immer aus. Nur, wenn sich die konjunkturellen Regenerationen durch politische oder finanzpolitische Intervention nicht rechtzeitig vollziehen können oder wenn Übermaßentwicklungen durch Interventionen aufrechterhalten werden oder Strukturen gesellschaftlich oder politisch erstarrt sind, kommt es zu größeren Fehlallokationen und Unwirtschaftlichkeitsentwicklungen, welche durch eine ebenso unnormal große Rezession oder sogar Depression wieder zur Normallage zurückfinden, wieder neue Handlungsfreiheit, Chancengleichheit und Wettbewerbsfähigkeit schaffen müssen.
Ein ewiger Boom wäre deshalb in einer dynamischen Marktwirtschaft nicht einmal erwünscht. Er würde zu immer größeren Fehlallokationen und Unwirtschaftlichkeiten der volkswirtschaftlichen Entwicklung führen. Andererseits führt ebenso eine Depression zu übermäßigen Wertevernichtungen. Jede Extrementwicklung ist deshalb wirtschaftlich ebenfalls schädlich. Jede staatliche oder finanzwirtschaftliche Intervention erzeugt solche Fehlentwicklungen, die wiederum zu extremen Korrekturen führen können. Eine gemäßigte Konjunktur mit gemäßigtem Boom und gemäßigter Rezession wäre dagegen das von richtiger Konjunkturpolitik anzustrebende wirtschaftliche Regenerationsmaß.
Wenn also ein mehr als 50-jähriger Dauerboom in diesem Sinne extreme Fehlentwicklungen aufgestaut hat (die zwangsläufig irgendwann korrigiert werden müssen), und wenn die Wirtschafts- und Finanzpolitik ihre Korrekturaufgabe versäumt und die volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen nicht nur geduldet, sondern sogar gesteigert hat, kann nur eine aus der Marktautomatik wieder entstehende Zwangskorrektur die falschen Rahmenbedingungen und die Wirtschaftsblase wieder zerstören – »schöpferische Zerstörung« – und im marktwirtschaftlichen Sinne wieder Gleichgewicht in die Konjunkturentwicklung bringen, ist also zur Regeneration der Marktwirtschaft ebenso notwendig wie wohltätig. Wo eben die Politik falsch interveniert oder mächtige Marktkräfte den Wettbewerb ausgeschaltet oder gestört haben, muss eine marktautomatische Korrektur den Reformstau lösen. Und je stärker eine Fehlentwicklung die Volkswirtschaft deformiert hat, umso stärker muss der automatische Korrekturprozess ausfallen: Crash oder Depression müssen dann die Normalentwicklung wieder erzwingen.
Was ist ein Crash?
Die Autoren der vorstehenden Untersuchung haben die uns bevorstehende Krise als »Crash« bezeichnet, weil sie einen Absturz aus einer Scheinblüte statt der normalen konjunkturellen Abschwungswelle voraussehen. »Crash« bezeichnet nämlich einen kurzfristigen Zusammenbruch. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Börsensprache im Sinne eines unerwarteten Absturzes, eines Kursverfalls der Börsenwerte.
In der Konjunkturliteratur wird das Wort »Crash« oft mit der Bezeichnung »Depression« gleichgesetzt, weil beide einen tieferen volkswirtschaftlichen Zusammenbruch bezeichnen als die bei den üblichen Konjunkturwechsellagen auftretenden Rezessionen. Eigentlich bezeichnet aber »Crash« den Absturzvorgang in der Volkswirtschaft, während die »Depression« einen mittelfristigen Zusammenbruchszustand beschreibt. Dies hat vor allem Folgen für die Anpassungsmöglichkeiten der Wirtschaftsteilnehmer. Ein plötzlicher Crash kommt überraschend und wird deshalb nicht nur härter empfunden, sondern auf ihn auch meist falsch oder zu spät reagiert. Dem...