Jubeln und Heulen – mein Leben als Fußballer
Mit der Lust am Fußball hat es bei mir begonnen, wie es bei den meisten anfängt. Ich habe in der Schule gekickt und im Park um die Ecke, in den ich nachmittags mit meinen Freunden ging. Mit einem dieser Freunde bin ich mit 9 Jahren zu Preußen Frankfurt gekommen. Der Vater meines Freundes war dort engagiert. So wurde die Viktoria 1974 mein Stammverein.
In der Zeit habe ich noch alles Mögliche probiert: Judo, Tennis, in der Schule die Basketball-AG. Und ich fand das alles auch toll. Irgendwann habe ich beim Fußball gemerkt, dass ich zu den Besseren gehörte. Meine Position war das Mittelfeld. Bereits 1978, zwei Jahre vor meinem Wechsel, war ich von Eintracht Frankfurt angesprochen worden. Ich bin meinem Heimatverein zunächst treu geblieben, weil in jenem Jahr in der Sommerpause eine USA-Reise geplant war. Bei einem Wechsel hätte ich diese Reise nicht mitmachen können. Ich stand in einem richtigen Zwiespalt. Mein Vater hat mir damals geholfen. Zwar überließ er mir die Entscheidung. Aber er sagte: »So eine Auslandsreise ist eine tolle Sache. Und wenn du wirklich gut bist, kommt die Eintracht im nächsten Jahr erneut auf dich zu.« Das habe ich meinem Vater abgenommen und bin mit in die USA gefahren. Auch im Nachhinein bin ich darüber froh, denn es war eine tolle Reise. Im zweiten Jahr der B-Jugend wurde ich dann Spieler bei der Eintracht. Das war der Moment, in dem mir klar wurde: Du gehörst jetzt schon zu den ganz Guten. Andererseits merkte ich: Bei der B-Jugend der Eintracht bist du nur einer von zwanzig ganz Guten. Irgendwie ist da nämlich jeder ganz gut.
Auf der Karriereleiter
Wir waren sehr erfolgreich. Mit der B-Jugend wurden wir Vizemeister, nach der Endspielniederlage gegen Borussia Mönchengladbach. Mit der A-Jugend wurden wir 1983 sogar Deutscher Meister. Aber auch da war nicht absehbar, dass ich sofort Profi werden würde. Denn in der Mannschaft, die Deutscher Meister wurde, war ich der einzige Spieler, der nie in der Hessenauswahl gespielt hatte. Wir hatten im Team sogar Nationalspieler wie Thomas Berthold. Drei Monate später war ich dann aber doch schon Profi. Berthold war der Erste, ich der Zweite, der den Sprung schaffte. Trainer Branco Zebec hat mich hochgeholt, gefördert und in der ersten Mannschaft eingesetzt. Leider wurde er aufgrund der damaligen Erfolglosigkeit nach wenigen Spielen entlassen. Es kam Dietrich Weise. Das war für uns junge Spieler der perfekte Trainer zum richtigen Zeitpunkt. Die Eintracht hatte kein Geld, Spieler einzukaufen. Aber sie hatte zu diesem Zeitpunkt eine tolle Jugendarbeit mit reichlich Potenzial durch Spieler wie Ralf Falkenmayer, Hans-Jürgen Gundelach, Thomas Berthold und mich. Und mit Dietrich Weise war ein Trainer aus dem Jugendbereich des DFB gekommen, der uns Vertrauen schenkte. Er war für uns ein herausragender Ansprechpartner, ein Trainer, der nicht die alte Schule der Schleifer verkörperte. Weise war einer, der sich um uns Jungs kümmerte, der zugehört hat, der auch mal zur Schule kam, um zu sehen, was da los ist. Er war für uns genau der richtige Trainer. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken.
Die Schule abzuschließen war für mich klar. Ich habe der Fußballkarriere nicht getraut. Weil ich ein Spieler war, der eher unauffällig seine Aufgaben löste, konnte ich mir vorstellen, genauso schnell wieder draußen zu sein, wie ich hereingekommen war. Außerdem dachte ich: Jetzt hast du sieben Jahre Altgriechisch und Latein gelernt, jetzt willst du auch dein großes Latinum und die Schule zu einem guten Ende bringen. Mein Abitur habe ich dann auch geschafft. Und darauf war ich stolz. Denn das war keineswegs selbstverständlich. Ich spielte bereits 1 ½ Jahre in der Bundesliga, lief als Stammspieler jeden Samstag auf, war dazu in der U21-Nationalmannschaft und im Rahmen von Länderspielen mehrfach unterwegs – deshalb war die Schule ein ziemlicher Akt für mich. Am Ende der Schulzeit war ich richtig kaputt. Bundesliga, Nationalmannschaft und die Ansprüche beim Abitur, das waren enorme Belastungen.
Zu den tollen Erinnerungen an die Bundesligazeit gehört der Gewinn der Deutschen Meisterschaft mit den A-Junioren. Man gehört zur besten Mannschaft in Deutschland. Den Titel nimmt mir keiner mehr. Ich kann immer sagen: Ich war mal Deutscher Meister, auch wenn das schon 30 Jahre her ist. Und ein sportliches Highlight war die Teilnahme an der Universiade 1993 in Buffalo mit der Studentennationalmannschaft. Für mich war das Gesamterlebnis, einmal für zwei Wochen mit 7.000 Athleten in einem Olympischen Dorf zu wohnen, eine grandiose, unvergessliche Erfahrung. Die Stimmung war fantastisch.
Bittere Momente
Zu den ganz bitteren Momenten gehörte mein Bänderriss ein paar Tage vor dem Endspiel zur Deutschen Meisterschaft. Ich konnte nicht auflaufen. Da hast du die Chance, um die Deutsche Meisterschaft zu spielen, und musst verletzt zusehen! Für mich ist da eine Welt zusammengebrochen. Und ganz bitter war das letzte Spiel für Eintracht Frankfurt, das ich 1988 hätte bestreiten können: Das Pokalfinale im Berliner Olympiastadion! Auf dem Weg dorthin hatte ich etliche Einsätze, im Halb-, Viertel- und Achtelfinale. Im Endspiel aber war ich nicht mehr im Kader, weil ich mich vorher geoutet hatte, dass ich mich reamateurisieren lasse und eine Lehre zum Werbekaufmann beginne. Die Eintracht hätte mich nach Karlsruhe oder Kaiserslautern verkaufen können und eine Ablösesumme bekommen. Durch meinen Schritt entging dem Verein dieses Geld. Darum erhielt ich vor dem Pokalendspiel die Nachricht, weder im Kader zu sein noch auf der Ersatzbank. Ich wäre so unglaublich gern dabei gewesen. Hier ausgeschlossen worden zu sein, vom vermeintlich größten Triumph, der mir als Sportler möglich gewesen wäre, war der härteste Moment, den ich selbst im Sport erlebt habe. Man kann manchmal heute noch die ZDF-Fernsehbilder von uns, den Ausgemusterten auf der Tribüne, sehen: Während die Mannschaft ihre Ehrenrunde dreht, sitze ich da und heule.
Meine Profikarriere habe ich wegen eines Trainers beendet. Nachdem die Zeit von Dietrich Weise vorbei war, kam Karl-Heinz Feldkamp. Und das ging mit mir überhaupt nicht. Er verkörperte die alte Schule und vieles bei ihm war ›unterste Schublade‹. Es wurde für mich ein Gräuel, zum Training zu fahren. Ich hatte keine Lust mehr und sagte mir: Das brauchst du nicht, das willst du nicht, du willst Spaß haben am Fußball. Dass der verloren gegangen war, konnte ich mir irgendwann eingestehen. Ich hatte die Möglichkeit, nach Kaiserslautern oder Karlsruhe zu wechseln. Winnie Schäfer wollte mich. Aber Frankfurt ist meine Stadt. Hier kam ich zur Welt. Hier bin ich zu Hause. Hier habe ich meine Freunde, meine Familie. Darum wollte ich nicht weg. Meine Eltern und mein Freundeskreis stärkten mir den Rücken für diese Entscheidung. Ich habe also eine Umschulung gemacht – vom Fußballprofi zum Auszubildenden als Werbekaufmann in einer großen Agentur. Aber: Ein Trainer hat bei mir dafür gesorgt, dass ich jeweils froh war, wenn das Training vorbei war. Vielleicht würde man das heute sogar als eine Depression, ein Burnout bezeichnen. Aber diese Diagnose gab es damals ja noch nicht.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass diese Entscheidung für mich perfekt war. Ich habe eine interessante Lehre gemacht. Später habe ich die beiden Gaststätten meiner Eltern übernommen. Finanziell war diese Entscheidung sehr gut, aber Spaß hat mir die Arbeit nicht gemacht. Jeden Tag bis 2 Uhr nachts arbeiten und 365 Tage im Jahr geöffnet zu haben, das war nichts. Irgendwann bin ich zurückgegangen zur Werbeagentur. Parallel habe ich als Spieler der Ersten Mannschaft bei Rot-Weiß-Frankfurt noch die A-Jugend trainiert, bis ich von der Eintracht angesprochen wurde und zurückgekehrt bin. Aber, um es noch einmal klar zu sagen, der Grund für das Ende meiner Zeit als Profi war die nackte Unlust, so weiterzumachen. Mit 30 Jahren wurde ich dann A-Jugendtrainer bei der Eintracht, habe alle Trainerscheine bis zur A-Lizenz gemacht und bin staatlich diplomierter Fußballlehrer.
Belastungen heute
Die Ansprüche an junge Spieler sind inzwischen enorm. Alle Spieler in den Leistungszentren trainieren 5-6-mal in der Woche. Mindestens die Hälfte jeder A-Jugendmannschaft geht noch aufs Gymnasium, ist auf dem Weg zum Fachabitur oder Abitur. Auch im Blick auf schulische Werdegänge ist der Fußball mittlerweile ein Spiegelbild der Gesellschaft. Insofern ist der Fußball an sich schon lange nicht mehr so dumm, wie er gemeinhin einmal gewesen sein soll oder auch war. Die Ansprüche des Spiels sind mittlerweile enorm gestiegen: die Schnelligkeit des Spiels, man muss einfach schnell sein. Das bedeutet nicht, dass ich zum Bestehen ein Einser-Abitur brauche, aber ich muss in der Lage sein, schnell zu erkennen, schnell zu schalten, schnell zu reagieren, was bedeutet: Ich brauche eine gewisse geistige Flexibilität.
Den vielen Schülern bei uns helfen wir, indem wir Nachhilfe anbieten. Viel wichtiger aber ist, dass es sozialpädagogische Ansprechpartner für sie gibt und Trainer, die spüren, wenn einer mal durchhängt, weil es mit der Schule nicht klappt, weil es Probleme mit der Freundin gibt, weil er gerade nicht spielt oder verletzt war. Es ist im Bereich des Spitzenfußballs sehr schwierig, nach einer Erkrankung oder einer Auszeit dort wieder Fuß zu fassen, wo man einmal war, und sich wieder durchzusetzen, besonders wenn die Erkrankung publik geworden ist. Dann nämlich denkt der Spieler immer, dass die anderen auf ihn gucken und darauf warten, dass er eine Schwäche zeigt, und fühlt sich nicht mehr so stark.
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