1. Meine Geburt und meine frühe Kindheit
Wir schreiben das Jahr 1959. Genauer gesagt war es der 8. November 1959, der Tag vor meinem Geburtstag. Bereits zu meiner Geburt gibt es eine sehr schöne Geschichte.
Doch bevor ich zu diesem allerersten Ereignis in meinem Leben komme, möchte ich Ihnen gerne einen kurzen Einblick in meine Familie geben. Den Namen „von Würzen“ habe ich von meinem Vater geerbt und der wiederum blickt auf eine lange Ahnenreihe zurück, deren Ursprung in einer Kaufmannsfamilie in Polen liegt. Nachdem der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war, wanderte dieser Teil meiner Familie nach Fladungen aus. Dort erblickte dann mein Vater das Licht der Welt: Günther von Würzen. Kurz darauf zogen sie weiter nach Hamburg. Von dort aus kam mein Vater dann nach Lohr am Main. Diese schöne Stadt liegt in der Nähe von Frankfurt am Main. Als Boxer kam mein Vater dann nach Halle an der Saale, wo er boxte und gleichzeitig als Koch in den Leunawerken arbeitete. Gelernt hatte mein Vater das Fleischerhandwerk und so lag der Beruf des Kochs doch sehr nahe. Von dieser Seite der Familie habe ich auch meine Begabung zum Kochen geerbt.
Meine Mutter Marga stammt aus Neuhaus am Rennweg. Schon immer hat ihre Familie in der heutigen Ernst-Thälmann-Straße, bei uns die „ewer Gass“ genannt, gewohnt. Meine Eltern lernten sich kennen, als mein Vater im Leunaheim Urlaub machte. Heute ist das Leunaheim das Hotel Schieferhof, hier in Neuhaus am Rennweg. Da meine Mutter sehr heimatverbunden war, kam mein Vater nach Neuhaus am Rennweg und blieb letztendlich auch hier.
Außerdem habe ich eine Schwester. Ihr Name ist Elke und sie ist fünf Jahre älter als ich. In unserer Kindheit haben wir viel zusammen erlebt. Oft haben wir draußen zusammen gespielt und als ich dann größer war, hat sie mir immer sehr bei meinen Hausaufgaben geholfen. Wohl deswegen ist sie dann auch Lehrerin geworden. In jedem Fall hatten wir zusammen sehr viel Spaß und haben ihn bis heute, da wir gemeinsam in unserem Elternhaus wohnen.
Doch nun haben wir genug Ahnenforschung betrieben. Ich wollte Ihnen ja von meiner Geburt erzählen. Also spulen wir wieder auf den 08.11.1959.
Das war ein Samstag und meine Mutter Marga besuchte gerade mit ihrem ungeborenen Sohn, also mir, die öffentliche Lottoziehung im Kulturhaus im Stadtzentrum von Neuhaus am Rennweg. Dazu muss ich sagen, dass es in jener Zeit üblich war, die Lottozahlen öffentlich zu ziehen, da nicht viele Menschen einen Fernseher besaßen und es auch noch nicht so viele Telefone gab. Nun ja, aber weiter im Text. Meine Mutter war also mit mir und meinem Vater im Kulturhaus und da wollte ich dann auf die Welt kommen. Mein Vater bemerkte es und fragte meine Mutter: „Marga! Was ist los?“ Meine Mutter antwortete: „Ich gläb, es kemmt!“1 Danach ging alles ganz schnell. Meine Mutter wurde nach Gräfenthal ins Krankenhaus gebracht und am Sonntagfrüh, also am 9.11.1959, erblickte ich dann endlich das Licht der Welt. Mein Nettogewicht, also ohne Windeln, betrug 4.700 Gramm oder auch gute 9 Pfund, denn früher wurde das Gewicht der Babys in dieser Einheit gemessen. Ich war schon ein kleiner Moppel, kann man sagen. Man erkannte es auch daran, dass ich als Baby meine kleinen dicken Finger gar nicht richtig zusammengebracht habe. Doch es gab schon früh Kloß mit Soße und somit wurde der Grundstein gelegt, aus mir einen echten „Herrnhäuser“ zu machen. So begann sie, meine Kindheit.
Den größten Teil dieser Kindheit verbrachte ich bei meiner Großmutter Rosa. Sie war eine sehr, sehr herzensgute Frau und dank ihr musste ich als kleines Kind niemals in den Kindergarten gehen. Bei diesem Thema fällt mir eine andere schöne Anekdote ein. Sie erzählt davon, wie ich bereits als kleiner Mann mein erstes Abenteuer erlebte.
Alles begann damit, dass ich in meiner liebenswürdigen Art und Weise meine Großmutter derart zur Weißglut brachte, dass sie eine ihrer guten Porzellantassen so auf den Tisch stauchte, dass sie sich an den Scherben ihre gesamte Hand zerschnitt. Wegen dieses Unfalls waren dann in späterer Zeit auch ihre Finger steif geworden. Doch ich wollte Ihnen ja das Unglück erzählen, das mich danach ereilte. Also meine Großmutter hatte sich die Hand zerschnitten und alles war voller Blut. Der Küchentisch war voller Blut und Scherben, ich war voller Blut, meine Großmutter war voller Blut und so weiter. Diese Liste ließe sich beliebig auf alle Gegenstände der Küche erweitern, doch ich will die Aufzählung hier enden lassen. Also, ich halte fest: Alles, wirklich alles war voller Blut!
Schließlich nahm mich meine Großmutter an der Hand und gemeinsam gingen wir zu meiner Mutter auf die Post, wo ich ihr die ganze Misere zeigen und erklären musste. Das gab natürlich richtig Ärger. Dieses Ereignis führte dazu, dass ich als kleines Kind doch in den Kindergarten gehen musste, da sich meine Großmutter nach diesem Vorfall strikt weigerte, je wieder auf mich aufzupassen. Natürlich lässt sich bereits an dieser Stelle absehen, dass diese Einrichtung zur Kindererziehung nichts für mich war. Doch lassen Sie mich weitererzählen.
Es war der Winter 1963, als ich mich aufmachte, und den mir so verhassten Kindergarten unerlaubt verließ. Kurzum machte ich mich einfach heimlich davon. Ich ging damals in den Zentralkindergarten von Neuhaus am Rennweg. Der war dort, wo heute das Modehaus Klett seinen Sitz hat. Aus dieser besagten Einrichtung machte ich mich also mitten im Winter klammheimlich davon. Zu dieser Zeit arbeitete meine Mutter in der alten Post. Die stand dort, wo sich heute der Lidl befindet, also oben am Kreisel in Neuhaus am Rennweg. Auf meinem Fluchtweg raus aus diesem verhassten Kindergarten wurde ich von mehreren Menschen entdeckt. Ich war ja auch sehr auffällig im weißen Schnee, der mir bis zu Brust reichte. Langsamen Schrittes watschelte ich also durch den Schnee und da die Nachricht von einem kleinen Jungen, der in Eis und Kälte alleine unterwegs war, sehr schnell die Runde machte, kam sie früher oder später dann auch in der Post und somit bei meiner Mutter an. Als das geschah, hatte ich den Weg bis zum Postamt schon fast absolviert. Meine Mutter fand mich draußen und es gab mal wieder eine Menge Ärger.
Dennoch musste damit auch meine Mutter Marga einsehen, dass dieser Kindergarten einfach nichts für mich war. Also erweichte sie meine Großmutter Rosa, wieder auf mich aufzupassen. Als die sich dann dazu durchringen konnte, war ich ihr so dankbar, dass ich fortan wirklich alles für sie tat. Sie war eben doch meine herzensgute Rosa. Ja, ja, so war sie, meine Kindheit.
Beispielsweise habe ich meiner Großmutter, als ich schon etwas älter war, eine Bank unter unserem Pflaumenbaum im Garten gebaut, damit sie im Sommer im Schatten sitzen und sich entspannen konnte. Dass der Baum die Kupfernägel, die ich in sein Holz trieb, nicht wirklich vertragen hat, habe ich erst zu einem viel späteren Zeitpunkt bemerkt, nämlich als er einfach so einging und den Löffel abgab. Das gab natürlich großen Ärger mit meinem Vater und ab diesem Zeitpunkt war ich der „Pflaumenbaumtöter“. Dazu fällt mir auch gleich ein Gedicht ein.
„Unter einem Pflaumenbaum
saß ein Mädchen, 17 kaum.
Aber doch schon sehr recht schön,
war so alles anzusehen.
Als ich langsam näher kam,
und mir einen Apfel nahm,
sprach sie leise, wie im Traum:
Du, das ist ein Pflaumenbaum.“
Das ist mal ein Gedicht zum Nachdenken. Und wenn wir es gerade von Bäumen haben, fällt mir ein, dass ich als Kind zum Spielen immer draußen im Wald war. Besonders im Winter war es so schön, dass wir meistens erst wieder reingegangen sind, wenn bereits alles steifgefroren war. Wenn ich in diesem Zustand dann nach Hause kam, musste ich erst meine Hände und den halben Oberkörper in den alten Röhrenofen meiner Großmutter stecken, damit ich mich überhaupt ausziehen konnte. Weil meine Kleider wirklich so hart und steifgefroren waren, dass ich sie nicht hätte ausziehen können, ohne mir die Haut gleich mit abzuziehen. Aber der alte Ofen meiner Oma hat mich immer wieder aufgewärmt und meine gefrorenen Kleider aufgetaut. Deswegen ist er mir auch bis heute in wundervoller Erinnerung geblieben. So war sie eben, meine Kindheit.
An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne noch eine andere Seite meiner Kindheit beschreiben, nämlich mein Leben mit den Tieren. Als ich 5 oder auch 6 Jahre alt war, hatten wir daheim bereits Tauben. Doch diese Tiere waren keine einfachen Vögel, sondern besondere, für den Sport gezüchtete Tauben, sogenannte Sporttauben. Die wurden jeden Samstag in einen Käfig gesteckt, auf einen LKW verladen und fortgeschafft, um sie dann irgendwo freizulassen. Der Fahrer dieses Taubentransporters war meistens der Helmut Sonntag. Diese Taubentransporte führen noch heute am Stammtisch im „Waldesrand“ an manchen Abenden zu lustigen Geschichten. Ihrem natürlichen Instinkt folgend flogen die Tauben daraufhin wieder heim. Jede der Tauben wurde mit einem Ring versehen, der sie kennzeichnete. Darauf war vermerkt, wem und wohin sie gehörte. Mein Vater und ich standen dann auf der Wiese hinter unserem...