Höhlenlöwen spielten in der Gedankenwelt der eiszeitlichen Jäger und Sammler sicherlich eine große Rolle. Kein Wunder: Waren doch Begegnungen mit solchen Raubkatzen oft lebensgefährlich. Auf eiszeitlichen Kunstwerken aus Europa in Form von Höhlenmalereien, Gravierungen und Schnitzereien sind Höhlenlöwen eindrucksvoll dargestellt. Ihre Kraft, Wildheit und Gefährlichkeit übten wohl eine große mystische Anziehungskraft aus.
Besonders eindrucksvolle Löwendarstellungen befinden sich unter den Tierbildern aus der Chauvet-Höhle in Nähe der südfranzösischen Kleinstadt Vallon-Pont-d'Arc im Departement Ardeche. Diese im Dezember 1994 durch die französischen Speläologen Jean-Marie Chauvet, Eliette Brunel Deschamps und Christian Hillaire im Tal der Ardeche entdeckte Höhle enthält Bilder von Fellnashörnern, Wildpferden, Höhlenlöwen und anderen eiszeitlichen Tieren. Der schmale Einstieg in die Höhle hatte sich durch einen Luftzug verraten. Mit Hilfe der Radiocarbon-Methode (C14-Methode) konnten die mehr als 300 Wandbilder mit über 400 Tierdarstellungen in der Chauvet-Höhle auf ein Alter zwischen etwa 33.000 und 30.000 Jahren datiert werden. Sie gelten als die ältesten bekannten Höhlenmalereien und Höhlenzeichnungen. Wegen ihrer schier unglaublich hohen Qualität drängt sich zunächst der Eindruck einer Fälschung auf, doch eine solche ist -laut Online-Lexikon „Wikipedia" - allein schon auf Grund der Versinterung der Farbaufträge auszuschließen. Trotzdem gibt es von Seiten prominenter Chronologie-Kritiker nach wie vor Fälschungsvorwürfe, die von der Fachwelt aber allgemein als abwegig betrachtet werden.
Früher Jetztmensch (Homo sapiens sapiens) aus der Zeit des Aurignacien vor etwa 32.000 Jahren beim Schnitzen eines „Löwenmenschen" aus Mammutelfenbein, wie er in der Höhle Hohlenstein-Stadel bei Asselfingen (Alb-Donau-Kreis) in Baden-Württemberg gefunden wurde
Unter den Tierbildern der Chauvet-Höhle befinden sich 71 Darstellungen von Höhlenlöwen mit unterschiedlicher Körperhaltung - von aufmerksamlauernd bis drohend-aggressiv. Weil die männlichen Höhlenlöwen im Gegensatz zu heutigen Löwen keine Mähne trugen, kann man sie nur wegen ihrer größeren Maße und teilweise wegen der Darstellung ihres Geschlechtsteils von den weiblichen unterscheiden. Bei einer Raubkatze mit geflecktem Fell aus der Chauvet-Höhle soll es sich um einen Leoparden handeln.
Die Tierbilder in der Chauvet-Höhle sind von Jägern und Sammlern aus der Kulturstufe des Aurignacien (vor etwa 35.000 bis 29.000 Jahren) geschaffen worden. Der Begriff Aurignacien wurde 1869 durch den französischen Prähistoriker Gabriel de Mortillet (1821-1898) eingeführt. Namengebender Fundort ist die Höhle von Aurignac im Departement Haute-Garonne. Außer in Frankreich war diese Kulturstufe auch in Italien, Österreich, Deutschland und Tschechien verbreitet. Im Nahen und Mittleren Osten trat das Aurignacien sogar schon vor etwa 40.000 Jahren auf.
Als geheimnisvollstes Kunstwerk aus dem Aurignacien in Deutschland gilt ein 29,6 Zentimeter hohes, aus Mammutelfenbein geschnitztes Mensch-Tier-Wesen aus der Höhle Hohlenstein-Stadel im Lonetal bei Asselfingen (Alb-DonauKreis) in Baden-Württemberg. Die vor etwa 32.000 Jahren geschaffene Figur steht aufrecht wie ein Mensch, trägt den Kopf einer Höhlenlöwin mit nach vorn gerichteten Ohren, sie blickt aufmerksam in die Ferne, hat einen ruhig herabhängenden linken Arm (der rechte fehlt), gespreizte Beine und Füße mit Hufen.
Auf dem linken Arm des „Löwenmenschen" wurden Einschnitte vorgenommen. Im Bereich des Bauches schließt eine scharf geschnittene Querrille fast in der Mitte zwischen Nabel und Schritt den Schamberg oben ab. Dessen Dreieck tritt durch die markant geschnittenen Leisten- und Schenkellinien deutlich hervor. Das Mensch-Tier-Wesen besitzt demnach weibliches Ge-
Aus Mammutelfenbein geschnitzte Figur eines „Löwenmenschen" aus der Höhle Hohlenstein-Stadel bei Asselfingen (Alb-Donau-Kreis) in Baden-Württemberg. Höhe: 29,6 Zentimeter. Original im Ulmer Museum, Prähistorische Sammlung
schlecht. Die schräg gestellten Fußsohlen eigneten sich nicht als Standflächen. Man weiß nicht, ob diese Figur einst gestützt, aufgehängt, gelegt oder getragen wurde. Die Entdeckungsgeschichte dieses „Löwenmenschen" ist ungewöhnlich. 1937 begann der Tübinger Prähistoriker Robert Wetzel (1898-1962) mit systematischen Grabungen im Hohlenstein-Stadel. Zwei Jahre später bewirkte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das abrupte Ende der Untersuchungen. Der Geologe Otto Völzing (1910-2001), der Grabungsleiter vor Ort, packte die Funde eilig zusammen und ließ sie abtransportieren. Zum Fundgut gehörten rund 200 Bruchstücke eines Mammutstoßzahns, der zwei Tage zuvor - am 25. August 1939 - etwa 27 Meter hinter dem Höhleneingang in etwa einem Meter Tiefe geborgen worden war. Die Funde kamen ins Ulmer Museum, dem Wetzel später seine Sammlung - darunter die Bruchstücke - vermachte.
Bei der Inventarisierung des Fundgutes aus dem Hohlenstein-Stadel im Ulmer Museum wurden 1970 die Bruchstücke des Mammutstoßzahns in einem Karton voller Tierreste wieder entdeckt. Die Tübinger Prähistoriker Joachim Hahn (19421997), Hartwig Löhr und Gerd Albrecht bemerkten an den Bruchstücken deutliche Bearbeitungsspuren. Unter den Händen von Joachim Hahn entstand allmählich eine menschenähnliche Figur, an der man einen Kopf, einen Arm und zwei Beine erkennen konnte. Ein hoch gesetztes rundes Ohr deutete eher auf ein Tier als auf einen Menschen hin. Weil das Gesicht fehlte, blieb unklar, ob es sich um einen Bären oder um eine große Raubkatze handelte.
1972 wurde der Torso der Figur bei einer Tagung von Eiszeitforschern vorgestellt. Dabei erinnerte sich ein ehemaliger Grabungsteilnehmer an einige Bruchstücke aus dem Hohlenstein-Stadel, die der inzwischen verstorbene Robert Wetzel in seinem Arbeitszimmer an der Universität Tübingen aufbewahrt hatte. Diese Bruchstücke erwiesen sich als der rechte Teil des Hinterkopfes und ein Teil des rechten Armes der Figur.
Etliche Jahre später lieferte eine Mutter im Ulmer Museum einige Funde ab, die ihr kleiner Sohn bei einer Wanderung im Hohlenstein-Stadel entdeckt hatte. Darunter befand sich ein Bruchstück, das der Figur ihr Gesicht gab: Es war das Antlitz eines Höhlenlöwen. 1982 stand fest, dass Jäger und Sammler aus der jüngeren Altsteinzeit ein Mischwesen mit Merkmalen von Mensch und Löwe geschaffen hatten. Ob es sich um einen Mann oder um eine Frau handelte, wusste man damals noch nicht.
Das Rätsel über das Geschlecht der Figur löste man erst, als Fehler beim ersten Zusammenfügen der Figur korrigiert wurden. Ein bis dahin recht männlich wirkender dreieckiger Fortsatz zwischen den Beinen wanderte in der merklich kompakteren neuen Zusammensetzung von 1987/1988 weiter nach oben. Weil das Dreieck von einer waagrechten Bauchkerbe abgeschlossen wird, wie sie für weibliche Aktdarstellungen typisch ist, deutete die Basler Paläontologin Elisabeth Schmid (19121994) es als weibliche Scham.
In der Folgezeit bezeichnete man die Figur aus dem Hohlen-stein-Stadel als Figur einer Frau mit dem Kopf einer Löwin. Weil an der gesamten Vorderfront der Figur die originale Oberfläche abgeplatzt ist, entschied sich das Ulmer Museum für die geschlechtsneutrale Bezeichnung „Löwenmensch", die bis heute üblich ist.
Das mysteriöse Mischwesen aus dem Hohlenstein-Stadel könnte sich vielleicht einmal als Schlüsselfigur für das Verständnis der Aurignacien-Leute erweisen. Noch weiß man nicht, was die damaligen Jäger und Sammler bewogen hat, solche „Löwenmenschen" bildlich darzustellen. Handelte es sich dabei um das Abbild eines Schamanen, also eines Zauberers, der sich ein Löwenfell übergestülpt hatte? Oder sollte der „Löwenmensch" eine Gottheit darstellen, der man mit solchen Figuren gehuldigt hat? Der Originalfund des „Löwenmenschen" ist im Ulmer Museum zu bewundern.
Nur wenige hundert Meter vom Fundort des Mischwesens aus dem Hohlenstein-Stadel entfernt wurde am 5. Mai 2007 in der ehemaligen Mönchsklause des Weilers Lindenau beim Lonetal die „Höhle des Löwenmenschen" eröffnet. Diese Höhle präsentiert eine ständige Ausstellung über den mysteriösen „Löwenmenschen".
Als weitere „Löwenmenschen" werden aus Mammutelfenbein geschnitzte kleine Figuren aus den Höhlen Geißenklösterle bei Blaubeuren-Weiler im Lonetal und Hohler Fels im Achtal bei Schelklingen (beide im Alb-Donau-Kreis) aus Baden-Württemberg diskutiert. Bei der 1979 entdeckten, 3,8 Zentimeter hohen Figur mit erhobenen Armen aus dem Geißenklösterle ist die oberste Schicht, die das Gesicht enthielt, abgeplatzt. Zwischen den gespreizten Beinen dieses Wesens befindet sich etwas wie ein drittes Bein, das womöglich den Schwanz eines Höhlenlöwen darstellt. Nur 2,5 Zentimeter groß ist die 2002 im Hohlen Fels gefundene Figur. An ihr fehlen die Beine, mit denen zusammen sie wohl knapp doppelt so hoch gewesen sein dürfte. Diese kleine Figur lässt Einzelheiten schlechter erkennen als die große Statuette aus dem...