THEMA 2: DER MENSCH – DER FÜHRT
Da Hunde nicht vernunftgesteuert agieren, muss der Mensch bereit sein, jederzeit mit allen Mitteln kontrollierend auf seinen Hund einzuwirken, um präventiv Schaden von diesem und seinem Umfeld abzuwenden.
Hundeführung heißt Verantwortung übernehmen! Dieser Verantwortung hat sich von Rechts wegen jeder Hundehalter zu stellen. Um dem zu genügen, würde es zwar reichen, seinen Hund angeleint zu führen, doch die Kontrollfunktion mittels der Leine allein reicht dem verantwortungsbewussten Hundehalter nicht. Er möchte natürlich, dass sein Hund auch ohne Leine freudig und locker neben ihm herläuft. Dazu habe ich das Konzept der fünf Freiraumzonen entwickelt.
KONTROLLE DURCH FÜHRUNGSANSPRUCH
Viele Menschen wollen führen, wissen aber gar nicht, wie das geht, und wundern sich dann, dass der Hund nicht (nach)folgt. Dabei kann er gar nicht folgen, weil weder Frauchen noch Herrchen ihm gegenüber Führungsansprüche signalisieren. Vielleicht, weil sie nicht wirklich führen wollen, oder weil sie einfach nicht wissen, wie es geht.
Unser Anspruch an uns selbst als verantwortungsvolle Hundehalter entscheidet darüber, wie wir den Hund führen und wie sehr wir bereit sind, Kontrolle über ihn ausüben zu wollen.
WAS BEDEUTET FÜHREN?
Wann immer Sie ein anderes Wesen dazu bewegen wollen, sich von A nach B zu begeben, ist Führung ein Mittel der Wahl. Denn Sie möchten ja, dass dieses andere Wesen einen ganz bestimmten Weg, vielleicht auch noch zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt, geht, und zwar in einer von Ihnen definierten Weise.
Nehmen wir als Beispiel den Hundespaziergang. Führen bedeutet hier nicht nur von A nach B gehen, sondern zusätzlich das Tempo zu bestimmen und auf Verhaltensweisen, die gezeigt werden, Einfluss zu nehmen. Das heißt schlicht und einfach: Sie wollen, dass Ihr Hund Ihnen in einer bestimmten Art und Weise folgt. Sie wollen der „Führende“ sein, behütend und leitend. Damit brauchen Sie bestimmte Qualitäten.
Der Mensch muss führen wollen
Das bedeutet, ...
— dass er die innere Haltung hat, tatsächlich bestimmen zu wollen, zum Beispiel den Weg und das Ziel.
— dass er die für die Führung benutzten und dafür geeigneten Instrumente (zum Beispiel die Leine) beherrscht und sensibel verwendet.
— dass er die an den Hund gestellten Aufgaben verständlich für diesen kommuniziert.
— dass er weiß, was zu tun ist, um seinen Führungsanspruch gegenüber dem Hund auch gegen dessen Widerstand durchzusetzen.
— dass er die Verantwortung für den Hund und sein eigenes Handeln im Umgang mit diesem übernimmt.
— dass er sich mit dem Wesen des Hundes und dessen Ausdrucksverhalten auseinandersetzt, um so dem Hund an sich gerechter zu werden und diesem dadurch „gelungene Kommunikation mit dem Menschen als Sozialpartner“ ermöglicht.
— dass er das Vertrauen, das der von ihm abhängige Hund ihm schenkt, nie missbraucht.
Motivation steht an erster Stelle
In meinem Führungskonzept steht Motivation immer an erster Stelle. Freiwilliges und freudiges Kontakthalten steht vor dem Einsatz der Leine.
Wir kommen jedoch situativ nicht umhin, gegenüber dem Hund einen Führungsanspruch in dem Sinne zu stellen, dass wir ein Nachfolgen auf unsere Aufforderung hin verlangen (beispielsweise Bei-Fuß-Gehen mit und auch ohne Leine). Dazu müssen wir den Hund entsprechend beeinflussen können. Diese Verhaltensbeeinflussung sollte idealer Weise über einen kommunikativen Abgleich stattfinden, der dem Ausdrucksrepertoire des Hundes nahekommt. Wie wir inzwischen wissen, läuft dieser Abgleich unter Hunden immer binär ab.
© Gila Fichtlmeier
Bei der Führung eines Hundes können wir auf Reglementierung nie ganz verzichten.
Motivation und Reglementierung
Hunde bedienen sich zur gegenseitigen Verhaltensbeeinflussung der Motivation über auffordernde Laute und Verhaltensmuster. Das Reglementieren ihres Gegenübers findet mittels Drohgebärden und, wenn nötig, mittels Drohschnappen und Zubeißen statt. Hunde stehen tendenziell in Konkurrenz zu Sozialpartnern. Sie verstehen es ausgezeichnet, sich präzise abzugrenzen und ihren Vorteil zu wahren. Im schnellen Wechsel zwischen „Das gefällt mir“ oder „Das gefällt mir nicht“ äußern sie ihre Gestimmtheit. Ebenso sollten die Verhaltensmuster des Menschen für den Hund eindeutig sein und Stimmung wie Inhalt entsprechend vermitteln.
© Gila Fichtlmeier
Wenn liebevolle Ausgelassenheit den Tagesablauf mit dem Hund bestimmt, führt das dazu, dass der Hund aus freien Stücken Kontakt sucht und diesen freudig hält.
Kongruente Signalübermittlung
Jedes Verhalten, das ein Mensch gegenüber einem Hund zeigt, muss für den Hund eindeutig zuzuordnen sein. Es darf nicht willkürlich erscheinen. Wichtig ist, dass der Mensch auf erwünschtes Verhalten durch freundlichen Körperausdruck und hohe Stimme deutlich positiv reagiert, auf unerwünschtes Verhalten umgekehrt mit deutlichem Unmut. Stellt der Hund daraufhin seine Aktion nicht ein, muss energischer, wenn nötig auch „aggressiv“ auf ihn eingewirkt werden. Dabei möchte ich eines klarstellen: Aggression ist nicht gleichbedeutend mit Gewalttätigkeit. Prosoziale Aggression ist ein natürlicher Bestandteil in der Kommunikation unter Hunden. Es gestattet den Sozialpartnern, sich abzugrenzen, Missfallen zu bekunden und Unsicherheit zum Ausdruck zu bringen.
© Gila Fichtlmeier
Diese Geste vermittelt dem Hund simpel und einfach: „Bleib und warte“.
Soziale Übereinkünfte in der Gruppe
Hunde versuchen Gefahren abzuschätzen oder zu meiden, um möglichst keinen Schaden zu nehmen. Sie versuchen, den Sozialpartner zu beeinflussen, beispielsweise um sich abzugrenzen oder um an Ressourcen partizipieren zu können. Nachgeben ist dabei ein äußerst wichtiges Kriterium, so auch im Umgang mit uns Menschen.
Ein Beispiel: Kommt ein Hund in eine Gruppe, wird er immer als Erstes versuchen, jeden der einzelnen Sozialpartner, egal ob Mensch oder Hund, einzuschätzen:
— Wie steht der zu mir?
— Freundlich oder nicht?
— Können wir miteinander auskommen oder gehen wir uns besser aus dem Weg?
— Erkennt er meine Position an?
— Kann ich ihn in seiner Position anerkennen?
Jeder Hund will das Gefühl und die Sicherheit haben, dass er den anderen beeinflussen kann, und er lässt sich auch von diesem beeinflussen. Die wechselseitige Beeinflussbarkeit schafft die Basis dafür, dass Hunde sich rasch zu einer bindungsflexiblen Gruppe zusammenschließen können.
Hunde leben diese soziale Kommunikation nicht nur unter ihresgleichen, sondern auch mit den Menschen. Diese gegenseitige Beeinflussbarkeit zwischen Mensch und Hund sollte von Anfang an als soziale Übereinkunft gelebt werden.
Hier sind wir Hundebesitzer besonders gefordert, da der Hund die meiste Zeit seines Lebens mit uns und nicht mit Artgenossen verbringt.
Verlust von Selbstwertgefühl
Fehlt bei der Erziehung der Wechsel zwischen motivierender Aufforderung und Reglementieren über Androhung von Strafe bzw. Setzen einer Strafsanktion, können Hunde nicht lernen, mit Androhungen und Drohverhalten richtig umzugehen. Es ist ihnen nicht mehr möglich, ihr Selbstbewusstsein differenziert zum Ausdruck zu bringen. Sie neigen dann entweder zu übertriebener Ängstlichkeit gegenüber Menschen und Artgenossen, oder sie erkennen nicht mehr, dass sie andere verunsichern und ihnen Angst machen, beziehungsweise sie ignorieren es.
Rücksichtslosigkeit und Respektlosigkeit
Gänzlicher Verzicht auf Reglementieren von Hunden führt vielfach dazu, dass diese vermehrt respektlos und damit rücksichtslos gegenüber Menschen und demzufolge auch gegenüber Artgenossen auftreten. Solche Hunde agieren gefühlsroh und ohne Anerkennung von Grenzen. Dieser Mangel findet sich oft als Resultat ganz bestimmter Erziehungskonzepte, die vorgeben, ausschließlich über Motivation zu funktionieren und in denen bereits ein scharf gesprochenes „Nein“ verboten ist.
Jedoch ist Reglementierung von sozialem Fehlverhalten nicht nur notwendig, sondern es ist sogar ein fester Bestandteil des Verhaltensrepertoires von Hunden.
© Andreas Grossek
Hunde zeigen keine Skrupel, wenn es darum geht sich nötigen Respekt zu verschaffen.
Reglementieren ist hündisch
Reglementierung sehen wir bereits bei Welpen, die bei ihrer eigenen Mutter erste Erfahrungen machen, dass bestimmte Verhaltensweisen nicht toleriert werden. Haben Sie schon einmal beobachtet, wie klar eine Mutterhündin ihre Welpen zurechtweist, wenn diese zum Beispiel ihrem Futternapf zu nahe kommen? Auch ältere Hunde signalisieren jüngeren völlig eindeutig, wie sie deren Verhalten einschätzen. Sie agieren und reagieren hierbei unmittelbar, ausgelöst durch Verhaltensmuster und Lautäußerungen.
© Gila Fichtlmeier
Stimmt die Chemie zwischen zwei Hunden, finden auch bei erwachsenen Hunden, die sich nicht vorher kannten, dem Zufall geschuldete Interaktionsspielmuster statt.
Verlust sozialer Kompetenz
Pseudoliberale Erziehungsmodelle führen oft zum...