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E-Book

Der Kirchenrechtsprofessor nimmt Vernunft an, wird mit mir glücklich und stirbt

AutorUrsula Neumann
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl404 Seiten
ISBN9783744803250
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Oktober 1977: Der Kirchenrechtsprofessor Johannes Neumann schmeißt hin und gibt seine kirchliche Lehrerlaubnis zurück. Bis dahin hatte er an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen gelehrt, deren Rektor er 1972 war. Von seinen Kollegen wurde einer Papst (Joseph Ratzinger), einer Kardinal (Walter Kasper) und einem wurde von seiner Kirche der Stuhl vor die Tür gesetzt (Hans Küng) - allerdings erst, nachdem er nicht mehr dessen juristischer Berater war. Er war einer der renommiertesten Vertreter "der Progressiven", bis kein Weg mehr an der Einsicht vorbeiführte: Der Kampf für eine menschenfreundliche Kirche ist zwecklos. Den Weg vom engagierten, aber immer kritischen katholischen Priester und Theologen zum Agnostiker und Kirchenkritiker zeichnet seine Frau nach. Die "gelernte Theologin" wurde Psychoanalytikerin. Die vollständig erhaltenen Briefe, Tagebücher, Dokumente jener Zeit geben ein authentisches Bild: ein Blick hinter die Kulissen und ein Blick in die Herzen. Es ist eine sehr persönlich und schonungslos ehrlich erzählte Geschichte von Liebe und Tod, Sex and Crime, Freundschaft und Intrige, Treue und Verrat. Sie zeigt, wie Angst, große Angst überwunden werden kann, überwunden worden ist.

Ursula Neumann ist psychoanalytische Psychotherapeutin in eigener Praxis und Autorin. Veröffentlichungen u.a.: "Vom ersten Schrei zur ersten Liebe" (Kreuz-Verlag, 1993), "Ohne Jeans und Pille" (Kreuz-Verlag, 1994) und zahlreiche Artikel zu religionskritischen und bürgerrechtlichen Themen. Von 2002-2006 war sie verantwortliche Redakteurin des bvvp-magazins (Zeitschrift des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten). Im Jahr 2000 wurde sie gemeinsam mit ihrem Mann Johannes Neumann vom Internationalen Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) mit dem Erwin-Fischer-Preis ausgezeichnet.

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Leseprobe

Gebrannte Kinder »fallen in Liebe«


24.6.1975

Wenn der Tag damit beginnt, daß der Frauenarzt einem ein Päckchen Pillen in die Hand drückt und einen schönen Sommer wünscht …

Zunächst Analyse. Es roch nach Rauch (wo er sich doch das Rauchen abgewöhnt hat). Er ließ mich nach einer Weile allein im Zimmer, ich stand am Fenster, als er reinkam, und stellte fest: »Es riecht nach Rauch.« – »Ja, dann ist das ganze Zimmer verraucht.« Mich auf die Couch begebend, stellte ich fest: »Das ist keine Antwort auf meine Frage.« –»Sie wollen hören, daß ich geraucht habe. Ja, ich habe geraucht.« – »Dann muß es Ihnen aber schlecht gehen?!« –»Ja.« Ich hätte ihn gern gefragt, warum und wieso, er solle es mir erzählen.

Aber diszipliniert sprachen wir vom Geld, von meinem Vater, von meinem Traum. Er war unruhig. Ich sagte es anschließend: »Man merkt, daß Sie Kummer oder Ärger haben.« Ob das eine Rüge sei? Nein, es mache mir Kummer, daß er Kummer habe, und ich würde mich jetzt lieber mit ihm beschäftigen, aber ich wisse, das gehöre nicht hierher.

Ich hätte ja auch mit der Karte wieder eine andere Ebene angesprochen. Eine Ebene, wo ich etwas anderes von ihm wolle und er etwas anderes von mir. Warum? – Ich hätte Sehnsucht nach ihm, und ich wollte mir nicht nehmen lassen, ihm das ab und zu zu sagen. Aber ich wolle die Therapie, und ich wolle sie ordentlich zu einem Ende bringen. Und ich würde ihm vertrauen, daß, wenn er sagen würde, das oder jenes ginge nicht, daß das dann richtig sei. Er sei da der Boß, und ich wolle kein Durcheinander. – Aber ab und zu bräuchte ich das von der anderen Ebene.

Irgendwann beschrieb er mich, meine Situation, Verletzungen. Ich lag still da, und es traf mich. Die Männer, die mich hätten zappeln lassen. Er sagte »zappeln lassen«, und es störte mich wahnsinnig, aber es stimmte – die mich im Stich gelassen hätten, bei der Kirche geblieben wären, wenn es zum Schwur gekommen wäre. ›Und er?‹ dachte ich, sagte aber nichts.

Und da, sagte ich, sei auch mein »Alle Männer sind dumm« zu verstehen. Das ist doppelgesichtig: Einerseits, sie sind nur begrenzt tauglich, gut, man benutzt sie. «Für das Sexuelle?« fragt er. »Ja, ab und zu etwas weiter«, meinte ich, «aber wenn man sich gepflegt unterhalten will, richtig gepflegt unterhalten will …« Dann könne man das nur mit Frauen. Und andererseits eine tiefe Enttäuschung. Resignation. Sich-Abfinden: Sie sind eben tatsächlich nur begrenzt brauchbar.

Was denn »wahre Liebe« sei? »Kaffee kochen und Kinder kriegen. Man wird gefressen …«

… Ob er auch zu den »dummen Männern« gehöre? – Ja, auch wenn er – wie gesagt –für einen Mann recht intelligent sei. Er habe vorhin bei dem Hängenlassen sich vergessen. Da hieße es (anstatt »Kirche«) ja auch »Ihre Therapie« bzw. »meine« (ich meinte es ironisch). Gut, ich würde es akzeptieren, daß bestimmte Dinge in der Therapie nicht gingen. Aber manchmal würde ich (überlegen) grinsen: O Gott, wie umständlich!!! – und wie enttäuschend. Warum springt er nicht über seinen Schatten!

25.6.1975

Er sagte, daß es eben in der Therapie so sei, daß der Therapeut nichts bekommt außer dem vereinbarten Honorar. Beim Abschied. Ich stand nahe bei der Tür, er mehr im Zimmer. Einen Augenblick Zögern auf beiden Seiten. Er sagt: »Auf Wiedersehen.« Ich sage nichts und gehe.

27.6.1975

An dieser Stelle geriet ich ins Nachdenken und dann in eine unheimliche Wut: Bitte, wenn er nur das vereinbarte Honorar kriegt, dann schick’ ich ihm das nächsten Dienstag, und er kann sich alleine vergnügen!

17.7.1975

Ich bin damals in die Analyse gegangen, habe aber gesagt, wie unverschämt und verlogen ich ihn fände, und daß ich beinahe nicht gekommen wäre und nur gekommen sei, weil ich spüren würde, daß die Sache nicht nur mit ihm zu tun habe, und weil – wenn ich einmal wegbliebe – ich wieder den Anfang machen müsse.

Er konnte sich gar nicht mehr genau an den Satz erinnern, bat mich, ihn zu wiederholen, gab sehr schnell zu, daß alles gegenseitig sei, und meinte dann, vielleicht habe er es deswegen so betont, weil er es sich selber gegenüber immer so betonen müsse, daß er nichts von mir wollen dürfe. …

14.9.2014

Frauen, die den Kaffee kochen … Als ich das las, kamen mir Bilder aus meiner Kindheit vor Augen: mein Vater am Tisch, die leere Tasse vor sich und die Kaffeekanne in Griffnähe. Eine Handbewegung, die meine Mutter zum Einschenken aufforderte, und sie schenkte ein. Kein Wort, kein »Bitte« … so sind sie, die Männer. Auch wenn das für mich damals ganz normal war (ich kannte ja nichts anderes), eine solche Frau wollte ich nicht sein und nicht eine Frau für solche Männer.

Das Zappeln-Lassen. Sicher, da kann ein Quäntchen Wahrheit drin sein: Ihr habt mich zappeln lassen, jetzt lasse ich euch zappeln. Macht ja Sinn, denkt die Analytikerin. Wendung von der Passivität in die Aktivität. Ich kann nicht in die tiefsten Tiefen meines Unbewussten vordringen. Aber ich glaube, darum ging es mir nicht bei meiner Männerriege. Sonst hätte ich deren Sehnsucht viel mehr provoziert und ausgekostet. Aber es war ja gar nicht selten so, dass ich mich verpflichtet fühlte, weil ich nur zu gut wusste, wie Sehnsucht schmeckt. Meine Flucht in Pillenpausen war Notwehr und kein aggressiver Akt.

Ich gab jenen Männern genau so viel, wie ich jeweils empfand. Ich genoss es, nicht mehr in meinen Gefühlen gefangen zu sein. Es hätte keinen Mehrwert gebracht, sie »zappeln« zu lassen. Dann hätte ich nur ein schlechtes Gewissen und Mitgefühl bekommen.

Damals schrieb ich über eine Analysestunde:

… Schließlich fing ich mit Jürgen an. Ich gab ein etwas schiefes Bild von dieser Beziehung, weil ich beim Erzählen zunehmend mißgelaunt auf Jürgen wurde, ihn zunehmend als Belastung empfand. Daß er sich schon Stunden vorher und nachher freut … Und daß mich das erschlägt, wenn er soviel Emotionen investiert. Ich sei unabhängiger. Ja – aber doch auch wieder nicht, denn ich könne ja nicht mal sagen: Ich will nicht mit dir schlafen, sondern ich mußte sagen: Ich habe die Pille abgesetzt.

Jürgen würde sich mehr einlassen, meinte Klöß fast vorwurfsvoll. Ich hasse es, wenn jemand sich so einläßt.

Ich gebe zu: Wie soll man da durchsteigen? Aber ich weiß, ich fand mich damals absolut klar und stringent.

15.9.2014

Wie kann ich ohne ihn weiterleben? Ich rufe mich zur Ordnung: Du willst den Johannes von damals zurück, du willst dich von damals zurück, du willst die Zeit von damals zurück. Weißt du nicht mehr, wie dein Johannes in den letzten Jahren war? Weißt du nicht mehr, wie das Ergebnis des Tests 2009 oder 2010 war, den der Parkinson-Arzt angeordnet hatte, wie du schockiert warst: 80 Prozent der geistigen Leistung eines durchschnittlichen 80-Jährigen? Ja, du hast ihn trotzdem geliebt und es gab noch manche sehr gute, viele gute oder wenigstens passable Stunden. Aber: Er war nicht mehr der von damals. Du magst vielleicht noch mehr die sein, die du damals warst. Aber schau dich doch an: Du bist es nicht mehr! Die Zeit ist vorbei. Für immer, immer, immer.

Ich weine.

16.9.2014

Heute Nacht hatte ich Herzschmerzen. Was wäre, wenn du jetzt einen Infarkt hättest? »Wäre mir gerade recht«, sagte die eine Stimme, »aber das Buch möchte ich eigentlich noch fertigschreiben.« – »Ja, ja«, spottete die andere Stimme, »ich bin jeden Tag bereit zum Sterben. Nur nicht grad heut.«

Kurz bevor dann die Liebesgeschichte mit Johannes wirklich wirklich anfing, gab es noch mal Aufregung mit Heinz, ich war ja immer noch mit ihm verheiratet. Heute verstehe ich nicht, wieso ich nicht gleich in die Scheidung eingewilligt habe, denn nach katholischem Kirchenrecht gibt es durchaus eine »Trennung von Tisch und Bett«. Kritisch wird es erst, wenn man erneut heiraten will. Egal wie es sich damit verhielt. Heinz hatte offenbar tatsächlich sein Abschlussexamen bestanden, nachdem er zuvor durch ziemlich jede Prüfung gefallen war, die sich ihm in den Weg stellte. Er behauptete, er würde nur in den evangelischen Kirchendienst übernommen, wenn er geschieden sei. Im Sinn von »klaren Verhältnissen« wohl. Lassen wir es dahingestellt sein, inwieweit er das provoziert hatte, weil er die Scheidung wollte.

Auch hier holte Johannes für mich die Kastanien aus dem Feuer.

19.7.1975

…Es war ziemlich grauenhaft. … Heinz tobte, als ich sagte, so schnell willigte ich nicht in eine Scheidung ein. Ich wolle ihm sein Leben verderben, und ich hätte ihn immer unterdrückt, und ich würde es jetzt machen wie immer. Schließlich gestand er mir zu, selbst noch mal mit dem OKR...

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